Inhalt

VG München, Beschluss v. 18.03.2021 – M 26b E 21.1303
Titel:

Erfolgloser Eilantrag auf Feststellung der Zulässigkeit eines unbeschränktes Betriebes eines Einzelhandelsgeschäfts während der Corona-Pandemie

Normenkette:
VwGO § 123
Leitsätze:
1. Es besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für die vorbeugende Feststellung der Zulässigkeit des geplanten Geschäftsbetriebs, da es der Antragstellerin - auch mit Blick auf die Bußgeldbewehrung § 29 Nr. 10 12. BayIfSMV - im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zuzumuten ist, auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung ihr Geschäfts zu öffnen und erst gegen eine etwaige künftige polizeiliche Maßnahme oder gegen einen Bußgeldbescheid Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine enge Auslegung des Begriffs „für die tägliche Versorgung unverzichtbar“ ist geboten, da es sich bei § 12 Abs. 1 S. 2 12. BayIfSMV um eine Ausnahmevorschrift von dem repressiven Verbot des § 12 Abs. 1 S. 1 12. BayIfSMV handelt. Hintergrund ist der Sinn und Zweck dieser Vorschrift Infektionsrisiken durch Kontakte weitgehend zu minimieren. Damit kann die Zahl der in § 12 Abs. 1 S. 2 12. BayIfSMV genannten Ladengeschäfte nur durch unbenannte erweitert werden, wenn die Befriedigung des Bedarfs ein gewisses Gewicht hat und von der Rechtsordnung anerkannt ist. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unzulässigkeit der Öffnung eines Ladengeschäfts mit Mischsortiment, Click and Meet, Corona, Pandemie, Infektionsrisike, vorbeugender Rechtsschutz, einstweilige Verfügung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 6312

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Feststellung, dass der unbeschränkte Betrieb ihres Einzelhandelsgeschäfts zulässig ist.
2
Die Antragstellerin betreibt in der A … Str. … in A … … ein Einzelhandelsgeschäft. Die vertriebenen Produkte zählen zu den Kategorien täglicher Bedarf, Drogerie & Kosmetik, Tierbedarf, Basteln & Heimwerken, Freizeit & Outdoor, Home & Deko, Accessoires, Geschenk- und Partyzubehör, black.de (hierbei handelt es sich um Gebrauchsartikel der Eigenmarke von A …, vgl. https://www. …produkte/blackde/), Spielwaren sowie Schul- & Bürobedarf.
3
Der für den Betrieb von Handelsbetrieben seit 8. März 2021 maßgebliche § 12 Abs. 1 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV) vom 5. März 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 171) lautet auszugsweise wie folgt:
4
„§ 12 Handels- und Dienstleistungsbetriebe, Märkte
5
(1) 1In Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen eine 7-Tage-Inzidenz von 100 überschritten wird, ist die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr für Handels-, Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe untersagt. 2Ausgenommen sind der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Pfandleihäuser, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, Blumenfachgeschäfte, Gartenmärkte, Gärtnereien, Baumschulen, Baumärkte, der Verkauf von Presseartikeln, Versicherungsbüros, Buchhandlungen, Tierbedarf und Futtermittel und sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte sowie der Großhandel. 3Der Verkauf von Waren, die über das übliche Sortiment des jeweiligen Geschäfts hinausgehen, ist untersagt (…).“
6
Auf der Homepage des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (http://stmgp.bayern.de/wp-content/uploads/2021/03/2021_03_11_positivliste.pdf, aufgerufen am 15.3.2021) findet sich zu Mischbetrieben folgende Information:
7
Mischbetriebe des Einzelhandels oder der Dienstleistungen (Beispiele Kiosk, Handel mit verschiedenen Sortimenten, Schreibwarenhandel mit Poststation, Lottoläden) werden nach dem Schwerpunktprinzip beurteilt. Sie können insgesamt öffnen, wenn der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit (mehr als 50%) im erlaubten Bereich (Beispiel Verkauf von Lebensmitteln, Verkauf von Zeitungen und Zeitschriften) liegt. Sie können dann auch die übrigen Warensortimente verkaufen, um die betrieblichen Abläufe nicht zu belasten.
8
Für davon klar abgrenzbare, unzulässige Dienstleistungen gilt dies jedoch nicht.
9
Bei Mischbetrieben, bei denen der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit im nicht erlaubten Bereich liegt, kann ausschließlich der erlaubte Teil (etwa Verkauf von Zeitungen und Zeitschriften) weiter erfolgen.
10
Auch bei Mischbetrieben, bei denen der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit im nicht erlaubten Bereich liegt, darf die Bereitstellung von Waren des nicht erlaubten Sortiments zur Abholung nur an einem entsprechenden Abholschalter unmittelbar am Eingang oder ganz außerhalb des Ladengeschäfts stattfinden; die Verkaufsräume als solche dürfen nicht für die abholende Kundschaft geöffnet werden.
11
Bei der Beurteilung, ob das erlaubte Sortiment überwiegt oder nicht, ist auf die Verkehrsanschauung und die vernünftige Anschauung des überprüfenden Beamten abzustellen. Hierbei kommt es auf den Gesamteindruck des Ladengeschäfts an.
12
Kriterien für die Beurteilung können im Zweifelsfall sein:
13
- der Werbeauftritt und die eigene Präsentation sowie das Erscheinungsbild des Betriebs,
14
- der Bestand an (verschiedenen) Artikeln, die übliche überwiegende Bestückung der Regale,
15
- die übliche Verteilung der Verkaufsfläche.
16
Zum Verhältnis vom Mischbetriebsregelung und „Click-und-Meet“:
17
Bis zu einer Inzidenz von 50 bedarf es keiner Mischbetriebsregelung.
18
Über einer Inzidenz von 100 gilt die bisherige Regelung.
19
Bei Inzidenzen zwischen 50 und 100 gilt Folgendes:
20
Die Mischbetriebsregelung für Mischbetriebe, bei denen der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit im nicht-erlaubten Bereich gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV liegt, entfällt. Statt dessen können die Betriebe ihr Gesamtsortiment gemäß § 12 Abs. 1 Satz 7 der 12. BayIfSMV (Call/Click-and-Meet) anbieten.
21
Die Mischbetriebsregelung für Mischbetriebe, bei denen der Schwerpunkt Ihrer Tätigkeit im erlaubten Bereich gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV liegt, bleibt bestehen. Denn diese Geschäfte dürfen auch bei einer Inzidenz von 100 oder mehr bereits jetzt ihr gesamtes Sortiment verkaufen, und zwar zu denselben Bedingungen wie die nach § 12 Abs. 1 Satz der 12. BayIfSMV geöffneten Geschäfte. D. h. diese Geschäfte müssen bei einer Inzidenz zwischen 50 und 100 auch nicht auf Call/Click-and-Meet umsteigen, da sie bereits bei einer Inzidenz über 100 insgesamt öffnen dürfen.
22
Auf Anfrage der Antragstellerin hin teilte die Antragsgegnerin mit E-Mail vom 8. März 2021 mit, dass die vollständige Öffnung des streitgegenständlichen Ladengeschäfts nicht erlaubt sei. Vielmehr sei nur der Verkauf eines Teils des Sortiments angesichts der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV erlaubt.
23
Mit Schreiben vom 9. März 2021 stellte die Antragstellerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht München einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz; sie beantragt,
24
im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass § 12 Abs. 1 der 12. BayIfSMV dem Betrieb der Filiale der Antragstellerin in der A … Str. …, A … …, ohne Beschränkung des dort angebotenen Warensortiments nicht entgegensteht, sofern die geltenden Vorgaben des § 12 Abs. 1 Satz 4 12. BayIfSMV und zum sonstigen örtlichen Infektionsschutz beachtet werden.
25
Zur Begründung wird insbesondere ausgeführt, dass die Antragstellerin unter Fortgeltung der Bestimmungen des § 12 Abs. 1 12. BayIfSMV die Feststellung begehre, dass der Betrieb ihres Mischsortimentsgeschäfts ohne Beschränkung des Warensortiments erlaubt sei. Der Betrieb des Ladengeschäfts sei der Antragstellerin angesichts des ausweislich der FAQ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege anzuwendenden Schwerpunktprinzips erlaubt, da 58,8% des vorgehaltenen Sortiments „erlaubten“ Warengattungen nach § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV zuzuordnen seien und auch der Umsatz überwiegend auf das erlaubte Sortiment entfalle. Bedenken bezüglich der möglichen Unbestimmtheit einer straft- und bußgeldbewehrten Norm dürften zudem nicht zu Lasten des Grundrechtsträgers gehen.
26
Die Antragsgegnerin äußerte sich bislang nicht.
27
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
28
1. Der zulässige Antrag hat mangels Begründetheit keinen Erfolg.
29
a) Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist zulässig.
30
aa) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO ist statthaft. Insbesondere geht im vorliegenden Fall nicht etwa ein Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO als lex specialis dem Antrag nach § 123 VwGO vor (BayVGH, B. v. 18.6.2020 - 20 CE 20.1388 - juris Rn. 4; B. v. 26.10.2020 - 20 CE 2185 - beck-online Rn. 14; B. v. 14.1.2021 - 20 CE 20.3123 - Rn. 4 nicht veröffentlicht; VG München, B. v. 14.4.2020 - M 26 S 20.1535 - Rn. 2; Fehling/Kastner/Störmer, § 43 VwGO Rn. 13; BeckOK, § 123 VwGO Rn. 16; Rupp, NVwZ 2002, 286, 290), da die Antragstellerin die Wirksamkeit von § 12 Abs. 1 12. BayIfSMV nicht in Frage stellt.
31
bb) Ein feststellungsfähiges, streitiges Rechtsverhältnis ist gegeben, da die mit der Normanwendung betraute Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin den geplanten uneingeschränkten Betrieb des Ladengeschäfts für unzulässig erklärt hat.
32
cc) Es besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis für die vorbeugende Feststellung der Zulässigkeit des geplanten Geschäftsbetriebs, da es der Antragstellerin - auch mit Blick auf die Bußgeldbewehrung § 29 Nr. 10 12. BayIfSMV - im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zuzumuten ist, auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung ihr Geschäfts zu öffnen und erst gegen eine etwaige künftige polizeiliche Maßnahme oder gegen einen Bußgeldbescheid Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. VG Sigmaringen, B.v. 21.04.2020 - 14 K 1360/20 - juris Rn.12; BVerwG, U.v. 13.01.1969 - I C 86.64 -, BVerwGE 31, 177-181, juris Rn. 19). Auch erfolgte vor der Antragstellung eine erfolgslose Befassung der Antragsgegnerin.
33
b) Der Antrag ist jedoch unbegründet.
34
Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat die Antragspartei sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) zu bezeichnen und glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 1 und 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO). Der Antrag kann nur Erfolg haben, wenn und soweit sich sowohl Anordnungsanspruch als auch -grund aufgrund der Bezeichnung und Glaubhaftmachung als überwiegend wahrscheinlich erweisen (BayVGH, B.v. 16.8.2010 - 11 CE 10.262 - juris Rn. 20 m.w.N.). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
35
Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, mithin die Zulässigkeit des Betriebs des streitgegenständlichen Ladengeschäfts, hat die Antragstellerin jedoch nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Betrieb des Geschäfts mangels einschlägiger Ausnahme nach § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV nach § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV untersagt ist.
36
aa) Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV ist die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr grundsätzlich untersagt. Ausgenommen hiervon sind nach Satz 2 der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Pfandleihäuser, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, Blumenfachgeschäfte, Gartenmärkte, Gärtnereien, Baumschulen, Baumärkte, der Verkauf von Presseartikeln, Versicherungsbüros, Buchhandlungen, Tierbedarf und Futtermittel und sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte sowie der Großhandel. § 12 Abs. 1 Satz 3 12. BayIfSMV untersagt schließlich den Verkauf von Ware, die über das übliche Sortiment des jeweiligen Geschäfts hinausgeht.
37
Maßgeblich für die Auslegung dieser Regelungen ist der objektivierte Wille des Normgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt. Der Erfassung des objektiven Willens des Normgebers dienen die anerkannten Auslegungsmethoden aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Materialien des Normsetzungsverfahrens und der Entstehungsgeschichte. Ausgangspunkt und Grenze der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Nach dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) müssen die Bürger in zumutbarer Weise selbst feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen; die Gerichte müssen in der Lage sein, die normative Entscheidung zu konkretisieren. Sieht eine Rechtsverordnung wie hier § 29 Nr. 10 12. BayIfSMV die Ahndung von Verstößen als Ordnungswidrigkeit vor, muss die Bußgeldvorschrift die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG erfüllen. Der grammatikalischen Auslegung bzw. der Wortlautgrenze kommt dann eine herausgehobene Bedeutung zu (BayVGH, B. v. 4.3.2021 - 20 CE 21.550, Rn. 13 m.w.N.).
38
Ausweislich der Regelungen in § 12 Abs. 1 Sätze 1 und 2 12. BayIfSMV statuiert § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV den Regelfall, wonach der Betrieb von Ladengeschäften grundsätzlich untersagt ist. Von diesem grundsätzlichen Verbot lässt § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV Ausnahmen zu. Diese Ausnahmen sind ihrerseits ladengeschäftsbezogen zu verstehen, wie sich aus der Benennung der ausdrücklich zugelassenen Ladengeschäfte sowie der Formulierung „sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte“ ergibt. Dass in § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV teilweise vom Verkauf bestimmter Waren gesprochen wird, ist insofern unschädlich; es ist davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber, soweit er auf den Verkauf von Presseartikeln, Tierbedarf und Futtermitteln abstellt, diese Formulierung mangels Vorhandenseins eines üblichen Oberbegriffs für die jeweilige Geschäftskategorie gewählt hat.
39
§ 12 Abs. 1 Satz 3 12. BayIfSMV, wonach der Verkauf von Waren, der über das übliche Sortiment des jeweiligen Geschäfts hinausgeht, untersagt ist, bezieht sich seiner systematischen Stellung nach auf § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV und die dort privilegierten Geschäftstypen. Mit dieser Regelung stellt der Verordnungsgeber zum einen klar, dass die nach § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV privilegierten Geschäfte des Einzelhandels- und Dienstleistungssektors auch Waren anbieten dürfen, die nicht zu dem für sie typischen, spezialisierten, schwerpunktmäßigen Waren- bzw. Dienstleistungsangebot gehören, ohne dass sie ihre Privilegierung nach § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV verlieren. Zum anderen wird mit dieser Regelung aber auch potentiellem Missbrauch vorgebeugt, indem der status quo des vor Pandemiebeginns bestehenden Sortiments festgeschrieben wird und einem nach § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV privilegierten Geschäft eine Ausweitung seines Sortiments im Bereich der Waren, die für sein Geschäft nicht prägend sind, untersagt.
40
bb) Das streitgegenständliche Ladengeschäft lässt sich zunächst keinem der in § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV ausdrücklich erwähnten Geschäftstypen zuordnen.
41
§ 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV erwähnt zunächst Beispiele von Ladengeschäften bestimmter Kategorien des Einzelhandels- und Dienstleistungssektors, die von der grundsätzlichen Geschäftsuntersagung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV ausgenommen sind. Diesen Beispielen (u. a. Apotheken, Optiker, Getränkemärkte, Fahrradwerkstätten) ist gemein, dass sie über eine typische Struktur und ein typisches, spezialisiertes, schwerpunktmäßiges Waren- bzw. Dienstleistungsangebot verfügen, wodurch sie einer bestimmten Kategorie zugeordnet werden können (so auch VG Regensburg, B. v. 11.3.2021 - RO 5 E 21.412 - noch nicht veröffentlicht; VG Bayreuth, B. v. 4.3.2021 - B 7 S 21.234 - noch nicht veröffentlicht).
42
Die Antragstellerin beschreibt sich als ein führendes Unternehmen der Non-Food-Branche mit internationalem Filialnetz (https://www. …unternehmen/profil/). Die vertriebenen Produkte zählen zu den Kategorien täglicher Bedarf, Drogerie & Kosmetik, Tierbedarf, Basteln & Heimwerken, Freizeit & Outdoor, Home & Deko, Accessoires, Geschenk- und Partyzubehör, black.de (hierbei handelt es sich um Gebrauchsartikel der Eigenmarke von A …, vgl. https://www. …produkte/blackde/, Spielwaren sowie Schul- & Bürobedarf (vgl. https://www. …produkte/). Dabei entfallen im streitgegenständlichen Ladengeschäft der Antragstellerin nach eigenem Vorbringen 58,8% des Sortiments auf mehrere der Produktkategorien, die für die in § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV ausdrücklich erwähnten Geschäftskategorien typisch sind.
43
Anders als die in § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV ausdrücklich erwähnten Geschäftstypen verfügt die Antragstellerin in ihrem Ladengeschäft jedoch über kein Warenangebot, das derart spezialisiert ist und einen so klaren Schwerpunkt hat, dass es sich einer der dort ausdrücklich benannten Kategorien zuordnen lassen könnte.
44
cc) Das Ladengeschäft der Antragstellerin stellt zudem auch kein sonstiges für die tägliche Versorgung unverzichtbares Ladengeschäft dar.
45
Maßgeblich für die Auslegung des Begriffs des „sonstigen für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfts“ ist der objektivierte Wille des Normgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt.
46
Der Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV ist dabei nicht eindeutig. Die Formulierung „für die tägliche Versorgung unverzichtbar“ lässt zwar den Schluss auf eine enge Auslegung zu, weil es sich offenbar um Güter des täglichen Lebensbedarfs handeln muss, denn nur diese sind für die tägliche Versorgung notwendig. Die Aufzählung des Satzes 2 lässt indessen nicht den Schluss zu, dass es sich um einen unabweisbar täglich notwendigen Lebensbedarf im objektiv engeren Sinne handeln muss. Zudem ist nicht nur der Bedarf privilegiert, den jedermann an Grundbedürfnissen hat, sondern auch spezielle Bedürfnisse von Personengruppen wie beispielsweise solche mit bestimmten Ernährungsbedürfnissen (Reformhäuser) oder mit Haustieren (Tierbedarf) oder saisonaler Grundbedarf (Gärtnereien, Baumschulen) (BayVGH, B. v. 4.3.2021 - 20 CE 21.550 - beckonline Rn. 15).
47
Eine enge Auslegung des Begriffs „für die tägliche Versorgung unverzichtbar“ ist dennoch geboten, da es sich bei § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV um eine Ausnahmevorschrift von dem repressiven Verbot des § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV handelt (BayVGH, B. v. 4.3.2021 - 20 CE 21.550 - beckonline Rn. 16; B.v. 4.2.2021 - 20 CS 21.109 - juris Rn. 31; B.v. 14.4.2020 - 20 CE 20.725 - juris Rn. 7 f.). Hintergrund ist der Sinn und Zweck dieser Vorschrift sowie auch von allen anderen Vorschriften der 12. BayIfSMV, Infektionsrisiken durch Kontakte weitgehend zu minimieren. Eine entsprechende enge Auslegung gilt deshalb auch für die Begrifflichkeit der „für die tägliche Versorgung unverzichtbare(n) Ladengeschäfte“. Damit kann die Zahl der in § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV genannten Ladengeschäfte nur durch unbenannte erweitert werden, wenn die Befriedigung des Bedarfs ein gewisses Gewicht hat und von der Rechtsordnung anerkannt ist (B. v. 4.3.2021 - 20 CE 21.550 - beckonline Rn. 16; B. v. 14.1.2021 - 20 CE 21.30 - BeckRS 2020, 39080, Rn. 10).
48
Bei der Auslegung des Begriffs „für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte“ ist schließlich auch zu beachten, dass dieser Auffangtatbestand nach einer Vielzahl an ausdrücklich genannten privilegierten Einzelhandels- und Dienstleistungskategorien Erwähnung findet, so dass davon auszugehen ist, dass der Verordnungsgeber mit dem Auffangtatbestand „sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte“ besonderen Einzelfällen Rechnung tragen wollte. Infolgedessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber „versteckt“ ganze umsatzstarke Branchen öffnen wollte, ohne diese in dem Ausnahmetatbestand - wie viele andere größere Bereiche - ausdrücklich zu benennen (BayVGH, B. v. 4.3.2021 - 20 CE 21.500 - beckonline Rn. 16).
49
Zwar mag das Sortiment im streitgegenständlichen Ladengeschäft der Antragstellerin, das nach eigenen Angaben der Antragstellerin zu 58,8% auf Produktkategorien entfällt, die für die in § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV ausdrücklich erwähnten Geschäftskategorien typisch sind, für die Annahme sprechen, dass das streitgegenständliche Ladengeschäft der Antragstellerin für die tägliche Versorgung unverzichtbar ist, da dort mehrheitlich Güter verkauft werden, die kennzeichnend für verschiedene nach § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV ausdrücklich erwähnte Einzelhandelskategorien sind.
50
Maßgeblich gegen die Annahme, dass das Ladengeschäft der Antragstellerin ein für die tägliche Versorgung unverzichtbares Geschäft ist, ist jedoch anzuführen, dass das Sortiment anders als bei den ausdrücklich in § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV erwähnten privilegierten Geschäften gerade keinen Schwerpunkt auf eine bestimmte, den Geschäftstyp prägende „privilegierte“ Produktkategorie (z. B. Lebensmittel) aufweist, sondern ein breites Mischsortiment ohne klaren prägenden Schwerpunkt darstellt. So entfallen allein die „privilegierten Waren“ im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV auf die verschiedenen Kategorien Baumarkt, Bürobedarf, Drogerie, Gartenmarkt, Lebensmittelhandel, Markenschreibware, Papiere und Ordner sowie Tierbedarf.
51
Diese Sichtweise wird auch dadurch gestützt, dass der Verordnungsgeber die wohl am zutreffendsten als Nonfood-Discounter zu bezeichnende Branche (vgl. https://www.wiwo.de/unternehmen/handel/trotz-coronakrise-handelsketten-wollen-hunderte-neue-laeden-eroeffnen-/26111594.html; ähnlich https://www. …unternehmen/profil/), der die Antragstellerin zugehört und die durch ein breites Mischangebot gekennzeichnet ist, nicht ausdrücklich erwähnt hat, obwohl es sich um eine milliardenschwere Branche (vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/798961/umfrage/umsatz-von- …/) mit weiteren bekannten Akteuren wie etwa KiK und Woolworth (vgl. https://www.wiwo.de/unternehmen/handel/trotz-coronakrise-handelsketten-wollen-hunderte-neue-laeden-eroeffnen-/26111594.html, https://www.focus.de/finanzen/news/konjunktur/massive-expansion-bei-kik- …-woolworth-und-co-hunderte-neue-filialen-geplant-billig-ketten-greifen-in-der-krise-an_id_12344186.html) handelt, während Nischenbereiche wie Blumenfachgeschäfte und Fahrradwerkstätten ausdrückliche Erwähnung gefunden haben.
52
An dieser Sichtweise vermögen auch die FAQ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, wonach bei Mischbetrieben mit einem Schwerpunkt ihrer Tätigkeit (mindestens 50%) auf dem Verkauf von Produkten aus dem „erlaubten Bereich“ nach § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV der Betrieb des Ladengeschäfts insgesamt erlaubt sei, nichts zu ändern. Diese FAQ sind als behördeninterne Auslegungshilfe weder für das Gericht noch für die Normadressaten verbindlich (ebenso BayVGH, B.v. 14.1.2021 - 20 CE 21.30 - beck-online Rn. 9; VG Regensburg, B. v. 11.3.2021 - RO 5 E 21.412 - noch nicht veröffentlicht; VG Bayreuth, B. v. 4. März 2021 - B 7 S 21.234 - noch nicht veröffentlicht; VG Augsburg, B. v. 25.1.2021 - Au 9 S 21.115 - juris Rn. 40). Wie bereits ausgeführt wurde, ist bei der Auslegung des § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV zu berücksichtigen, dass ein Verstoß gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV nach § 29 Nr. 10 12. BayIfSMV eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Somit muss diese bußgeldbewehrte Vorschrift den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügen, so dass der grammatikalischen Auslegung bzw. der Wortlautgrenze eine herausgehobene Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B. v. 4.3.2021 - 20 CE 21.550 - beckonline Rn. 13 m.w.N.). Diesen Bestimmtheitsanforderungen, würde eine Lesart des § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV entsprechend den vorgenannten FAQ nur schwerlich gerecht, da sich im Wortlaut von § 12 Abs. 1 12. BayIfSMV keine Stütze für eine 50%-Quote finden lässt und die Anwendung einer solchen Quote zu erheblichen Unsicherheiten für den Betroffenen führen würde, zumal für die Bemessung dieser 50%-Quote eine Vielzahl an Kriterien in Betracht kommen (Umsatzanteil, Produktmenge, in Anspruch genommene Verkaufsfläche, etc.).
53
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
54
3. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52. Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5. Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da wegen der kurzen Laufzeit der Verordnung ein Hauptsacheverfahren nicht in Betracht kommt und daher die Eilentscheidung das Hauptsacheverfahren vorwegnimmt, hat das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den vollen Regelstreitwert anzusetzen.