Titel:
Kaufvertrag, Fahrzeug, Rechtsanwaltskosten, Annahmeverzug, Software, Streitwert, PKW, betrug, Kenntnis, Technik, Wirksamkeit, Pflichtverletzung, Herausgabe, Klage, Kosten des Rechtsstreits, nicht ausreichend, Erteilung der Genehmigung
Schlagworte:
Kaufvertrag, Fahrzeug, Rechtsanwaltskosten, Annahmeverzug, Software, Streitwert, PKW, betrug, Kenntnis, Technik, Wirksamkeit, Pflichtverletzung, Herausgabe, Klage, Kosten des Rechtsstreits, nicht ausreichend, Erteilung der Genehmigung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 22.08.2023 – 8 U 9416/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63230
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 14.836,19 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Rückabwicklung des mit der Firma J. aus S. geschlossenen Kaufvertrages über einen neuen VW Caddy wegen behaupteter Abgasmanipulationen.
2
Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft deutschen Rechts und ist im Handelsregister des Amtsgerichts Braunschweig unter der Nr. HRB ... eingetragen. Sie ist Automobilhersteller. Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 25.06.2015 von der Firma J. aus S. (in Folge: „Verkäuferin“) einen VW Caddy 2.0 TDI mit der FIN: … als Neuwagen. Der Nettokaufpreis betrug 19.822,12 €. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 13.10.2021 betrug die Fahrleistung 94.034 km.
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In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA288 verbaut, der von der Beklagten gebaut wurde und in ihrem Konzern auch bei den mit Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen verbundenen Tochterfirmen verwendet wurde. Das Fahrzeug verfügt über eine EG-Typengenehmigung für die Emissionsklasse EU6. Zur Erlangung dieser Typengenehmigung müssen die Fahrzeuge bestimmte Emissionsgrenzwerte einhalten, die unter Laborbedingungen gemessen werden.
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Für das streitgegenständliche Fahrzeug existiert kein Rückruf seitens des Kraftfahrtbundesamtes (im Folgenden: KBA).
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Mit Schriftsatz vom 17.11.2020 hat die Klägerseite gegenüber der Beklagten mit Frist zum 30.11.2020 Schadensersatz geltend gemacht.
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Die Klägerin trägt schriftsätzlich vor, sie habe ein umweltfreundliches Fahrzeug kaufen wollen. Sie hätte den Kauf bei Kenntnis der Sachlage nicht getätigt.
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Sie behauptet, im streitgegenständlichen Fahrzeug sei eine Manipulationssoftware eingebaut, die im Kern genauso funktioniere, wie die Motorsteuerungssoftware, die im Zuge des sog. WVAbgasskandals des Motorentyps EA189 bekannt geworden ist. Die Software erkenne aufgrund verschiedener technischer Vorrichtungen eine Prüfsituation auf dem Rollenprüfstand. Es seien mehrere „unzulässige Abschalteinrichtungen“ im Fahrzeug verbaut. So sei eine unzulässige Fahrkurvenerkennung und ein unzulässiges sog. Thermofenster installiert worden. Weiter sei eine sog. Akustikfunktion installiert worden, bei deren Aktivierung die Einspritzstrategie und die AGR-Rate die Stickoxidemissionen vermindert. Diese Funktion sei auf den Prüfstand zugeschnitten und reduziere daher im Wesentlichen nur dort die Emissionen. Auch sei eine unzulässige Abschalteinrichtung bei bestimmten Drehzahlbereichen aktiviert. So würde bei Drehzahlen von 2500 Umdrehungen/min, 2750 Umdrehungen/min bzw. 3000 Umdrehungen/min die Abgasrückführung abgeschaltet werden. Auch seien Manipulationen am SCR-Katalysator vorgenommen worden. Schließlich sei das On-Board-Diagnosesystem (im Folgenden: OBD-System) so eingerichtet, dass es Fehler in der Abgasmessung nicht aufzeichnet. Zudem habe die Beklagte die Typengenehmigung dadurch erschlichen, dass sie dem KBA einen falschen Ki-Faktor genannt habe. Schließlich würden Abgasmessungen verschiedener Einrichtungen belegen, dass der Emissionsausstoß im realen Fahrbetrieb um ein Vielfaches höher ist, als auf dem Prüfstand. Hieraus könne nur der Schluss gezogen werden, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fahrzeug verbaut ist. Eine derartige Manipulation sei auch durch das interne Schreiben von der Beklagten mit der Überschrift „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288“ belegt.
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Die Klägerin ist der Ansicht, dass er von der Beklagten über den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung bewusst im Unklaren gelassen worden sei. Die Verwendung der unzulässigen Software sei nicht eigenständig durch die Entwicklungsabteilung der Beklagten oder der Tochterfirmen erfolgt, sondern dieses Vorgehen sei mit Kenntnis des Vorstands der Beklagten alleine aufgrund Gewinnstrebens und dem Streben nach der Marktführerschaft im Markt für Pkw gewählt worden. Die Motoren mit der unzulässigen Abschalteinrichtung seien konzernweit – auch bei den Tochterunternehmen der Beklagten – aus diesen Gründen verbaut worden. Die Beklagte habe bewusst wahrheitswidrig damit geworben, dass die entsprechenden Fahrzeuge besonders umweltfreundlich seien und den EU-Normen entsprächen. Das Verhalten der Beklagten sei daher als sittenwidrige vorsätzliche Schädigung zu werten. Die Beklagte habe über die Gesetzeskonformität des Fahrzeugs getäuscht. Der Klägerseite stünden die geltend gemachten Ansprüche daher insbesondere aus §§ 826, 31 BGB zu.
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Die Klägerin beantragte zunächst die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises für das Fahrzeug in Höhe von 14.836,19 €, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu verurteilen. In der mündlichen Verhandlung vom 13.10.2021 wurde der Zahlbetrag auf 13.608,94 € ermäßigt und die Klage in Höhe der Ermäßigung für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung widersetzt.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei € 13.608,94 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2020 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW VW Caddy 2.0 TDI, FIN: …26.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
- 3.
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Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.184,05 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten seit dem 01.12.2020 freizustellen.
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Die Beklagte beantragt kostenpflichtige Klageabweisung.
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Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, das Fahrzeug verfüge über eine wirksame EGTypengenehmigung und über eine wirksame Betriebserlaubnis. Beim Motortyp EA288 sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Insbesondere gebe es keine unzulässige Zykluserkennung. Es gebe für den gesamten Motortyp EA288 auch keinen amtlichen Rückrufbescheid des KBA wegen seines Emissionsverhaltens, insbesondere nicht wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
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Die Fahrkurvenerkennung sei bereits im Ansatz keine Funktion, mit der das Emissionsverhalten verändert werde. Insbesondere würden hierdurch nicht die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems so verändert werden, dass deren Wirksamkeit im normalen Fahrbetrieb grenzwertkausal verringert werden würde. Im Gegensatz zum Motor EA189 sei die im Motorsteuergerät hinterlegte Fahrkurve nicht mit der Folge einer Umschaltlogik bezüglich der Abgasreinigung verknüpft. Der Einsatz des im EA288-Motor verwendeten sog. Thermofensters sei die einzige Möglichkeit, gewisse Bauteile vor Schäden zu schützen. Die Verwendung von Thermofenstern entspreche auch dem Stand der Wissenschaft und Technik. Auch die Ausführungen zur Manipulation des OBD-Systems würden an der Sache vorbeigehen, da dieses System nur der Fahrzeugüberwachung diene, jedoch nicht auf Systeme, insbesondere nicht auf solche zur Emissionskontrolle, einwirke. Schließlich habe das KBA den Motor EA288 zwischen Oktober 2015 und April 2016 eingehend untersucht und keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt.
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Die Beklagte ist der Auffassung, der Einsatz eines Thermofensters stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Für die Annahme einer sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB gebe es keine Grundlage. Der Vortrag der Klagepartei hierzu sei bereits unsubstantiiert. Selbst wenn der Einsatz von Thermofenstern gegen europarechtliche Vorgaben verstoßen sollte, ergebe sich aus einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung von Ausnahmetatbeständen auf Beklagtenseite nicht das Verdikt der Sittenwidrigkeit. Der Klageseite sei auch kein Schaden entstanden. Es fehle auch am Schädigungsvorsatz und an der Kausalität.
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In Hinblick auf den weiteren Sach- und Streitstand wird auf den gesamten Akteninhalt insbesondere auf die gewechselten Schriftsätze jeweils nebst Anlagen wird ausdrücklich und vollumfänglich Bezug genommen.
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Das Gericht hat am 13.10.2021 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (Bl. 269/270 d.A.) wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
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I. Die Klageänderung ist zulässig (§ 264 Nr. 2 ZPO); die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Das Landgericht Traunstein ist sachlich (§§ 1, 3 ZPO, §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG) und örtlich (§ 32 ZPO) zuständig (BayObLG, Beschluss vom 22.1.2019 – 1 AR 23/18, BeckRS 2019, 5991; OLG München, Beschluss vom 13.8.2019 – 34 AR 111/19, BeckRS 2019, 18055). Hinsichtlich des Antrags auf Feststellung des Annahmeverzugs ergibt sich das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO aus dem schutzwürdigen Interesse in Hinblick auf die §§ 756, 765 ZPO (Saenger, ZPO, 7. Auflage 2017, § 256 Rn. 8). Soweit die Klage für erledigt erklärt wurde, liegt auch das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) wegen des Ziels der Vermeidung der drohenden Kostenlast vor.
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II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Klägerseite stehen im vorliegenden Fall die geltend gemachten Schadensersatzansprüche weder aus §§ 826, 31 BGB noch aus anderen Vorschriften zu.
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1. Zwar kommen aufgrund des Inverkehrbringens eines Motors mit einer Umschaltlogik, die nur auf dem Rollenprüfstand die Grenzwerte nach Euro 6 einhält, grundsätzlich deliktische Schadensersatzansprüche (insb. aus §§ 826, 31 BGB) in Betracht (statt anderer BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19; OLG München, Urteil vom 17.12.2019 – 18 U 3363/19).
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2. Vorliegend hat die Klägerin jedoch bereits die Kausalität zwischen behaupteter Täuschung und Kaufvertragsschluss nicht nachgewiesen. Die pauschalen und in den Parallelverfahren gleichförmigen schriftsätzlichen Ausführungen hierzu reichen insoweit für die notwendige Überzeugung des Gerichts (§ 286 ZPO) nicht aus. Das Gericht geht nicht davon aus, dass die Klägerin bei Kenntnis der behaupteten Manipulationen Abstand vom Kauf des Fahrzeugs genommen hätte. Vielmehr haben in zahlreichen parallelen Verfahren die Kläger auf Befragung durch das Gericht angegeben, dass sie das Fahrzeug auch bei entsprechender Kenntnis erworben hätten, da ihre Kaufmotivation auf anderen Eigenschaften des Fahrzeugs beruhte. Die Klägerin, bei der das persönliche Erscheinen zur Sachverhaltsaufklärung eines informierten Bevollmächtigten angeordnet war, ist unentschuldigt nicht erschienen. Zudem wurde das Fahrzeug offensichtlich als Nutzfahrzeug für den Geschäftsbetrieb erworben, so dass hier aus Sicht des Gerichts erst Recht auch andere Gesichtspunkte für die Kaufentscheidung naheliegend sind.
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3. Die Klägerin hat weiterhin nicht ausreichend vorgetragen, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug solche unzulässigen Abschalteinríchtungen verbaut sind.
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a) Zwar hat die Klägerseite vorgetragen, dass im Fahrzeug eine Software zur Fahrkurvenerkennung verbaut ist. Dies hat die Beklagtenseite auch nicht in Abrede gestellt. Sie hat jedoch nachvollziehbar und unter Vorlage von in anderen parallelen Verfahren vorgelegten Auskünfte des KBA (Anlage B18 und B28) dargelegt, dass diese Fahrkurven gerade nicht – wie beim Motortyp EA189 – mit einer Umschaltlogik zur Abgasreinigung verknüpft ist. Dem ist die Klägerin nicht weiter ausreichend entgegengetreten.
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b) Zudem hat die Klägerseite jedenfalls nicht ausreichend vorgetragen warum das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit diesem Thermofenster – unabhängig davon, ob es zu weitreichend ausgestaltet und damit unzulässig ist oder nicht – als sittenwidrige Handlung zu bewerten sein soll.
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aa) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Im Allgemeinen genügt es dafür nicht, dass der Handelnde eine Pflichtverletzung und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. In diesem Rahmen spielen Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden, die die Bewertung eines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen, eine Rolle.
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bb) Legt man diese Maßstäbe zugrunde, ist das Verhalten der Beklagten, ein mit einem Thermofenster ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, vorliegend nicht per se als sittenwidrige Handlung zu bewerten. So führt das OLG München (Hinweisbeschluss vom 10.02.2020 – 3 U 7524/19) zutreffend aus: „Bei einer anderen die Abgasreinigung (Abgasrückführung und Abgasnachbehandlung) beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, wie hier dem Thermofenster, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand, und bei der Gesichtspunkte des Motorrespektive Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt hatten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Demgegenüber muss bei dieser Sachlage, auch wenn – einmal unterstellt – hinsichtlich des Thermofensters von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegangen werden sollte, eine möglicherweise falsche aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe in Betracht gezogen werden (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az.: 3 U 148/18, Juris, Rn. 6). Eine Sittenwidrigkeit käme daher hier nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise im streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Köln, a. a. O.).“
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Vorliegend behauptet die Klägerseite solche Anhaltspunkte jedoch nur unzureichend pauschal und vermengt die beim Motortyp EA189 für die Prüfstandsmanipulation behauptete Vorgehensweise mit dem „Thermofenster“ im weiterentwickelten Dieselmotor EA 288. Dass die Gesetzeslage an dieser Stelle gerade nicht eindeutig ist, zeigt neben der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2a) VO (EG) 2007/715 auch der Umstand, dass sich das KBA wie auch das Bundesverkehrsministerium (im Folgenden: BMVI) offenbar bislang nicht von der Unzulässigkeit des Thermofensters im streitgegenständlichen Fahrzeug haben überzeugen können. Insbesondere ist ein verbindlicher behördlicher Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeuges unstreitig bis heute nicht erfolgt.
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Selbst wenn man der Beklagten unterstellen wollte, sie habe bei der Konstruktion des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht die damals bereits verfügbaren bestmöglichen Technologien eingesetzt, um eine höhere Abgasrückführungsrate und damit durchgängig geringere Stickoxid-Emissionen zu ermöglichen, gilt doch, dass die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen keineswegs derart eindeutig war, dass eine andere Auffassung nicht vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typgenehmigungsbehörde – und letztlich auch die Käufer – täuschen wollen (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18).
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Insoweit hilft auch die Bezugnahme auf verschiedene Testberichte und Abgasmessungen, etwa der Deutschen Umwelthilfe, nicht weiter. Auch hieraus lässt sich ein bewusstes Täuschen der Beklagten hieraus allein nicht ableiten (OLG München, Beschluss vom 21.07.2021 – 33 U 2980/21).
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c) Hinsichtlich der vorgetragenen Akustikfunktion, deren Vorhandensein von der Beklagten nicht bestritten wurde, hat die Klägerseite ebenfalls nicht plausibel dargelegt, dass damit zugleich auch eine Umschaltlogik verbunden ist. Allein das Vorhandensein einer solchen Funktion besagt lediglich, dass es eine elektronisch gesteuerte Modulation des Motors und der Abgasrückführung gibt und nicht mehr (so auch OLG Schleswig, Hinweisbeschluss vom 23.01.2020 – 16 U 141/19). Insoweit war jedoch zunächst die Klägerseite gehalten, ausreichend konkrete Anhaltspunkte für eine Umschaltlogik vorzutragen.
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d) Entsprechendes gilt für die behauptete Abschaltung bei bestimmten Drehzahlbereichen. So hat die Klägerin schon nicht schlüssig dargelegt, worin hier eine Täuschung von wem liegen sollte.
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e) Im Hinblick auf die behauptete Manipulation des OBD-Systems ist die Klägerseite dem Vortrag der Beklagten, dass hier bereits keine Einwirkung auf das Emissionsverhalten des Fahrzeugs vorliege, nicht näher entgegengetreten. Stattdessen meint die Klägerseite im Schriftsatz vom 25.10.2021 nunmehr, dass es darauf gar nicht ankomme und stellt es verfehlt als unstreitig dar, dass „auf das OBD-System derart eingewirkt wurde, dass dies einen zu hohen Schadstoffausstoß gar nicht erst anzeigt.“ Die Behauptung der Klägerin, dass OBD-System sei bewusst so programmiert worden, dass keine Fehler bei einer unzureichenden Abgasreinigung angezeigt würden, ist jedoch weder unstreitig noch von der Klägerseite ansatzweise nachvollziehbar dargelegt.
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f) Auch beim SCR-Katalysator hat das KBA keine Manipulationen erkannt. Das dennoch derartige Manipulationen vorliegen, hat die Klägerin nicht plausibel dargelegt.
34
g) Die mit Schriftsatz vom 25.10.2021 schließlich ausgeführte Täuschung beim Ki-Faktor und zum Rückruf beim Modell T6 der Beklagten gehen an der Sache vorbei, nachdem die Klägerin einen VW Caddy und keinen T6 erworben hat. Zudem hat die Klägerin für ihren Vortrag keine hinreichenden Umstände aufgezeigt. Vielmehr hat das KBA trotz Prüfung insoweit keine unzulässigen Abschalteinrichtungen erkannt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 29.06.2021 – 13 U 434/20). Warum dennoch derartige hier vorliegen sollen, hat die Klägerin nicht plausibel aufgezeigt.
35
4. Schließlich steht vorliegend jedenfalls die sog. Tatbestandswirkung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes entgegen.
36
a) Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass für das streitgegenständliche Fahrzeugmodell eine bestandskräftige und auch nicht durch nachträgliche Nebenbestimmungen eingeschränkte Typgenehmigung des Kraftfahrtbundesamtes vorliegt. Die EG-Typgenehmigung ist die für einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union in Anwendung der RL 2007/46/EG, der RL 2002/24/EG sowie der RL 2003/37/EG erteilte Bestätigung, dass der zur Prüfung vorgestellte Typ eines Fahrzeuges, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbständigen technischen Einheit die einschlägigen Vorschriften und technischen Anforderungen erfüllt. Mit der Erteilung der Typgenehmigung hat das Kraftfahrtbundesamt somit der Beklagten, bestätigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell die Anforderungen der „einschlägigen Vorschriften“ erfüllt, mithin auch diejenigen der Verordnung EG Nr. 715/2007 hinsichtlich der Schadstoffemissionen. Es handelt sich hierbei um einen Verwaltungsakt des Kraftfahrtbundesamtes gegenüber dem Fahrzeughersteller, dem hierdurch ermöglicht wird, die dem genehmigten Typ entsprechenden einzelnen Fahrzeuge unter Ausstellung und Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung (§ 22 EG-FGV) in den Verkehr zu bringen. Hat aber die zuständige Behörde in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt dem Hersteller bescheinigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell insbesondere im Hinblick auf die Schadstoffemissionen den Anforderungen – hier insbesondere der Euro 6 Norm genügt, so sind die Zivilgerichte aufgrund der sog. Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes daran gehindert, in einem Rechtsstreit zwischen einem Fahrzeugkäufer und dem Hersteller etwas anderes anzunehmen (BGH, Urteil vom 27.11.2019 – VIII ZR 285/18).
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b) Mit der Tatbestandswirkung der vom Kraftfahrtbundesamt bestandskräftig erteilten und unverändert – also nicht durch nachträgliche Nebenbestimmungen eingeschränkt – wirksamen Typ-Genehmigung wäre nicht vereinbar, wenn das Gericht annähme, die Beklagte habe (auch) der Klägerin gegenüber mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges, das dem genehmigten Typ entspricht, gegen die guten Sitten verstoßen, weil das Fahrzeug mit einer nicht zulässigen Abschalteinrichtung versehen sei, die der Erteilung einer Genehmigung entgegenstünde (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 29.04.2021 – 5 U 3953/19; OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.07.2020 - 5 U 4765/19; OLG Celle, Beschluss vom 07.08.2019, Az. 7 U 726/19; OLG Frankfurt, Urteil vom 12.06.2020, Az. 10 U 193/19).
38
c) Das die Beklagte die EG-Typengenehmigung durch eine arglistige Täuschung erschlichen hätte und sich deshalb nicht auf die Tatbestand:swirkung berufen kann (so in der grundlegenden Entscheidung des BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19), ist nicht ersichtlich (so auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.07.2020 – 5 U 4765/19).
39
5. Nachdem in der Hauptsache schon kein Anspruch besteht, bleibt kein Raum für die Feststellung des Annahmeverzugs und sind auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht erstattungsfähig: Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten zählen zwar grundsätzlich auch die durch das Schadensereignis adäquat kausal verursachten Rechtsverfolgungskosten. Allerdings hat der Schädiger nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat kausal verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (vgl. BGHZ 127, 348 [350]). Die Insanspruchnahme eines Anwalts zur Durchsetzung einer nicht bestehenden Forderung ist jedoch niemals erforderlich und zweckmäßig, sodass vorliegend keine Anwaltskosten zuzusprechen waren.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 709 S. 1 und S. 3 ZPO. Die Entscheidung zum Streitwert beruht auf den Angaben in der Klageschrift § 1, 3 ZPO (Rückzahlung Kaufpreis abzgl. Nutzungsentschädigung).