Titel:
Berufung, Widerspruch, Verletzung, Rechtsmissbrauch, Zinsen, Hinweisbeschluss, Umfang, Beurteilung, Hinweis, EuGH, Feststellung, Unternehmen, Verkauf, Rentenversicherungsvertrag, Sinn und Zweck
Schlagworte:
Berufung, Widerspruch, Verletzung, Rechtsmissbrauch, Zinsen, Hinweisbeschluss, Umfang, Beurteilung, Hinweis, EuGH, Feststellung, Unternehmen, Verkauf, Rentenversicherungsvertrag, Sinn und Zweck
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 12.03.2021 – 25 O 7645/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 30.08.2023 – IV ZR 354/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63222
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 12.03.2021, Aktenzeichen 25 O 7645/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die beklagte Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 34.417,50 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Bereicherungsansprüche nach erklärtem Widerspruch gegen zwei Lebensversicherungsverträge und einen Rentenversicherungsvertrag geltend. Die Klägerin klagt aus abgetretenem Recht. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 12.03.2021 (85/90 d.A.) Bezug genommen.
2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Urteilsgründe im Urteil des Landgerichts MünChen I vom 12.03.2021 wird Bezug genommen.
3
Die Klägerin verfolgt mit der Berufung ihre in erster Instanz zuletzt gestellten Anträge in vollem Umfang weiter. Auf die Berufungsbegründung vom 17.03.2021 (BI. 104/109 d.A.) und die Gegenerklärung vom 25.08.2021 (BI. 121/124 d.A.) wird Bezug genommen.
4
Die Klägerin beantragt im Berufungsverfahren:
Das Urteil des Landgerichts München I vom 12.03.2021 25 O 7645/20 wird aufgehoben:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 21d539,61 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 03,042018 sowie eine Verzugskostenpauschale von 40300 € zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 5d587,71 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 06.04.2018 sowie eine VerzugskostenpauschaHe von 40,00 € zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 7.290,18 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszänssatz hieraus seit dem 14-082018 sowie eine Verzugskostenpauscha\e von 40,00 € zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
6
Der Senat hat mit Beschluss vom 09.08.2021 (BI. 1 13/1 18 d.A.) auf seine Absicht, die Berufung gemäß S. 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, hingewiesen.
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Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 12.03.2021, Aktenzeichen 25 0 7645/20, ist gemäß S. 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 09.08.2021 (BI. 1 13/1 18 d.A.) Bezug genommen.
9
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass. Der Senat hat in seinem vorangegangenen Hinweis aufgezeigt, aufgrund welcher gravierender Umstandsmomente er im jeweiligen Einzelfall ein widersprüchlich rechtsmissbräuchliches Verhalten der Zedenten annimmt.
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1. Soweit die Klagepartei den Hinweisbeschluss des Senats falsch zitiert, indem sie ausführt, der Senat vertrete die Auffassung, dass jedweder Widerspruch, der zu einer nachträglichen Renditeerhöhung führen könne, als Rechtsmissbrauch zu bewerten sei, vermag dies der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. Der Senat hat ausgeführt, dass – auch wenn zur Ausübung des Widerspruchsrechts keine Angabe von Gründen erforderlich ist – bei der Beurteilung treuwidrigen Verhaltens auch die Motivation für die Ausübung des Widerspruchsrechts als ein Aspekt mit in die Gesamtbetrachtung eingestellt werden kann und dieser Aspekt vorliegend dazu beitrage, die Ausübung des Widerspruchsrechts als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Dass dieser Aspekt durchaus nicht belanglos ist, wie die Klagepartei meint, ergibt sich aus dem klaren Wortlaut des zitierten EuGH Urteils (EuGH, Urteil vom 19.12.2019 – Az. c-355/18, C-356/18 und c-357/18).
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Auch beeinträchtigt die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben nach dem deutschen Recht im vorliegenden Fall nicht die Wirksamkeit oder die einheitliche Anwendung des GemeinschaftsrechtsDer Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschlüsse vom 12.10.2015 – Az. IV ZR 293/14, vom 30.07.2015 – Az. ZR 63/13, vom 17.08.2015 und 19.10.2015 – Az. IV ZR 310/14; Urteil vom 10.06.2015 -Az. IV ZR 105/13; Urteil vom 16.07.2014 Az. IV ZR 73/13), dass in Hinblick auf die Annahme eines Rechtsmissbrauchs eine Vorlage an den EuGH nicht geboten ist, da ein „acte éclairé“ vorliegt, in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. statt vieler: Beschluss vom 0211.2016 Az. 25 U 4229/16). Das entspricht auch der RechtspreChung des Bundesverfassungsgerichts (Nichtannahmebeschluss vom 02.02.2015 – Az. 2 BvR 2437/14). Der EuGH hat das Rechtsmissbrauchsverbot als allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts im Urteil vom 05.07.2007, Kofoed, C-321/05, Sig. 2007, 1-5795, Rn. 37, 38, ausdrücklich anerkannt. In anderen Entscheidungen, wie den vom BVerfG im oben genannten Nichtannahmebeschluss zitierten vom 02.05.1996, Paletta, C-206/94, Slg. 1996, 1-2357, Rn. 25, oder vom 21.072011, Oguz, C-186/10, Slg. 2011, 1-6957, Rn. 24, 25 m.w.N., hat der EuGH wiederholt klargestellt, dass aus seiner Rechtsprechung hervorgehe, dass die missbräuchliche Berufung auf die Normen des Unionsrechts nicht gestattet ist und dass die nationalen Gerichte in jedem Einzelfall dem missbräuchlichen Verhalten der Betroffenen auf der Grundlage objektiver Kriterien Rechnung tragen können, um ihnen gegebenenfalls die Berufung auf das einschlägige Unionsrecht zu verwehren. Bei der Beurteilung eines solchen Verhaltens hätten diese Gerichte allerdings die Ziele der fraglichen unionsrechtlichen Bestimmungen zu beachten. Der vom EuGH in seinem Urteil vom 19. Dezember 2013 (C-209/12, VersR 2014, 225) dargelegte Zweck der Dritten Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages sicherzustellen, ist nicht berührt, wenn im Einzelfall einem Versicherungsnehmer unter den in Hinweisbeschluss dargestellten Umständen, nach jahrelanger Durchführung des Vertrages die Geltendmachung eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs unter Berufung auf ein gemeinschaftsrechtswidriges Zustandekommen des Vertrages verwehrt wird. Ebensowenig wird der weitere in der genannten EuGH-Entscheidung angesprochene Zweck einer hinreichenden Auswahlmöglichkeit aufgrund ausreichender Information berührt. Diese Zielsetzung ist nach weit über 10 Jahren ohnehin nicht mehr erreichbar. Eine trotz der hier gegebenen gravierenden Umstände noch eingeräumte Lösungsmöglichkeit würde dem Versicherungsnehmer vielmehr die Möglichkeit eröffnen, seine – als Kapitalanlage stets in gewissem Umfang spekulative – Entscheidung für eine bestimmte Lebens- oder Rentenversicherung nachträglich mit dem Wissensvorsprung um die zwischenzeitliche Entwicklung des Zinsniveaus zu revidieren – wobei er daneben über viele Jahre den vorgesehenen Versicherungsschutz genossen hätte. Eine derartige Zweckbestimmung enthalten die zugrundeliegenden Richtlinien ganz offensichtlich nicht; eine solche Zielsetzung ist auch nicht schützenswert.
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Hinsichtlich der von der Klagepartei mit der Gegenerklärung angegriffenen Ausführungen des Se25 U 1423/21 – nats im Hinweisbeschluss zur jahrelangen beanstandungsfreien Durchführung des Vertrags sei darauf verwiesen, dass eben dieser Umstand nach der gefestigten und vom Bundesverfassungsgericht gebilligten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmern bereits ausreicht, um objektiv widersprüchliches Verhalten anzunehmen. Bei wie hier – nicht ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmern bildet dieser Umstand den Ausgangspunkt der anzustellenden Abwägung und haben entsprechend im vorangegangenen Hinweis die Überlegungen des Senats damit ihren Anfang genommen, bevor im Weiteren die Umstände dargelegt wurden, die für die Annahme rechtsmissbräuchlich widersprüchlichen Verhaltens ausschlaggebend waren. Eine Verletzung des Effektivitätsgebots ist insoweit nicht gegeben.
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Soweit die Klägerin erneut darauf verweist, dass für die Frage des Vorliegens rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gemäß S. 242 BGB maßgeblich sei, ob der Versicherer mit Widersprüchen rechnete und sich darauf einstellte, verdeutlicht die Gegenerklärung lediglich erneut die bisherige Auffassung der Klagepartei, ohne neue überzeugenden Argumente vorzubringen. Der Senat hält insoweit auch nach nochmaliger Prüfung an einer im Hinweisbeschluss dargelegten Rechtsauffassung fest.
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2. Soweit die Klagepartei in tatsächlicher Hinsicht einwendet, dass die Klägerin keine gewerbliche Policenaufkäuferin sei, weil sie nicht die Policen kaufe, sondern allein die Kondiktionsansprüche, kann dies als zutreffend unterstellt werden, ohne dass dies zu einer anderen Wertung führen würde. Die Klägerin ist ein Unternehmen, das auf den Aufkauf von Rückabwicklungsansprüchen aus laufenden, gekündigten oder ausgelaufenen Renten- und Lebensversicherungsverträgen gegen Sofortzahlung spezialisiert ist. Erkennbar nicht Sinn und Zweck der unsionsrechtlichen Vorgaben im Bereich der Lebensversicherungen war es jedoch, einen Markt für Unternehmen zu schaffen, deren Geschäftsmodell darauf beruht, ohne jegliches schutzwürdiges Eigeninteresse aus der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung von Lebensversicherungsverträgen nach Widerspruch Gewinne zu generieren. Dem Gesichtspunkt, dass der Widerspruch der Zedenten vorliegend im Zusammenhang mit dem Verkauf der möglichen Rückabwicklungsansprüche an die Klägerin erfolgte, ist die Klägerin nicht entgegengetreten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf S. 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, 71 1 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der SS 47, 48 GKG bestimmt.