Titel:
Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Klagepartei, Unerlaubte Handlung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Begehungsort, Streitwert, Unzulässigkeit, Elektronischer Rechtsverkehr, Elektronisches Dokument, OLG Brandenburg, Feststellung eines Annahmeverzugs, OLG Koblenz, Sittenwidrige Schädigung, Greifbare Anhaltspunkte, Inverkehrbringen, Gesetzesverstoß, Sittenverstoß, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Hinweisbeschluss
Schlagworte:
Thermofenster, Sittenwidrigkeit, Schadensersatzanspruch, Abschalteinrichtung, Zuständigkeit Landgericht, Beweislast, Annahmeverzug
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 03.11.2021 – 1 U 3287/21
OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.12.2021 – 1 U 3287/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 09.10.2023 – VIa ZR 56/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63821
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 37.937,70 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um Ansprüche aus sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit dem sogenannten „Diesel-Abgas-Skandal“.
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Die Klagepartei erwarb ausweislich des als Anlage K A2 vorgelegten „Kaufvertrag(es) für den privaten Verkauf von gebrauchten Fahrzeugen“ am 16.05.2015 von …, den streitgegenständlichen Pkw, einen BMW X3 Xdrive20d, zu einem Preis in Höhe von 46.750,00 Euro.
3
Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist die Beklagte. Das Fahrzeug verfügt über einen Motor des Typs B47 (Euro 6).
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Zum Zeitpunkt des. Erwerbs wies dieses Fahrzeug ausweislich des vorgelegten Kaufvertrages einen km-Stand von 23.476 km auf. Am 30.06.2021 hatte der verfahrensgegenständliche Pkw einen km-Stand von 122.308 km.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 26.11.2020 machte die Klagepartei gegenüber der Beklagten erfolglos Schadensersatzansprüche geltend.
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Die Klagepartei trägt vor, das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über gem. Art. 5 VO 715/2007 (EG) unzulässige Abschalteinrichtungen, insbesondere in Gestalt eines unzulässigen Thermofensters. Die Klagepartei hätte das verfahrensgegenständliche Fahrzeug nicht erworben, wenn sie diese Sachlage gekannt hätte. Auf diese Weise sei die Klagepartei von der Beklagten vorsätzlich und sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB geschädigt worden. Die Beklagte und ihre Vorstände hätten positive Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der verwendeten Abschaltvorrichtungen und damit Schädigungsabsicht gehabt.
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Die Klagepartei beantragt zu erkennen:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 37.937,70 nebst Zinsen aus Euro 37.937,70 hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 10.12.2020 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Pkw Typs BMW X3, FIN: ….
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 10.359,29 Deliktszinsen zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Pkw Typs BMW X3, FIN: ….
III. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag I genannten Fahrzeugs seit dem 10.12.2020 in Verzug befindet.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 1.832,01 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
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Die Beklagte beantragt zu erkennen:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte erwidert, die Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs verfüge über keine Umschaltlogik, die dauerhaft zwischen dem Betrieb auf dem Prüfstand und dem Betrieb auf der Straße unterscheide und die Abgasrückführung unter Prüfstandbedingungen optimiere. Im Übrigen stelle das sog. Thermofenster keine unzulässige Abschalteinrichtung dar und sei auch nicht geeignet, etwaige Schadensersatzansprüche des Klägers zu begründen. Der Klagepartei gelinge es folglich nicht, substantiiert einen angeblichen Mangel des streitgegenständlichen Fahrzeugs bzw. eine hierüber erfolgte Täuschung darzulegen. Auf dieser Grundlage bestehe kein Anknüpfungspunkt für eine angebliche Haftung der Beklagten.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf deren Schriftsätze mitsamt Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 02.07.2021.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
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Das Landgericht Regensburg ist sachlich und örtlich zuständig.
13
Das Landgericht Regensburg ist insbesondere gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig. Der Prüfung ist insoweit der klägerische Sachvortrag zugrunde zu legen (vgl. BGH, Beschluss v. 25. März 2014, Az. VI ZR 271/13). Die Klagepartei hat einen Anspruch (auch) aus § 826 BGB schlüssig vorgetragen. Nach § 32 ZPO ist für Klagen aus unerlaubten Handlungen das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Der Begehungsort liegt dabei überall dort, wo ein Teilakt der unerlaubten Handlung verwirklicht worden ist (vgl. BGH, Urteil v. 23.03.2010, Az. VI ZR 57/09; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. A. 2016, § 32 Rn. 16). Gehört der Schadenseintritt selbst zum Tatbestand der Rechtsverletzung, ist damit (auch) der Ort des Schadenseintritts Begehungsort im Sinne des § 32 ZPO (vgl. MüKoZPO/Patzina, 5. A. 2016, § 322 Rn. 20; Zöller/Vollkommer, a.a.O.). Werden Ansprüche – wie vorliegend der Fall – auf § 826 BGB gestützt, ist Begehungsort folglich (auch) der Belegenheitsort des Vermögens des Geschädigten, mithin in der Regel dessen Wohnsitz, denn geschütztes Rechtsgut der vorgenannten Vorschriften ist das Vermögen als solches (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O.). Ort des Schadenseintritts ist demnach der Wohnort des Klägers/der Klägerin als Geschädigte/r (so auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.07.2017, Az. 13 SV 6/17; LG Offenburg, Urteil v. 12.5.2017, Az. 6 O 119/16), aber auch der Ort des Vertragsschlusses, welcher sich im hiesigen Gerichtsbezirk befindet.
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Die Klage ist in der Sache jedoch nicht begründet.
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1. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte nach Auffassung des Gerichts unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Schadensersatz sowie Feststellung eines Annahmeverzuges zu mit der Begründung, im verfahrensgegenständlichen Fahrzeug finde sich eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines sog. Thermofensters.
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a) Die Klagepartei kann einen solchen Anspruch insbesondere nicht aus §§ 826, 831 BGB herleiten, denn insoweit kann sich die Klagepartei nicht mit Erfolg darauf berufen, ihr sei von der Beklagten in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich ein Schaden zugefügt worden.
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aa) Zwar kann im Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist, grundsätzlich eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegen, da dies dazu führen kann, dass der Widerruf der Typengenehmigung oder zumindest die Stilllegung des konkreten Fahrzeugs droht, sofern der Käufer nicht an der Rückrufaktion zur Beseitigung der Abschalteinrichtung teilnimmt. Mit der Inverkehrgabe des Fahrzeugs bringt der Hersteller jedenfalls konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf, d.h. über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei der Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter, konstruktiver Eigenschaften gefährdet ist. Dies setzt voraus, dass nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typengenehmigung nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrtbundesamtes erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Erhalt und Fortbestand einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich nicht entspricht. Auch dies bestätigt der Hersteller mit der Inverkehrgabe zumindest konkludent (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 20.04.2020 – 12 U 1570/19 OLG Karlsruhe, WM 2019, 881 ff.).
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bb) Unabhängig von der Frage, ob die – von der Beklagten dem Grunde nach nicht bestrittene – Implementierung eines solchen Thermofensters in tatsächlicher Hinsicht objektiv mit den (unions-)rechtlichen Vorschriften vereinbar ist, stellt sich das Inverkehrbringen eines solchermaßen konzipierten Fahrzeugs nach Ansicht des Gerichts subjektiv jedenfalls nicht als sittenwidrige Handlung der Beklagten i.S.d. § 826 BGB dar.
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(1) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflichtverletzung und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (vgl. BGH, Urteil v. 28.6.2016 – VI ZR 516/15). Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (vgl. Staudinger/Oechsler, BGB [2014], § 826 Rn. 31).
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(2) Ausgehend von diesem Beurteilungsmaßstab ist das Verhalten der Beklagten, ein mit einem sogenannten Thermofenster ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, im vorliegenden Fall nicht als sittenwidrige Handlung einzustufen. Dabei kommt es hier nicht darauf an, ob das im streitgegenständlichen Fahrzeug installierte Thermofenster eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht. Bei einer sogenannten „Schummelsoftware“, wie sie in dem VW-Motor EA 189 verwendet worden ist, ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Handelns per se aus der Verwendung einer Umschaltlogik, die – auf den Betriebszustand des Fahrzeugs abstellend – allein danach unterscheidet, ob sich dieses auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Eine solche Abschalteinrichtung ist eindeutig unzulässig; an dieser rechtlichen Wertung kann auch aus Sicht der Handelnden bzw. hierfür Verantwortlichen kein Zweifel bestehen. Bei einer anderen die Abgasreinigung (Abgasrückführung und Abgasnachbehandlung) beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, wie dem hier in Rede stehenden Thermofenster, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor-, respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft erwogen werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein agiert haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn hinsichtlich des Thermofensters von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen sein sollte, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 20.04.2020 – 12 U 1570/19; OLG Stuttgart MDR 2019, 1248 f.; OLG Köln, Beschluss v. 04.07.2019 – 3 U 148/18). Eine Sittenwidrigkeit käme daher hier nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise in dem streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass die Implementierung einer solchen Einrichtung von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (vgl. OLG Stuttgart u. OLG Köln a.a.O.). Solche Anhaltspunkte hat die Klagepartei weder vorgetragen noch sind diese anderweitig ersichtlich. Allein der Umstand, dass mit einem Motor der Motorserie EA 288 ausgestattete Fahrzeuge von einer vom KBA angeordneten Rückrufaktion in Zukunft betroffen sein könnten, ist hierfür nicht ausreichend (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 20.04.2020 – 12 U 1570/19).
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(3) Solange nach allem entsprechend der vorstehenden Überlegungen in Betracht zu ziehen ist, dass die Beklagte die Rechtslage fahrlässig verkannt hat, fehlt es in subjektiver Hinsicht an dem für die Sittenwidrigkeit erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. Palandt/Sprau, BGB, § 826 Rn. 8). Dass auf Seiten der Beklagten die Erkenntnis eines möglichen Gesetzesverstoßes, zumindest in Form eines billigenden Inkaufnehmens desselben vorhanden war, ist von der – insoweit darlegungs- und beweispflichtigen – Klagepartei weder dargetan noch aus den Gesamtumständen ersichtlich.
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Die europarechtliche Gesetzeslage ist an dieser Stelle nicht zweifelsfrei und nicht eindeutig. Dies zeigt bereits die kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a) VO (EG) 2007/715. Nach Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) eingesetzten Untersuchungskommission Volkswagen liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vor. So heißt es im Bericht der Kommission zur Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a) VO (EG) 715/2007 ausdrücklich (BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, S. 123):
„Zudem verstößt eine weite Interpretation durch die Fahrzeughersteller und die Verwendung von Abschalteinrichtungen mit der Begründung, dass eine Abschaltung erforderlich ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, angesichts der Unschärfe der Bestimmung, die auch weite Interpretationen zulässt, möglicherweise nicht gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
Konsequenz dieser Unschärfe der europäischen Regelung könnte sein, dass unter Berufung auf den Motorschutz die Verwendung von Abschalteinrichtungen letztlich stets dann gerechtfertigt werden könnte, wenn von Seiten des Fahrzeugherstellers nachvollziehbar dargestellt wird, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden droht, sei dieser auch noch so klein.“
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Schließlich zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265) betriebene erhebliche Begründungsaufwand, um das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist, gegen die die Beklagte bewusst verstoßen hätte (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 04.07.2019 – 3 U 148/18; OLG Stuttgart, Urteil v. 30.07.2019 – 10 U 134/19).
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Eine Auslegung, wonach ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist daher jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann aber nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.).
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(4) An diesem Ergebnis würde sich auch dann nichts ändern, wenn das Fahrzeug von einer Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamtes betroffen wäre, denn insoweit kommt es für die Frage, ob die von der Beklagten vorgenommene Gesetzesauslegung vertretbar ist, auf die Umstände zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs an. Hinzu kommt, dass der Streit um die Zulässigkeit und Größe eines Thermofensters einen Expertenstreit darstellt (vgl. dazu z.B. Führ, NVwZ 2017, 265 f.), bei dem nicht nur Rechtsfragen, sondern auch technische Details eine Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund würde der Umstand, dass das im Fahrzeug der Klagepartei verbaute Thermofenster möglicherweise in seiner technischen Ausgestaltung als unzulässig anzusehen sein könnte, nicht dazu führen, dass von einem Sittenverstoß auf Seiten der Beklagten auszugehen wäre (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 20.04.2020 – 12 U 1570/19).
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cc) Unter Berücksichtigung der dargelegten, aus den Gesamtumständen erkennbaren Bewusstseinslage der Beklagten fehlt es daher – bezogen auf das behauptete Ausstattungsmerkmal „Thermofenster“ mangels feststellbaren sittenwidrigen Handelns bereits in subjektiver Hinsicht an der Tatbestandsmäßigkeit i.S.d. § 826 BGB.
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b) Vor dem Hintergrund des fehlenden sittenwidrigen, täuschenden Verhaltens der Beklagten bleibt auch kein Raum für eine deliktische Haftung aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB. Solange die Beklagte nicht – jedenfalls nicht nachweisbar – in dem Bewusstsein handelte, ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, fehlt es auch an dem Nachweis einer willentlichen. Täuschung des Käufers über das Nichtvorhandensein einer solchen (möglicherweise unzulässigen) Einrichtung (vgl. u.a. OLG Koblenz, Urt. v. 20.04.2020 – 12 U 1570/19).
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c) Der mit der Klage geltend gemachte Schadensersatzanspruch lässt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV herleiten, denn mit der ganz h.M. ist bereits der Schutzgesetzcharakter der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007 zu verneinen (vgl. OLG Braunschweig, Urt. v. 19.02.2019 – 7 U 134/17; OLG München, Beschluss v. 29.08.2019 – 8 U 1449/19).
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2. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte nach Auffassung des Gerichts ferner unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Schadensersatz sowie Feststellung eines Annahmeverzuges zu mit der Begründung, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug seien neben einem Thermofenster weitere unzulässige Abschalteinrichtungen vorhanden, denn insoweit ist der klägerische Sachvortrag aus Sicht des Gerichts erkennbar ohne Substanz und willkürlich aus der Luft gegriffen. Er rechtfertigt auch keine Beweisaufnahme.
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a) Grundsätzlich ist bei der Annahme einer „ins Blaue hinein“ aufgestellten Behauptung Zurückhaltung geboten. Die Annahme eines willkürlichen Sachvortrags kommt nur im Ausnahmefall in Betracht, da es einer Partei durchaus möglich sein muss, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis haben kann, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (vgl. etwa BeckOK-ZPO/von Selle, Ed. 34, § 138 ZPO Rdnr. 32 m.w.N.). Sie kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen (so auch OLG Nürnberg, Urteil vom 07.06.2019 – 5 U 1670/18; LG Stuttgart, Urteil vom 03.05.2019 – 22 O 238/18). Eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung ist aber dann gegeben, wenn eine Partei ohne greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ Behauptungen aufstellt (vgl. etwa BGH NJW-RR 2003, 69; BGH NJW-RR 2002, 1419). Dies ist dann der Fall, wenn jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkt für den Einsatz einer Manipulationssoftware entsprechend der Ausstattung des Motortyps EA 189 im klägerischen Fahrzeug fehlt, was auch im hier zu entscheidenden Fall anzunehmen ist (vgl. hierzu u.a. OLG Brandenburg, Hinweisbeschluss v. 20.04.2020 – 1 U 103/19; OLG Koblenz, Urteil v. 18.06.2019 – 3 U 416/19).
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b) Unstreitig ist das streitgegenständliche Fahrzeug nicht mit einem EA 189 ausgestattet. Es sind keine greifbaren Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich, nach denen davon ausgegangen werden könnte, dass der hier streitgegenständliche Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung, wie dies bei den Motoren EA 189 der Fall ist, ausgestattet ist. Diese Behauptung der Klagepartei ist reine Spekulation. Die Beklagte kann daher mit Erfolg darauf verweisen, dass das Kraftfahrtbundesamt bislang keinen Bescheid für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp wegen dessen Emissionsverhalten erlassen und dementsprechend auch keinen verpflichtenden emissionsbedingten Rückruf für diesen angeordnet hat (vgl. KBA-Rückruflisten zum verfahrensgegenständlichen Motortyp).
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Auch nach der Einreichung der Klage ist seitens des Kraftfahrtbundesamtes noch keine Rückrufaktion angekündigt worden ist. Dies spricht dagegen, dass die Behörde sich hinsichtlich dieses Fahrzeugtyps getäuscht sieht oder aus sonstigen Gründen von einer Rechtswidrigkeit der erteilten Typengenehmigung ausgeht und deshalb Beschränkungen drohen. Sieht also die zuständige Behörde die Funktionsweise des Motors als zulässig an, sind die Fahrzeughalter nicht der Gefahr einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung ausgesetzt mit der Folge, dass sowohl vertragliche als auch deliktische Ansprüche gegen die Beklagte ausgeschlossen sind (vgl. OLG Brandenburg, Hinweisbeschluss v. 20.04.2020 – 1 U 103/19).
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c) Die bloße Behauptung einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“ stellt überdies ohne die erforderliche Behauptung unter die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 subsumtionsfähiger Tatsachen eine reine Rechtsbehauptung dar. Schlüssiger Vortrag zu einer angeblich unzulässigen Abschalteinrichtung erfordert vielmehr konkreten Vortrag dazu, dass erstens ein Konstruktionsteil im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeug vorhanden ist (wobei es sich auch um eine Software handeln kann), das zweitens in bestimmten, konkret darzulegenden Umwelt- oder Fahrsituationen etc. i.S.v. Art. 3 Nr. 10 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 die Abgasreinigung abschaltet, und dies drittens nicht notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Trotz der Formulierung von Art. 5 Abs. 2 lit. a) Verordnung (EG) Nr. 715/2007 („Dies ist nicht der Fall, wenn […]“) trägt dabei die Klagepartei im Rahmen einer unerlaubten Handlung grundsätzlich auch für das Nichteingreifen der Ausnahmeregelung als weitere Anspruchsvoraussetzung die volle Darlegungs- und Beweislast. Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten scheidet aus, da dies den Beibringungsgrundsatz aushöhlen und dem beklagten Autohersteller eine der deutschen Zivilprozessordnung fremde allgemeine Aufklärungspflicht auferlegen würde; zudem ist es der Klagepartei nicht unmöglich, den maßgeblichen Sachverhalt von sich aus zu ermitteln, da sie – soweit es keine öffentlich zugänglichen Erkenntnisse zum konkreten Motor gibt – ggf. zu ihrem bloßen Verdacht zunächst ein Privatgutachten erholen muss (vgl. OLG München, Beschl. v. 29.08.2019, Az. 8 U 1449/19). Nach diesen Grundsätzen ist der klägerische Vortrag zu der geltend gemachten unzulässigen Abschalteinrichtungen nach Auffassung des Gerichts zu unsubstantiiert, da bezogen auf den hier zu entscheidenden Fall nicht hinreichend konkret vorgetragen wird, warum diese jeweils nicht notwendig sein sollen, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Hinreichend subsumtionsfähiger Tatsachenvortrag zum Nichteingreifen der Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 2 lit. a) Verordnung (EG) Nr. 715/2007 erfolgt aus Sicht des Gerichts vorliegend nicht.
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d) Über die vorgenannte Behauptung der Klagepartei war nach Ansicht des Gerichts kein Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben. Zwar darf eine Klagepartei – wie bereits ausgeführt – im Rechtsstreit auch solche Tatsachen behaupten, über deren Vorliegen sie kein sicheres Wissen hat und ein solches auch nicht erlangen kann. Eine Partei kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen (vgl. BGH NJW-RR 2015, 829). So liegt grundsätzlich auch der hier zu entscheidende Fall. Die Klagepartei kann, sofern sie nicht eine mutmaßlich aufwändige technische Untersuchung durchführen lässt, wohl kein sicheres Wissen darüber haben, ob die Motorsteuerung ihres Fahrzeuges so gestaltet ist, dass sie einen Prüfstandsbetrieb erkennt und dann den Verbrennungsvorgang im Motor so steuert, dass die relevanten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden, während außerhalb des Prüfzyklus, also im gewöhnlichen Fahrbetrieb, der Verbrennungsvorgang anders gesteuert wird und es deshalb insbesondere zu höheren, nicht mehr normgerechten Stickoxid-Emissionen kommt. Jedoch wird ein solches prozessuales Vorgehen dann unzulässig, wenn eine Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Im vorliegenden Fall fehlt es daher nach Auffassung des Gerichts an hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten zur Untermauerung der klägerischen Behauptung der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch die Beklagte, so dass eine Beweiserhebung insoweit nicht geboten erscheint und sich letztlich als reine, jedoch unzulässige Ausforschung darstellen würde (vgl. OLG Brandenburg, Hinweisbeschluss v. 20.04.2020 – 1 U 103/19; OLG Koblenz, Urteil v. 18.06.2019 – 3 U 416/19).
35
3. Da ein Anspruch in der Hauptsache nicht besteht, war die Klage auch hinsichtlich der geltend gemachten Nebenforderungen abzuweisen.
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4. a) Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
37
b) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1, 2 ZPO.
38
5. Der Streitwert war auf 37.937,70 Euro festzusetzen. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs hat keinen eigenständigen wirtschaftlichen Wert (vgl. BGH, NJW-RR 2010, 1295 f.).