Titel:
Entschädigung für unangemessene Verfahrensverzögerung
Normenketten:
GVG § 198 Abs. 3, Abs. 5
ZPO § 78b Abs. 1
VwGO § 173 S. 1
Leitsätze:
1. Eine Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird (vgl. § 198 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 GVG). Maßgeblich ist, wann ein Betroffener erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Ausgangsverfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auf ein rein subjektives Empfinden des Beteiligten kommt es hierbei nicht an. Vielmehr müssen objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet sind, zu einer unangemessenen Verfahrensdauer zu führen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zur Glaubhaftmachung der Bemühungen, einen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt zu finden ist, ist eine substanziierte Darlegung der von Anwaltskanzleien angegebenen Ablehnungsgründe bzw. die Beifügung entsprechender Ablehnungsschreiben erforderlich. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verzögerungsrüge, Entschädigungsklage, unangemessene Verfahrensverzögerung, Beiordnung, Notanwalt, Vertretung, Rechtsanwalt, Bemühungen, Glaubhaftmachung
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 14.07.2021 – 98 F 21.1764 , 98 F 21.1062
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 19.01.2023 – 5 AV 5.22
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 16.05.2023 – 5 AV 2.23
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 19.01.2023 – 5 AV 6.22
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 16.05.2023 – 5 AV 3.23
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63221
Tenor
Der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts wird abgelehnt.
Gründe
1
Der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 78b ZPO für eine noch in formgerechter Weise zu erhebende Entschädigungsklage wegen überlanger Gerichtsverfahren nach § 198 Abs. 5 GVG bleibt ohne Erfolg.
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A. Das Prozessgericht hat einer Partei auf ihren Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint und eine Vertretung durch Anwälte geboten ist (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 78b Abs. 1 ZPO).
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1. Aussichtslosigkeit im Sinne des § 78b Abs. 1 ZPO besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann (vgl. BVerwG, B.v. 28.3.2017 – 2 B 4.17 – NVwZ 2017, 1550 – juris Rn. 11 m.w.N.). Gemessen daran ist das Rechtschutzbegehren des Antragstellers aussichtslos.
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a) Die beabsichtigte Entschädigungsklage muss nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG spätesten sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Dies ist hinsichtlich der Verfahren Az. Au 4 K 20.927, Au 1 K 20.1055, 5 C 20.1938, Au 4 K 19.2156, Au 4 K 19.2157, Au 4 K 19.1679, Au 4 K 19.1680, M 10 K 17.661, Au 4 K 19.218, Au 4 K 19.219, Au 4 K 19.221, Au 4 K 19.222, Au 4 K 19.223 und 98 F 20.238 (vgl. Antragsschrift vom 1.4.2021, Nr. 1.3 bis 1.15 und 1.20) nicht der Fall.
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b) Die Verfahren Az. Au 4 K 20.1638 (Klageeingang am 15.9.2020; Verweisungsbeschluss vom 21.10.2020) und Az. Au 4 K 20.1639 (Klarstellung des Antragsbegehrens mit Schreiben vom 21.9. 2020; Verweisungsbeschluss vom 29.10.2020) wurden innerhalb kurzer Zeit abgeschlossen, sodass von einer „unangemessenen Dauer“ dieser Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG keine Rede sein kann.
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c) In den beim Verwaltungsgericht München noch anhängigen Verfahren betreffend die Verbescheidung mehrerer Dienstaufsichtsbeschwerden (Az. M 30 K 19.1911, M 30 K 19.1913, M 30 K 19.1914, M 30 K 19.1915; vgl. Antragsschrift vom 1.4.2021, Nr. 1.16 bis 1.19) hat der Antragsteller keine wirksamen Verzögerungsrügen erhoben.
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Eine Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird (vgl. § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG). Maßgeblich ist, wann ein Betroffener erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Ausgangsverfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 20). Auf ein rein subjektives Empfinden des Beteiligten kommt es hierbei nicht an. Vielmehr müssen objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet sind, zu einer unangemessenen Verfahrensdauer zu führen (vgl. BGH, U.v. 26.11.2020 – III ZR 61/20 – NJW 2021, 859 – juris Rn. 21; OVG NW, B.v. 15.2.2018 – 13 D 68/17 – juris Rn. 5 f. m.w.N.).
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Der Antragsteller hat nach der Verweisung der Verwaltungsstreitsachen an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht München (Beschlüsse vom 29.3.2019), wo die Verfahrensakten am 23. April 2019 eingegangen sind, mit Schreiben vom 4. April und 6. Mai 2019 (M 30 K 19.1911), 12. April, 9. und 19. Mai 2019 (M 30 K 19.1913), 15. April und 7. Mai 2019 (M 30 K 19.1914), sowie 16. April und 8. Mai 2019 (M 30 K 19.1915) Verzögerungsrügen erhoben bzw. wiederholt. Zu dieser Zeit befanden sich die Verwaltungsstreitsachen im Anfangsstadium des Prozesses, sodass der Antragsteller noch keine wirksame Verzögerungsrüge erheben konnte (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 20).
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2. Abgesehen davon ist auch nicht ersichtlich, dass sich der Antragsteller erfolglos darum bemüht hätte, einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt zu finden. Diese Voraussetzung muss er glaubhaft machen, wobei zum Nachweis entsprechender Bemühungen eine substanziierte Darlegung der von den Anwaltskanzleien angegebenen Ablehnungsgründe bzw. die Beifügung entsprechender Ablehnungsschreiben gehört (vgl. BVerwG, B.v. 28.3.2017 – 2 B 4.17 – NVwZ 2017, 1550 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 9.12.2019 – 5 C 19.2386 – BayVBl 2020, 816 – juris Rn. 3 m.w.N.; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 78b Rn. 4). Die vorgelegten Anschreiben (EMails) des Antragstellers an einige – ganz überwiegend außerhalb Bayerns ansässige – Rechtsanwaltskanzleien, die zudem mit zahlreichen Bedingungen und Vorgaben für eine etwaige Mandatsübernahme versehen waren, sind hierfür nicht ausreichend.
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B. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich, weil Gerichtskosten nicht entstehen und Kosten nicht erstattet werden (vgl. BVerwG, B.v. 20.11.2012 – 4 AV 2.12 – NJW 2013, 711 Rn. 11; BayVGH, B.v. 9.12.2019 – 5 C 19.2386 – BayVBl 2020, 816 – juris Rn. 4).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).