Titel:
Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Elektronischer Rechtsverkehr, Elektronisches Dokument, Feststellung des Annahmeverzugs, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Streitwert, Unzulässigkeit, Klagepartei, Qualifizierte elektronische Signatur, Klageabweisung, Formlose Mitteilung, Aufgabe zur Post, Nach Rechtshängigkeit, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kaufvertrag, Kosten des Rechtsstreits
Schlagworte:
unbegründete Klage, Schadensersatzansprüche, unsubstantiierter Vortrag, Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Annahmeverzug, Kostenentscheidung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 07.03.2022 – 3 U 414/21
OLG Bamberg, Beschluss vom 25.04.2022 – 3 U 414/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 31.08.2023 – VIa ZR 713/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63387
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt Schadensersatz aufgrund des Erwerbs eines Fahrzeugs mit der FahrzeugIdentifikationsnummer (FIN) …, in das ein Motor des Typs EA 288 verbaut ist.
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Der Kläger kaufte mit Kaufvertrag vom 10.08.2015 bei der Beklagten das Neufahrzeug Skoda Oktavia zum Preis von 27.860,00 € (Kaufvertrag Anlage K 1).
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Am 17.10.2021 betrug die Gesamtfahrleistung des Fahrzeugs 85.176 Kilometer.
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In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Motor der Baureihe EA 288 verbaut.
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Ein Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) existiert in Bezug auf den in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motor nicht.
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Die Klagepartei trägt vor, dass in Fahrzeugen mit dem Motor EA 288 Abschalteinrichtungen eingebaut seien. Es handele sich dabei insbesondere um den Einbau eines Thermofensters.
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Die Folgen der Abgasmanipulation seien nicht berechenbar. Es drohe eine Stilllegung. Die Beurteilung, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege, sei nicht von einer Entscheidung des KBA abhängig. Es könne auch eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen, wenn das KBA noch keinen Rückruf angeordnet habe.
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Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz auf der Grundlage einer deliktischen Haftung zu. Die Beklagte habe den Kläger sittenwidrig geschädigt.
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 22.898,83 € sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Skoda Oktavia mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs Skoda Oktavia mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … zwei Wochen nach Rechtshängigkeit in Annahmeverzug befindet.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, dass der streitgegenständliche Motor keine unzulässige Abschalteinrichtung enthalte. Weiterhin ist die Beklagte der Auffassung, dass die klägerische Behauptung, dass unzulässige Abschalteinrichtungen in dem Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs verbaut seien, nicht hinreichend substantiiert dargelegt sei, so dass die Klage bereits unschlüssig sei.
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Die Beklagte ist ferner der Ansicht, dass selbst wenn der Einsatz des Thermofensters in der hier vorliegenden Ausgestaltung – entgegen der Auffassung der Beklagten – unzulässig sein sollte, gleichwohl keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vorläge.
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Im Übrigen wird Bezug genommen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, Protokollen und sonstige Aktenteilen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage war als unbegründet abzuweisen.
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Der Klagepartei stehen gegen die Beklagte aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt Schadensersatzansprüche zu (§ 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 BGB, § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6, 27 EG-FGV, § 831, § 31 BGB). In der Folge dessen ist auch Feststellung des Annahmeverzugs unbegründet.
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I. Die Klage ist unbegründet, da zu etwaigen Schadensersatzansprüchen lediglich unsubstantiiert vorgetragen wird.
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1. Die Klage ist unbegründet, da der Klägervortrag zu Umständen, die einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte gemäß §§ 826, 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB, § 831, § 31 BGB auslösen könnten, unsubstantiiert erfolgt.
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Die Beklagte hat das streitgegenständliche Fahrzeug mit dem Motor EA 288 unstreitig in den Verkehr gebracht. Die klägerseits behaupteten Nachteile, die insbesondere mit dem wie behauptet eingebauten Thermofenster einhergehen, können dahin stehen.
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Der Vortrag der Klagepartei ist nicht geeignet, das Vorliegen eines sittenwidrigen Verhaltens im Sinne des § 826 BGB anzunehmen.
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Urteil v. 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20, Rn. 29, zitiert nach juris).
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Nach diesen Maßstäben kann das Verhalten eines Fahrzeugherstellers eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung begründen, wenn dieser aufgrund einer grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch in großer Stückzahl Fahrzeuge in Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerung Software bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgaswerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rn. 16, zitiert nach juris).
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Ein solches Verhalten ist hier nicht feststellbar. Es ist unstreitig, dass das KBA im Hinblick auf die hier streitgegenständliche Motorenreihe EA 288 keinen Rückruf angedroht hat oder eine Androhung auch nur als möglich in Aussicht gestellt hat. Der Kläger hat nicht substantiiert dargetan, dass das streitgegenständliche Fahrzeug von einem Rückruf wegen Verwendung einer unzulässigen Umschaltsoftware betroffen sei.
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Der Hinweis der Klagepartei, dass eine Prüfung des KBA insoweit irrelevant sei und auch ohne einen Rückruf, eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen könne, überzeugt das Gericht nicht. Das KBA ist gerade die Behörde, von der die klägerseits behauptete Stilllegungsandrohung bzw. Stilllegungsanordnung kommen würde (vergleiche auch Oberlandesgericht Bamberg Urteil vom 14.04.2021, Aktenzeichen 8 U 246/20).
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Zudem hat die Klagepartei nicht dargetan oder unter Beweis gestellt, dass die Beklagte – was ein Indiz für die bewusste Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sein kann – die oben genannten Systeme, insbesondere das Thermofenster, im Typengenehmigungsverfahren verschleiert oder das KBA auf sonstige Weise arglistig getäuscht habe.
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Nach alledem scheiden Ansprüche gemäß §§ 826, 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB, § 831, § 31 BGB aus.
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2. Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6, 27 EG-FGV, § 831, § 31 BGB scheiden jedenfalls mangels schlüssigem Vortrag zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus, wie oben bereits ausgeführt wurde.
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3. Die beantragte Feststellung des Annahmeverzugs folgt dem Schicksal der Hauptforderung und war daher ebenfalls abzuweisen.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S.2 ZPO.