Titel:
Schriftformerfordernis, Abtretung, Rechtsmißbrauch, Widerspruchsrecht, Versicherungsschein, Berufungsrücknahme, Policenbegleitschreiben, Gesamtwürdigung, Hinweisbeschluss, Widerspruchsbelehrung, Rücknahme der Berufung, Gesamtabwägung, Gelegenheit zur Stellungnahme, Gerichtsgebühren, Kostenverzeichnis, Verwirkung, Vertragsschluss, Verbraucherinformation, Rechtsvorgänger, Fehlerhafte Belehrung
Schlagworte:
Widerspruchsrecht, Schriftformerfordernis, Rechtsmissbrauch, Belehrungsmangel, Gesamtwürdigung, Verwirkung, Gerichtsgebühren
Vorinstanz:
LG München II, Endurteil vom 17.09.2021 – 10 O 646/21 Ver
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 12.01.2022 – 25 U 7375/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 25.10.2023 – IV ZR 76/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63701
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 17.09.2021, Az. 10 O 646/21 Ver, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
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1. Die Berufungsbegründung beanstandet zu Unrecht, dass das Landgericht angenommen habe, dass der Widerspruch in Schriftform zu erklären sei. Sie übersieht dabei, dass der Vertrag unstreitig Anfang 2000 abgeschlossen wurde. Der Versicherungsschein datiert vom 13.01.2000 (Anlage K 2). Damals galt § 5a VVG in der Fassung vom 21.7.1994, der die Schriftform erforderte (§ 5a Abs. 1 VVG in der Fassung vom 21.7.1994).
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2. Die Widerspruchsbelehrung ist vorliegend unzureichend, da über das Schriftformerfordernis nicht belehrt wurde.
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3. Die Belehrung erfolgte bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form durch Fettdruck in dem nur etwas über 1 Seite langen Policenbegleitschreiben (Anlage K 2).
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4. Angesichts der vorliegenden gravierenden Umstände ist der Senat der Auffassung, dass das Berufen auf das Widerspruchsrecht trotz der fehlerhaften Belehrung rechtsmissbräuchlich ist.
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Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall obliegt der tatrichterlichen Beurteilung Der Widerspruch erfolgte über 19 Jahre nach Vertragsschluss.
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Der Belehrungsmangel (vgl. 2.) ist nicht gravierend. Der Kläger wurde deutlich sowohl im Antragsformular (Anlage B 1) als auch im Policenbegleitschreiben (Anlage K 2) und nochmals in den Allgemeinen Verbraucherinformationen (Anlage B 3) auf sein Widerspruchsrecht hingewiesen und hat 19 Jahre lang nicht erklärt, sich vom Vertrag lösen zu wollen. Kaum vorstellbar ist, dass der Kläger nur durch die fehlende Angabe des Schriftformerfordernisses davon abgehalten wurde, den Widerspruch zu erklären.
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Die Klagepartei hat schon bei Vertragsschluss geplant, den Vertrag als Kreditsicherungsmittel einzusetzen und das dann 2003 getan. Im Rahmen der Gesamtwürdigung kann auch der Umstand der einmaligen Abtretung als ein Indiz bewertet und in die Gesamtabwägung eingestellt werden; dem steht auch nicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 01. Juni 2016 – Az. IV ZR 482/14 oder auch BGH, Hinweisbeschluss vom 27.9.2017 – Az. IV ZR 506/15, NJW-RR 2018, 161) entgegen; in den diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Fällen hat unter Berücksichtigung der dortigen Umstände bei der Gesamtabwägung die einmalige Abtretung nicht genügt, um von einer Verwirkung auszugehen. Bei der hier vorzunehmenden Gesamtwürdigung ist als einer von mehreren Umständen auch die einmalige Abtretung zu berücksichtigen.
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Die Klagepartei hat in erheblichem Umfang vertragliche Rechte ausgeübt und Dynamikwidersprüche erklärt (2011,2012,2014,2015 und 2016).
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2003 hat der Kläger bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten 2 weitere Verträge abgeschlossen.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).