Inhalt

OLG Bamberg, Urteil v. 28.09.2021 – 5 U 42/21
Titel:

Schadensersatz, Berufung, Fahrzeug, Software, Zulassung, untersagung, Anspruch, Kenntnis, Schaden, Feststellungsklage, Klage, Form, Leistung, Betrieb, unerlaubte Handlung, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, keinen Erfolg

Schlagworte:
Schadensersatz, Berufung, Fahrzeug, Software, Zulassung, untersagung, Anspruch, Kenntnis, Schaden, Feststellungsklage, Klage, Form, Leistung, Betrieb, unerlaubte Handlung, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, keinen Erfolg
Vorinstanz:
LG Coburg, Endurteil vom 12.01.2021 – 23 O 477/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 24.07.2023 – VIa ZR 338/21
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63131

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 12.01.2021, Az. 23 O 477/20, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.262,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 09.09.2020 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits 1. und 2. Instanz tragen der Kläger 83% und die Beklagte 17%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger und die Beklagte können jeweils die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz für den Kauf zweier Fahrzeuge, in denen ein von der Beklagten entwickelter und gebauter Dieselmotor des Typs EA 189 eingebaut ist.
2
Der Kläger erwarb am 21.02.2012 das Fahrzeug T. von einem Autohaus als Neufahrzeug zu einem Preis von 27.000,01 €, das er am 22.08.2017 mit einem Kilometerstand von 83.000 km für 13.000,00 € an einen Dritten weiterveräußerte.
3
Der Kläger erwarb zudem am 27.02.2014 das Fahrzeug B. von einem Autohaus als Neufahrzeuge zu einem Preis von 18.100,00 €, das er am 30.04.2015 mit einem Kilometerstand von 9.250 km für 16.500,00 € an einen Dritten weiterveräußerte.
4
Die Fahrzeuge wurden von der Beklagten entwickelt und gebaut. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Der Motor beider Fahrzeuge verfügte über eine Software, die eine Veränderung der ausgestoßenen Stickoxid-Emissionswerte im behördlichen Prüfverfahren auf dem Prüfstand herbeiführte und so bewirkte, dass bei der Messung auf dem Prüfstand geringere Abgaswerte, als sie im Normalbetrieb ausgestoßen werden, erzeugt und gemessen wurden. Die Software erkannte, wenn sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befand und der Prüfung des neuen europäischen Fahrzyklus unterzogen wurde. In diesem Fall schaltete die Software die Motorsteuerung in den Abgasrückführungsmodus 1, bei dem ein stickoxidoptimierter Ausstoß bewirkt wurde, weil mehr produziertes Abgas über die Abgasrückführung in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeführt wurde. Dieser Betriebsmodus 1 wurde nur aktiviert, wenn sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befunden hat. Der Betriebsmodus 0, der im normalen Straßenbetrieb die Motorsteuerung regelt, wurde dabei nicht in Betrieb gesetzt. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
5
Am 22.09.2015 gab die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung sowie eine gleichlautende Presseerklärung heraus, in denen der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde, dass in Konzernfahrzeugen der Beklagten mit einem Dieselmotor EA 189 eine Software eingebaut ist, die zu auffälligen Abweichungen der Abgaswerte zwischen Prüfstandsbetrieb und realem Fahrbetrieb führte. Sowohl in den regionalen und überregionalen Printmedien als auch im Fernsehen und im Rundfunk sowie im Internet wurde darüber überregional und ausführlich berichtet.
6
Der Kläger hat vorgetragen, dass die Zulassung des Motors zum Betrieb im öffentlichen Verkehr und die Typengenehmigung der Fahrzeuge durch den Einsatz der o.g. Software im Wege der Täuschung von der Beklagten erschlichen worden seien. Ohne die Täuschung hätte der Motor keine Zulassung erhalten, da er die gesetzlich vorgeschriebenen Werte nicht habe einhalten können. Es habe daher die Stilllegung der Fahrzeuge durch die Behörden gedroht. Dies sei im Zeitpunkt der Produktion und Inverkehrgabe der Fahrzeuge bzw. des Motors der Beklagten, insbesondere deren Vorständen bekannt gewesen. Hierdurch sei dem Kläger ein Schaden entstanden, der im Abschluss der Kaufverträge und den hierauf aufgewendeten Zahlungen liege. Der Anspruch sei nicht verjährt. Dem Kläger sei es aufgrund der unklaren Rechtslage nicht zumutbar gewesen, Klage zu erheben.
7
Der Kläger hat in der ersten Instanz mit seiner am 18.08.2020 erhobenen, der Beklagten am 08.09.2020 zugestellten Klage die im Ersturteil enthaltenen Anträge gestellt.
8
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
9
Die Beklagte hat u. a. die Einrede der Verjährung erhoben.
10
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
11
Das Landgericht hat der Klage mit Endurteil vom 12.01.2021 teilweise stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Ansprüche nicht verjährt und die Beklagte deshalb nicht berechtigt sei, die Leistung zu verweigern. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
12
Mit der Berufung wiederholt und vertieft die Beklagte ihren Vortrag aus dem Verfahren 1. Instanz und vertritt die Rechtsansicht, dass die Ansprüche verjährt seien.
13
Der Kläger hat seine Berufung zurückgenommen.
14
Die Beklagte beantragt,
das am 12.01.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Coburg, Aktenzeichen 23 O 477/20 im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
15
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
16
Er verteidigt das Ersturteil. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungserwiderung vom 14.07.2021 (Bl. 105 ff. d. A.) Bezug genommen.
17
Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien nimmt der Senat Bezug auf die Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen.
B.
18
Die zulässige Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.
I.
19
Zwar ist ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 826, § 31 BGB in Höhe von 5.966,30 € (5.036,00 € für den T., 930,30 € für den B.) entstanden, weil die Beklagte dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt hat.
20
Dieser Anspruch ist aber nicht durchsetzbar, § 214 BGB, weil verjährt.
21
1. Hinsichtlich der rechtlichen Begründung schließt sich der Senat den Rechtsausführungen des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 25.05.2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19 (veröffentlicht u. a. in NJW 2020, 1062) in vollem Umfang an und macht sich diese zu eigen. Dem Kläger ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten insbesondere ein Schaden entstanden, der in dem Abschluss der Kaufverträge liegt (BGH a.a.O., Rn. 44). Die Kausalität ist zu bejahen, weil davon auszugehen ist, dass der Kläger die Fahrzeuge nicht gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass diesen eine Betriebsbeschränkung oder – untersagung droht (BGH a.a.O., Rn. 49). Der Kläger hat auch hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands der Beklagten von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung dargelegt, so dass die Beklagte im Hinblick auf § 31 BGB eine sekundäre Darlegungslast trifft, der sie nicht nachgekommen ist.
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2. Dem Kläger ist durch den Abschluss des Kaufvertrags über das Fahrzeug T. ein Schaden in Höhe des Kaufpreises von 27.000,01 € und durch den Abschluss des Kaufvertrags über das Fahrzeug B. ein Schaden in Höhe des Kaufpreises in Höhe von 18.100,00 € entstanden. Von diesem Schadensbetrag sind jedoch die vom Kläger gezogenen Nutzungen und erzielten Veräußerungserlöse im Wege des Vorteilausgleichs abzuziehen.
23
Der Senat nimmt die Anrechnung linear durch Multiplikation des Bruttokaufpreises mit den gefahrenen Kilometern, geteilt durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt des Fahrzeugs vor. Dies ist zulässig (BGH a.a.O., Rn. 79 ff.; Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 397/19, Rn. 35 f.). Der Senat hält unter Berücksichtigung des betroffenen Fahrzeugtyps den Ansatz einer voraussichtlichen Gesamtlaufleistung von 250.000 km für sachgerecht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Motoren der Beklagten zwar eine überdurchschnittliche Qualität haben. Es ist jedoch zu beachten, dass allgemein Fahrzeuge, die eine Laufleistung von mehr als 250.000 km aufweisen, auf dem Markt wegen der durch den Betrieb entstandenen Abnutzung aller Fahrzeugteile nahezu keinen nennenswerten wirtschaftlichen Verkehrswert mehr haben.
24
Der Kläger hat mit dem T. bis zur Weiterveräußerung 83.000 km und mit dem B. 9.250 km zurückgelegt.
25
Dies ergibt vorliegend einen auszugleichenden Gebrauchsvorteil für den T. in Höhe von 8.964,01 € und für den B. in Höhe von 669,70 €.
26
Insgesamt ist dem Kläger daher nach Abzug der Nutzungen und der erzielten Verkaufserlöse ein Anspruch in Höhe von 5.036,00 € für den T. und in Höhe von 930,30 € für den B. entstanden.
27
3. Die Beklagte kann die Leistung jedoch nach § 214 Abs. 1 BGB verweigern, da der Anspruch auf Schadensersatz verjährt ist. Die Verjährungsfrist hat spätestens mit Ablauf des Jahres 2016 zu laufen begonnen und endete am 31.12.2019. Die am 18.08.2020 erhobene Klage konnte sie daher nicht mehr hemmen.
28
a) Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist 3 Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
29
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorhanden, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellt nur auf die Kenntnis der tatsächlichen Umstände ab, mithin des Lebenssachverhalts, der die Grundlage des Anspruchs bildet. Dabei ist weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Die erforderliche Kenntnis ist vielmehr bereits vorhanden, wenn die dem Geschädigten bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners als naheliegend erscheinen zu lassen. Es muss dem Geschädigten lediglich zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt ist, Klage zu erheben, wenn auch mit dem verbleibenden Prozessrisiko, insbesondere hinsichtlich der Nachweisbarkeit von Schadensersatz auslösenden Umständen. Die dreijährige Verjährungsfrist gibt dem Geschädigten dann noch hinreichende Möglichkeiten, sich für das weitere Vorgehen noch sicherere Grundlagen, insbesondere zur Beweisbarkeit seines Vorbringens, zu verschaffen (BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20, juris Rn. 8 m. w. N.).
30
Grob fahrlässig handelt der Gläubiger, wenn seine Unkenntnis darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 23.09.2008 – XI ZR 395/07, juris Rn. 14). Es muss ihm persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in eigenen Angelegenheiten bei der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können (BGH, Urt. v. 10.11.2009 – VI ZR 247/08, juris Rn. 13). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Geschädigte, der sich die Kenntnisse in zumutbarer Weise, ohne nennenswerte Mühe beschaffen könnte, die auf der Hand liegenden Erkenntnismöglichkeiten nicht ausnutzt. Dabei besteht jedoch für den Gläubiger keine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiativen zur Klärung von Schadenshergang und Person des Schädigers zu entfalten. Das Unterlassen einer Nachfrage ist nur dann grob fahrlässig, wenn weitere Umstände (Aufdrängen einer Schädigung aufgrund konkreter Anhaltspunkte) hinzutreten, die das Unterlassen schlicht als unverständlich erscheinen lassen (BGH, Urt. v. 08.07.2010 – III ZR 249/09, juris Rn. 28).
31
bb) Im vorliegenden Fall ist bereits davon auszugehen, dass der Kläger bezüglich des T. im Jahr 2016 Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB hatte. Denn er hat nach seinen Angaben anlässlich seiner Anhörung vor dem Senat im Jahr 2016 von der Beklagten wegen der eingebauten Software und zum Zweck des Aufspielens des von der Beklagten entwickelten Softwareupdates ein Rückrufschreiben erhalten. Damit wusste der Kläger, dass sein Fahrzeug mit der vom Kraftfahrtbundesamt beanstandeten Software ausgestattet war, die im Rahmen der medialen Aufbereitung des sogenannten Dieselskandals als „Schummelsoftware“ in sämtlichen Medien über Monate hinweg Thema war. Wie der Kläger anlässlich seiner Anhörung vor dem Senat angegeben hat, hat er diese Medienberichterstattung auch Ende 2015/Anfang 2016 wahrgenommen. Naturgemäß war dem Kläger weiter bekannt, ob er beim Kauf des Fahrzeugs die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben als selbstverständlich vorausgesetzt hatte und ob er das Fahrzeug auch gekauft hätte, wenn er von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung und den damit möglicherweise verbundenen (rechtlichen) Konsequenzen gewusst hätte. Kenntnis von der abstrakten Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung, die aufgrund der dem Kläger im Jahr 2016 bekannten Funktionsweise der Software bestand, war nicht erforderlich, weil es sich insoweit nicht um einen tatsächlichen Umstand im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, sondern um eine rechtliche Schlussfolgerung handelt (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2020 a.a.O., Rn. 21).
32
Damit reichten die dem Kläger bekannten Umstände aus, um zumutbar eine Klage gegen die Beklagte erheben zu können (vgl. dazu im Einzelnen: BGH, Urt. v. 17.12.2020 a.a.O., Rn. 18 ff.). Insbesondere ist hierfür nicht erforderlich, dass der Kläger bereits 2016 aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zog, insbesondere aus ihnen einen Anspruch aus § 826 BGB herleitete. Der eng begrenzte Ausnahmefall, dass die Erhebung einer (Feststellungs-)Klage wegen unsicherer und zweifelhafter Rechtslage unzumutbar war und der Verjährungsbeginn daher hinausgeschoben wurde, liegt hier nicht vor. Der Durchsetzung des Anspruchs aus § 826 BGB stand eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht entgegen. Es war im Gegenteil ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 826 BGB (insbesondere Sittenwidrigkeit und Schaden) sowie zur sekundären Darlegungslast erkennbar, dass sich diese Rechtsprechung auf die hier vorliegende Fallkonstellation übertragen lassen würde, so dass die Rechtsverfolgung schon 2016 hinreichende Aussicht auf Erfolg versprach und zumutbar war (vgl. im Einzelnen: BGH, Urt. v. 17.12.2020 a.a.O., Rn. 26 ff.).
33
cc) Jedenfalls liegt bezüglich des T. grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers vor.
34
Aufgrund der von der Beklagten ab September 2015 verbreiteten Informationen und der nachfolgenden Berichterstattung in den Medien, die der Kläger nach seinen Angaben Ende 2015/Anfang 2016 auch wahrgenommen hat (vgl. dazu: BGH, Urt. v. 29.07.2021 – VI ZR 1118/20, Rn. 18 ff) sowie des unstreitig erhaltenen Rückrufs der Beklagten musste sich dem Kläger aufdrängen, dass sein Fahrzeug ebenfalls betroffen war. Die Tatsache, dass er im Jahr 2016 trotzdem keine weiteren Nachforschungen angestellt hat, ist unter den dargelegten Umständen schlechterdings nicht nachvollziehbar und daher jedenfalls als grob fahrlässig zu bewerten.
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dd) Hinsichtlich des B. liegt grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers vor.
36
Aufgrund der von der Beklagten ab September 2015 verbreiteten Informationen und der nachfolgenden Berichterstattung in den Medien, die der Kläger nach seinen Angaben Ende 2015/Anfang 2016 wahrgenommen hat sowie des unstreitig erhaltenen Rückrufs der Beklagten bezüglich des T. musste sich dem Kläger aufdrängen, dass sein Fahrzeug B. ebenfalls betroffen war. Die Tatsache, dass er trotzdem im Jahr 2016 keine weiteren Nachforschungen angestellt hat, ist unter den dargelegten Umständen schlechterdings nicht nachvollziehbar und daher jedenfalls als grob fahrlässig zu bewerten.
37
b) Der Kläger hat die Verjährung nicht rechtzeitig gehemmt. Er hat sich unstreitig nicht an der Musterfeststellungsklage beteiligt. Seine Klage im vorliegenden Rechtsstreit ist erst nach Ablauf der Verjährungsfrist eingegangen und konnte die Verjährung daher nicht mehr hemmen.
II.
38
Soweit der Kläger geltend macht, dass das auf die Fahrzeuge des Klägers aufgespielte Softwareupdate in Form eines Thermofensters selbst wieder eine unzulässige Abschalteinrichtung sei, und einen eigenständigen – nicht verjährten – Anspruch aus § 826, § 31 BGB hierauf stützen will, kann dies keinen Erfolg haben.
39
Die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten setzte sich nicht deshalb in lediglich veränderter Form fort, weil die Beklagte mit einem Software-Update eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) implementiert hat. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Der darin liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß reicht aber nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Denn nach dem Vortrag des Klägers unterscheidet die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflußte Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Es bedarf daher der Darlegung weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, Tz. 25 – 30). Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Tz. 19).
40
Derartige Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen.
III.
41
Der Kläger kann von der Beklagten aber Schadensersatz in Höhe von 1.262,80 € gemäß §§ 826, 31, 852 Satz 1 BGB verlangen.
1. § 852 BGB ist vorliegend anwendbar. Der Anwendungsbereich des § 852 BGB ist nicht teleologisch zu reduzieren, weil dem Kläger die risikolose Beteiligung an der Musterfeststellungsklage offen gestanden hätte.
42
Ein Bedarf für eine derartige Reduktion ist nicht erkennbar. Dem steht bereits der Zweck des § 852 BGB entgegen. Dieser liegt im Erhalt des Vermögensausgleichs einer durch eine unerlaubte Handlung erfolgten Vermögensverschiebung über die Verjährung des zugrunde liegenden Schadensersatzanspruchs hinaus, weil kein Grund für den Erhalt des Vermögensvorteils besteht, den sich ein Schädiger bewusst durch eine deliktische Handlung verschafft hat. Dieser Normzweck ist gerade nicht hinsichtlich einer besonderen prozessualen Schutzbedürftigkeit des Geschädigten unvollständig, sondern zielt vielmehr auf die fehlende Schutzbedürftigkeit des Schädigers (OLG Stuttgart, Urt. v. 10.02.2021 – 9 U 402/20).
43
Zudem widerspricht eine so begründete Reduktion des Anwendungsbereichs des § 852 BGB auch dem gesetzgeberischen Ziel der Einführung einer zivilprozessualen
44
Musterfeststellungsklage. Ziel der Musterfeststellungsklage war es, die Rechtsdurchsetzung für Verbraucherinnen und Verbraucher zu verbessern und zu verhindern, dass eine etwaige Klageunwilligkeit von Verbrauchern dazu führt, dass ein unrechtmäßig erlangter Gewinn dem Anspruchsgegner verbleibt und so zu einem ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern führt (vgl. BT-Drucksache 19/2507, S. 1). Einem Verbraucher aufgrund der Einführung der Musterfeststellungsklage ein Vorgehen nach § 852 BGB zu entziehen, würde diesem gesetzgeberischen Zweck zuwiderlaufen (OLG Oldenburg, Urt. v. 22. April 2021 – 14 U 225/20, juris Rn. 49; a. A. Martinek: Bedeutung und Anwendung des sogenannten Restschadenersatzanspruchs nach § 852 BGB in den VW-Abgasfällen, S. 30, vgl. grünes Anlagenheft der Beklagten im Berufungsverfahren).
45
2. Die Voraussetzungen des § 852 Satz 1 BGB liegen vor. Die Beklagte hat dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt. Der Anspruch ist aber wegen der durchgreifenden Verjährungseinrede nicht durchsetzbar.
46
3. Rechtsfolge ist die Herausgabe des auf Kosten des Schädigers Erlangten nach den Vorschriften des Bereicherungsrechts. Es handelt sich dabei um eine Rechtsfolgenverweisung (BGH, Urt. v. 26.03.2019 – X ZR 109/16, juris Rn. 15). Bei dem Herausgabeanspruch aus § 852 Satz 1 BGB stehen weder der Sanktionsgedanke noch der Ausgleichsgedanke in Rede, sondern nur noch das Abschöpfungsprinzip. Nur soweit im Vermögen des Schädigers ein tatsächlicher Gewinn vorhanden ist, ist dieser herauszugeben. Die Höhe des Anspruchs aus § 852 BGB ist daher zweifach begrenzt, nämlich zum einen durch die Höhe des auf Kosten des Geschädigten erlangten Etwas und zum anderen durch die Höhe des verjährten Anspruchs, hier aus § 826 BGB (vgl. Riehm, Der deliktische Herausgabeanspruch in „Dieselfällen“, NJW 2021,1625 Rn. 4, 5,14).
47
a) Das erlangte Etwas ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht mit dem Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung gleichzusetzen. Vielmehr entspricht es dem Geldbetrag, den die Beklagte aufgrund der streitgegenständlichen Kaufverträge nach Abzug aller Kosten, die zur Herstellung und Lieferung der Fahrzeuge angefallen sind, erlangt hat, mithin dem Gewinn der Beklagten (im Ergebnis ebenso: OLG Stuttgart, Urt. v. 10.02.2021 – 9 U 402/20, a. A. OLG Oldenburg a.a.O., Rn. 52). Denn die Beklagte hat als Herstellerin der Neufahrzeuge zwar den Vertragsschluss mit dem Händler und als dessen Folge zugleich den Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises erlangt, der zwischen ihr und dem Händler vereinbart ist. Zugleich oblag ihr aber die korrespondierende Verpflichtung, auf ihre Kosten das Fahrzeug herzustellen, dem Händler zu übergeben und zu übereignen. Damit hat die Beklagte als Herstellerin den Kaufpreis vom Händler von vornherein nur um den Preis der Lieferung des Fahrzeugs und der damit verbundenen Kosten erlangt (vgl. Riehm aaO, Rn. 13, a. A. OLG Oldenburg aaO, juris Rn. 52). Die Frage, ob § 819 Abs. 1 BGB einen Abzug der Kosten nach § 818 Abs. 3 BGB verbietet, stellt sich daher nicht (a. A. OLG Oldenburg a.a.O.). Zudem gebietet es auch der oben dargelegte Zweck des § 852 BGB, wonach der Schädiger dem Geschädigten nach Ablauf der Verjährungsfrist wenigstens die durch die unerlaubte Handlung erlangten Vorteile herausgeben, aber nicht (mehr) sein eigenes Vermögen für den Ausgleich des Schadens einsetzen muss (vgl. dazu auch Wagner in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl., § 852 Rn. 2), die der Beklagten aus der unerlaubten Handlung verbliebene Bereicherung nicht mit dem ursprünglichen Schaden gleichzusetzen (so im Ergebnis auch OLG Stuttgart a.a.O.).
48
Eine Rückabwicklung gemäß § 818 Abs. 1 BGB ist nicht möglich, weil das gelieferte Fahrzeug nicht mehr als Neufahrzeug existiert. Daher ist gemäß § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz zu leisten. Dieser ist nicht auf Rückerstattung des Herstellerverkaufspreises Zug-um-Zug gegen Rückgabe des gebrauchten Fahrzeugs gerichtet, weil im Ergebnis der Hersteller dann nicht nur den tatsächlich erlangten Gewinn herausgeben, sondern zusätzlich den Wertverlust des Fahrzeugs übernehmen müsste. Hierfür bildet § 852 BGB keine Grundlage, weil der Anspruch nur auf die Abschöpfung des Gewinns des Schädigers gerichtet ist (Riehm a.a.O., Rn. 16). Erlangt ist vielmehr nur der Herstellerverkaufspreis abzüglich der Aufwendungen für die Erfüllung der Verpflichtung zur Lieferung des gekauften Neufahrzeugs. Dieser tritt als Wertersatz gemäß § 818 Abs. 2 BGB an die Stelle der ausgeschlossenen Zug-um-Zug-Abwicklung in Natur (a. A. b) An diesen Grundsätzen bemessen schätzt der Senat nach § 287 ZPO das erlangte Etwas der Beklagten für den T. auf 756,00 € und für den B. auf 506,80 €.
49
aa) Der Senat greift dabei als Grundlage seiner Schätzung auf die von der Beklagten in Bezug genommenen Berechnungen von Prof. Dudenhöffer (https://www.absatzwirtschaft.de/wasverdienendieautobauerproauto-87631/2) sowie die von der Beklagten in der Berufungsinstanz vorgelegten vom Kläger inhaltlich nicht bestrittenen Studien von Dudenhöffer/Proff/Bräuning/Baader, „Sparprogramme der deutschen Autoindustrie: Kann die Schlüsselindustrie so ihre Position halten? (ifo Schnelldienst 18/2014, 25. September 2014, S. 3 – 6) und von Dudenhöffer „Das VW-Kostenproblem ist bedrohlicher als der Dieselskandal“ (ifo Schnelldienst 11/2016, 09.06.2016, S. 34 – 38) zurück (vgl. grünes Anlagenheft der Beklagten im Berufungsverfahren).
50
Der Senat schätzt den herauszugebenden Gewinn der Beklagten auf der Grundlage dieser vorgelegten Studien anhand der dort ermittelten EBIT-Margen für die Jahre 2012 bis 2016 der von der Beklagten hergestellten verkauften Fahrzeuge. Diese beträgt für jedes verkaufte Fahrzeug für das Jahr 2012 3,5%, für das Jahr 2013 2,9%, für das Jahr 2014 2,5%, für das Jahr 2015 2,0% und für das 1. Halbjahr 2016 1,7%. Daraus ergibt sich – bezogen auf 4,5 Jahre – ein durchschnittlicher Gewinn pro von der Beklagten verkauften Fahrzeugs von 2,8%.
51
Bezogen auf den Streitfall errechnet sich ein Gewinn der Beklagten für das an den Kläger verkaufte Neufahrzeug T. in Höhe von 2,8% des Kaufpreises von 27.000,01 € und somit von 756,00 €. Der Gewinn der Beklagten für das an den Kläger verkaufte Neufahrzeug B. errechnet sich in Höhe von 2,8% des Kaufpreises von 18.100,00 € auf 506,80 €.
52
bb) Die Begrenzung durch die Höhe der verjährten Ansprüche (T.: 5.036,00 €, B.: 930,30 €) führt im Streitfall nicht zu einer Anspruchskürzung, weil der geschätzte Gewinn hinter diesem Betrag zurückbleibt.
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cc) Der Anspruch ist nicht um die der Beklagten entstandenen weiteren Kosten für das Software-Update und die Information der Öffentlichkeit hierüber zu kürzen. Diese Kosten mindern nicht nachträglich das von der Beklagten Erlangte, da die sittenwidrige Schädigung nicht in einer günstigeren Herstellung, sondern in der Veranlassung eines vom Kläger unerwünschten Kaufvertrags besteht, für den er den Kaufpreis bezahlt hat.
54
c) Die Gewinnerlangung beruht kausal auf der unerlaubten Handlung der Beklagten. Das Tatbestandsmerkmal setzt bei § 852 BGB nicht voraus, dass die Vermögensverschiebung unmittelbar vom Geschädigten zum Schädiger erfolgt ist (BGH, Urt. v. 14. Februar 1978 – X ZR 19/76, juris Rn. 62). Vielmehr genügt es, wenn die Vermögensverschiebung im ursächlichen Zusammenhang mit der Verletzung steht. Das ist hier der Fall. Die Beklagte hat aus dem hier im Streit stehenden Verkauf der Neufahrzeuge einen Vermögensvorteil erzielt. Der Kläger hat seine Neufahrzeuge bei einem Händler gekauft, der eine Bestellung bei der Beklagten aufgegeben hat. Der Gewinn, den die Beklagte durch den Verkauf an den Händler erzielt hat, geht auf die Bestellung des Klägers zurück. Hätte der Kläger die Fahrzeuge nicht beim Händler bestellt, hätte auch dieser sie nicht beim Hersteller bestellt. Die Beklagte hat mithin durch den Vermögensschaden des Klägers, der im Abschluss des ungewollten Kaufvertrags zu sehen ist, durch ihre unerlaubte Handlung ihren Gewinn realisiert.
III.
55
Der zuerkannte Zinsanspruch beruht auf § 291, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
C.
56
Die Kostenentscheidung beruht auf § 516 Abs. 3 ZPO, § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
57
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
58
Die Revision ist wegen Grundsatzbedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die Frage der Anwendung des § 852 BGB auf Fallgestaltungen der vorliegenden Art sowie die Bestimmung der Höhe des Erlangten stellt sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle und ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs hierzu steht aus.