Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 19.03.2021 – 3 U 392/20
Titel:

Verjährungshemmung: Fehlende Individualisierung des Anspruchs im Mahnbescheid

Normenketten:
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 3
ZPO § 690 Abs. 1 Nr. 3
Leitsätze:
1. Ein im Mahnverfahren geltend gemachter Anspruch ist dann hinreichend individualisiert, wenn er durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden kann, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann und dem Schuldner die Beurteilung ermöglicht, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird in einem Mahnbescheid eine geltend gemachte Schadensersatzforderung lediglich als „Anspruch aus Ingenieurvertrag“ bezeichnet, so hemmt die Zustellung des Mahnbescheids mangels hinreichender Bestimmtheit und Individualisierung der Forderung den Lauf der Verjährung nicht. (Rn. 17 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Mahnbescheid kann zur hinreichenden Individualisierung des Anspruchs auch auf Rechnungen oder andere vorprozessuale Urkunden Bezug genommen werden kann, wenn diese dem Mahnbescheid in Abschrift beigefügt oder dem Gegner bereits zuvor zugegangen sind. Eine fehlende Individualisierung im Mahnbescheid kann hingegen nicht verjährungshemmend nachgeholt werden (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ingenieur, Planung, Nachholung, Schadensersatz, Verjährung, Mahnbescheid, Individualisierung, Bestimmtheit, Hemmung, Anspruchsbegründung
Vorinstanz:
LG Hof, Endurteil vom 08.12.2020 – 11 O 98/15
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63010

Tenor

I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hof vom 08.12.2020 im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
II. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis längstens 21.04.2021.

Entscheidungsgründe

I.
1
Wegen des Sach- und Streitstands wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Lediglich ergänzend oder erläuternd ist noch auszuführen:
2
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen mangelhafter Ingenieurleistungen in Anspruch.
3
Die Klägerin beauftragte den Beklagten mit Vertrag vom 15.03./08.05.2007 mit Ingenieurleistungen für das Bauvorhaben „Abwasseranlage …, BA …, Bauumfangsänderung“. Der Vertrag nahm in § 2 Bezug auf die „Allgemeinen Vertragsbestimmungen für Ingenieurleistungen“, die in § 9.4 AVB-Ing. bestimmen, dass die Verjährung spätestens mit der Anweisung der Schlusszahlung beginnt (vgl. Anlage K 1).
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In der Folge erstellte der Beklagte insbesondere die Ausschreibungsunterlagen. Auf dieser Grundlage erteilte er am 26.10.2007 der S. GmbH … (im Folgenden: S.) den Auftrag für Entwässerungs- und Kanalarbeiten sowie zur Schaffung eines Regenüberlaufbeckens. Die S. stellte jedoch ihre Arbeiten am 29.05.2008 ein, ohne diese fertigzustellen. Die Klägerin erteilte daraufhin der T. GmbH den Auftrag, den der S. erteilten Auftrag fortzuführen. Hierdurch entstanden der Klägerin – nach ihrem Vortrag – Mehrkosten in Höhe von 37.088,26 €.
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Der Beklagte stellte der Klägerin nach Abschluss des Bauvorhabens seine Leistungen mit verschiedenen Schlussrechnungen in Rechnung, zuletzt mit Honorarschlussrechnung vom 10.08.2009 (Anlage B 2), welche die Klägerin am 29.12.2009 bezahlte (Anlage B 2a).
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In der Folge nahm die Klägerin die S. vor dem Landgericht Hof (Az.: 13 O 384/10), dem Oberlandesgericht Bamberg (Az.: 8 U 82/12) und dem Bundesgerichtshof (Az.: VII ZR 179/13) gerichtlich wegen der ihr entstandenen Mehrkosten in Anspruch, unterlag jedoch in allen drei Instanzen, weil der Beklagte die Ausschreibung fehlerhaft formuliert hatte, sodass die S. die beauftragte Leistung nicht hatte erbringen können und müssen. In der Folge hatte die Klägerin – nach ihrem Vortrag – der S. Prozesskosten in Höhe von 8.438,90 € zu erstatten. Zudem entstanden ihr – nach ihrem Vortrag – eigene Prozesskosten in Höhe von 21.470,86 €.
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Auf Antrag der Klägerin vom 20.08.2014 (Anlage K 29) erließ das Amtsgericht Coburg am 22.08.2014 einen Mahnbescheid in Höhe der Gesamtsumme der vorgenannten Beträge gegen den Beklagten, in dem die Klägerin die Hauptforderung als „Anspruch aus Ingenieurvertrag vom 08.05.2007 vom 08.05.2007“ bezeichnete. Weiter hieß es: „Der Antragsteller hat erklärt, dass der Anspruch von einer Gegenleistung abhänge, diese aber erbracht sei.“ Der Mahnbescheid vom 22.08.2014 wurde dem Beklagten am 27.08.2014 zugestellt.
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Zudem forderte die Klägerin den Beklagten mit Schriftsatz ihrer Prozessvertreter vom 21.08.2014 unter Darlegung des Sachverhalts außergerichtlich zur Zahlung von 66.998,02 bis zum 19.09.2014 auf (Anlage K 30). Dieses Schreiben wurden dem Beklagten am 29.08.2014 zugestellt (Anlage K 30a).
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Der Beklagte legte gegen den Mahnbescheid Widerspruch ein, worüber die Klägerin am 11.09.2014 unterrichtet wurde. Am 10.03.2015 erteilte die Klägerin eine Ermächtigung für den Einzug der Gerichtskosten. Mit Anspruchsbegründung vom 11.02.2020 begründete die Klägerin ihre Forderung. Darin bezeichnete sie ihren Anspruch als „Schadensersatz aus Ingenieurvertrag“.
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Das Landgericht hat die auf Zahlung von 66.998,02 € zuzüglich Zinsen gerichtete Klage abgewiesen, da der Anspruch der Klägerin verjährt sei und der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben habe. Der Mahnbescheid vom 22.08.2014 habe die Verjährung nicht gehemmt, da er nicht hinreichend individualisiert sei. Nachfolgende Verzichte auf die Einrede der Verjährung hätten diese ebenfalls nicht gehemmt, da unklar sei, ob sie sich auf den vorliegenden Rechtsstreit bezögen.
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Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin, die ihre Sachanträge weiterverfolgt. Sie trägt vor: Der Mahnbescheid sei hinreichend individualisiert, weil zwischen den Parteien keine weiteren Rechtsbeziehungen bestanden hätten als diejenigen, die sich aus dem Ingenieurvertrag aus dem Kalenderjahr 2007 ergaben. Zudem habe der Beklagte „das Bauvorhaben“ der Klägerin auch „während der Prozesse mit der Firma S.“ regelmäßig begleitet. Fast jeder Schriftsatz der Firma S. sei Veranlassung für eine Besprechung gewesen, an der jeweils auch der Beklagte als technischer Berater teilgenommen habe. Ferner habe sie dem Beklagten mit Schreiben vom 21.08.2014, ihm zugegangen am 29.08.2017, im Detail aufgezeigt, wie sich die Forderung zusammensetze. Bei der Auslegung der Verzichtserklärung habe das Landgericht das Schreiben vom 14.07.2015 (Anlage K 46) übergangen, aus dessen Inhalt sich ergebe, dass allen Beteiligten deutlich war, auf welchen Rechtsstreit sich die Anspräche beziehen würden.
II.
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Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die Berufung der Klägerin offensichtlich unbegründet, so dass das Rechtsmittel keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinn des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bietet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht angenommen, dass der Mahnbescheid nicht hinreichend individualisiert ist und nicht deshalb geeignet war, die Verjährung der Klageforderung zu hemmen mit der Folge, dass Verjährung eingetreten ist.
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1. Es ist durch gefestigte höchstrichterlicher Rechtsprechung geklärt, dass der Mahnantrag und der auf seiner Grundlage ergangene Mahnbescheid den geltend gemachten prozessualen Anspruch nach § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO individualisieren, also den Anspruch unter bestimmter Angabe der verlangten Leistung bezeichnen muss. Fehlt es hieran, tritt keine Hemmung der Verjährung durch den antragsgemäß erlassenen Mahnbescheid ein.
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Der Regelung des § 204 BGB liegt das Prinzip zugrunde, dass die Verjährung durch eine aktive Rechtsverfolgung des Gläubigers gehemmt wird, die einen auf die Durchsetzung seines Anspruchs gerichteten Willen für den Schuldner erkennbar macht; der Gläubiger muss dem Schuldner seinen Rechtsverfolgungswillen so verdeutlichen, dass dieser sich darauf einrichten muss, auch nach Ablauf der (ursprünglichen) Verjährungszeit in Anspruch genommen zu werden. Entscheidend ist mithin, ob die konkrete Maßnahme der Rechtsverfolgung die geforderte Warnfunktion erfüllt. Der Anspruchsgegner muss erkennen können, „worum es geht“ (BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 – III ZR 198/14, BGHZ 206, 41 Rn. 17 f.; Urteil vom 13. Oktober 2015 – II ZR 281/14, NJW 2016, 1083 Rn. 16; Urteil vom 8. Mai 2018 – II ZR 314/16, WM 2018, 2052 Rn. 11; Versäumnisurteil vom 19. November 2019 – II ZR 233/18 –, Rn. 34, juris). Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung ist somit nicht, dass aus dem Mahnbescheid für einen außenstehenden Dritten ersichtlich ist, welcher konkrete Anspruch mit dem Mahnbescheid geltend gemacht wird; es reicht aus, dass dies für den Antragsgegner erkennbar ist (BGH, Versäumnisurteil vom 19. November 2019 – II ZR 233/18 –, Rn. 36, juris).
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Ein im Mahnverfahren geltend gemachter Anspruch ist dann im Sinne von § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hinreichend individualisiert, wenn er durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden kann, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann und dem Schuldner die Beurteilung ermöglicht, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will.
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Wann diese Anforderungen erfüllt sind, kann nicht allgemein und abstrakt festgelegt werden; vielmehr hängen Art und Umfang der erforderlichen Angaben im Einzelfall von dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis und der Art des Anspruchs ab (BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 – III ZR 198/14, BGHZ 206, 41 Rn. 19; Urteil vom 13. Oktober 2015 – II ZR 281/14, NJW 2016, 1083 Rn. 17; Urteil vom 08. Mai 2018 – II ZR 314/16 –, Rn. 12, juris).
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2. Hieran gemessen ist der Mahnbescheid vom 22.08.2014, der auf Grundlage des Antrags der Klägerin vom 20.08.2014 erlassen wurde, nicht hinreichend individualisiert und war er daher nicht geeignet, die Verjährung zu hemmen.
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a) Im Ansatzpunkt zutreffend geht die Klägerin zwar davon aus, dass ausnahmsweise auch eine knappe Kennzeichnung des geltend gemachten Anspruchs und der verlangten Leistung den gesetzlichen Anforderungen genügen kann, wenn zwischen den Parteien keine weiteren Rechtsbeziehungen bestehen (BGH, Urteil vom 25. März 2015 – VIII ZR 243/13, ZIP 2015, 979 Rn. 64; Urteil vom 6. Dezember 2001 – VII ZR 183/00, NJW 2002, 520, 521; Urteil vom 13. Oktober 2015 – II ZR 281/14 –, Rn. 18, juris). Als ausreichende Individualisierung hat der BGH in einer derartigen Konstellation beispielsweise die Bezeichnung „Werkvertrag/Werklieferungsvertrag gemäß Rechnung vom 23. September 1996“ angesehen (BGH, Urteil vom 06. Dezember 2001 – VII ZR 183/00 –, Rn. 4, juris).
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Hier liegt die Sache jedoch anders. In der vorstehenden BGH-Entscheidung war es tatsächlich um die Geltendmachung von Restwerklohn aus einer Schlussrechnung, also um eine vertraglichen Primärforderung gegangen. Demgegenüber macht die Klägerin nicht nur Schadensersatzansprüche, also Sekundäransprüche geltend, sondern beschränkt sie sich zudem ausschließlich auf die bloße Angabe des Vertrags. Dies ist zwar insoweit verständlich, als sie den Beklagten zuvor nicht zur Zahlung angemahnt hatte und daher auf kein Anspruchsschreiben bzw. eine „Rechnung“ oder Ähnliches Bezug nehmen konnte. Anders als in der BGH-Entscheidung geht es jedoch im vorliegenden Fall gerade nicht um die Erfüllung der ursprünglich zwischen den Parteien bestehenden Vertragsbeziehung und wurde der Anspruch auch nicht näher konkretisiert.
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Zudem ist zu fraglich, ob die Parteien im Jahre 2014 überhaupt noch in einer „Rechtsbeziehung“ im Sinne der oben genannten Rechtsprechung zueinander standen, nachdem der ursprüngliche Vertrag aus dem Jahr 2007 durch Schlussrechnung abgewickelt und die Klägerin an den Beklagten erst mit Schriftsatz vom 21.08.2014 mit einer Schadensersatzforderung herangetreten war. Vor diesem Hintergrund ist es keineswegs selbstverständlich, dass und wie der Beklagte die Forderung der Klägerin zuordnen konnte, insbesondere auch deshalb, weil die Klägerin zu einem Gutteil Rechtsverfolgungskosten geltend macht und der Beklagte an diesem Prozess nicht beteiligt gewesen war.
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Schließlich steht einer hinreichenden Individualisierung auch entgegen, dass die Klägerin erklärt hat, ihr Anspruch sei „von einer Gegenleistung abhängig, diese aber erbracht.“ Diese Angabe ist für vertragliche Ansprüche kennzeichnend, für Schadensersatzansprüche – wie hier – jedoch unzutreffend.
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b) Der Beklagte musste auch nicht deshalb wissen, „worum es geht“, weil er – so die Klägerin – für sie als technischer Berater „während der Prozesse mit der Firma S.“ tätig gewesen war. Abgesehen davon, dass es mindestens zwei verschiedene Prozesse gab (Az.: 13 O 384/10 sowie 12 O 290/12) und der klägerische Vortrag somit kaum hinreichend substantiiert ist, bleibt schon unklar, ob der Beklagte (nur) „das Bauvorhaben“ oder (nur bzw. auch) „die Prozesse“ pflichtwidrig betreut haben soll. Für die erste Alternative spricht seine Tätigkeit als „technischer Berater“. Wenn es aber nur darum gehen sollte, dann musste der Beklagte nicht über die hier geltend gemachten Rechtsverfolgungskosten im Bilde sein.
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c) Schließlich verhilft auch das Schreiben vom 21.08.2014 der Berufung nicht zum Erfolg. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass im Mahnbescheid zur Bezeichnung des geltend gemachten Anspruchs auch auf Rechnungen oder andere vorprozessuale Urkunden Bezug genommen werden kann. Diese sind jedoch nur dann zur Individualisierung des Anspruchs geeignet, wenn sie dem Mahnbescheid in Abschrift beigefügt oder dem Gegner bereits zuvor zugegangen sind (BGH, Urteil vom 13. Oktober 2015 – II ZR 281/14, NJW 2016, 1083 Rn. 18; Versäumnisurteil vom 19. November 2019 – II ZR 233/18 –, Rn. 36, juris). Denn die Individualisierung kann nicht mehr verjährungshemmend nachgeholt werden (BGH, Versäumnisurteil vom 19. November 2019 – II ZR 233/18 –, Rn. 34, juris).
24
Der Schriftsatz vom 21.08.2014 ist indessen – denknotwendig – im Mahnbescheidsantrag vom 20.08.2014 weder erwähnt noch diesem beigefügt. Er war dem Beklagten auch erst nach der Zustellung des Mahnbescheids zugegangen, sodass auch er an der mangelhaften Individualisierung des Mahnantrags nichts zu ändern vermochte.
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3. Nach alledem kommt es auf die Erklärungen über den Verzicht auf die Einrede der Verjährung nicht mehr an, da die Klageforderung zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt war.
III.
26
Die aussichtslosen Berufungsangriffe erfordern keine Erörterung in mündlicher Verhandlung.
27
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 ZPO liegen nicht vor.
28
Der Senat regt daher – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme der aussichtslosen Berufung (dringend) an, die zwei Gerichtsgebühren spart (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis GKG).