Titel:
Abzug der Vorsteuer aus der Vorauszahlung für die PV-Anlage
Normenketten:
UStG § 3 Abs. 1, § 15 Abs. 1 S, 1 , § 14, § 14a
RL 2006/112/EG Art. 14 Abs. 1
Leitsatz:
Der unionsrechtliche Begriff „Lieferung von Gegenständen“ bezieht sich nicht auf die Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen. Er umfasst vielmehr jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer (Urteil des EuGH, NLB Leasing vom 2. Juli 2015 C-209/14, Umsatzsteuer-Rundschau – UR – 2015, 628, Rz. 29, m.w.N., BeckRS 2015, 80867). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorsteuerabzug bei betrügerischem Anlagemodell, Beweislast, Einspruchsverfahren, Insolvenzverfahren, Kaufpreis, Kaufvertrag, Lieferung, Missbräuchliche Gestaltung, Pachtvertrag, Umsatzsteuer, Verfügungsmacht, Vertrauensschutz, Vorsteuerabzug, betrügerisches Anlagemodell
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63287
Tenor
1. Der Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 21. Februar 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2019 werden dahingehend abgeändert, dass die Umsatzsteuer auf einen Negativbetrag von 7.048,39 € festgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte zu 82% und der Kläger zu 18%.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger zeigte dem Beklagten (dem Finanzamt) im November 2010 die Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit zum 1. März 2010 an. Art der Tätigkeit war die Vermietung und Verpachtung einer Photovoltaikanlage (PV-Anlage). Er erklärte, er berechne die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten und beantragte die Ist-Versteuerung (vgl. „Fragebogen zur steuerlichen Erfassung“ vom 6. November 2010).
2
Der Kläger kaufte Komponenten einer PV-Anlage im Rahmen des Anlagemodells “S.“. Dieses sah vor, dass die Firma ABC PV-Anlagen (Module und Zubehör) an die Kunden veräußerte. Die Kunden verpachteten die Anlage an bestimmten Anlagestandorten zu einem festen Pachtzins und für eine feste Laufzeit an die Firma XY KG und später auch an die Z AG.
3
Das Anlagemodell „S.“ wurde dem Kläger durch die Firma D vermittelt. Er bestellte bei der Firma ABC Module nebst Zubehör für 11,51 kWp einer PV-Anlage. Es liegen zwei Rechnungen vor, die von der ABC ausgestellt wurden. In der Rechnung vom 15. März 2010 (Rechnung Nr. 20100062) über eine PV-Anlage 11,51 kWp und Komponenten (XY Solartechnics Co. XY 44Wp Dünnschicht; Wechselrichter) wird ein Gesamtbetrag von 50.000 € (42.016,81 € zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 7.983,19 €) ausgewiesen. In der Rechnung werden das Lieferdatum (29. März 2010), die Objektadresse (K, S-Str.) – hierbei handelt es sich um die Adresse des Klägers – und die Zahlungsmodalität Vorkasse angeführt. In der Rechnung vom 17. März 2010 (Rechnung Nr. 20100063) über eine Unterkonstruktion, Elektrik und Verteiler sowie Montage jeweils für 11,51 kWp wird ein Gesamtbetrag von 9.500 € (7.983,19 € zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 1.516,81 €) ausgewiesen. Die Rechnung enthält den Hinweis, dass das Lieferdatum dem Rechnungsdatum entspricht. Den Betrag von 50.000 € finanzierte der Kläger durch ein Darlehen bei der F-Bausparkasse (F). Der Darlehensbetrag in Höhe von 50.000 € wurde nach Angaben des Klägers direkt von der F an die ABC ausgezahlt. Den 2. Rechnungsbetrag (9.500 €) überwies der Kläger – nach Zahlungserinnerung im November 2010 – am 10. Januar 2011 an die ABC.
4
Mit Pachtvertrag vom 3./9. Dezember 2009 verpachtete der Kläger die Anlage mit der Objektbezeichnung “11,51 kWp im Objekt T., A-Str., T. “ an die XY KG. Der monatliche Pachtzins betrug 546,73 € zuzüglich 19% Umsatzsteuer (103,87 €) für 239 Monate. Der Vertrag sieht vor, dass der Anspruch auf den Pachtzins mit dem Übergang des Eigentums an der PV-Anlage entsteht. Es wurde vereinbart, dass die PV-Anlage sowie das erforderliche Systemzubehör Eigentum des Verpächters bleibt und die PV-Anlage so installiert ist, dass sie ohne wesentlichen Eingriff in die Bausubstanz wieder entfernt werden kann. Der Pächterin (Nutzerin) wurde ein Vorkaufsrecht eingeräumt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Pachtvertrag Bezug genommen.
5
Im Zeitraum 29. März bis 1. April 2010 fand eine Umsatzsteuernachschau durch das Finanzamt T. zum Betrieb der PV-Anlage in T. statt. Es wurde festgestellt, dass sich auf dem Grundstück “A“ eine Solaranlage auf Garagendächern befand, für die die A-Str. als Lieferanschrift verwendet wurde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vermerk vom 6. April 2010 über die Umsatzsteuer-Nachschau Bezug genommen.
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Am 30. September 2011 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der XY KG eröffnet. Im Jahr 2013 wurde der Antrag der ABC auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen mangels Masse abgelehnt.
7
Das Landgericht O. verurteilte die Hauptverantwortlichen des Anlagemodells mit rechtskräftigem Urteil vom 19. Mai 2016 (Az.: 2 KLs 1/14 Js 67868/11-1/14) wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs zu mehrjährigen Haftstrafen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Täter über ein Geflecht von Firmen insgesamt 272 private Anleger – unter denen sich auch der Kläger befand – betrogen hatten, wobei ein Gesamtschaden von ca. … Mio. Euro entstanden war. Nach den Feststellungen des Gerichts lag der garantierte Pachtzins über der von den Pächtern zu erzielenden Einspeisevergütung. Zur Erwirtschaftung der Pachtzinsen war der zeitnahe Bau von Zweitanlagen (sog. Spiegelanlagen) erforderlich, der nicht erfolgte. Den Anlegern wurde über zwischengeschaltete Vermittler vorgetäuscht, dass die Pachtzinsen erwirtschaftet werden konnten. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wurden mehr Anlageteile veräußert, als an Anlagekapazität in den einzelnen PV-Anlagen zur Verfügung stand. Das Schneeballsystem brach zusammen, als nicht mehr genügend Anleger gefunden wurden. Wegen der weiteren Einzelheiten – insbesondere der Feststellungen des Gerichts zu der PV-Anlage mit Standort T. – wird auf das Urteil des Landgerichts O. vom 19. Mai 2016 Bezug genommen.
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In seiner Umsatzsteuererklärung für 2010 erklärte der Kläger Umsätze in Höhe von insgesamt 4.920 € (Netto-Pachtzahlungen) und machte die Vorsteuer aus dem Erwerb der PV-Anlage in Höhe von insgesamt 9.500 € geltend. Er errechnete für 2010 eine Umsatzsteuer in Höhe eines Negativbetrages von 8.565,20 €. Die Erklärung führte zu einer Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Mit Änderungsbescheid vom 21. Februar 2012 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für das Jahr 2010 auf 934,80 € fest. Es ließ die Vorsteuer aus dem Erwerb der PV-Anlage nicht zum Abzug zu.
9
Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben (Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2019). Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass der Vorsteuerabzug nicht zu gewähren sei, da keine Lieferung der Anlage erfolgt sei. Dem Kläger sei zu keinem Zeitpunkt die Verfügungsmacht über die Anlage verschafft worden. Kriterien hierfür seien die fehlende Einflussmöglichkeit des Klägers auf den Standort, das fehlende Risiko im Hinblick auf die Pachteinnahmen und das fehlende Zugriffsrecht auf die Anlage. Der Verpächter sei nicht zum Erhalt der Funktionsfähigkeit der Anlage verpflichtet, es bestehe eine Andienungsverpflichtung bei Verkauf der Anlage nach Ablauf der Pachtzeit und das Vertriebsmodell werde wie die Investition in eine private Kapitalanlage beworben. Darüber hinaus komme aufgrund des Zusammenwirkens der Geschäftspartner des Anlagemodells eine missbräuchliche Gestaltung in Betracht. Durch die sachliche und zeitliche Verknüpfung der Verträge der beteiligten Firmen sei von Anfang an beabsichtigt gewesen, dass die Anlage nie den Verfügungsbereich der ABC verlassen sollte.
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Mit seiner Klage hält der Kläger daran fest, dass die Voraussetzungen für den begehrten Vorsteuerabzug vorliegen und vertieft seinen Vortrag aus dem Einspruchsverfahren.
11
Die PV-Anlage in T. habe tatsächlich existiert. Das Landgericht O. habe eine umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt und festgestellt, dass die Anlage tatsächlich errichtet worden sei. Auch die von der Finanzverwaltung durchgeführte Umsatzsteuernachschau habe die Existenz der Anlage bestätigt. Er sei einer von insgesamt 40 Anlegern, die an der Solaranlage T. beteiligt gewesen seien. Nach den Feststellungen des Landgerichts habe er eine Anlage in T. erworben.
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Die Anlage sei an ihn geliefert worden. Für die Verschaffung der Verfügungsmacht sei weder nach dem Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), noch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit des Erwerbers auf den gelieferten Gegenstand erforderlich. Eine Lieferung könne auch durch direkte Auslieferung an einen Dritten bewirkt werden. Sie könne auch dadurch bewirkt werden, dass der Liefergegenstand in Vollzug einer auf Eigentumsübertragung gerichteten Vereinbarung durch Einräumung des mittelbaren Besitzes übergeben werde. Im Streitfall sei davon auszugehen, dass die PV-Anlage in seinem Auftrag direkt nach T. geliefert worden sei. Außer dem Kaufvertrag und dem Pachtvertrag habe er keine weiteren Verträge abgeschlossen. Der Vertrag über den Kauf der Anlage – vgl. hierzu die Aufklärungsanordnung des Gerichts vom 18. Januar 2021 – liege ihm aktuell weder in Kopie noch im Original vor. Die Kaufverträge, die die ABC in den Jahren 2008 bis 2010 mit den Anlegern geschlossen habe, seien jedoch inhaltsgleich und bestünden immer aus einer “Bestellung“, einer “Widerrufsbelehrung“ sowie den “Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ (AGB) der ABC. Letztere seien im Lauf der Zeit angepasst worden. Der Kläger legte hierzu zwei “Bestellungen“ anderer Kunden vom 27. Mai 2010 und 8. November 2010 vor, die vergleichbar seien, sowie den zur Bestellung vom 8. November 2010 zugehörigen Pachtvertrag mit der Z AG.
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Darüber hinaus habe er die Anlage für steuerpflichtige Ausgangsumsätze verwendet. Dies setze die Verschaffung der Verfügungsmacht voraus und sei ein Beleg für die Verschaffung der Verfügungsmacht. Wenn ein Unternehmer steuerpflichtige Ausgangsumsätze mit dem Gegenstand ausführe stehe ihm denklogisch die Verfügungsmacht zu. Der EuGH habe in einem vergleichbaren Fall des Anlegerbetrugs – Urteil vom 31. Mai 2018 C-660/6, C 661/16, Kollroß und Wirtl – entschieden, dass dem Anleger der Vorsteuerabzug zustehe, wenn er die gekauften Gegenstände verpachte und daraus Pachteinnahmen erziele.
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Der EuGH betone durchgängig das Neutralitätsprinzip, wonach Unternehmer, die steuerpflichtige Umsätze vornehmen wollen, grundsätzlich von der Vorsteuer auf die von ihnen bezogenen Eingangsleistungen entlastet werden. Auch im Streitfall wäre nach dieser Rechtsprechung die tatsächliche Lieferung der Anlage möglicherweise nicht entscheidend. Wesentlich sei, dass er im Streitjahr ab April monatliche Pachtzahlungen erhalten habe.
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Die vertragliche Gestaltung des Anlagemodells stelle keinen Missbrauch im Sinne von § 42 der Abgabenordnung (AO) dar. Insbesondere liege kein kollusives Zusammenwirken unter Beteiligung der Anleger vor, die vielmehr Opfer des Betrugs gewesen seien. Ein Nachteil des Fiskus sei nicht entstanden. Die Umsatzsteuern seien – soweit bekannt – vollständig an die Finanzämter geleistet worden.
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Die Verpachtung der Anlage an die XY KG sei als Finanzierungsleasing anzusehen und umsatzsteuerlich als (Weiter-) Lieferung an die XY KG zu qualifizieren. Die mit dem rechtlichen Eigentum verbundenen Chancen und Risiken seien im Wesentlichen auf die XY KG übertragen worden. Im Pachtvertrag sei eine feste Laufzeit von 239 Monaten vereinbart worden. Während dieser Laufzeit sollte – auch unter Berücksichtigung einer Abzinsung – die Summe der Pacht- bzw. Leasingzahlungen den Verkehrswert übersteigen. Zudem sei ein Vorkaufsrecht zugunsten der Pächterin vereinbart worden. Demnach handele es sich bei dem vorliegenden Pachtvertrag um ein sogenanntes Finanzierungsleasing, denn die Vertragslaufzeit bzw. Grundmietzeit von 239 Monaten betrage mehr als 90% der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer. Das Finanzgericht München habe mit Urteil vom 28. April 2016 (14 K 245/16, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG 2016, 1735) in einem vergleichbaren Fall aufgrund der Summe der vereinbarten Pachtzahlungen bereits bei kürzerer Vertragslaufzeit von 215 Monaten entschieden, dass in der vorliegenden Konstellation ein sog. Finanzierungsleasing vorliege.
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Bereits im Vorfeld der Insolvenz der XY KG habe er keine (Pacht-) Zahlungen mehr erhalten. Nach den Feststellungen des Landgerichts O. habe er lediglich 8.457,80 € (brutto) in den Jahren 2010 und 2011 erhalten. Im Jahr 2016 habe der Insolvenzverwalter der XY KG von ihm die vereinnahmte Pacht zurückverlangt. Er habe den Rechtsstandpunkt vertreten, dass die Pachtzahlungen ohne Rechtsgrund erfolgt seien, da die Anleger kein Eigentum an der Anlage erworben hätten. Im Wege eines Vergleichs sei erreicht worden, dass lediglich 50% der Pachtzahlungen zurückbezahlt werden mussten. Dadurch reduziere sich die vereinnahmte Umsatzsteuer für das Jahr 2010 um 50%.
den Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 21. Februar 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2019 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2010 auf einen Negativbetrag von 8.565,20 € festgesetzt wird.
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Das Finanzamt beantragt,
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Es nimmt Bezug auf die Einspruchsentscheidung und bringt ergänzend vor, dass die Anlage T. nach den Feststellungen des Landgerichts O. im Zeitpunkt der Bestellung der Anlage durch den Kläger am 3. Dezember 2009 bereits überzeichnet gewesen sei. Eine umsatzsteuerliche Lieferung der betreffenden Anlage an den Kläger sei daher nicht möglich gewesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze, die vorgelegten Akten sowie die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 28 Oktober 2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist teilweise begründet. Der Kläger ist im Hinblick auf die Rechnung vom 15. März 2010 gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG berechtigt, die Vorsteuer in Höhe von 7.983,19 € aus der Vorauszahlung für die PV-Anlage abzuziehen. Bezüglich der Rechnung vom 17. März 2010 liegen die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug im Streitjahr nicht vor.
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1. Im Streitfall ist der Kläger mangels Lieferung der PV-Anlage nicht zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG berechtigt.
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a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG).
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Nach § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). § 3 Abs. 1 UStG setzt Art. 14 Abs. 1 der RL 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – MwStSystRL – (vormals Art. 5 Abs. 1 der Sechsten RL 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern) in nationales Recht um.
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Der unionsrechtliche Begriff „Lieferung von Gegenständen“ bezieht sich nicht auf die Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen. Er umfasst vielmehr jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer (Urteil des EuGH, NLB Leasing vom 2. Juli 2015 C-209/14, Umsatzsteuer-Rundschau – UR – 2015, 628, Rz. 29, m.w.N.). Der BFH umschreibt diesen Vorgang seit jeher und in ständiger Rechtsprechung als Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag, ohne damit inhaltlich von der Rechtsprechung des EuGH abzuweichen. Eine Übertragung der Befugnis, wie ein Eigentümer über einen Gegenstand zu verfügen, kann dann vorliegen, wenn der dem zivilrechtlichen Eigentümer zustehende Herausgabeanspruch wertlos ist oder der Eigentümer den wirtschaftlichen Gehalt des Gegenstands dem Abnehmer auf sonstige Weise zuwendet. Der wirtschaftliche Gehalt des Gegenstandes wird z.B. übertragen, wenn der Gegenstand der Leistung vom Leistungsempfänger bestimmungsgemäß ge- und verbraucht wird und nach Beendigung der Benutzung der Gegenstand regelmäßig wirtschaftlich verbraucht ist (BFH-Urteil vom 13. Januar 2011 V R 12/08, BStBl II 2012, 61, Rz. 48). Ob die Verfügungsmacht in diesem Sinne übertragen wird, richtet sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Einzelfalls, d. h. den konkreten vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächlicher Durchführung unter Berücksichtigung der Interessenlage der Beteiligten.
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Eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit des Erwerbers auf den Liefergegenstand ist nicht erforderlich. Bereits der Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 UStG sieht vor, dass der liefernde Unternehmer “den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen“. Diese Bestimmung sieht damit vor, dass eine Lieferung durch eine direkte Auslieferung an einen Dritten (z.B. Zweiterwerber) bewirkt werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 9. September 2015 XI R 21/13 in BFH/NV 2016, 597, Rz. 23 ff m.w.N.). Eine Lieferung kann auch dadurch bewirkt werden, dass der Liefergegenstand in Vollzug einer auf Eigentumsübertragung gerichteten Vereinbarung durch Einräumung mittelbaren Besitzes übergeben wird (vgl. BFH-Urteil vom 8. September 2011 V R 43/10, BStBl II 2014, 203, Rz.18). In diesen Fällen hat der Abnehmer bzw. Erwerber keine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf den Liefergegenstand.
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b) Hiervon ausgehend konnte nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden, dass die PV-Anlage tatsächlich an den Kläger geliefert wurde.
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Dabei geht der Senat davon aus, dass die Anlage in T. – was zwischen den Beteiligten auch nicht mehr streitig ist – tatsächlich existierte. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die V GmbH Eigentümerin des Grundstücks, auf dem die PV-Anlage errichtet wurde. Mit notariellem Vertrag vom 23. Juli 2009 gestattete sie der XY KG die Installation einer Solaranlage auf den Dächern des Grundstücks in T. Die PV-Anlage wurde am 23. Dezember 2009 mit 578,93 kWp an das öffentliche Stromnetz angeschlossen. Am 15. Februar 2010 schlossen die Stadtwerke T. GmbH und die XY KG einen Einspeisevertrag für die Anlage mit Vertragsbeginn 23. Dezember 2009 (vgl. S. 122 und 154 des Urteils des Landgerichts O.).
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Desweitern geht der Senat davon aus, dass die bestellte PV-Anlage nach T. geliefert werden sollte und dem Kläger durch Einräumung des mittelbaren Besitzes die Verfügungsmacht über die Anlage verschafft werden sollte. Der Kläger hat die “Bestellung“ der PV-Anlage – die er nach den Feststellungen des Landgerichts am 3. Dezember 2009 vornahm (vgl. hierzu die Übersicht auf Seite 55.1 des Urteils) – nicht vorgelegt. Stattdessen hat er exemplarisch zwei “Bestellungen“ anderer Kunden von “S.“ vorgelegt. Die AGB der “Bestellung“ vom 27. Mai 2010 weisen den Stand Januar 2009 auf. Es kann daher angenommen werden, dass diese AGB auch bei der Bestellung des Klägers am 6. Dezember 2009 verwendet wurden. Zwar enthalten die AGB keine Regelungen zu einer Lieferung durch Einräumung des mittelbaren Besitzes, sondern nur allgemein gehaltene Ausführungen zum Versand (vgl. Ziff. 4 der AGB). Zudem wird in der Rechnung vom 15. März 2010 als “Objektadresse“ die Wohnanschrift des Klägers angeführt. Es lag nicht jedoch nicht im Interesse der Kunden des Anlagemodells “S.“, dass die Anlage direkt an sie geliefert wurde. Aufgrund der Ausgestaltung von “S.“ – Bestellung der Anlage für einen bestimmten Standort und Verpachtung an den “Betreiber“ des Solarparks, in dem die Anlage installiert werden sollte – ist vielmehr davon auszugehen, dass die Anlage direkt an die vorgesehenen Standorte verbracht und dem Pächter übergeben werden sollte. Entsprechend wurden in der Folge auch die AGB der Bestellung weiterentwickelt, ohne dass sich an dem Modell als solchem etwas geändert hatte. So ist in den AGB mit Stand Oktober 2010 (zur Bestellung vom 8. November 2010) ausdrücklich vorgesehen, dass die Übergabe der PV-Anlage an den Besteller durch Verschaffung des mittelbaren Besitzes ersetzt werden kann. Der Besteller weist insoweit den Lieferanten an, die PV-Anlage auf seine Kosten an die Z AG zu übergeben oder ihr anderweitig den Besitz einzuräumen, den die Z AG im Falle der Verpachtung aufgrund des Pachtvertrags für den Besteller ausübt. Damit hat der Lieferant dem Besteller die Verfügungsmacht an der PV-Anlage verschafft und seine Lieferpflicht gegenüber dem Besteller erfüllt (Ziff. 2.2. “Gefahrübergang und Lieferung“ der AGB Stand Oktober 2010). Der zugehörige Pachtvertrag mit der Z AG enthält – anders als noch der Pachtvertrag im Streitfall – entsprechende Regelungen zum Eigentumsübergang und zur Installierung der Anlage durch den Pächter (vgl. § 1 bis 3 des Pachtvertrages).
31
Im Streitfall fehlt es jedoch an einer tatsächlichen Durchführung der vereinbarten Lieferung. Es liegen keine Unterlagen (z.B. Lieferschein) oder objektive Anhaltspunkte vor, die darauf schließen lassen, dass die vereinbarte Lieferung der bestellten Anlage tatsächlich durchgeführt wurde. Auch die Feststellungen des Landgerichts O. im Urteil vom 19. Mai 2016 lassen nicht auf eine Lieferung schließen. Sie legen vielmehr nahe, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt die Verfügungsmacht über die bestellte Anlage bzw. ihren Komponenten erlangt hat. Das Landgericht hat festgestellt, dass die Anlage in T. überzeichnet war. Bereits am 27. Juli 2009 waren mindestens 462,508 kWp von verfügbaren 578,93 kWp an vier Gesellschaften des bürgerlichen Rechts (GbR’s) verkauft worden. Die Einspeisevergütung, die von den Stadtwerken zunächst direkt an die XY KG ausgezahlt wurde, wurde ab Juni 2010 direkt an die vier GbR’s ausgezahlt. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die noch verfügbaren 116,422 kWp der Anlage spätestens am 30. November 2009 verkauft. Dennoch wurden an weitere 31 Anleger – unter denen sich auch der Kläger befand – Module und Zubehörteile für 457,3 kWp der Anlage in T. verkauft, die nicht mehr zur Verfügung standen (vgl. S. 42 des Urteils des Landgerichts). Aufgrund der zeitlichen Abfolge der einzelnen Bestellungen für die Anlage T. ist davon auszugehen, dass die Anlage im Zeitpunkt der Bestellung des Klägers am 3. Dezember 2009 bereits überzeichnet war (vgl. hierzu die Übersicht auf den Seiten 55.1 und 55.2 des Urteils).
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Vor diesem Hintergrund lässt auch die Tatsache, dass der Kläger – ebenso wie die anderen Anleger der Anlage T. – tatsächlich Pachtzahlungen erhalten haben (vgl. hierzu die Tabelle auf S. 55.1. des Urteils), nicht den Rückschluss zu, dass dem Kläger die Verfügungsmacht über die gekaufte Anlage eingeräumt wurde. Die Pachtzahlungen erfolgten offenkundig unabhängig von der Überzeichnung der Anlage und waren auch “erforderlich“, um das Betrugsmodell aufrechtzuerhalten.
33
2. Die Zahlung des Klägers in Höhe von 50.000 € (42.016,81 € zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 7.983,19 €) aufgrund der Rechnung vom 15. März 2010 berechtigte den Kläger jedoch zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG.
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a) Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung des Umsatzes entfällt, ist er bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG). Die Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG beruht auf Art. 167 und Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 65 MwStSystRL. Gemäß Art. 167 MwStSystRL entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Werden Anzahlungen oder Vorauszahlungen geleistet, bevor die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht ist, ist das gemäß Art. 65 MwStSystRL zum Zeitpunkt der Vereinnahmung des Geldes der Fall.
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b) Im Streitfall sind die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG für einen Vorsteuerabzug des gesondert ausgewiesenen Steuerbetrags auf die Zahlung des Klägers in Höhe von 50.000 € vor Ausführung der Lieferung der PV-Anlage erfüllt.
36
Aus der Rechnung vom 15. März 2010 geht hervor, dass für die Zahlung des Betrages von 50.000 € Vorkasse vorgesehen war. Die Leistung der Zahlung (durch Überweisung) erfolgte nach den Feststellungen des Landgerichts O. am 15. März 2010 (vgl. hierzu die Tabelle auf S. 66.3 des Urteils). Zudem hat der Kläger einen Kontoauszug der F vorgelegt, wonach die Wertstellung der Auszahlung der Darlehensauszahlung am 12. März 2010 erfolgte. Aus der Rechnung vom 15. März 2010 geht zudem hervor, dass eine Zahlung vor Ausführung der Lieferung abgerechnet wird, da als Lieferdatum der 29. März 2010 angegeben wird.
37
Zudem handelt es sich bei der dem Kläger vorliegenden Rechnung vom 15. März 2010 über die (künftige) Lieferung der PV-Anlage um eine Rechnung i.S. von § 14 Abs. 5 Satz 1 UStG, die den Anforderungen an die Rechnungsangaben nach § 14 Abs. 4 UStG genügt.
38
c) Zusätzliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug aus einer Anzahlung bzw. Vorauszahlung ist nach der Rechtsprechung des EuGH, dass der Eintritt des Steuertatbestands zum Zeitpunkt der Anzahlung bzw. Vorauszahlung nicht „unsicher“ ist. Maßgeblich hierfür ist, ob im Zeitpunkt der Zahlung alle maßgeblichen Elemente der zukünftigen Lieferung als dem Erwerber bekannt angesehen werden konnten, so dass der Gegenstand der Lieferung genau bestimmt war (vgl. EuGH-Urteile FIRIN vom 13. März 2014 C-107/13, UR 2014, 705, Rz. 39 und Kollroß und Wirtl vom 31. Mai 2018 C 660/16 und C 661/16, UR 2018, 519; ferner BFH-Urteil vom 29. Januar 2015 V R 51/13, BFH/NV 2015, 708, Rz.13).
39
Im Streitfall waren die maßgeblichen Elemente der künftigen Lieferung der PV-Anlage, wie Kaufgegenstand, Kaufpreis sowie Lieferdatum und Lieferort (vgl. hierzu auch die vorstehenden Ausführungen unter Ziff. 1. Buchst. b) bekannt. Unerheblich ist, ob von Anfang an feststand, dass es nicht zur Lieferung der PV-Anlage kommen würde. Denn der Vorsteuerabzug aus einer Voraus- oder Anzahlungsrechnung hängt nicht davon ab, ob der Zahlungsempfänger im Zahlungszeitpunkt die Leistung objektiv erbringen kann und ob er das will. Maßgeblich ist, ob anhand objektiver Umstände erwiesen ist, dass der Zahlende wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die Bewirkung der Lieferung ungewiss ist (EuGH in UR 2018, 201 Rz. 50; BFH-Urteil vom 17. Juli 2019 V R 9/19 (V R 29/15), BFH/NV 2019, 1466, Rz. 22). Anhaltspunkte, dass dem Kläger die zur Verurteilung wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs führenden Handlungen der für das Modell “S.“ verantwortlichen Personen, aufgrund derer die Lieferung der PV-Anlage unterblieb, im Zeitpunkt der Zahlung bekannt waren, sind nicht ersichtlich. Auch eine Versagung des Vorsteuerabzugs wegen fahrlässiger Unkenntnis des Klägers, dass die Bewirkung der Lieferung unsicher war, kommt nicht in Betracht. Das Recht auf Vorsteuerabzug darf dem Erwerber in Fällen der Anzahlung/Vorauszahlung zwar versagt werden, wenn anhand objektiver Umstände erwiesen ist, dass er zum Zeitpunkt der Leistung (Zahlung) wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die Bewirkung dieser Lieferung unsicher war. Hierfür bestehen jedoch im Streitfall keine objektiven Anhaltspunkte. Selbst wenn der Kläger hätte erkennen können, dass die Pachtzinsen nicht erwirtschaftet werden konnten – was nach den Feststellungen des Landgerichts O. nicht leicht erkennbar war (vgl. S. 31 des Urteils) – hätte er trotzdem nicht wissen können, dass die Lieferung der PV-Anlage nicht bewirkt werden würde. Auch ist nicht ersichtlich, dass er von der Überzeichnung der Anlage T. Kenntnis haben konnte. Zudem ist davon auszugehen, dass der Kläger die Zahlung des Kaufpreises nicht vorgenommen hätte, wenn er wußte oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die Bewirkung der Lieferung ungewiss ist (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 5. Dezember 2018 XI R 44/14, BFH/NV 2019, 499, Rz. 55).
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d) Es liegt auch keine missbräuchliche Gestaltung vor, die zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs führt. Die zivilrechtlichen Vereinbarungen lassen – auch wenn sie Teil eines betrügerischen Schneeballsystems waren – keine künstliche Gestaltung erkennen, die zu dem Zweck erfolgte, einen Steuervorteil zu erlangen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 499, Rz. 32). Weder ist ersichtlich, noch hat das Finanzamt dargetan, dass ein Steuerbetrug begangenen worden ist. Daher kommt eine Versagung des Vorsteuerabzugs nach der Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH nicht in Betracht (BFH-Urteil vom 11. März 2020 XI R 38/18, BFH/NV 2020, 1217, Rz. 48).
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3. Die Zahlung des Klägers in Höhe von 9.500 € (7.983,19 € zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 1.516,81 €) aufgrund der Rechnung vom 17. März 2010 berechtigte den Kläger nicht zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG.
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Der in der Rechnung vom 17. März 2010 gesondert ausgewiesene Steuerbetrag entfällt nicht auf eine Zahlung vor Ausführung des abgerechneten Umsatzes. Aus der Rechnung geht nicht hervor, dass über eine künftige Leistung abgerechnet wird. Vielmehr wird darauf hingewiesen, dass das Lieferdatum dem Rechnungsdatum entspricht. Zudem hat der Kläger den Betrag von 9.500 € erst am 10. Januar 2011 überwiesen.
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4. Im Hinblick auf die Rechnung vom 17. März 2010 kommt ein Vorsteuerabzug im Streitjahr auch nicht unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Vertrauensschutzes nach den Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung (vgl. EuGH-Urteile Teleos vom 27. September 2007 C-409/04, BStBl II 2009, 70, Rz. 68 und Netto Supermarkt vom 21. Februar 2008 C-271/06, UR 2008, 508) in Betracht, da der Kläger den Rechnungsbetrag von 9.500 € erst im Jahr 2011 gezahlt hat. Im Übrigen kann nach derzeitiger Rechtsprechung ein Vorsteuerabzug unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht im Rahmen des Festsetzungsverfahrens, sondern in einem gesonderten Billigkeitsverfahren (§§ 163, 227 AO) berücksichtigt werden (vgl. BFH-Urteil vom 18. Februar 2016 V R 62/14, BStBl II 2016, 589, Rz. 22).
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5. Im Streitfall kann offenbleiben, ob der Pachtvertrag des Klägers mit der XY KG als Finanzierungsleasing zu qualifizieren ist, mit der Folge, dass die Verpachtung nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL einer Lieferung gleichzustellen wäre. Da davon auszugehen ist, dass die Anlage nicht an den Kläger geliefert wurde, ist in der Folge auch keine (Verpachtungs-) Leistung durch den Kläger an die XY KG erbracht worden. Da der Kläger jedoch im Streitjahr Pachtzahlungen für zehn Monate in Höhe von monatlich 564,73 € zuzüglich Umsatzsteuer für die tatsächlich nicht ausgeführte Verpachtung vereinnahmt hat, schuldet er die Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG. Wer wie ein leistender Unternehmer abrechnet und einen Steuerbetrag ausweist – hier im “Pachtvertrag“ – obwohl er eine Leistung oder sonstige Leistung nicht ausführt, schuldet den ausgewiesenen Betrag (so ausdrücklich BFH in BFH/NV 2019, 499, Rz. 79).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.