Titel:
Auslegung von Willenserklärungen, Honoraransprüche, Abgeltungsklausel, Unentgeltlichkeit, Auskunftserteilung, Zeugenbeweis, Honorarklage, Berufungsrücknahme, Verjährung, Verkehrssitte, Vereinbarung, Treu und Glauben, Gegenseitige Forderungen, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Landgerichte, Gegenseitiges Nachgeben, Verkehrserforderliche Sorgfalt, Auskunftsanspruch, Auskunftsverpflichtung, Abgeltungswirkung
Schlagworte:
Haftungsansprüche, Abgeltungsklausel, Auslegung von Willenserklärungen, Verzichtswille, Begleitumstände, Verkehrssitte, Berufungsrücknahme
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 22.02.2021 – 11 O 1127/20
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.05.2021 – 2 U 752/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 06.04.2022 – VII ZR 500/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63474
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 22.02.2021, Az. 11 O 1127/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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Die Parteien streiten um Haftungsansprüche des Klägers im Zusammenhang mit der Betreuung von Sanierungsmaßnahmen betreffend die Burg F im Landkreis S durch den Beklagten als Bauleiter.
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Am 04.04.2012 unterzeichneten die Parteien im Rahmen einer Besprechung eine Vereinbarung mit folgendem Inhalt (Anlage K4):
„Herr F verpflichtet sich die Klage [Anmerkung: auf Zahlung eines Resthonorars von 26.855 €] noch heute über seinen Anwalt zurückzunehmen. Herr S verpflichtet sich an Herrn F einen Betrag von – 18.000 € – (…) zu überweisen. Mit dieser Zahlung sind alle gegenseitigen Forderungen bis zum heutigen Tag abgegolten. Herr F verpflichtet sich gegenüber Herrn S unentgeltlich Auskunft über die bereits durchgeführten Arbeiten zu geben.“
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Im Übrigen wird auf die Feststellungen des angefochtenen Urteils (Bl. 105 ff. d. A.) sowie die dortige Darstellung des Sach- und Streitstands Bezug genommen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Einer Inanspruchnahme des Beklagten wegen der streitgegenständlichen Schäden stehe – so das Landgericht zur Begründung – zumindest die Erlasswirkung der in der Vereinbarung vom 04.04.2012 enthaltenen Abgeltungsklausel entgegen. Insbesondere seien bereits Schadensersatzansprüche des Klägers gegen den Beklagten im Raum gestanden.
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Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel in vollem Umfang weiter. Die Vereinbarung vom 04.04.2012 habe keine Erlasswirkung entfaltet, weil die Abgeltungsklausel nicht die klagegegenständlichen Forderungen betroffen habe. Sie habe sich allein auf die vom Beklagten kurze Zeit vor dem 04.04.2012 eingereichte Forderungsklage bezogen. Dementsprechend werde auch zunächst deren Rücknahme thematisiert. Mit der getroffenen Übereinkunft habe die vom Beklagten geltend gemachte Forderung ohne die Durchführung eines Prozesses erledigt werden sollen. Bei dem Gespräch und der gefundenen Einigung zwischen den Parteien am 04.04.2012 sei es allein darum gegangen, die Ansprüche des Beklagten klaglos zu stellen, nicht aber die ihm unbekannten Ansprüche aufgrund später aufgetretener Baumängel sowie den angerichteten Sachschaden. Dies sei bereits in der Klageschrift auch unter Zeugenbeweis gestellt worden. Die durch das Verhalten des Beklagten entstandenen Bauschäden seien ihm, dem Kläger, bei Abschluss der Vereinbarung nicht bekannt gewesen. Erst in der Folgezeit hätten sich vor allem Schäden am Haupttor sowie am Hochzeitsturm gezeigt. Wenige Tage vor dem 04.04.2012 habe er nur festgestellt, dass der Tanzsaal und die Hotelzimmer (mit einer Ausnahme) zerstört worden seien. Die Ursachen dafür und der Schadensumfang seien allerdings noch ungeklärt gewesen und haben aus Sicht der Parteien deshalb von der Vereinbarung nicht umfasst werden können. Auch könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beklagte bis heute seiner vertraglich übernommenen Verpflichtung zur unentgeltlichen Auskunftserteilung nicht nachgekommen sei.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 12.04.2021 (Bl. 140 ff. d. A.) Bezug genommen.
- 1.
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Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 22.02.2021, Az. 11 O 1127/20, aufgehoben.
- 2.
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Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 100.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Der Wortlaut der Vereinbarung vom 04.04.2012 sei eindeutig. Der Formulierung sei eine umfangreiche, detaillierte Besprechung vorangegangen. Bei dem Treffen seien sowohl seine Forderungen besprochen als auch die Ausführungen des Klägers in dessen Schreiben vom 22.03.2012 (Anlage B1) erörtert worden. Auch das Schreiben vom 26.09.2012 (Anlage K5), in dem der Kläger selbst ausführt, dass über die darin aufgeführten Schäden am 04.04.2012 gesprochen worden sei, berücksichtige das Landgericht zu Recht. Ziel sei es gewesen, mit der Vereinbarung einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Er selbst habe auf Honorar in Höhe von 80.000 € verzichtet. Um konkrete Auskünfte habe der Beklagte nie gebeten.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung vom 22.04.2021 (Bl. 148 ff. d. A.) Bezug genommen.
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Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 22.02.2021, Az. 11 O 1127/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Die Auslegung der schriftlichen Vereinbarung vom 04.04.2012 durch das Landgericht ist nicht zu beanstanden.
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1. Bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen (BGH, Urteil vom 27.01.2010 – VIII ZR 58/09 –, juris Rn. 33).
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Das Adjektiv gegenseitig bedeutet gemeinhin „beide Seiten betreffend“ bzw. „wechselseitig“. Der Formulierung, dass „alle gegenseitigen Forderungen bis zum heutigen Tag abgegolten“ sind, lässt sich demgemäß ein eindeutiger Verzichtswille auch des Klägers entnehmen, da sie sich gerade nicht nur auf die Honorarklage bzw. -forderung des Beklagten bezieht, die zunächst in der Vereinbarung behandelt wird. Dies bestätigt der Umstand, dass die Parteien mit der Formulierung einer Auskunftsverpflichtung des Beklagten ausdrücklich eine Regelung getroffen haben, die nicht im Zusammenhang mit den geltend gemachten Honoraransprüchen stand. Diese musste von der Abgeltungswirkung ausgenommen werden.
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2. Selbst bei eindeutig erscheinender Erklärung des Gläubigers darf ein Verzicht zwar nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden sind (BGH, Urteil vom 15.01.2002 – X ZR 91/00 –, juris Rn. 25). Diese sprechen im vorliegenden Fall indes für den Willen auch des Klägers, im Wege eines gegenseitigen Anspruchsverzichts eine endgültige Erledigung herbeizuführen. Denn es ging bei dem Gespräch am 04.04.2012 gerade auch um die vom Kläger reklamierten Gebäudeschäden, wobei bereits (Schadensersatz-)Forderungen des Klägers im Raum standen.
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Die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts hierzu sind für den Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend. Weder trägt der Kläger konkrete Anhaltspunkte in Sinne von objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwänden vor, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellung begründen könnten, noch sind solche ersichtlich. Insbesondere gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 01.02.2021 (Seite 2 des Protokolls, Bl. 97 d. A.) selbst an, dass „Hintergrund für das Treffen (…) auch die in [s]einem Schreiben vom 22. März 2012 (Anlage B1) vorgebrachten Beanstandungen“ gewesen seien. In diesem Schreiben ging es aber unter anderem darum, dass der 2. Stock einer Ruine voller Schutt und Unrat gleiche, weil Ziegelmauern eingerissen worden seien, im alten Tanzsaal die Edelstahl-Schankanlage herausgerissen worden sei, durch das Dach des Hauptgebäudes Wasser eindringe, die Fensterscheiben des Tanzsaals eingeschlagen worden seien und die für Theateraufführungen benutzte Bühne zerstört worden sei. Auch die Verantwortlichkeit des Beklagten für einen größeren Schaden an der Heizungsanlage der Burg (im Umfang „eines hohe[n] sechsstelligen Euro-Schadens“) stellte der Kläger in den Raum. Und in seinem Schreiben vom 26.09.2012 (Anlage K5) verwies er ausdrücklich darauf, dass verschiedene dort geltend gemachte „Bauschäden“, wie unter anderem das Abbröckeln des Zinnen-Putzes, bereits Gegenstand der Besprechung am 04.04.2012 gewesen seien. Nach dem Vorbringen in der Berufungsbegründung wusste der Kläger am 04.04.2012 zudem davon, dass die Hotelzimmer (mit einer Ausnahme) zerstört worden waren.
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Es mag sein, dass – wie der Kläger auf Seite 2 der Berufungsbegründung ausführt (Bl. 141 d. A.) – im Zusammenhang mit dem zerstörten Tanzsaal und den beschädigten Hotelzimmern „Fragen nach der Ursächlichkeit und des Schadensumfangs (…) zum 04.04.2021 noch ungeklärt“ waren. Dies zeigt aber, dass aus Sicht des Klägers gerade noch nicht feststand und auch nicht ohne weiteres davon auszugehen war, dass eine Forderung gegen den Beklagten entstanden war. Und erst recht gilt dies in Bezug auf die Schäden am Haupttor sowie am Hochzeitsturm, die sich – so der Kläger ebenfalls in der Berufungsbegründung – in der Folgezeit gezeigt haben sollen.
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Der Kläger wusste folglich von Baumängeln (Abbröckeln des Zinnen-Putzes), von existierenden Schäden (z. B. den eingeschlagenen Fenstern) sowie von – nach seinem Vortrag – nicht beauftragten Veränderungen am Gebäude im Zuge der Bauarbeiten (wie der Entfernung der Bühne, dem Einriss von Wänden sowie den Eingriffen in den Bestand der Hotelzimmer) und hielt darüber hinaus eine Verantwortlichkeit seines Vertragspartners, des Beklagten, hierfür für möglich. Gleichzeitig sah sich der Kläger einer beträchtlichen (Nach-) Forderung des Beklagten von 100.092,43 € ausgesetzt. Insbesondere ist unstreitig, dass der Beklagte vor dem 04.04.2012 über die von ihm erhobene Zahlungsklage hinaus weitere Honoraransprüche geltend gemacht hatte. Die Zustimmung des Klägers, dass „alle gegenseitigen Forderungen bis zum heutigen Tag abgegolten“ sind, spricht angesichts dessen für nichts anderes als seinen Willen, im Sinne eines gegenseitigen Nachgebens (§ 779 BGB) auf (etwaige eigene) Ansprüche zu verzichten, um auch im eigenen Interesse eine abschließende Erledigung herbeizuführen. Insbesondere lässt sich der Vereinbarung keine Beschränkung dahingehend entnehmen, dass lediglich die bereits „streitgegenständlichen“ Ansprüche erfasst sein sollten. Das Risiko unentdeckter Schäden oder unentdeckter Folgen ist der wechselseitigen Abgeltung von Ansprüchen immanent. Dass bei Rechten, die dem Gläubiger unbekannt sind und mit deren Bestehen er nicht einmal rechnet, ein konkludenter Verzicht regelmäßig ausgeschlossen sein wird (so: BGH, Urteil vom 16.11.1993 – XI ZR 70/93 –, juris Rn. 13), darum geht es im vorliegenden Fall einer ausdrücklichen Abgeltungsvereinbarung nicht.
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3. Soweit der Kläger zu dem Inhalt des Gesprächs am 04.04.2012 in erster Instanz Zeugenbeweis angeboten hat (Seite 7 f. der Klage, Bl. 19 f. d. A.), hat sich dies nicht auf Begleitumstände bezogen, die für eine Interpretation der vereinbarten Abgeltung der „gegenseitigen Forderungen“ im Sinne eines auf die Honorarnachforderung des Beklagten beschränkten Verzichts sprechen würden. Insbesondere ist es nach den eigenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 01.02.2021 – wie oben dargestellt – in dem Gespräch am 04.04.2021 gerade nicht ausschließlich um die Honorarklage bzw. -forderung des Beklagten gegangen.
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Maßgeblich ist bei der Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärung auch nicht der wirkliche Wille des Erklärenden, sondern der objektive Erklärungsgehalt, der sich nach dem Empfängerhorizont bestimmt. Entscheidend ist, wie der Empfänger die Erklärung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte (§ 157 BGB) verstehen musste (BGH, Urteil vom 27.01.2010 – VIII ZR 58/09 –, juris Rn. 33).
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Dass er nicht in dem Bewusstsein handelte, eine Abgeltungserklärung abzugeben, trägt der Kläger schon nicht vor. Er stellt lediglich die Reichweite der Abgeltung in Frage. Unabhängig davon kann trotz fehlenden Erklärungsbewusstseins eine Willenserklärung vorliegen, wenn der Erklärende – wie im vorliegenden Fall der Kläger – bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte, und wenn der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat (BGH, Urteil vom 07.03.2006 – VI ZR 54/05 –, juris Rn. 12). Entsprechendes hat das Landgericht festgestellt.
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4. Soweit der Kläger moniert, dass der Beklagte bislang keine „unentgeltlichen Auskunft über bereits durchgeführte Arbeiten“ gegeben hat, steht es ihm frei, diese in der Vereinbarung vom 04.04.2012 vom Beklagten übernommene Verpflichtung durchzusetzen. Der Bestand der Vereinbarung wird allein durch eine ggf. nicht erbrachte Leistung aber nicht berührt. Der Beklagte beruft sich im Übrigen auf die Verjährung des Auskunftsanspruchs (Seite 8 des Schriftsatzes vom 23.07.2020, Bl. 42 d. A.).
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen ihre Rücknahme nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
24
Dem Kläger wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises gegeben.