Inhalt

LG Schweinfurt, Endurteil v. 11.10.2021 – 23 O 1051/20
Titel:

Halterhaftung bei Unfall mit dementem Fußgänger

Normenketten:
StVG § 7, § 9, § 17
BGB § 254
StVO § 3 Abs. 2a
VVG § 115
SGB X § 116 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. § 17 StVG sieht eine Haftungsbefreiung des Fahrzeughalters wegen eines unabwendbaren Ereignisses bei einem Unfall mit einem Fußgänger nicht (mehr) vor. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einem bei einem Verkehrsunfall verletzten Fußgänger kann kein Mitverschulden angelastet werden, wenn er wegen schwerer Demenz deliktsunfähig ist. (Rn. 39 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
3. Überhöhte oder inhaltlich falsche Abrechnungen einer erforderlichen Krankenhausbehandlung gehen nicht zu Lasten des Geschädigten sondern fallen in die Risikosphäre des Haftenden. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Fußgänger, Haftungsverteilung, Demenz, unabwendbares Ereignis, Mitverschulden
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Urteil vom 24.01.2023 – 5 U 472/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63461

Tenor

1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 29.032,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 29.330,55 € vom 15.06.2018 bis zum 25.06.2020 sowie aus 29.032,42 € seit dem 26.06.2020 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten gesamtschuldnerisch zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Leistung von Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 29.032,92 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten aus übergegangenem Recht um materiellen Schadensersatz für einen Verkehrsunfall durch Anfahren einer Fußgängerin.
2
Die Klägerin ist die Krankenversichererin der am ...11.2017 verstorbenen 84-jährigen (im Folgenden kurz: Versicherungsnehmerin). Die Beklagte zu 1.) war am 05.10.2017 Fahrerin des bei der Beklagten zu 2.) haftpflichtversicherten Renault Twingo mit dem Kennzeichen ...
3
Am 05.10.2017 befuhr die Beklagte zu 1.) gegen 17:35 Uhr die S1. Straße in G. im Bereich der Einmündung zur U.-straße in Richtung S. Zu diesem Zeitpunkt kam die schwer demente Versicherungsnehmerin der Klägerin zu Fuß aus der U.-straße und überquerte schließlich die S1. Straße, so dass die Beklagte zu 1.) sie auf der Fahrbahn der S1. Straße mit dem Twingo erfasste.
4
Die Versicherungsnehmerin wurde durch das Anfahren erheblich verletzt. Ein Bericht des …| Krankenhauses vom 20.10.2017 (Anlage K4) beschreibt ein Polytrauma mit Frakturen des rechten Beckenrings, der linken Schädelkalotte sowie beidseitige Rippenserienfrakturen, so dass eine stationäre Krankenhaus-Aufnahme bis zum 23.10.2017 erfolgt ist. An Stelle einer operativen Versorgung erfolgte bei palliativer Versorgung die Entlassung in ein Pflegeheim.
5
Die Klägerin machte als Behandlungskosten der Unfallverletzungen ihrer Versicherungsnehmerin gegenüber der Beklagten zu 2.) mit Schreiben vom 24.05.2018 (Anlage K1) für Fahrkosten und Krankenhaus insgesamt 29.330,55 € geltend; diesem Betrag lagen die aus Anlage K10 ersichtlichen Leistungen zu Grunde. Die Beklagte zu 2.) zahlte die hälftigen Fahrtkosten in Höhe von 372,5 € sowie die Hälfte der über Anlage K1 hinaus geltend gemachten gesetzlichen Pauschale für ärztliche Behandlungen in Höhe von 74,38 € (Anlagen K2 und K3) und begründete dies damit, dass der Unfall durch die Versicherungsnehmerin zu mindestens 50% selbst mitverschuldet worden sei, da letztere auf die Fahrbahn getreten sei ohne auf den bevorrechtigten Renault der Beklagten zu 1.) zu achten.
6
Die Klägerin meint, die Beklagten hätten ihr aus übergegangenem Recht gemäß § 116 SGB X auch den ausstehenden Rest der Fahrtkosten, der gesetzlichen Pauschale für ärztliche Behandlungen sowie der abgerechneten Behandlungskosten zu erstatten. Dies deshalb, weil die Klägerin zur Behandlung der Unfallfolgen ihrer Versicherungsnehmerin die hier geltend gemachten Beträge gemäß der im elektronischen Datenträgeraustausch übersandten Abrechnungsdaten des Krankenhauses erstattet habe. Soweit die Abrechnungsdaten des Krankenhauses unter Umständen inhaltlich unzutreffend gewesen wären, treffe das damit verbundene Risiko unsachgemäßer Maßnahmen die Beklagte zu 1.) als Schadensverursacherin.
7
Die Beklagte zu 1.) habe die Versicherungsnehmerin letztlich vermeidbar erheblich verletzt. Denn zum Unfallzeitpunkt sei es noch hell gewesen und es habe auch keine Dämmerung geherrscht, da Sonnenuntergang erst um 17:49 Uhr gewesen sei. Ausweislich der Angaben der Beklagten zu 1.) in dem gegen sie geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren habe die Beklagte zu 1.) die Versicherungsnehmerin auch gesehen und gleichwohl ihren Renault noch beschleunigt anstatt in Reaktion auf die Situation stehen zu bleiben. Der Unfall sei Folge einer völligen Fehleinschätzung der Verkehrssituation.
8
Die Versicherungsnehmerin treffe angesichts deren schwerer Demenz und der damit einhergehenden Schuld- und Deliktsunfähigkeit kein anspruchskürzendes Mitverschulden am Unfall. Es müsse dabei auch gesehen werden, dass ihre Versicherungsnehmerin die Fahrbahn bereits betreten gehabt und sich dadurch in Gefahr befunden habe, so dass die Beklagte zu 1.) nicht in Erwartung eines korrekten Verhaltens der alten Frau habe weiterfahren dürfen.
9
Die Klägerin beantragt wie folgt:
„Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an die Klägerin 29.032,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 29.300,55 € seit dem 15.06.2018 bis zum 25.06.2020 sowie aus 29.032,42 € seit dem 26.06.2020 zu bezahlen.“
10
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
11
Sie sind der Auffassung, die Versicherungsnehmerin der Klägerin habe den Unfall zu 50% mitverursacht. Denn diese habe nicht nur die S1. Straße zu überqueren versucht, obgleich etwa 30 Meter von der Unfallstelle entfernt eine Fußgängerfurth bestanden habe, sondern sie sei im Ergebnis in das Auto der Beklagten gelaufen. So habe die Beklagte zu 1.) die Versicherungsnehmerin nämlich gesehen und zunächst Gas weggenommen, sodann Blickkontakt zu der bereits einen Schritt auf der S1. Straße stehenden Versicherungsnehmerin aufgenommen sowie erst wieder Gas gegeben, als sie sich sicher gewesen sei, dass die Versicherungsnehmerin stehen bleibe. Dafür dass die Versicherungsnehmerin hierauf gleichwohl plötzlich losgelaufen sei, könne die Beklagte zu 1.) nicht verantwortlich gemacht werden. Denn eine Kollision sei zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vermeidbar gewesen. Es hätte im Übrigen an der Versicherungsnehmerin der Klägerin gelegen, die Straße auf kürzestem Weg und unter Achtung des Vorrangs des Fahrzeugverkehrs an dafür vorgesehenen Stellen zu überqueren. Entsprechend habe die Beklagte zu 1.) durchaus mit einem verkehrsgerechten Verhalten rechnen dürfen.
12
Die Richtigkeit und Angemessenheit der abgerechneten Krankenhausleistungen seien überdies zu bestreiten, da falsche Abrechnungen im Krankenhauswesen jährlich im dreistelligen Millionenbereich lägen. Es gehe hier zu Lasten der Klägerin, wenn diese augenscheinlich auf eine Detail-Abrechnung verzichtet habe und zugleich auch kein MdK-Gutachten bzgl. der Richtigkeit/Angemessenheit der Abrechnung vorliege.
13
Es ist Beweis erhoben worden durch Anhörung der Sachverständigen die den Unfallhergang bereits in dem gegen die Beklagte zu 1.) unter dem Aktenzeichen bei der Staatsanwaltschaft Schweinfurt geführten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung am 11.10.2017 sowie am 23.04.2018 untersucht hatte. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Protokolls der öffentlichen Sitzung vom 02.08.2021 (Blatt 113 der Akte) Bezug genommen. Die vorgenannte Ermittlungsakte ist zum Gegenstand der Sitzung vom 02.08.2021 gemacht worden (Blatt 114 der Akte).

Entscheidungsgründe

14
Die zulässige Klage ist begründet.
A.
15
Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner Anspruch auf Erstattung der Kosten, die sie – abzüglich der von der Beklagten zu 2.) bereits erbrachten Teilzahlung – für die Behandlung der Unfallverletzungen ihrer Versicherungsnehmerin aufgewandt hat.
16
Die Beklagten sind angesichts der im StVG normierten Gefährdungshaftung für den Unfall vom 05.10.2017 in G. und dessen Folgen verschuldensunabhängig einstandspflichtigt, so dass es (grundsätzlich) keine Rolle spielt, inwiefern der Beklagten zu 1.) in Bezug auf die Entstehung jenes Unfalls ein konkreter Verschuldensvorwurf zu machen wäre. Die Haftung der Beklagten ist insbesondere auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil der Unfall für die Beklagte zu 1.) unvermeidbar gewesen wäre, da solch ein Einwand angesichts der hiesigen Unfallkonstellation weder dem Grunde nach durch das Recht anerkannt wird noch die abstrakten Voraussetzung eines unabwendbaren Ereignisses in der Sache vorliegen (sogleich unter II. 1.). Ferner hat sich die Klägerin auch nicht etwa einen Verursachungsbeitrag ihrer Versicherungsnehmerin an der Entstehung des Unfalls anspruchsmindernd anrechnen zu lassen, da ihre Versicherungsnehmerin auf Grund einer stark fortgeschrittenen Demenz deliktsunfähig war und damit für ein am Unfall mitwirkendes rechtlich relevantes Verschulden kein Raum ist (anschließend unter IV.).
17
Auf den damit zur Zahlung ausstehenden Schadensersatz-Betrag in Höhe von 29.032,42 € (= 29.330,55 € an Fahrt- und Behandlungskosten + 148,75 € als Pauschale für ärztliche Behandlung abzgl. der beklagtenseits schon erbrachten Teilzahlungen in Höhe von 372,5 € und 74,38 €) schulden die Beklagten der Klägerin zugleich Verzugszinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß §§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB, und zwar auf die ursprünglich entstandenen Fahrt- und Behandlungskosten in Höhe von 29.330,55 € seit dem 15.06.2018 bis zum 25.06.2020 sowie auf die nach Teilzahlung schließlich verbleibenden 29.032,42 € ab dem 26.06.2020, da die Beklagten der berechtigten Zahlungsaufforderung der Klägerin auf Ersatz der Fahrt- und Behandlungskosten im Schreiben vom 24.05.2018 (Anlage K1) nicht innerhalb der dort bis zum 14.06.2018 gesetzten, angemessenen Frist nachgekommen und auf diese Weise gemäß § 187 Abs. 1 BGB analog (siehe BGH, NJW-RR 1990, 518 [519]) ab dem Folgetag, den 15.06.2018, in Verzug geraten sind, § 286 Abs. 1S. 1 BGB. Auf den sich nach der Teilzahlung der Beklagten zu 2.) verbleibenden Restbetrag schulden die Beklagten Verzugszinsen ab dem auf die Teilzahlung (vgl. Anlage K3) folgenden Tag.
18
I. Die Klägerin ist Inhaberin derjenigen Ersatzansprüche ihrer Versicherungsnehmerin geworden, die aus dem Unfall vom 05.10.2017 gegenüber den Beklagten begründet worden sind. Dies deshalb, weil die Klägerin unstreitig für die Behandlungskosten ihrer Versicherungsnehmerin aus dem Unfall aufgekommen ist, so dass Ersatzansprüche aus dem Unfall gemäß § 116 Abs. 1 S. 1 SGBX auf die Klägerin als gesetzliche Krankenversichererin im Wege des gesetzlichen Forderungsübergang übergegangen sind.
19
II. Zwischen den Parteien ist ebenfalls unstreitig, dass es am 05.10.2017 in G. auf der S2. Straße im Bereich der Einmündung der U.-straße zwischen der Beklagten zu 1.) als Fahrerin des bei der Beklagten zu 2.) haftpflichtversicherten Renault Twingo mit dem Kennzeichen und der Versicherungsnehmerin der Klägerin als Fußgängerin zu einem Verkehrsunfall gekommen ist. Das grundsätzliche Bestehen straßenverkehrsrechtlicher Schadensersatzansprüchen gegen die Beklagte zu 1.) gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 249 BGB bedarf daher ebenso wenig vertiefter Ausführungen (§ 138 Abs. 3 ZPO) wie die Haftung der Beklagten zu 2.) als Haftpflichtversicherin des Renaults gemäß §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 113 Abs. 1 VVG, 1 PfIVG. Die gesamtschuldnerische Haftung beider Beklagten folgt aus § 115 Abs. 1 S. 4 VVG.
20
1. Die Haftung der Beklagten für den Unfall vom 05.10.2017 und dessen Folgen ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Unfall für die Beklagte zu 1.) haftungsausschließend unabwendbar gewesen wäre, namentlich weil die Versicherungsnehmerin der Klägerin derart unerwartet und dicht vor den fahrenden Renault Twingo der Beklagten gelaufen wäre, dass die Beklagte zu 1.) nicht mehr hätte vermeiden können, die Versicherungsnehmerin anzufahren.
21
a) Die Voraussetzungen eines Haftungsausschlusses wegen eines „unabwendbaren Ereignisses“ im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG liegen schon aus Rechtsgründen nicht vor.
22
§ 17 Abs. 2 StGB anerkennt im Gegensatz zu § 7 Abs. 2 StVG in dessen alter Fassung bis zum „Zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften“ (sog. 2. SchadÄndG vom 19.07.2002, BGBl. I, 2674) für Unfälle bis zum 31.07.2002 nach nunmehr geltendem Recht ein „unabwendbares Ereignis“ nicht mehr als generellen Haftungsausschluss, sondern lässt solch einen Einwand allein bei der Beteiligung mehrerer Fahrzeuge an einem Unfall für den Ausgleich zwischen den Haltern zu. Eine Haftungsbefreiung wegen der Unabwendbarkeit eines Unfalls mit einem Fußgänger sieht das Gesetz also seit August 2002 gerade nicht mehr vor (vgl. statt aller Walter, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann [Gesamt-Hrsg.], Beck-Online Großkommentar, Stand: 01.09.2019, § 17 Rdnr. 11 m.w.N.).
23
Dies vorausgeschickt, ist es den Beklagten angesichts der hiesigen Unfallkonstellation zwischen einem Pkw und einer Fußgängerin von vornherein verwehrt, ihrer verschuldensunabhängigen Haftung gemäß StVG den Ausschlussgrund eines unabwendbaren Ereignisses im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG entgegenzuhalten. Die Überlegungen der Beklagten zur Vermeidbarkeit des Unfalls für die Beklagte zu 1.) verfangen mit anderen Worten a priori nicht.
24
b) Unabhängig hiervon hat die Anhörung der Sachverständigen aber auch in der Sache nicht den von den Beklagten (siehe dazu BGH, NJW-RR 1987, 150 [150]) zur Überzeugung des Gerichts (§ 286 ZPO) zu führenden Beweis erbracht, wonach der Unfall haftungsausschließend unabwendbar gewesen wäre, weil der Unfall selbst bei der äußerst möglichen Sorgfalt seitens eines so genannten Idealfahrers nicht hätte vermieden werden können (vgl. BGH, NZV 2005, 305 [306] m.w.N.). Aus den Darlegungen der Sachverständigen folgt vielmehr, dass die Beklagte zu 1.) den Unfall durch eine geringere Annäherungsgeschwindigkeit bzw. eine abwartend vorsichtige und bremsbereite Fahrweise tatsächlich hätte verhindern können.
25
Die Sachverständige hat in ihren Gutachten im Rahmen des gegen die Beklagte zu 1.) geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens schriftlich ausgeführt, dass die Versicherungsnehmerin nach dem Unfall zwischen den Fahrspuren der S1. Straße zum Liegen gekommen sei. Hieraus lasse sich eine Kollision im Bereich zwischen 3,6 bis 12,3 m vor der Endstellung des Renaults der Beklagten errechnen. Dies deshalb, weil einerseits die Wurfweite der Versicherungsnehmerin durch den Anfahrvorgang abstrakt zwischen 5 bis 16 m und damit die Kollisionsgeschwindigkeit zwischen 26 und 52 km/h gelegen haben könnten; andererseits deute die Abwicklungsdifferenz in vergleichender Betrachtung mit Unfallversuchen sowie mit Blick auf die dokumentierte Aufschlagfläche der Versicherungsnehmerin bis zum Bereich der Windschutzscheibe des Renaults auf eine Kollisionsgeschwindigkeit im Bereich nahe 25 km/h hin. Vor diesem Hintergrund könnten als Kollisionsgeschwindigkeit rund 26 km/h angesetzt werden. Der Kollisionsort habe kurz vor U.-straße gelegen, so dass die Versicherungsnehmerin bei Beginn einer Gegenreaktion der Beklagten zu 1.) etwa 3 m in die U.-straße eingelaufen gewesen sein müsse. Werde für die 84-jährige Versicherungsnehmerin eine Geh-Geschwindigkeit zwischen 3 und 4 km/h angesetzt, wären aus technischer Sicht nach deren Loslaufen bis zur Kollision 2,2 bis 3 sek. verblieben. Der Beklagten zu 1.) sei für ein Erkennen dieser Situation etwa 1,8 bis 2,6 sek. verblieben. Nachdem die Beklagte zu 1.) berichtet habe, die Versicherungsnehmerin tatsächlich beobachtet zu haben, könne als Reaktionszeit 0,8 sek. angesetzt werden. Hiervon ausgehend sei entweder auf eine Annäherungsgeschwindigkeit der Beklagten zu 1.) auf die Versicherungsnehmerin zwischen 54 und 74 km/h zurückzuschließen oder aber anzunehmen, dass – wenn die Beklagte zu 1.) langsamer gefahren wäre – die Beklagte zu 1.) nicht mit der möglichen Vollzeitbremsverzögerung bzw. verspätet auf das Loslaufen der Versicherungsnehmerin reagiert habe. Der Unfall sei mithin für die Beklagte zu 1.) vermeidbar gewesen.
26
Im Rahmen ihrer Anhörung im Termin vom 02.08.2021 hat die Sachverständige er gänzend erläutert (Blatt 114 der Akte), dass die Rekonstruktion des Unfalls mit der Unsicherheit belastet gewesen sei, wo die Querung durch die Versicherungsnehmerin exakt stattgefunden habe. Diese Unsicherheit erkläre den relativ großen Bereich der möglichen Wurfweite mit Blick auf die Endlage der Versicherungsnehmerin. Insbesondere an Hand der Unfallschäden am Renault der Beklagten und den Erkenntnissen aus vorangegangenen Unfallversuchen haben indes auf die plausible Abwicklungsdifferenz und von dort aus auf eine (zu Gunsten der Beklagten anzunehmende) minimale Kollisionsgeschwindigkeit von 25 km/h als Untergrenze zurückgeschlossen werden können; unter Ansatz der festzustellenden Wurfweite müsse die Kollisionsgeschwindigkeit um 26 km/h gelegen haben. Für die Ausgangsgeschwindigkeit des Renaults seien gleichermaßen Unsicherheiten festzuhalten, da letztlich allein aus der zuvor genannten Kollisionsgeschwindigkeit eine Rückrechnung auf die technisch mögliche Höchstgeschwindigkeit samt anzunehmender Verzögerungen vorgenommen werden könne; insofern könne die Beklagte zu 1.) also durchaus auch mit einer höheren als der schlussendlich unterstellten Kollisionsgeschwindigkeit von circa 26 km/h gefahren sein, sofern sie dann ohne weitere Bremsung in die Kollisionsstelle mit der Versicherungsnehmerin eingefahren sei. Insgesamt lasse sich die Minimalgeschwindigkeit also relativ gut bestimmen, während die Maximalgeschwindigkeit durchaus Schwierigkeiten bereite. Die Eingrenzung der Minimalgeschwindigkeit könne nämlich über die festgestellte Abwicklungsdifferenz erfolgen. Gerade deshalb lasse sich mit guter Genauigkeit sagen, dass die Mindestkollisionsgeschwindigkeit 26 km/h betragen haben müsse. Hingegen sei mit Blick auf die Schäden am Renault eine Kollisionsgeschwindigkeit etwa im Bereich von 40 km/h eher unwahrscheinlich. Da sich zugleich keine weiteren Unfallspuren (Bremsblockierspuren, Schuhabdrücke, etc.) vor Ort hätten feststellen lassen, könne die Ausgangsgeschwindigkeit nur mit Blick auf das technisch Mögliche plausibilisiert werden. Mit anderen Worten, wie schnell vorkollisionär tatsächlich gefahren worden ist, könne nicht mit Bestimmtheit festgestellt werden. Hätte die Beklagte zu 1.) etwa ihre Fahrt nach Passieren der Zufahrt der an der S1. Straße gelegenen Tankstelle nach Wahrnehmung und Aufnahme des Blickkontakts mit der Versicherungsnehmerin wieder leicht beschleunigt, wäre aus technischer Sicht jedenfalls eine Ausgangsgeschwindigkeit von mehr als 50 km/h nicht zu erreichen gewesen. Angesichts der bis zur Kollisions- bzw. Endlage der Versicherungsnehmerin sodann noch zurückzulegenden Fahrstrecke müsse der Beklagten zu 1.) in diesem Fall allerdings eine verzögerte Reaktion auf die Versicherungsnehmerin attestiert werden. Dies deshalb, weil für den Fall einer Wiederaufnahme der Beschleunigung nach Passieren der Tankstellenzufahrt sich auch die Versicherungsnehmerin ihrerseits wieder in Bewegung gesetzt habe müsse. Plausibler sei daher abweichend von der Schilderung der Beklagten zu 1.), dass diese nach Passieren der Zufahrt zur Tankstelle bereits gebremst habe, da die Kollision mit der Versicherungsnehmerin andernfalls nämlich zugleich noch im beschleunigenden Zustand stattgefunden haben müsste. Hätte die Beklagten zu 1.) nun aber kurz nach Passieren der Tankstellenzufahrt zunächst auf die Versicherungsnehmerin geschaut und ihre Fahrt verzögert, könne die Ausgangsgeschwindigkeit nicht größer als die Kollisionsgeschwindigkeit gewesen sein; allerdings müsse die Beklagte zu 1.) in diesem Fall dann nach Passieren der Tankstellenzufahrt durchgehend bis zur Kollision beschleunigt haben, und zwar bis auf die dann zurückzurechnende Kollisionsgeschwindigkeit von etwa 26 km/h. Sicher habe aus technischer Sicht nach dem Passieren der Tankstellenzufahrt jedenfalls eine Reaktionsaufforderung an die Beklagte zu 1.) bestanden, nämlich in Form des Wiederanlaufens der Versicherungsnehmerin, so dass ein Beschleunigen in diesem Bereich eher unplausibel wäre.
27
Zusammenfassend hat die Sachverständige festgehalten, dass der Unfall mit Blick auf die Beklagte zu 1.) damit allein auf drei Ursachen zurückgeführt werden kann: Entweder ist die Beklagte zu 1.) schneller als die innerorts zulässigen 50 km/h gefahren oder die Beklagte zu 1.) hat verzögert auf die Versicherungsnehmerin reagiert oder aber keine vollgültige Vollbremsung eingeleitet.
28
Das Gericht entnimmt diesen sachverständigen Ausführung, dass sich keine Unabwendbarkeit des Unfalls für die Beklagten feststellen lässt, sondern die Beklagte zu 1.) bei Annäherung an die Kollisionsstelle das Anlaufen der Versicherungsnehmerin der Klägerin vielmehr hätte erkennen können und der Unfall gleichwohl nur deshalb stattgefunden haben kann, weil die Beklagte zu 1.) entweder zu schnell oder nicht hinreichend aufmerksam und bremsbereit gefahren ist. Ein solches Fahrverhalten entspricht nicht der äußerst möglichen Sorgfalt seitens eines so genannten Idealfahrers, der nämlich – nicht zuletzt mit Blick auf die Anforderungen des § 3 Abs. 2a StVO – auf die ersichtlich alte Versicherungsnehmerin der Klägerin mit einer defensiv, zurückhaltenden, aufmerksam-abwartenden Fahrweise reagiert hätte.
29
Das Gericht hält die Ausführungen der Sachverständigen die auch für den Unfallanalytischen Laien gut nachvollziehbar und widerspruchsfrei waren und die unter vollständigem Ausschöpfen der verfügbaren Anknüpfungstatsachen getroffen worden sind, für zuverlässig. Für die Tragfähigkeit der Ausführungen der Sachverständigen spricht auch der Umstand, dass diese sich im Rahmen ihrer Erläuterungen den Fragen und Einwendungen der Parteien in der öffentlichen Sitzung des hiesigen Gerichts vom 02.08.2021 gestellt sowie diese unter Aufrechterhaltung ihrer bereits zuvor im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren niedergelegten schriftlichen Ausführungen gut verständlich gestellt hat.
30
2. Die Haftung der Beklagten gemäß StVG ist zugleich nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Unfall Folge „höherer Gewalt“ im Sinne des § 7 Abs. 2 StGB gewesen wäre.
31
Dieser – von den Beklagten (wohl?) auch nicht geltend gemachte – Einwand erfordert ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und überdies auch nicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist (BGHZ 62, 351 [354]; 109, 8 [14]).
32
Hierbei ist gemäß der obigen Ausführungen zur Gesetzeshistorie des § 7 StVG a.F. bzw. § 17 Abs. 3 StVG n.F. bzgl. des vormaligen Merkmals des „unabwendbaren Ereignisses“ zu beachten, dass der Gesetzgeber sich mit dem hier nunmehr zu betrachtenden Begriff der „höheren Gewalt“ in der geltenden Fassung des § 7 Abs. 2 StVG vom Ausschlussgrund des „unabwendbaren Ereignisses“ gemäß § 7 Abs. 2 a.F. StVG gerade darum verabschiedet hatte, weil im Bereich der Kinderunfälle das als unbillig empfundene Ergebnis vermieden werden sollte, dass namentlich Kindern im Falle eines „unabwendbaren Ereignisses“ nach § 7 Abs. 2 a.F. StVG kein Ersatzanspruch zustand (vgl. BT-Drs. 14/7752, 16 [30]). Ziel der Änderung des § 7 Abs. 2 StGB hin zum nunmehr vom Gesetz verwendeten Begriff der „höheren Gewalt“ war es mithin, insgesamt die Position von nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern zu stärken, was insbesondere Kindern, älteren Menschen und sonstigen hilfsbedürftigen Personen zu Gute kommen soll (siehe dazu Burmann, in: Ders./Heß/Hühnermann/Jahnke [Hrsg.], Straßenverkehrsrecht, 26. Auflage 2020, § 7 Rdnr. 17). Dies bedeutet für die Frage, ob ein Unfall haftungsausschließend unter Umständen darum Folge „höhere Gewalt“ gewesen sein könnte, weil dieser auf ein fehlerhaftes Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers zurückgeht, dass zwar jeder Fahrzeugführer durchaus darauf vertrauen darf, dass andere Verkehrsteilnehmer grobe Verkehrsverstöße unterlassen (vgl. BGH, NJW 1986, 183 [184]; OLG München, NZV 1993, 26 [26]). Allerdings gilt dieser Vertrauensgrundsatz nur in eingeschränktem Maße, namentlich im Hinblick auf Kinder, Hilfsbedürftige und ältere Menschen, wie sich auch aus § 3 Abs. 2a StVO zeigt, der in solch einem Zusammenhang erhöhte Anforderungen an die Sorgfalt von Fahrzeugführern stellt (vgl. OLG Celle, NZV 2005, 261 [262]; OLG Hamm, NZV 2001, 302). § 3 Abs. 2a StVO verlangt von Fahrzeugführern sich gegenüber Kindern, Hilfsbedürftigen und älteren Menschen insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft so zu verhalten, dass eine Gefährdung ausgeschlossen ist. Für die Annahme „höherer Gewalt“ gelten mit anderen Worten erhöhte, über den Durchschnittsfahrer hinausgehende Anforderungen an die Sorgfalt (Burmann, in: Ders./Heß/Hühnermann/Jahnke [Hrsg.], Straßenverkehrsrecht, 26. Auflage 2020, § 7 Rdnr. 20). Insoweit mag es einem Fahrzeugführer zwar nicht als (im StVG auch gar nicht erforderliches) Verschulden vorzuwerfen sein, wenn er bei solchen Verkehrssituationen gegenüber Kindern, Hilfsbedürftigen und älteren Menschen sein Fahrtempo nicht reduziert oder anhält oder abwartet, jedoch würde solch ein Verhalten dann nicht genügen, um dem Fahrzeugführer eine derart angemessene Rücksicht zu attestieren, dass sich das Verkehrsverhalten der genannten schutzbedürftigen Personen als „höhere Gewalt“ darstellen würde (OLG Hamm, NZV 2001, 302 [303]) und die verschuldensunabhängige Haftung des Fahrzeugführers darum ausgeschlossen wäre.
33
Gemessen an diesen Anforderungen liegt hier keine anspruchsausschließende „höhere Gewalt“ vor, da die Beklagte zu 1.) auf die Versicherungsnehmerin der Klägerin durch Langsamfahren, Anhalten oder Abwarten hätte reagieren können und müssen. Mit der äußerst möglichen Sorgfalt hätte der Unfall durchaus verhindert werden können.
34
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die oben dargestellten Ausführungen der Sachverständigen^ … Bezug genommen. Die Beklagte zu 1.) hätte erkennen können und müssen, dass sich die ersichtlich ältere Versicherungsnehmerin der Klägerin zur Überquerung der S1. Straße bereits wieder in Bewegung gesetzt hatte, und hierauf ihre Fahrweise entsprechend defensiv-aufmerksam ausrichten müssen, um eine Kollision zu vermeiden.
35
Hierbei gilt es zu beachten, dass § 3 Abs. 2a StVO Fahrzeugführern eine besondere Sorgfaltspflicht nicht nur gegenüber Kindern und Hilfsbedürftigen, sondern gerade auch gegenüber „älteren Menschen“ abverlangt. Dabei ist – in Abgrenzung zu den in § 3 Abs. 2a StVO ebenso genannten „Hilfsbedürftigen“ – gerade nicht erforderlich, dass auch „ältere Menschen“ irgendwie „hoch betagt“ (KG, VRS 70, 463) oder erkennbar verkehrsschwach oder gar tatsächlich hilfsbedürftig sein müssten (BGH, NZV 1994, 273 [274]). Vielmehr gewährt § 3 Abs. 2a StVO älteren Menschen einen besonderen Schutz in der abstrakten Annahme, dass diese erfahrungsgemäß Verkehrssituationen unter Umständen nicht mehr voll übersehen und meistern könnten (vgl. auch OLG Hamm, NJW-RR 2018, 1117 [1120]), ohne dass es dabei konkreter Anhaltspunkte für eine Verkehrsunsicherheit bedarf (BGH, NZV 1994, 273 [274]; vgl. insges. Burmann, in: Ders./Heß/Hühnermann/Jahnke [Hrsg.], Straßenverkehrsrecht, 26. Auflage 2020, § 3 StVO Rdnr. 54). Daher hätte die Beklagte zu 1.) das weitere Verkehrsverhalten der Versicherungsnehmerin der Klägerin abwarten oder solch eine aufmerksam-defensive Fahrweise wählen müssen, die eine Gefährdung ausgeschlossen hätte. Denn mit Blick auf das Alter der 84-jährigen Versicherungsnehmerin und das erkennbaren Loslaufen zur Querung der Fahrbahn wäre für einen äußerst sorgfältigen Verkehrsteilnehmer damit zu rechnen gewesen, dass die Versicherungsnehmerin unter Umstanden mehr Zeit für die Fahrbahnüberquerung benötigen, die Geschwindigkeit des Renaults der Beklagten nicht richtig einschätzen oder auf der Fahrbahn die Übersicht verlieren, in Panik geraten oder sich sonst falsch verhalten könnte (vgl. Lemcke, ZfS 2004, 441 [445]).
36
III. Die Beklagten haben gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die Heilbehandlungskosten zu erstatten.
37
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Behandlung der Versicherungsnehmerin der Klägerin im Krankenhaus ausschließlich Folge des Verkehrsunfalls vom 05.10.2017 gewe sen ist. Nicht durchzudringen vermögen die Beklagten hierbei mit ihrem Einwand, dass zweifelhaft wäre, ob die diesbezüglich von der Klägerin im Rahmen des Krankenversicherungsvertrags zunächst regulierten Kosten dieser Behandlung auch in der Sache korrekt und angemessen durch das Krankenhaus abgerechnet worden sein mögen. Unbeschadet des Umstands, dass die klägerisch vorgelegten und von den Beklagten nicht substantiiert in Frage gestellten Unterlagen (v.a. Anlage K10) ausreichende Grundlage für eine Schätzung bilden, die gemäß § 287 ZPO auf der hier betroffenen Rechtsfolgenseite des gegen die Beklagten bestehenden Haftungsanspruchs allein maßgeblich ist, und schon darum von der Ersatzfähigkeit der vom Krankenhaus für die Behandlung der Unfallverletzten Versicherungsnehmerin tatsächlich berechneten Behandlungskosten auszugehen ist, verkennen die Beklagten hier, dass etwaige Übersetzungen oder inhaltliche Fehler der Abrechnung der unstreitig erforderlichen Krankenhausbehandlung in die Risikosphäre der Beklagten fallen (so bereits BGH, NJW 1975,160 [161]).
38
IV. Zuletzt findet auch keine Kürzung der Anspruchsverpflichtung der Beklagten deswegen statt, weil die Versicherungsnehmerin der Klägerin am Unfall eine Mitverantwortung träfe.
39
So sehen §§ 9 StVG, 254 BGB zwar vor, dass der auf einem Verkehrsunfall abzuleitende Schadensersatzanspruch dann gekürzt werden kann, wenn der Verletzte derjenigen Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eines eigenen Schadens anzuwenden pflegt, der Verletzte mit anderen Worten also gegen Gebote der eigenen Interessenwahrnehmung verstoßen und nicht dasjenige eingehalten hat, was nach den konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um jene Gefahr möglichst gering zu halten, erforderlich gewesen ist (vgl. Walter, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann [Hrsg.], Beck-Online Großkommentar, Stand: 01.09.2019, § 9 StVG Rdnr. 6). Allerdings kommt solch ein anspruchskürzendes Mitverschulden nur dort in Betracht, wo der Geschädigte delikts- bzw. verschuldensfähig ist (a.a.O., Rdnr. 8 m.w.N.).
40
Dies vorausgeschickt, kann der Versicherungsnehmerin vorliegend kein Mitverschulden angelastet werden, da diese auf Grund ihrer schweren Demenz deliktsunfähig gewesen ist. Dies war zwischen den Parteien zunächst unstreitig. Die Klägerin hat auf die fehlende Deliktsfähigkeit ihrer Versicherungsnehmerin sowohl in der Klage (dort S. 11) als auch in der Replik vom 10.02.2021 (Blatt 37 [43] der Akte – dort: auf S. 7) ausdrücklich hingewiesen, ohne dass die Beklagten dies in Frage gestellt hätten. Erst im Rahmen der Stellungnahme auf das Ergebnis der Beweisaufnahme, die sich nicht mit dem bis dato unstreitigen Aspekt der Deliktsunfähigkeit befasst hatte, haben die Beklagten diesen Vortrag im Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 13.09.2021 (Blatt 134) bestreiten lassen. Dies war weder nachgelassen noch rechtzeitig. Es war allein nachgelassen, auf das Beweisergebnis vorzutragen, zu welchem Fragen der Deliktsunfähigkeit nicht zählten. Rechtzeitig war das nunmehr erfolgte Bestreiten darum nicht, weil § 282 Abs. 1 ZPO die Parteien verpflichtet, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel, insbesondere Behauptungen, Bestreiten, Einwendungen, Einreden, Beweismittel und Beweiseinreden, so zeitig vorzubringen, wie es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht. Dies hätte es geboten, dass die Beklagten in ihrer Klageerwiderung oder doch spätestens auf die Replik der Klägerin Einwendungen gegen die vorgetragene Deliktsunfähigkeit erheben. Mit der erst auf die Beweisaufnahme geltend gemachten Einwendung würde sich die Erledigung des im Übrigen entscheidungsreifen Rechtsstreits nunmehr verzögern, da über diesen jetzt erstmals streitig gestellten Umstand Beweis zu erheben wäre. Die einer solchen Verzögerung zu Grunde liegende Verspätung des Bestreitens der Beklagten beruht auf einer groben Nachlässigkeit, da bei der geboten sorgfältigen Arbeitsweise der zweifache, ausdrückliche Vortrag der Klägerin, die namentlich in der Replik die beklagtenseits vorgebrachte Mitverursachung des Unfalls durch die Versicherungsnehmerin mit der Deliktsunfähigkeit expressiv verbis als unbeachtlich repliziert hatte, dem Beklagtenvertreter nicht hätte verborgen bleiben können. Um eine Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits zu vermeiden, war das (neue) Bestreiten deshalb gemäß § 296 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
B.
41
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 100 Abs. 4 ZPO.
42
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.
C.
43
Der Streitwert ist gemäß §§ 63 Abs. 2, 48 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO festgesetzt worden.