Titel:
nachträgliche Heilung von Satzungsrecht nach Bescheidserlass, Zweckentfremdungsrecht
Normenkette:
ZwEWG
Schlagworte:
nachträgliche Heilung von Satzungsrecht nach Bescheidserlass, Zweckentfremdungsrecht
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63108
Tenor
1. Der Beschluss des Verwaltungsgericht Bayreuth vom 11.01.2020 (Az.: B 8 S 20.1......) wird abgeändert und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 13.11.2020 (Az.: B 8 K 20.1......) wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Mit seinem Antrag begehrt der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Stadt … zum Vollzug der Zweckentfremdungssatzung bezüglich der Nutzung des Anwesens in der … in … Dem hier streitigen Bescheid liegt ein längerer Verwaltungsvorgang zugrunde, zu dem auch weitere Verwaltungsstreitsachen anhängig sind.
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Den Behördenakten in diesem und in den anderen Verwaltungsstreitsachen ist zu entnehmen, dass im Anwesen … ... in … vom 01.03.1958 bis 15.04.2013 jemand seine Hauptwohnung gemeldet hatte. Das Anwesen steht inzwischen im Eigentum von Herrn … Dieser hat das Haus nach den Angaben der Eheleute … im Jahr 2013 erworben und im Jahr 2015 umgebaut. Für den Umbau des Hauses wurde im Baugenehmigungsverfahren im Jahr 2015 eine Baugenehmigung (Baugenehmigung vom 02.03.2015, Az. ...) dergestalt erteilt, dass das Erdgeschoss des Hauses als Ferienwohnung und das erste Obergeschoss, sowie das Dachgeschoss als Wohnraum genutzt werden. Mit Mietbeginn zum 01.11.2016 mietete die Ehefrau des Antragstellers, Frau …, von ihrem Ehemann das Anwesen zur Vermietung von „2 Ferienappartm.“ (vgl. § 2 des Mietvertrages, Behördenakte Seite 97). Seither wurde das Anwesen nach den Angaben der Eheleute für die Vermietung von Ferienwohnungen an Feriengäste genutzt. Das Anwesen verfügt über drei separat vermietbare Einheiten. Alle Einheiten verfügen ausweislich der Internetauftritte (vgl. …und … und … alle zuletzt abgerufen 22.03.2021, 10:52 Uhr, sowie Behördenakte in B 8 K 20.4... Seiten 52 bis 62 und in B 8 K 20.1... … Seiten 7-15) über ein Bad, ein Bett, einen Esstisch und eine kleine Küchenzeile mit Kühlschrank und Spüle. Die Küchenzeilen enthalten keinen Herd, Ofen oder Mikrowelle.
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Am 27.07.2019 wurde die Satzung der Stadt … über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWS) bekanntgemacht, die diese auf Grundlage von Art. 1 des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWG) erlassen hat.
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Anträge der Eheleute auf Ausstellung eines Negativzeugnisses bzgl. der Zweckentfremdung bzw. auf Genehmigung der Zweckentfremdung wurden von der Beklagten mit Bescheiden vom 21.04.2020 (gegenüber Frau ...) und vom 19.10.2020 (gegenüber Herrn …) abgelehnt. Hiergegen sind jeweils Klagen vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth anhängig (B 8 K 20.4... (Klägerin Frau ...) und B 8 K 20.11... (Kläger Herr …)).
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Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den o.g. Bescheid gegenüber Frau … ist diese im Wesentlichen deshalb unterlegen, weil die Kammer aufgrund der fehlenden Baugenehmigung für die Nutzung als Ferienwohnung keinen Anordnungsgrund sah (Beschluss des VG Bayreuth vom 06.07.2020 Az.: B 8 E 20.4...).
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Daraufhin hat Herr … eine entsprechende Baugenehmigung beantragt. Eine Entscheidung hierzu steht noch aus.
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Im Verfahren B 8 K 20.4... (Klägerin Frau ...) wurden Angaben zur finanziellen Situation der Familie gemacht. Die Eheleute tragen weiter vor, dass sich dieses Einkommen aufgrund der pandemiebedingten Kurzarbeit des Ehemannes erheblich verringert habe und die Familie erhebliche Schulden tilgen müsse. Zusätzlich sei die Familie durch Kosten für die Kinder, von denen eines körperbehindert und ein anderes magersüchtig sei, belastet.
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Mit Bescheid vom 13.11.2020 wird dem Antragsteller nunmehr aufgegeben, „die Zweckentfremdung der Wohnräume im 1. OG und im DG des Anwesens …, …, durch Nutzung zu anderen als Wohnzwecken bis spätestens einen Monat nach Zustellung dieses Bescheides zu beenden und den Wohnraum innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Bescheides wieder Wohnzwecken zuzuführen.“ Weiter ist verfügt, „die Rückführung des Wohnraums zu Wohnzwecken ist bei Fremdvermietung durch Vorlage eines Mietvertrags und einer Meldebestätigung des neuen Mieters innerhalb der Zwei-Monats-Frist nachzuweisen. Bei Eigennutzung der Wohnräume ist dies durch Vorlage des geänderten Gewerberaummietvertrages und einer Meldebestätigung innerhalb der Zwei-Monatsfrist nachzuweisen“ (Ziff.1). „Falls Sie die in Nr. 1 des Bescheids festgelegten Verpflichtungen nicht, nicht fristgerecht oder nicht vollständig erfüllen, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 Euro zur Zahlung fällig“ (Ziff. 2). Dem Antragsteller werden die Kosten des Verfahrens auferlegt und eine Gebühr von 250,00 Euro, sowie Auslagen in Höhe von 2,63 Euro festgesetzt (Ziff. 3).
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Zum Sachverhalt wird insbesondere ausgeführt, der Antragsteller sei mehrmals aufgefordert worden, das Anwesen im OG und DG wieder Wohnzwecken zuzuführen, und diesen Aufforderungen nicht nachgekommen. Rechtlich wird die Anordnung in Ziff. 1 damit begründet, dass mit der Nutzung als Ferienwohnung Wohnraum zu anderen als Wohnzwecken genutzt werde. Diese Zweckentfremdung sei nicht genehmigungsfähig. Dieser Nutzung könne im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 ZwEWG i.V.m. § 13 Abs. 1 und 2 ZwEWS begegnet werden. Der Antragsteller sei nach Art. 9 Abs. 2 Satz 1 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) als Grundstückseigentümer und Handlungsstörer richtiger Adressat des Bescheides. Zur Zwangsgeldandrohung ist ausgeführt, die Androhung sei zur Durchsetzung erforderlich. Die Höhe orientiere sich am geschätzten wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers anhand der vorgetragenen monatlichen Einnahmen. Die gesetzte Frist zur Beendigung der Zweckentfremdung und Rückführung des Wohnraums zu Wohnzwecken sei angemessen. Etwaig bestehende Buchungen könnten in diesem Zeitraum jederzeit über die genutzten Portale storniert werden. Auch die Kündigung des Vertrages mit der Ehefrau sei zumutbar. Hieraus resultierende Schadensersatzansprüche seien im Verfahren der Zweckentfremdung unbeachtlich. Auf die nähere Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
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Weiterhin wurden nach Angaben des Antragstellers gegen ihn und seine Ehefrau Verfahren nach dem Bußgeldverfahren wegen illegaler Zweckentfremdung von Wohnraum durch Nutzungsänderung eingeleitet. Entsprechende Anhörungsschreiben und die Antwort der Eheleute darauf wurden dem Gericht mit der hiesigen Klage und dem hiesigen Eilantrag (Az.: B 8 K 20.1... … und B 8 S 20.1......) vorgelegt.
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Mit seiner Klage vom 03.12.2020, die am 07.12.2020 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth einging (B 8 K 20.1......), begehrt der Antragsteller die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides vom 13.11.2020. Zugleich beantragt er:
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Die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wird angeordnet.
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Der Antragsteller führt aus, es liege keine Zweckentfremdung vor. Unter Bezugnahme auch auf die bisherigen Ausführungen in den anderen Verfahren trägt er vor, es handle sich nicht um Wohnraum. Die Räume seien weder objektiv noch subjektiv zur Wohnnutzung geeignet und bestimmt. In den bisherigen Verfahren trugen die Eheleute zusammengefasst hierzu näher vor, die Räume erlaubten wegen der fehlenden Kochgelegenheit keine Führung eines selbstständigen Haushaltes. Vor dem Umbau sei das Anwesen aufgrund des baufälligen Zustandes und der Bauweise ohne Heizung und Warmwasser auch nicht zu Wohnzwecken geeignet gewesen. Spätestens mit dem Umbau zu Ferienwohnungen sei auch die subjektive Bestimmung zu Wohnzwecken weggefallen. Soweit die Stadt … offenbar meine, eine generelle Eignung zur Wohnnutzung reiche für die Anwendbarkeit der ZwEWS aus, verkenne dies die Rechtslage. Die Wohnräume müssten nach der ZwEWS bei Inkrafttreten der Satzung dem Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen. Eine andere Interpretation widerspreche dem im Grundgesetz und der Bayerischen Verfassung garantierten Eigentumsgrundrecht, der Religionsfreiheit sowie dem Gebot des Vertrauensschutzes. Die Interpretation widerspreche nicht zuletzt auch der Ansicht der Bayerischen Staatsregierung. Nach einer von dieser herausgegebenen Arbeitshilfe liege Wohnraum nicht vor, wenn er dem Wohnungsmarkt nicht generell zur Verfügung stehe, bzw. der Raum bereits vor Inkrafttreten des Verbotes anderen als Wohnzwecken diente. Soweit die Stadt … meine, die Vermietung als Ferienwohnung sei nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 ZwEWS nur dann möglich, wenn der Raum nachweisbar bereits zehn Jahre vor dem Inkrafttreten des Verbots und seitdem ohne Unterbrechung anderen als Wohnzwecken diente, sei dies falsch, da diese Norm lediglich den Ausnahmetatbestand zu § 2 Abs. 2 ZwEWS bilde, der hier aber nicht anwendbar sei, da kein Wohnraum vorliege. Zudem wäre der Ausnahmetatbestand ebenfalls erfüllt, weil das Anwesen mehr als zehn Jahre vor dem Inkraftreten des Verbots und dem Erwerb des Grundstücks durch den Antragsteller aufgrund des Bauzustandes nicht zu Wohnzwecken geeignet gewesen sei. Mehrere Jahre vor Inkrafttreten der Satzung sei zudem ein genehmigungsfähiger Umnutzungsantrag gestellt worden. Zumindest im Dachgeschoss sei jedoch nach § 3 Abs. 2 Nr.4 ZwEWS eine Nutzung als Ferienwohnung zulässig, da dieses vor Erwerb des Anwesens niemals zu Wohnzwecken ausgebaut gewesen sei.
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Darüber hinaus sei das Zweckentfremdungsverbot generell verfassungswidrig, zumindest soweit, wie es eine bereits ausgeübte Tätigkeit verbiete. Der Landesgesetzgeber und die Stadt … hätten hierzu keine Gesetzgebungskompetenz. Zudem verstoße das Verbot gegen die Eigentumsgarantie, die Berufsfreiheit und verstoße gegen das Rückwirkungsverbot.
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Dass für das Ober- und Dachgeschoss nur eine Baugenehmigung für Wohnnutzung erteilt worden sei, sei rechtswidrig gewesen und habe seinen Ursprung auch in der Falschberatung der Behörde.
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Die wirtschaftliche Existenz seiner Ehefrau beruhe alleine auf der Vermietung als Ferienwohnung. Es sei schon deshalb unverständlich, warum nicht nach § 6 ZwEWS eine Ausnahmegenehmigung erteilt worden sei. Die Stadt … habe auch niemals angegeben, was ihrer Ansicht nach unter Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz zu verstehen sei und hierzu Zahlenmaterial von der Familie angefordert.
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Weiterhin sei der Bescheid der Stadt … deshalb rechtswidrig, weil er diesen aufgrund des Mietvertrages mit seiner Ehefrau gar nicht umsetzen könne. Es sei ihm nicht möglich, den Mietvertrag einseitig zu ändern. Er könne auch nicht – wie im Bescheid im Rahmen der Begründung der Zwangsgeldandrohung angenommen – Buchungen unschwer stornieren, da er nicht Vertragspartner dieser Buchungen sei. Außerdem sei er nicht der richtige Adressat für den Bescheid, da er aufgrund des Mietvertrages nicht Verfügungsberechtigter sei.
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Neben diesen tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Zweckentfremdung und dem streitgegenständlichen Bescheid begründet er seinen Eilantrag im Wesentlichen damit, dass Eilbedürftigkeit vorliege. Der Bescheid sei offensichtlich rechtswidrig, weiterhin drohe Verwaltungsvollstreckung. Außerdem sei auch eine baurechtliche Genehmigung beantragt worden. Die Stadt … überziehe ihn und seine Familie mit unerträglichen Verwaltungsmaßnahmen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sei erforderlich, um weitere schikanöse Maßnahmen der Stadt … zu verhindern. Außerdem sei davon auszugehen, dass die Corona-Maßnahmen ab 2021 entfielen und die Vermietung als Ferienwohnung wiederaufgenommen werden könne; davor sei erfahrungsgemäß ohnehin nicht mit einer Entscheidung durch das Gericht zu rechnen. Außerdem entstünden seiner Ehefrau und ihm durch die Verfügung empfindliche Einkommenseinbußen.
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Mit Beschluss des VG Bayreuth vom 11.12.2020 (Az.: B 8 S 20.1......) wurde der Antrag abgelehnt.
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Die Stadt … ist der Klage und dem Antrag mit Schriftsatz vom 15.12.2020 entgegengetreten und beantragt,
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Entgegen den Einwendungen des Antragstellers handle es sich bei den streitgegenständlichen Räumen um Wohnraum im Sinne der ZwEWS. Die Räume seien von 1958 bis 2013 von der früheren Grundstückseigentümerin bewohnt worden. Sie seien auch objektiv zur Wohnnutzung geeignet, das Argument des Antragstellers, wegen der fehlenden Kochgelegenheit sei dies nicht gegeben, verfange schon alleine wegen der Möglichkeit, eine Mikrowelle und/oder ein tragbares Kochplattengerät in den ansonsten sehr hochwertig eingerichteten Räumlichkeiten aufzustellen, nicht. Alleine die tatsächliche Umnutzung ändere vor dem Hintergrund der baurechtlichen Genehmigungslage noch nichts an der subjektiven Bestimmung zu Wohnzwecken.
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Nachdem der Antragsteller Eigentümer des Grundstücks sei, könne er auch nach § 13 ZwEWS als Adressat herangezogen werden. Die Eheleute hätten sich in dem Gewerberaummietvertrag gemeinsam für eine unzulässige Nutzungsänderung entschieden. Hierauf könnten sie keine schutzwürdige Rechtsposition stützen. Der Mietvertrag könne kurzfristig, nach Auffassung der Antragsgegnerin auch außerordentlich gekündigt werden.
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Die Genehmigungsfähigkeit der Zweckentfremdung sei in den vorangegangenen behördlichen Verfahren hinreichend geprüft und abgelehnt worden. Nachdem sich die Ehefrau des Antragstellers im Verfahren B 8 K 20.4... darauf berufe, aufgrund des Gewerberaummietvertrages nur zur Vermietung an Feriengäste befugt zu sein, habe man den Antragsteller als Adressaten ausgewählt. Aufgrund der angespannten Wohnsituation in … habe die Stadt das öffentliche Interesse mit dem Interesse des Antragstellers ermessensfehlerfrei abgewogen. Etwaige finanzielle Nachteile, inklusive Änderungen des Steuermodells der Eheleute, seien nachrangig. Sie hätten sich mit den privatrechtlichen Regelungen wissentlich und willentlich in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften und Genehmigungen gesetzt. Dies entbinde sie nicht von deren Einhaltung.
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Das angedrohte Zwangsgeld sei geeignet und geboten, den Wohnraum wieder Wohnzwecken zuzuführen. Angesichts der aktuellen Situation seien keine Buchungen, die später storniert werden müssten, zu erwarten. Ein solches habe man vom Antragsteller auch nicht gefordert. Ihm sei es aber als Grundstückseigentümer innerhalb der gesetzten Frist von zwei Monaten möglich und zuzumuten, die rechtlichen Voraussetzungen für die Rückführung der Wohnräume zu Wohnzwecken zu schaffen.
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Die Tatsache, dass der Antragsteller mittlerweile eine Baugenehmigung beantragt habe, führe zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Das Zweckentfremdungsrecht sei gerade als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt ausgestaltet. Der eingereichte Bauantrag begründe für sich alleine keinen Ausnahmetatbestand für die Erteilung einer Zweckentfremdungsgenehmigung. Im Gegenteil fehle aufgrund der Hürde der Zweckentfremdung dem Bauantrag das Sachbescheidungsinteresse.
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Mit Schreiben vom 16.12.2020 teilte das Gericht den Beteiligten mit, den Beschluss vom 11.12.2020 von Amts wegen nach § 80 Abs. 7 VwGO zu überprüfen. Der Antragsteller hat zudem mit Schreiben vom 17.12.2020 eine Änderung nach § 80 Abs. 7 VwGO beantragt.
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Der Kammer ist in einem anderen Verfahren bekannt geworden, dass anlässlich eines Normenkontrollverfahrens formale Fehler bei der Ausfertigung der Satzung der Stadt … über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWS) vom 23.07.2019 erkannt wurden. Aus diesem Grund hat die Antragsgegnerin die entsprechende Satzung nunmehr neu erlassen (ZwEWS vom 20.11.2020). Sie wurde im Rathausjournal vom 04.12.2020 bekannt gemacht und trat gemäß seines § 15 Abs. 1 ZwEWS am Tag nach der Veröffentlichung in Kraft.
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Die Beteiligten erhielten mit gerichtlichem Schreiben vom 29.01.2021 Gelegenheit, sich hierzu und zu einer etwaigen Heilung zu äußern.
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Die Antragsgegnerin führte im Schreiben vom 01.02.2021 aus, über den Normenkotrollantrag sei bisher durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof noch nicht abschließend entschieden. Ein etwaiger Formfehler sei durch die erneute Ausfertigung und Bekanntmachung der Satzung im Rathausjournal vom 04.12.2020 nachträglich geheilt. Es handle sich um eine zulässige unechte Rückwirkung, wenn Satzungsnormen, wie vorliegend, auf gegenwärtige noch nicht abgeschlossene Sachverhalte rückwirkend eingriffen. Diese Art der Rückwirkung sei zulässig, weil es keinen generellen Vertrauensschutz auf den Fortbestand einer bisherigen Rechtslage gebe und die Antragsgegnerin die Möglichkeit haben müsse, auf das aktuelle Geschehen und weitere Bedürfnisse, wie etwa die Sicherung des Wohnraums, durch Satzungsänderungen zu reagieren, oder einfach nur erkannte oder vermutete Fehler bei der Satzung zu korrigieren. Außerdem sei für das verwaltungsgerichtliche Verfahren die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich, weshalb nachträgliche Heilungen vom Gericht zu berücksichtigen seien.
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Der Bevollmächtigte des Antragstellers erwiderte hierzu in den Schriftsätzen vom 09.02.2021 und 15.02.2021, dass über das Verfahren beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof nichts bekannt sei und die Antragsgegnerin die Umstände offenzulegen habe. Das Schreiben der Antragsgegnerin sei bewusst unklar verfasst, offenbar liege ein Formfehler bzw. ein Fehler bei der Ausfertigung der ursprünglichen Zweckentfremdungssatzung vor. Gemäß der verwaltungsrechtlichen Formenlehre sei die Satzung damit bereits aus formalen Gründen nichtig, ohne dass es auf die vom Antragsteller bereits vorgetragenen inhaltlichen Punkte ankomme. Der Antragsteller sei der Auffassung, dass die Satzung aus materiell rechtlichen Gründen, namentlich wegen eines Verstoßes gegen das Eigentumsgrundrecht und den Grundsatz des Vertrauensschutzes nichtig sei. Sofern die Satzung aufgrund formeller oder sonstiger Mängel nichtig sei, seien auch alle bisherigen Bescheide gegen die Familie … rechtswidrig. Die Rechtsmeinung der Antragsgegnerin, wonach es für die Begründetheit einer Anfechtungsklage auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankomme, sei falsch und widerspreche der allgemeinen Rechtsprechung und Lehre. Die Ausführungen zur Rückwirkung entbehrten jeder Grundlage. Bekanntlich sei zwar in der Rechtsprechung zum Beitragsrecht eine echte Rückwirkung möglich, wenn eine Satzung beispielsweise im Hinblick auf Beitragssätze unwirksam war, die neue Zweckentfremdungssatzung sehe aber ausdrücklich keine Rückwirkung vor, sondern trete gemäß ihrem § 15 Abs. 1 am Tag nach der Veröffentlichung im Rathausjournal, also am 15.12.2020 in Kraft. Sie könne daher keine Rückwirkung entfalten. Die Antragsgegnerin habe bisher vehement den Standpunkt vertreten, Wohnraum liege nur dann nicht vor, wenn vor Inkrafttreten der Zweckentfremdungssatz ein entsprechender baurechtlicher Antrag auf Nutzungsänderung gestellt worden sei. Dass diese Ansicht falsch sei und der gesamten einschlägigen Rechtsprechung widerspreche, sei etliche Male ausgeführt worden. Lege man dennoch die verkehrte Ansicht der Antragsgegnerin zugrunde, liege aufgrund des Inkrafttretens der neuen Satzung Wohnraum nun offensichtlich und eindeutig nicht vor. Der Antragsteller habe lange vor Inkrafttreten der Satzung am 05.12.2020 einen baurechtlichen Antrag auf Nutzungsänderung gestellt. Bei Zugrundelegung der neuen Satzung hätten die Klagen der Familie … deshalb Erfolg, weil nun nach Ansicht der Stadt … offensichtlich und eindeutig Wohnraum vorliege. Bei Zugrundelegung der alten Satzung, hätten die Klagen Erfolg, weil die Satzung nichtig sei. Der Kläger habe einen baurechtlichen Anspruch auf Genehmigung der Nutzungsänderung. Weiter wird ausgeführt, dass die in der Satzung genannte erhebliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz nicht dem Bestimmtheitserfordernis genüge.
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Mit Schriftsatz vom 15.03.2021 führt die Antragsgegnerin aus, die Zweckentfremdungssatzung sei am 20.11.2020 ausgefertigt und nochmals im Amtsblatt der Stadt …, dem Rathausjournal, vom 04.12.2020 bekannt gegeben worden. Ein etwaiger Fehler der Ausfertigung sei nachträglich geheilt worden. Diese Heilung wirke rückwirkend auf die erste Bekanntmachung. Alle darauf basierenden Rechtsakte blieben insofern wirksam. Weiter werden die Ausführungen zur unechten Rückwirkung und dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt wiederholt. Ganz speziell sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass keine echte Rückwirkung gegeben sei, wenn Formnichtigkeiten bei Rechtsnormen durch Heilung beseitigt würden. Die zunächst formnichtige Norm habe bereits einen Rechtsschein erzeugt, sodass die Betroffenen von der Geltung ausgehen müssten. Insofern gebe es keinen Vertrauensschutz. Nachdem über dem Bauantrag noch nicht entschieden sei, fehle dem Zweckentfremdungsantrag das Sachbescheidungsinteresse. Hinsichtlich der Existenzgefährdung sei auszuführen, dass die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im deutschen Rechtssystem gebräuchlich und rechtsstaatlich nicht zu beanstanden sei. Eine Existenzgefährdung sei dann anzunehmen, wenn das Existenzminimum unterschritten werde. Was das Existenzminimum sei, ergebe sich aus den jeweiligen Sozialhilfesätzen. Es spiele damit eine Rolle, welche anderen Mittel aus Einkommen oder Vermögen für den Wohnungserhalt und die Vermietungsfähigkeit eingesetzt werden könnten.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird entsprechend § 117 Abs. 3 VwGO auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und die Gerichts- und Behördenakten in den Parallelverfahren mit den Aktenzeichen B 8 K 20.1... …, B 8 K 20.11..., B 8 K 20.4..., sowie B 8 E 20.4... verwiesen.
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Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Der ursprüngliche Antrag war entgegen des Beschlusses vom 11.12.2020 zulässig. Das Gericht nimmt aus diesem Grund von Amts wegen die Möglichkeit eines Abänderungsverfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO in Anspruch.
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1. Der Antrag ist nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 3 Abs. 3 ZwEWG statthaft, da die Klage in der Hauptsache keine aufschiebende Wirkung hat. Der Antragsteller ist analog § 42 Abs. 2 VwGO als Adressat eines Bescheides, der ihm eine Handlung aufgibt, antragsbefugt.
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2. Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.
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Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts überwiegt. Bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs in der Hauptsache überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse, umgekehrt überwiegt bei offensichtlicher Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. In Fällen der gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung unterscheidet sich indes die Interessenabwägung des Gerichts von derjenigen, die in den Fällen einer behördlichen Anordnung stattfindet. Während im Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bei der Interessenabwägung die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers für die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen bedeutsam wird, ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO zu beachten, dass der Gesetzgeber diesbezüglich einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen (siehe Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 80 Rn. 152a; BVerfG, B.v. 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 – juris Rn. 21; BVerwG, B.v. 14.04.2005 – 4 VR 1005/04 – juris Rn. 11 f.). Die einfachgesetzliche Ausgestaltung wirkt sich mithin auf die Anforderungen an die Interessenabwägung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren aus. Hat sich der Gesetzgeber – wie hier in Art. 3 Abs. 3 ZwEWG – für den Sofortvollzug entschieden, sind die Gerichte neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Einzelfall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist.
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Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt im vorliegenden Fall das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse. Hinsichtlich des angegriffenen Bescheides vom 13.11.2020 bestehen bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit; es steht zu befürchten, dass der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Es wird in der Hauptsache zu klären sein, ob der Bescheid eine wirksame Rechtsgrundlage in der Zweckentfremdungssatzung findet.
39
a. Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides vom 13.11.2020, der dem Antragsteller die Beendigung der Zweckentfremdung und die Rückführung zu Wohnzwecken aufgibt, beruht auf der Zweckentfremdungssatzung vom 23.07.2019. Diese ist Gegenstand eines bisher nicht abgeschlossenen Normenkontrollverfahrens beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (vgl. BayVGH Az. 12 N 20.1726). Die Antragsgegnerin hat hierzu vorgetragen, dass hierbei etwaige formelle Mängel zu Tage getreten sind, die mit der neuen Ausfertigung und Bekanntmachung geheilt werden sollten. Verstöße gegen zwingende Verfahrensbestimmungen der Gemeindeordnung führen nach summarischer Prüfung grundsätzlich zur Unwirksamkeit der Satzung. Die Möglichkeit einer rückwirkenden Heilung der Satzung durch Neubekanntmachung bleibt der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten, denn ein rückwirkendes Inkrafttreten ist der nunmehr neu erlassenen ZwEWS vom 20.11.2020 – deren formale Wirksamkeit unterstellt – nicht zu entnehmen. Sie wurde im Rathaus Journal vom 04.12.2020 bekannt gemacht und trat gemäß seines § 15 Abs. 1 ZwEWS am Tag nach der Veröffentlichung in Kraft. Die Satzung kann damit nicht vor dem 05.12.2020 in Kraft getreten sein. Der streitgegenständliche Bescheid datiert vom 13.11.2020 und wurde bereits mit Schriftsatz vom 03.12.2020 beklagt. Insofern scheint seine Rechtsgrundlage mindestens fraglich. Im Übrigen verweist der Bescheid als Rechtsgrundlage ausdrücklich auf die ZwEWS vom 23.07.2019.
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Es muss der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten bleiben, ob ein Ausnahmefall dergestalt angenommen werden kann, dass aufgrund einer nunmehrigen – unterstellten – Wirksamkeit der ZwEWS vom 20.11.2020 der identische Verwaltungsakt umgehend erneut erlassen werden müsste und aus diesem Grund ein Abstellen auf die Unwirksamkeit der ZwEWS vom 23.07.2019 unbillig wäre (vgl. BayVGH U.v. 01.02.2018 – 20 BV 15.1025 –, BayVBl 2018, 447-451; BVerwGE 64, 218).
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Aus verschiedenen Gesichtspunkten drängt sich dies im Rahmen der summarischen Prüfung zumindest nicht auf:
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Zum einen hat die Antragsgegnerin im Rahmen der Befugnisnorm des Art. 3 Abs. 2 ZwEWG i.V.m. § 13 Abs. 2 ZwEWS v. 20.11.2020 notwendigerweise ein Ermessen auszuüben, das sich nunmehr auf veränderte Umstände bezieht: Der Antragsteller hat ggf. vor Wirksamkeit der Satzung bereits eine Zweckentfremdung vorgenommen und entsprechende Genehmigungen nach Baurecht und Zweckentfremdungsrecht beantragt. Hinsichtlich der erfolgten Fristsetzung könnte der Bescheid ebenfalls anders ausfallen. Dem Antragsteller ist in Ziffer 1 eine Handlung bis spätestens einen Monat nach Zustellung, mithin bis 19.12.2020, und damit bis knapp nach der etwaigen Heilung des Formfehlers der Rechtsgrundlage aufgegeben. Welche Auswirkungen die verspätete Wirksamkeit der Satzung auf die gesetzte Frist hat, ist offen. Insbesondere kommt eine Verkürzung oder eine faktische Verlängerung (1 Monat nach Schaffung einer tragfähigen Rechtsgrundlage) im Rahmen der Ermessensausübung in Betracht.
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Im Hauptsacheverfahren wird gegebenenfalls der maßgebliche Zeitpunkt der Behördenentscheidung zur Überprüfung der Sach- und Rechtslage nach Maßgabe des materiellen Rechts zu klären sein (BVerwG U.v. 27.04.1990 – 8 C 87/88 – NVwZ 1991, 360; Wolff in NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 94 ff.).
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Zusätzlich überwiegt im Rahmen der Interessenabwägung das Suspensivinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin im Hinblick auf eine sonstige de facto Erledigung der weiter anhängigen Verwaltungsstreitsachen B 8 K 20.1... …, B 8 K 20.11..., B 8 K 20.4.... Allein durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kann die Möglichkeit offengehalten werden, dass der Familie … in den Hauptsacheverfahren noch wirksamer Rechtsschutz zuteilwird. Würde eine Vermietung der Ferienwohnungen als klassischer Wohnraum herbeigeführt, bestünde die Gefahr, dass sich die o.g. anhängigen Verfahren ohne eine Entscheidung in der Hauptsache vorzeitig zumindest de facto erledigen.
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In der Gesamtschau und im Hinblick auf den noch offenen Verfahrensausgang erscheint ein allenfalls vorübergehendes Zuwarten der Behörde auf den Vollzug zur beabsichtigten Wohnraumverwendung im vorliegenden Fall bis zur Entscheidung in der Hauptsache auch zumutbar.
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b. Mit Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Ziff. 1 des streitgegenständlichen Bescheids entfällt gemäß Art. 19 Abs. 1 BayVwZVG die Voraussetzung für die Vollstreckbarkeit der Zwangsgeldandrohung in Ziffer 2. Entsprechendes gilt für die in Ziff. 3 des Bescheides festgesetzten Kosten. Diese dürften, sofern sich die inhaltliche Regelung im Bescheid in der Hauptsache als rechtswidrig erweist, nicht erhoben werden, Art. 16 Abs. 5 KG.
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3. Als Unterlegene in diesem Verfahren trägt die Antragsgegnerin die Kosten dieses Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO).
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4. Die Entscheidung zum Streitwert stützt sich auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 1.1.1 und 56.6.3, sowie 1.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Die Kammer sieht keinen Anknüpfungspunkt für eine genaue Bezifferung des wirtschaftlichen Interesses an der begehrten Nutzung und nimmt daher je Wohnung den Auffangwert von 5.000,00 EUR, also insgesamt 10.000,00 EUR an. Dieser wird im vorläufigen Rechtsschutz halbiert.