Titel:
Bestattung von Amts wegen im Wege der Ersatzvornahme rechtmäßig
Normenketten:
BayBestG Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, S. 2, Art. 15
BayBestV § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, § 15 S. 1
BGB § 242
BayAGBGB Art. 71
SGB XII § 74
Leitsätze:
1. Soweit ein bestattungspflichtiger Angehöriger seiner Bestattungspflicht nicht rechtzeitig nachkommt und entsprechende Anordnungen nicht möglich, nicht zulässig oder nicht erfolgversprechend sind, darf die Gemeinde die Bestattung an dessen Stelle von Amts wegen im Wege der Ersatzvornahme durchführen und die Erstattung der hierfür entstandenen Kosten verlangen. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Pflicht zur Erstattung der Kosten durch den Bestattungspflichtigen sieht Art. 14 Abs. 2 S. 2 BayBestG ein intendierendes Ermessen der Gemeinde vor, so dass nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ein Absehen von der Rückforderung überhaupt in Betracht kommt. (Rn. 52 – 53) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Kostenübernahme seitens des Sozialhilfeträgers nach § 74 SGB XII kann nur erfolgen, wenn der Betroffene zuvor durch die Gemeinde nach dem Bestattungsrecht zur Kostentragung verpflichtet wurde. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Entscheidung, welchen von mehreren Gesamtschuldnern die Gemeinde heranzieht, fällt in deren weiten Ermessensspielraum. (Rn. 57 – 59) (redaktioneller Leitsatz)
5. Durch den Erlass eines Erstattungsbescheids wird das gem. Art. 71 Abs. 1 S. 1 BayAGBGB grds nach drei Jahren eintretende Erlöschen des öffentlich-rechtlichen Anspruchs gehemmt, soweit die Frist zuvor nicht abgelaufen ist. (Rn. 63 – 65) (redaktioneller Leitsatz)
6. Die Verwirkung eines Rechts aus Gründen des Vertrauensschutzes setzt das Verstreichen eines längeren Zeitraums seit der Möglichkeit seiner Geltendmachung (sog. zeitliches Moment) sowie das Vorliegen besonderer Umstände (sog. Umstandsmoment) voraus, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben iSd § 242 BGB erscheinen lassen. (Rn. 66 – 80) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bestattungskosten, Finanzielle Zumutbarkeit, Erlöschen, Verwirkung, finanzielle Zumutbarkeit, Kostenerstattung, von Amts wegen, bestattungspflichtige Angehörige, intendierendes Ermessen, Gesamtschuldner, Erlöschen eines öffentlich-rechtlichen Anspruchs
Fundstelle:
BeckRS 2021, 6320
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags ab-wenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Verpflichtung zur Erstattung der Kosten für die von Amts wegen seitens der Beklagten durchgeführte Bestattung ihrer verstorbenen Mutter (Frau … geb., geboren am … in …).
2
Letztere verstarb am … im Klinikum … in M. (Blatt 1 sowie Blatt 41 der Behördenakte - BA).
3
Da sich bis zum 3. Februar 2017 noch niemand um die Bestattung der Verstorbenen gekümmert hatte, begann die Beklagte noch am selben Tag mit der Ermittlung bestattungspflichtiger Angehöriger (Bl. 6 d. BA).
4
Hierzu wandte sich die Beklagte zunächst mit Schreiben vom 3. Februar 2017 an die Stadtverwaltung …, die Geburtsstadt der Verstorbenen (Bl. 6 d. BA), sowie mit Schreiben gleichen Datums an die Verwaltung der … …, in einer deren Einrichtungen die Verstorbene zuletzt wohnhaft war (Bl. 8 d. BA).
5
Zudem ordnete die Beklagte mit Schreiben vom 3. Februar 2017 gegenüber der Städtischen Bestattung - Abholdienst an, die Verstorbene im Leihsarg abzuholen und im Friedhof zur Aufbahrung - Feuer zu hinterstellen (Bl. 11 d. BA). Hierfür entstanden Transportkosten und zusätzliche Benutzungsgebühren (z.B. Gebühren für die Kühlzelle in Höhe von 32 EUR täglich).
6
Mit Telefax vom 3. Februar 2017 teilte die … … der Beklagten mit, dass die Klägerin die Tochter der Verstorbenen sei (Bl. 15 d. BA).
7
Mit Schreiben vom 7. Februar 2017 (Bl. 16 / 17 d. BA) informierte die Beklagte die Klägerin über den Sterbefall und ihre diesbezüglich bestehende Bestattungspflicht und forderte diese gleichzeitig auf, sich um die Bestattung der Verstorbenen bis spätestens 13. Februar 2017 zu kümmern. Zugleich wies sie die Klägerin darauf hin, dass sie - falls sie ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkäme - eine Bestattung von Amts wegen durchführen müsse und sie die Klägerin anschließend mit kostenpflichtigem Bescheid zur Erstattung der angefallenen Bestattungskosten verpflichten würde.
8
Mit Schreiben vom 7. Februar 2020 (Bl. 18 d. BA) wandte sich die Beklagte zur Ermittlung weiterer Angehöriger an das Standesamt der Stadtverwaltung H. N., vor welchem die Verstorbene am … … … ihre (zweite) Ehe geschlossen hatte (siehe Bl. 25 - 29 d. BA).
9
Am 9. Februar 2017 kontaktierte die Klägerin die Beklagte telefonisch (Bl. 19 d. BA).
Hierbei teilte sie der Beklagten zunächst mit, sie habe noch eine jüngere Schwester, geboren am … … … in …: Frau … Weiter führte sie aus, dass sie zur Mutter nur ein schlechtes Verhältnis gehabt und auch zur Schwester keinen Kontakt habe. Außerdem erklärte sie, dass sie nicht so viel verdiene und daher nichts für die Bestattung zahlen möchte. Sie bat um Bedenkzeit, um sich mit ihrem Ehemann besprechen zu können.
10
Mit Anruf vom 13. Februar 2017 bei der Beklagten (Bl. 30 d. BA) erklärte die Klägerin, dass sie sich nicht um die Bestattung kümmern werde und dass sie bei dem für sie zuständigen Sozialhilfeträger (Bezirk Oberfranken) einen Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten gestellt habe.
11
Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit, dass sie deren Schwester noch nachträglich über das Ableben der Mutter informieren werde und wies die Klägerin des Weiteren darauf hin, dass es noch Wochen oder gar Monate dauern könne, bis sie - zwecks Anhörung hinsichtlich einer Verpflichtung zur Kostenerstattung - wieder kontaktiert werde.
12
Am 14. Februar 2017 ordnete die Beklagte die Bestattung der Verstorbenen von Amts wegen als Feuerbestattung mit Urnentrauerfeier und Beisetzung der Urne in einer … im … M. an (Bl. 31 bis 33 d. BA).
13
Ausweislich der Rechnung vom 17. März 2017 (Bl. 37 - 39 d. BA) entstanden hierfür Bestattungskosten in Höhe von insgesamt 2.678,51 EUR. Diese setzen sich zusammen aus Leistungen und Auslagen der Städtischen Bestattung in Höhe von 1.034,51 EUR sowie Gebühren der Städtischen Friedhöfe München in Höhe von 1.644,00 EUR.
14
Mit Schreiben vom 14. Februar 2017 (Bl. 34 d. BA) wurde die Klägerin über die durchgeführte Bestattung informiert.
15
Ebenfalls mit Schreiben vom 14. Februar 2017 (Bl. 35 / 36 d. BA) setzte die Beklagte die Schwester der Klägerin - nachdem deren Anschrift ermittelt werden konnte - über das Ableben ihrer Mutter sowie die von Amts wegen vorgenommene Bestattung in Kenntnis und teilte dieser ihre Absicht mit, diese - wie die Klägerin - als Gesamtschuldnerin zur Erstattung der entstandenen Bestattungskosten zu verpflichten.
16
Mit Schreiben vom 21. Februar 2017 (Bl. 40 d. BA) bat die Beklagte das Amtsgericht München mitzuteilen, ob dort im Rahmen des Erbverfahrens Angehörige bekannt seien.
17
Mit Schreiben vom 1. März 2017 bat die Beklagte den Bezirk Oberbayern als zuständigen Sozialhilfeträger der Verstorbenen u.a. um Mitteilung, ob diesem Angehörige sowie Konten, Vorsorge oder eine Sterbegeldversicherung der Verstorbenen bekannt sind.
18
Mit Schreiben vom 10. März 2017 teilte der Bezirk Oberbayern der Beklagten - neben der Existenz der beiden Töchter der Verstorbenen (Klägerin sowie deren Schwester) - mit, dass die Verstorbene über ein „Verwahrgeld Heim“ in Höhe von 314,48 EUR sowie ein Konto mit einem Betrag von 1,61 EUR verfügt habe.
19
Mit Schreiben vom 25. April 2017 bat die Beklagte gegenüber dem Altenheim an der …-Straße in M. um Mitteilung, ob für die Verstorbene ein Taschengeld bzw. Barbetragskonto geführt wurde, und gegebenenfalls um Überweisung zum Zwecke der Deckung der Bestattungskosten.
20
Das Altenheim überwies hieraufhin einen Betrag in Höhe von 314,46 EUR.
21
Mit Schreiben vom 12. Mai 2017 teilte das Amtsgericht München der Beklagten mit, dass eine Ermittlung von Erben der Verstorbenen von Amts wegen unterbleibt.
22
Mit Schreiben jeweils vom 14. September 2017 informierte die Beklagte die Klägerin (Bl. 48 - 50 d. BA) sowie deren Schwester (Bl. 51 - 53 d. BA) darüber, weshalb und in welcher Höhe sie diese zur Erstattung der entstandenen Bestattungskosten in Anspruch zu nehmen gedenkt, und gab ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme bis einschließlich 13. Oktober 2017. Auf die Möglichkeit, die Bezahlung der Bestattungskosten aus Sozialhilfemitteln zu beantragen, wurde hingewiesen.
23
Am 20. September 2017 teilte die Klägerin der Beklagten telefonisch mit, sie werde die ihr zugegangene Rechnung sowie sonstige Unterlagen dem zuständigen Sozialhilfeträger weiterleiten (Bl. 54 d. BA).
24
Am 4. Oktober 2017 erkundige sich der Bezirk O. telefonisch bei der Beklagten, ob auch die Schwester der Klägerin über den Sterbefall informiert worden sei. Dies wurde ihm positiv bestätigt. Der Bezirk O. erklärte daraufhin, dass er erst einmal abwarten werde, ob auch die Schwester der Klägerin einen Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten stellen werde.
25
Im Zeitraum zwischen Oktober 2017 und Mai 2020 erfolgte keine weitere Bearbeitung seitens der Beklagten, insbesondere keine weitere Kontaktierung der Klägerin oder deren Schwester.
26
Mit Schreiben vom 14. Mai 2020 an das Standesamt der Stadtverwaltung H. M. (Bl. 56 d. BA) sowie vom 19. Mai 2020 an das Standesamt der Stadtverwaltung H. E. (Bl. 60 d. BA) veranlasste die Beklagte im Wege der Amtshilfe die Übermittlung von Kopien der Geburtseinträge der Klägerin (siehe Bl. 57 d. BA) sowie deren Schwester (siehe Bl. 61 d. BA).
27
Mit Schreiben jeweils vom 22. Mai 2020 teilte die Beklagte der Klägerin (Bl. 72 - 76 d. BA) sowie deren Schwester (Bl. 77 - 81 d. BA) mit, dass die ausstehenden Bestattungskosten bislang noch nicht bezahlt worden seien und keine Bestätigung des zuständigen Sozialhilfeträgers vorliege, dass ein entsprechender Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten gestellt wurde, und informierte über den bevorstehenden Erlass der Zahlungsbescheide bzgl. der Verpflichtung zur Zahlung der Bestattungskosten i.H.v. 2364,05 EUR.
28
Mit Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 2020 (Bl. 82 - 89 d. BA), der Klägerin zugestellt am 29. Mai 2020 (Bl. 100 d. BA), wurde die Klägerin verpflichtet, die übrigen Bestattungskosten i.H.v. 2364,05 EUR zu bezahlen (Nr. 1). Des Weiteren wurden Kosten für den Bescheid i.H.v. 50 EUR sowie Auslagen i.H.v. 2,49 EUR erhoben (Nr. 2) und die Gesamtsumme aus Nr. 1 und Nr. 2 in Höhe von 2.416,54 EUR bis zum 29. Juni 2020 fällig gestellt (Nr. 3).
29
Im Rahmen der Begründung führte die Beklagte u.a. aus, dass von einer Kostenforderung nicht abgesehen werden könne, da die Gemeinden schon aus wirtschaftlichen Gründen (Art. 61 Abs. 2 Satz 1 GO) verpflichtet seien, die Kosten zu erheben, somit das in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG eingeräumte Ermessen in der Regel auf null reduziert sei. Des Weiteren würden weder das Bestattungsgesetz noch die Bestattungsverordnung eine Härtefallregelung vorsehen, die Frage der Zumutbarkeit der Kostentragung (z.B. wirtschaftliche Gründe oder die persönliche Nähe zum Verstorbenen) seien vielmehr nur im Verhältnis zum Sozialhilfeträger relevant, wenn die in Anspruch genommenen Bestattungspflichtigen die Übernahme der Bestattungskosten gemäß § 74 SGB XII beantragen. Die Klägerin hafte zusammen mit ihrer Schwester als Gesamtschuldnerin.
30
Ein Bescheid gleichen Inhalts wurde am selben Tag auch gegenüber der Schwester der Klägerin erlassen (Bl. 91 - 98 d. BA) und dieser am 29. Mai 2020 zugestellt (Bl. 101 d. BA).
31
Am ... Juni 2020 teilte die Klägerin der Beklagten telefonisch mit (Bl. 102 d. BA), dass sie bereits in der Vergangenheit sowie an diesem Tage erneut Kontakt mit dem zuständigen Sozialhilfeträger aufgenommen habe. Laut diesem sei der frühere Antrag der Klägerin untergegangen und werde nun erneut geprüft. Dies könne bis zu 14 Tage dauern. Die Klägerin sagte zu, den Bescheid an den Bezirk O. zu schicken und sich zu melden, sobald sie von diesem Informationen erhalte.
32
Mit Schriftsatz vom … Juni 2020, eingegangen bei Gericht am 25. Juni 2020, erhob die Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München, ohne einen bestimmten Antrag zu stellen.
33
Als Begründung brachte die Klägerin zunächst vor, sie sei finanziell selbst nicht in der Lage, die Kosten zu übernehmen. Aus diesem Grunde habe sie sich bereits am 25. Juli 2017 an den Bezirk Oberfranken als zuständigen Sozialhilfeträger gewandt und am 30. Oktober 2017 alle angeforderten Unterlagen zwecks Prüfung der Kostenübernahme an diesen übermittelt. Da sie bis zum 29. Mai 2020 (dem Tag der Zustellung des Leistungsbescheids) weder von der Beklagten noch vom Bezirk Oberfranken etwas gehört habe, sei sie davon ausgegangen, dass die Angelegenheit bereits durch den Sozialleistungsträger erledigt worden sei.
34
Die Klägerin ist daher der Auffassung, dass sie angesichts dieser Umstände sowie der Tatsache, dass sie der Beklagten bereits im Januar 2017 mitgeteilt habe, dass sie selbst zur Übernahme der Kosten finanziell nicht in der Lage sei, und bis zum Erlass des Leistungsbescheids mittlerweile drei Jahre vergangen seien, seitens der Beklagten nicht mehr in Anspruch genommen werden könne.
35
Mit Schriftsatz vom … Juni 2020, bei Gericht eingegangen am 24. Juni 2020, erhob auch die Schwester der Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte, den Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 2020 aufzuheben.
36
Mit Schriftsatz vom 8. Juli 2020, beantragte die Beklagte,
37
Zur Begründung führte die Beklagte insbesondere aus, dass sich die Bestattungs- bzw. Kostenerstattungspflicht ausschließlich nach dem Verwandtschaftsverhältnis richte, Ausnahmen von der Rechtsprechung nur dann vorgesehen seien, wenn sich der Verstorbene seinen Kindern gegenüber schwerster Verfehlungen schuldig gemacht habe, wofür hier jedoch keinerlei Hinweise gegeben seien. Die Zumutbarkeit der Kostentragungspflicht habe nur der Sozialhilfeträger zu prüfen, wenn die Übernahme der Bestattungskosten nach § 74 SGB XII beantragt wird. Die Beklagte habe die Klägerin auf diese Möglichkeit mehrfach hingewiesen. Ob und inwieweit der Erstattungsantrag beim Sozialhilfeträger gestellt wurde, sowie dessen Erfolgsaussichten spielten für die Rechtmäßigkeit des vorliegend angefochtenen Leistungsbescheides keine Rolle.
38
Des Weiteren führte die Beklagte aus, dass ihrer Auffassung nach ihr Anspruch auf Erstattung der Bestattungskosten auch nicht unter dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) oder aus Gründen des Vertrauensschutzes bereits deshalb als verwirkt anzusehen sei, da die Klägerin, nachdem sie mit Schreiben der Beklagten vom 14. September 2017 angehört sowie am 30. Oktober 2017 die Unterlagen zur Kostenerstattung an den zuständigen Sozialhilfeträger gesandt hatte, bis zum 22. Mai 2020 nichts mehr von der Beklagten gehört habe und sich auch der Sozialhilfeträger nicht mehr bei der Klägerin gemeldet habe. Zunächst sei im Rahmen der Eingriffsverwaltung ein Verwaltungshandeln erst dann beendet, wenn die Verwaltung dies erklärt. Innerhalb der Festsetzungsfrist des § 71 AGBGB könne die Beklagte den Kostenersatz daher immer geltend machen, Vertrauensschutz bestünde insoweit nicht. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen: Wäre die Klägerin ihrer Bestattungspflicht nachgekommen, hätte sie vom Bestattungsunternehmen bereits eine Rechnung erhalten. Da sie sich jedoch geweigert habe, sich um die Bestattung ihrer Mutter zu kümmern, so dass die Bestattung vielmehr auf Veranlassung der Beklagte in ihrer Funktion als Ordnungsbehörde habe durchgeführt werden müssen, müsse die Klägerin es hinnehmen, dass die Beklagte den Zeitpunkt der Geltendmachung bestimmte. Die Betroffenen seien durch die 3-jährige Festsetzungsfrist des § 71 AGBGB hierbei ausreichend geschützt. Dieser Schutz sei sogar weitreichender als im Falle einer - dem Privatrecht unterliegenden - Beauftragung eines Bestattungsunternehmens durch die Klägerin selbst, da die Behörde im Falle des § 71 AGBGB - anders als bei der Verjährung im Privatrecht - den Anspruch nicht einmal mehr geltend machen dürfe.
39
Des Weiteren setzte die Beklagte das Mahn- und Betreibungsverfahren bis zur Entscheidung über die Klage aus.
40
Die Beteiligten haben mit Telefax vom 8. März 2021 (Klägerin) bzw. Schriftsatz vom 17. Februar 2021 (Beklagte) auf mündliche Verhandlung verzichtet.
41
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
42
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten dem zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
43
Das Gericht legt die ohne einen bestimmten Antrag erhobene Klage gem. § 88 VwGO dahingehend aus, dass die Klägerin die vollumfängliche Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 27. Mai 2020 begehrt.
44
Die so verstandene Klage ist zulässig, aber unbegründet.
45
Der Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
46
1. Die unter Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides ausgesprochene Verpflichtung der Klägerin, die für die Bestattung der verstorbenen Mutter der Klägerin angefallenen Kosten in Höhe von 2.364,05 EUR zu bezahlen, ist rechtmäßig.
47
Rechtsgrundlage für die Verpflichtung der Klägerin ist Art. 14 Abs. 2 Satz 2 Bestattungsgesetz (BestG). Danach kann die Gemeinde von einem Bestattungspflichtigen Ersatz der notwendigen Kosten verlangen, wenn sie gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG selbst oder durch vertraglich Beauftragte für die Bestattung und die ihr vorausgehenden notwendigen Verrichtungen sorgen musste, weil der nach § 15 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Bestattungsgesetzes (Bestattungsverordnung - BestV) Bestattungspflichtige seiner Bestattungspflicht nicht nachgekommen ist und Anordnungen nach Art. 14 Abs. 1 BestG nicht möglich, nicht zulässig oder nicht erfolgsversprechend waren.
48
a) Vorliegend sind nicht nur die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG für das Entstehen des geltend gemachten Erstattungsanspruches dem Grunde wie der geltend gemachten Höhe nach erfüllt, sondern - soweit die Verpflichtung im Übrigen in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt war - ist seitens der Beklagten das Ermessen auch gemäß Art. 40 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechend ausgeübt worden.
49
aa) Die Entscheidung der Beklagten, die Klägerin dem Grunde nach zur Erstattung der von Amts wegen durchgeführten Bestattung ihrer Mutter als Gesamtschuldnerin zu verpflichten, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
50
(1) Die Klägerin gehört als Tochter der Verstorbenen - wie gleichrangig auch ihre Schwester - zum Kreis derjenigen Angehörigen, die gemäß Art. 15 Abs. 1 BestG i.V.m. § 15 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 lit. b BestV bestattungspflichtig sind.
51
Die Bestattung durfte vorliegend auch von Amts wegen im Wege der Ersatzvornahme nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG durch die Beklagte durchgeführt werden. Ausweislich Art. 14 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 BestG hat die Beklagte - gegebenenfalls mittels Anordnung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BestG - vorrangig zu veranlassen, dass die Bestattung des Verstorbenen rechtzeitig durch die nach Art. 15 Abs. 1 BestG bestattungspflichtigen Angehörigen erfolgt (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BestG). Nur soweit diese ihrer Bestattungspflicht nicht rechtzeitig nachkommen und entsprechende Anordnungen nicht möglich, nicht zulässig oder nicht erfolgsversprechend sind, darf die Beklagte die Bestattung an deren Stelle von Amts wegen im Wege der Ersatzvornahme durchführen (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG) und die Erstattung der hierfür entstandenen Kosten verlangen (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG). Vorliegend hatte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 7. Februar 2017 aufgefordert, sich bis 13. Februar 2017 (also bis zum 17. Tag nach Versterben ihrer Mutter) um die Bestattung zu kümmern, was diese jedoch telefonisch am 13. Februar 2017 verweigerte. Eine Anordnung gegenüber der Schwester der Klägerin als weitere dem Grundsatz nach bestattungspflichtige Angehörige kam vorliegend nicht in Betracht, da die Beklagten deren Kontaktdaten erst zu einem Zeitpunkt ermitteln konnte, als eine rechtzeitige Bestattung auf diese Weise nicht mehr hätte gewährleistet werden können.
52
(2) Soweit Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG darüber hinaus die Entscheidung, ob ein Bestattungspflichtiger zur Kostenerstattung herangezogen werden soll, in das Ermessen der Behörde stellt („kann“), handelt es sich um einen Fall des intendierten Ermessens, d.h. in der Regel ist nur die Entscheidung für die Inanspruchnahme des Pflichtigen ermessensfehlerfrei. Dies folgt aus der Zweckrichtung der Regelung in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG, wonach es regelmäßig ohne Ansehung der tatsächlichen persönlichen Beziehung des Pflichtigen zum Verstorbenen dem Interesse der Allgemeinheit an der rechtmäßigen, wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung von Steuergeldern entspricht, die durch die Gemeinde verauslagten Bestattungskosten vom Bestattungspflichtigen zurückzufordern. Einer Darlegung der Ermessenserwägungen bedarf es hier nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die ein Absehen von der Rückforderung rechtfertigen könnten (BayVGH, B.v. 9.6.2008 - 4 ZB 07.2815 - juris Rn. 6).
53
Solche außergewöhnlichen Umstände kommen nur bei schweren Straftaten des Verstorbenen zulasten des an sich Bestattungspflichtigen in Betracht, die grundsätzlich zu einer Verurteilung des Verstorbenen geführt haben müssen (HessVGH, U.v. 26.10.2011 - 5 A 1245/11 - juris; BayVGH, B.v. 9.6.2008 a.a.O.; BayVGH, U.v. 17. 1. 2013 - 4 ZB 12.2374). Ein lediglich „nicht gutes Verhältnis“ zwischen Verstorbenem und Inanspruchgenommenem - wie vorliegend seitens der Klägerin vorgebracht - ist hierfür noch nicht ausreichend.
54
(3) Des Weiteren spielt es - im Verhältnis zwischen dem Rechtsträger der zuständigen Ordnungsbehörde und den bestattungspflichtigen Angehörigen - hinsichtlich der Frage, ob diese überhaupt zur Erstattung verpflichtet werden können, keine Rolle, ob die Verpflichteten finanziell zur Zahlung überhaupt in der Lage sind oder ihre finanzielle Lage derart prekär ist, dass eine Verpflichtung zur Zahlung bzw. deren zwangsweise Durchsetzung unzumutbar ist.
55
Im Falle der (finanziellen) Unzumutbarkeit kann vielmehr die Übernahme der Bestattungskosten gemäß § 74 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) beim zuständigen Sozialhilfeträger beantragt werden, welcher in diesem Zusammenhang auch zu prüfen hat, ob ein Fall der (finanziellen) Unzumutbarkeit gegeben ist. Eine Kostenübernahme seitens des Sozialhilfeträgers kann jedoch nur erfolgen, wenn der Betroffene zuvor seitens der Ordnungsbehörde nach Bestattungsrecht zur Kostentragung verpflichtet wurde. Damit die Betroffenen - während der Prüfung durch den Sozialhilfeträger - nicht einer Vollstreckung seitens der Ordnungsbehörde ausgesetzt sind, kann die Behörde - wie vorliegend auch seitens der Beklagten geschehen - das Mahn- und Beitreibungsverfahren zur Durchsetzung der zunächst ausgesprochenen Verpflichtung aussetzen.
56
(4) Auch die Entscheidung der Beklagten, die Klägerin neben ihrer Schwester für die Kostenerstattung als Gesamtschuldner heranziehen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
57
Grundsätzlich fällt die Entscheidung, welchen von mehreren Gesamtschuldnern die Beklagte heranzieht, in deren weiten Ermessenspielraum. Grenzen ergeben sich lediglich durch das Willkürverbot und offenbare Unrichtigkeiten. Ausreichend ist deshalb, wenn die Wahl des Schuldners unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität geeignet und zweckmäßig erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.1993 - 8 C 57/91 - NJW 1993, 1667; VG München, U.v. 30.9.2004 - M 10 K 04.2800 - juris).
58
Jedoch soll die Beklagte, wenn mehrere Bestattungspflichtige vorhanden sind, gemäß Art.15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 BestG i.V.m. § 15 Satz 2 BestV bei ihrer Auswahl den Grad der Verwandtschaft bzw. Schwägerschaft berücksichtigen. Verwaltungsrechtliche Sollvorschriften dieser Art sind im Regelfall für die mit ihrer Durchführung betraute Behörde rechtlich zwingend und verpflichten sie, so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist. Nur wenn Umstände vorliegen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Behörde anders verfahren als im Gesetz vorgesehen und nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden (BVerwG, U.v. 2.7.1992 - 5 C 39.90 - BVerwGE 90, 275/278).
59
Vorliegend sind die Voraussetzungen einer gesamtschuldnerischen Haftung nach § 421 BGB erfüllt, da die Klägerin und ihre Schwester denselben Verwandtschaftsgrad zur Verstorbenen aufweisen. Unterschiede in der finanziellen Leistungsfähigkeit der einzelnen Angehörigen führen nicht dazu, dass die Behörde - in einer Art Sozialauswahl - nur den leistungsfähigeren Angehörigen verpflichten darf, da - wie bereits oben angeführt - auch leistungsschwächere Verpflichtete bestattungspflichtig und bei finanzieller Unzumutbarkeit über § 74 SGB XII ausreichend geschützt sind.
bb) Auch die Höhe der geltend gemachten Kosten ist nicht zu beanstanden.
60
Die Klägerin ist gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG zur Erstattung der notwendigen Kosten der Bestattung verpflichtet. Notwendige Kosten der Bestattung sind sämtliche Kosten der Beklagten, die diese zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG aufwenden musste, um eine angemessene Bestattung in einfacher, aber würdiger und ortsüblicher Form zu gewähren (vgl. VGH BadenWürttemberg, U.v. 25.9.2001 - 1 S 974/01 - juris; a.A. VGH Baden-Württemberg, U.v. 15.11.2007 - 1 S 1471/07 - juris). Der Kostenrahmen darf hierbei den in § 74 SGB XII vorgegebenen erstattungsfähigen Rahmen nicht überschreiten.
61
Die vorliegend festgesetzten Kosten sind angemessen. Die im Rahmen der Ersatzvornahme veranlasste Bestattung beschränkte sich auf das Minimum, welches für eine ordentliche und würdevolle Bestattung notwendig ist. Die erhobenen Kosten entsprachen den örtlichen Verhältnissen. Für die Leistungen und Auslagen der Städtischen Bestattung sind Kosten in Höhe von 1.034,51 EUR angefallen sowie Friedhofsgebühren in Höhe von 1.644,00 EUR, somit insgesamt 2.678,51 EUR. Da durch die Auszahlung des Taschengeldes der Verstorbenen in Höhe von 314,46 EUR, welches die Verstorbene zum Zeitpunkt ihres Ablebens in ihrer Seniorenresidenz hatte, die Kosten teilweise beglichen wurden, reduzierten sich die noch offenen Kosten auf 2.364,05 EUR.
62
b) Der Anspruch der Beklagten auf Erstattung der Bestattungskosten ist - entgegen der Auffassung der Klägerin - auch nicht in der Zwischenzeit infolge zu später Geltendmachung / Verwirkung erloschen.
63
aa) Gemäß Art. 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Gesetz zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (AGBGB) erlöschen die auf eine Geldzahlung gerichteten öffentlich-rechtlichen Ansprüche einer bayerischen Gemeinde, soweit nichts anderes bestimmt ist, in drei Jahren, wobei gem. Art. 71 Abs. 1 Satz 2 AGBGB die Frist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Berechtigte von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Verpflichteten Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste, jedoch nicht vor dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Gemäß Art. 71 Abs. 2 Hs. 2 AGBGB i.V.m. Art. 53 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG wird der Lauf der Frist durch einen Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruches erlassen wird, gehemmt, mit der Wirkung, dass der Zeitraum in die Frist nicht eingerechnet wird, Art. 71 Abs. 2 Hs. 1 AGBGB i.V.m. § 209 BGB.
64
Vorliegend erlangte die Beklagte im Februar 2017 sowohl von den den Anspruch begründenden Umständen als auch von der Person der Klägerin Kenntnis. Die Frist begann daher gem. Art. 71 Abs. 1 Satz 2 AGBGB mit Ablauf des Jahres 2017 zu laufen und hätte demnach - ohne eine vorherige Hemmung - grundsätzlich mit Ablauf des Jahres 2020 geendet.
65
Durch Erlass des streitgegenständlichen Bescheides am 27. Mai 2020, der der Klägerin am 29. Mai 2020 und damit noch vor Ablauf des Jahres 2020 zugestellt wurde, wurde ein Erlöschen des Anspruchs gemäß Art. 53 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG jedoch rechtzeitig durch Feststellung des Anspruches gehemmt.
66
bb) Der Anspruch der Beklagten ist vorliegend auch nicht unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) aus Gründen des Vertrauensschutzes deshalb als verwirkt anzusehen, da die Klägerin, nachdem sie mit Schreiben der Beklagten vom 14. September 2017 angehört sowie am 30. Oktober 2017 die Unterlagen zur Kostenerstattung an den zuständigen Sozialhilfeträger gesandt hatte, bis zum 22. Mai 2020 nichts mehr von der Beklagten hörte und sich auch der Sozialhilfeträger nicht mehr bei ihr meldete.
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(1) Die Verwirkung eines Rechts aus Gründen des Vertrauensschutzes setzt das Verstreichen eines längeren Zeitraums seit der Möglichkeit seiner Geltendmachung (sog. zeitliches Moment) sowie das Vorliegen besonderer Umstände (sog. Umstandsmoment) voraus, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (BVerwG, 16.04.2002 - 4 B 8.02).
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Auf Ebene des Umstandsmomentes ist - für die Begründung von Vertrauensschutz zu Gunsten des Verpflichteten mit der Folge der Verwirkung des Rechtes seitens des Berechtigten - insbesondere entscheidend, ob durch ein, dem Berechtigten zurechenbares, Verhalten (aktives Tun, Dulden oder Unterlassen) auf Seiten des Verpflichteten die Erwartungshaltung entstand, er würde für die bestehende Verpflichtung nicht bzw. nicht mehr herangezogen (Vertrauen), der Verpflichtete - aus seiner Perspektive heraus - dies den Umständen nach auch derart verstehen durfte (schutzwürdiges Vertrauen) und der Berechtigte die Entstehung des schutzwürdigen Vertrauens zu vertreten hat (Verantwortung), so dass er mit dem Verlust seines Rechts im Wege der Verwirkung belastet werden darf.
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Zeit- sowie Umstandselement stehen insoweit nicht isoliert als kumulative Voraussetzungen nebeneinander, sondern ergänzen sich in ihrer Indiz- bzw. Argumentationswirkung gegenseitig:
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Je größer der zwischen Entstehung und Ausübung des Rechts verstrichene Zeitraum ist, desto geringer sind - ab einer gewissen Dauer - die spezifischen Anforderungen an die konkreten, Vertrauensschutz zu Gunsten des Verpflichteten begründenden (sonstigen) Umstände. Ein sehr langer Zeitraum kann eine geschützte Vertrauensstellung indizieren, wobei eine solche Indizierung jedenfalls für solche Zeitspannen ausscheidet, für welche der Gesetzgeber eine Frist für die Geltendmachung bestimmt hat (etwa Verjährungs- oder Festsetzungsfristen), wie vorliegend die Festsetzungsfrist in Art. 71 AGBGB.
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Umgekehrt können speziell gelagerte Umstände auch schon nach sehr kurzer Zeit zu einer Verwirkung des Rechts führen, etwa wenn der Berechtigte gegenüber dem Verpflichteten zunächst explizit seinen Verzicht auf das später dann dennoch geltend gemachte Recht erklärt.
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(2) Unter Anwendung der soeben dargestellten Grundsätze ist eine Verwirkung des Anspruches vorliegend zu verneinen.
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Zwischen dem Anhörungsschreiben der Beklagten vom 14. September 2017 bzw. der Übermittlung der Unterlagen an den Sozialhilfeträger am 30. Oktober 2017 und dem nächsten Schreiben der Beklagten vom 22. Mai 2020 verging ein Zeitraum von rund zwei Jahre und acht bzw. sechseinhalb Monaten. Die dreijährige Festsetzungsfrist des Art. 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGBGB wurde hierbei nicht überschritten (s.o.). Es bedürfte daher eines durch die Beklagte gesetzten und ihr zurechenbaren Umstandsmoments, wodurch auf Seiten der Klägerin ein schutzwürdiges Vertrauen entstanden wäre.
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Das Vertrauen der Klägerin, die Zahlungsverpflichtung habe sich - etwa infolge Zahlung des Sozialhilfeträgers unmittelbar an die Beklagte - bereits erledigt, gründete sich - nach eigener Aussage - jedoch allein darauf, dass sie über mehr als zweieinhalb Jahre weder seitens der Beklagten noch seitens des Sozialhilfeträgers kontaktiert wurde, mithin auf ein temporäres Unterlassen sowohl der Beklagten wie auch des Sozialhilfeträgers.
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Das Verhalten des Sozialhilfeträgers kann der Beklagten schon nicht zugerechnet werden. Die Beklagte kann für ein etwaiges Organisationsverschulden eines anderen Rechtsträgers nicht verantwortlich gemacht werden, zumal die Beklagte dieses nicht wiederum durch ein Verhalten ihrerseits herbeigeführt hat.
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Darüber hinaus hätte die Klägerin nicht blind darauf vertrauen dürfen, dass ihrem Antrag, obwohl sie diesbezüglich nie eine Bestätigung erhalten hat, stattgegeben und eine entsprechende Zahlung veranlasst wurde. Vielmehr hätte sich die Klägerin zumindest beim Sozialhilfeträger erkundigen müssen, ob ihr Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten bearbeitet und genehmigt sowie eine entsprechende Zahlung an die Beklagte veranlasst wurde. Dies tat die Klägerin jedoch gerade nicht. Vielmehr stützte sie ihr Vertrauen einzig und alleine darauf, dass sie weder vom zuständigen Sozialhilfeträger noch von der Beklagten eine weitere Rückmeldung erhielt.
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Die Beklagte hat keinen Umstand gesetzt, aufgrund dessen die Klägerin hätte darauf vertrauen dürfen, dass sie für die Bestattungskosten ihrer Mutter nicht mehr in Anspruch genommen wird. Insbesondere kommt nach den allgemein geltenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung bloßem Schweigen in der Regel noch kein Erklärungswert zu. Dies ist ausnahmsweise nur dann der Fall, wenn dies entweder explizit gesetzlich bestimmt ist, wobei dies in der Regel eines vorherigen expliziten Hinweises auf die Konsequenzen eines etwaigen Schweigens voraussetzt, oder ganz ausnahmsweise dem Schweigen in bestimmten Situationen nach allgemeiner Verkehrssitte ein bestimmter Erklärungswert zugestanden wird.
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Wie die Beklagte in ihrer Klageerwiderung zu Recht eingewandt hat, ist im Rahmen der Eingriffsverwaltung ein Verwaltungshandeln grundsätzlich erst beendet, wenn die Verwaltung dies erklärt. Bloßem Schweigen - noch dazu innerhalb der Festsetzungsfrist - kommt demnach schon nach allgemeiner Verkehrssitte grundsätzlich kein Erklärungswert zu (§ 157 BGB analog).
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Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Beklagte bei der Aufforderung gegenüber der Klägerin, ihrer Bestattungspflicht nachzukommen sowie der - nach Weigerung der Klägerin - im Wege der Ersatzvornahme vorgenommenen Anordnung der Bestattung von Amts wegen, in einem deutlich kürzeren zeitlichen Rahmen agierte. Aus Gründen des Seuchenschutzes und der Gefahrenabwehr ist zur Bestattung von Verstorbenen ein enges Zeitfenster einzuhalten. Jegliche Verzögerungen sind zu vermeiden. Solche Dringlichkeitsgründe, welche ein zügiges Handeln der Gemeinde erfordern, sind bei bloßen Zahlungsansprüchen aufgrund einer Ersatzvornahme nicht gegeben, da die Gefahrenquelle bereits durch die Ersatzvornahme beseitigt wurde. Aus diesem Grund können Kostenbescheide zur Übernahme der durch eine Ersatzvornahme angefallenen Kosten auch mit größerem zeitlichem Abstand zum Grundverwaltungsakt erlassen werden. Der Gesetzgeber räumt - anders als bei der Bestattungsfrist (siehe § 19 Abs. 1 BestV) - der Behörde hierbei auch eine deutlich längere Festsetzungsfrist (Art. 71 AGBGB) ein, welche vorliegend nicht überschritten wurde.
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Das seitens der Klägerin entstandene Vertrauen dahingehend, die Zahlungsverpflichtung habe sich bereits erledigt, war demnach weder rechtlich schützenswert noch die Beklagte für das entstandene Vertrauen verantwortlich zu machen.
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2. Auch die in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids ausgesprochene Verpflichtung der Klägerin, die für die Erteilung des Bescheides angefallenen Gebühren in Höhe von 50 EUR sowie die für die Postzustellung angefallenen Auslagen in Höhe von 2,49 EUR zu zahlen, ist rechtmäßig.
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Rechtsgrundlage für die festgesetzten Gebühren sind §§ 1, 2 Abs. 1, 3 der städtischen Kostensatzung i.V. m. Art. 6 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Kostengesetz. Rechtsgrundlage für die Erstattung der Auslagen sind §§ 1, 3 Abs. 2 Nr. 2 der Kostensatzung.
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3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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4. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.