Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 05.05.2021 – W 2 K 21.541
Titel:

Prüfungsunfähigkeit, unmittelbare Geltendmachung, Obliegenheit des Prüflings bezüglich Kontaktaufnahme mit Landesjustizprüfungsamt

Normenketten:
JAPO § 63
JAPO § 10
Schlagworte:
Prüfungsunfähigkeit, unmittelbare Geltendmachung, Obliegenheit des Prüflings bezüglich Kontaktaufnahme mit Landesjustizprüfungsamt
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 02.08.2023 – 7 B 22.991
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63009

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.
1
Der Kläger begehrt die Nachfertigung von Ersatzarbeiten für die Klausuren 7 bis 11 der Zweiten Juristischen Staatsprüfung.
2
Am 9. Dezember 2019 und 10. Dezember 2019 schrieb der Kläger im Rahmen des Zweiten Juristischen Staatsexamens im Prüfungstermin 2019/2 die Aufgaben Nr. 10 und Nr. 11 des schriftlichen Prüfungsteils mit.
3
Am 10. Dezember 2019 machte er mit Email von 21.43 Uhr gegenüber dem Beklagten geltend, bei der Abfassung der Aufgaben Nr. 10 und Nr. 11 prüfungsunfähig gewesen zu sein. Bei ihm habe sich am 8. Dezember 2019 ein Abszess an der Unterlippe gebildet, der bereits am nächsten Tag so groß und schmerzhaft gewesen sei, dass er unmittelbar im Anschluss an Klausur Nr. 10 einen niedergelassenen Arzt aufgesucht habe. Ihm sei ein Antibiotikum verschrieben worden. Es sei zu spät gewesen, noch einen Amtsarzt aufzusuchen. Auch das Landesjustizprüfungsamt habe er am 9. Dezember 2019 nicht mehr telefonisch erreicht. Da er nicht gewusst habe, ob der Abszess als Grund für eine Prüfungsunfähigkeit anerkannt werde, habe er die Klausur am 10. Dezember 2019 vorsichtshalber mitgeschrieben. Er habe den Prüfungsraum während der Prüfung mehrmals verlassen und seine Lippe unter kaltem Wasser kühlen müssen. Trotz Schmerzmittel habe der Schmerz in Kopf, Zähne und den Kiefer ausgestrahlt. Bedingt durch die ihm gewährte Schreibzeitverlängerung habe die Prüfung erst um 15 Uhr geendet. Nach Ende der Klausur habe er sich direkt zum Gesundheitsamt begeben. Es sei jedoch kein Amtsarzt mehr im Hause gewesen. Er habe dann ohne Erfolg versucht, das Landesjustizprüfungsamt telefonisch zu erreichen. Er habe erneut einen niedergelassenen Arzt aufgesucht, der ihn in die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums W. überwiesen habe. Dort sei er umgehend operiert und der Abszess geöffnet worden. Er sei erst gegen 20.20 Uhr nach Hause gekommen und mache nun für die Klausuren am 9. Dezember 2019 und am 10. Dezember 2019 Prüfungsunfähigkeit geltend.
4
Im nachfolgenden Schriftwechsel der Parteien legte der Kläger ein amtsärztliches Attest vom 12. Dezember 20219 vor, in dem auf der Grundlage einer amtsärztlichen Untersuchung vom 11. Dezember 2019 sowie eines hausärztlichen Attests vom 10. Dezember 2019 bescheinigt wird, dass der Kläger seit 8. Dezember 2019 an einem progredienten Unterlippenabszess leide. Am 9. Dezember 2019 und am 10. Dezember 2019 habe von ca. 16.10 Uhr bis 17 Uhr eine hausärztliche Behandlung stattgefunden. Die erforderliche Weiterbehandlung in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie sei bereits begonnen worden. Aufgrund von ausstrahlenden Kopfschmerzen und reduzierter Leistungsfähigkeit unter medikamentöser Therapie habe mit hoher Wahrscheinlichkeit vom 9. Dezember 2019 bis 11. Dezember 2019 beim Kläger Prüfungsunfähigkeit vorgelegen.
5
Mit Bescheid vom 29. Januar 2020 lehnte der Beklagte die Geltendmachung von Prüfungsunfähigkeit bei der Anfertigung der Aufgaben 10 und 11 ab. Der Kläger habe die Prüfungsunfähigkeit nicht unmittelbar nach Abgabe der Klausur und damit nicht rechtzeitig geltend gemacht. Insbesondere habe er bis zum Versenden der Email ausreichend Zeit gehabt, sich über die korrekte Lösung zu informieren. Es sei nicht ersichtlich, dass ihm eine frühere Geltendmachung nicht möglich gewesen sei. Er selbst trage vor, bereits während der Klausur unter Schmerzen gelitten zu haben und den Prüfungsraum mehrfach zum Kühlen der Lippe verlassen zu haben. Damit habe er die behauptete Prüfungsunfähigkeit erkannt. Es sei in der Ladung ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass eine Verhinderung bei Abgabe der schriftlichen Arbeit sofort geltend gemacht werden müsse und dies auch gegenüber der Prüfungsaufsicht erfolgen könne. Auch hätte er unmittelbar nach der Abgabe die Prüfungsunfähigkeit telefonisch oder via Email gegenüber dem Prüfungsamt geltend machen können. Das Landesjustizprüfungsamt sei am Prüfungstag bis 17 Uhr durchgehend telefonisch erreichbar gewesen. Der zuständige Ansprechpartner sei auf der Ladung angegeben gewesen, weitere Ansprechpartner seien über das Internet leicht zu ermitteln. Auch die Vermittlung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz hätte den Kläger mit einem zuständigen Mitarbeiter des Landesjustizprüfungsamts verbinden können. Zudem hätte der Kläger auch bereits am Nachmittag eine Email schreiben können. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 29. Januar 2020 Bezug genommen.
II.
6
Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 6. Februar 2020, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg am 10. Februar 2020 eingegangen, Klage erheben, die er im Wesentlichen wie folgt begründen ließ:
7
Der Kläger habe – jedenfalls bezogen auf die Klausur Nr. 11 – die Prüfungsunfähigkeit rechtzeitig geltend gemacht. Der Kläger, der aufgrund einer Schreibzeitverlängerung bei Abgabe der Klausur der einzige Prüfling gewesen sei, sei davon ausgegangen, dass die im Raum verbliebene Aufsichtsperson ihn ohnehin an das Landesjustizprüfungsamt verweisen würde. Zudem sei die körperliche Beeinträchtigung aufgrund seiner Lippe so massiv gewesen, dass er nicht mehr in der Lage gewesen sei, einen klaren Gedanken zu fassen. Er sei bei Ende der Arbeitszeit mit dieser extremen Stress- und Ausnahmesituation überfordert gewesen. Der Kläger habe sich nur noch darauf konzentrieren können, sich behandeln zu lassen. Soweit das Erfordernis der unmittelbaren Geltendmachung verhindern solle, dass ein Prüfungsteilnehmer nach Abgabe der Klausur sich mit Dritten über den Inhalt und die korrekte Lösung der Prüfungsaufgabe austausche, um seine erbrachte Leistung einzuschätzen, sei dies dem Kläger angesichts seiner gesundheitlichen Situation schon nicht möglich gewesen. Auch eine Selbsteinschätzung sei ihm aufgrund der Schmerzen nicht möglich gewesen. Da die Schmerzen erst zum Ende der Klausur massiv zugenommen hätten, sei dem Kläger seine Prüfungsunfähigkeit nicht bereits vorher bewusst gewesen. Für die weiteren Einzelheiten wird insbesondere auf die Schriftsätze vom 27. Februar 2020, vom 9. Februar 2021 und vom 17. Februar 2021 sowie die dem Schriftsatz vom 9. Februar 2021 beigefügte persönliche Stellungnahme des Klägers (undatiert) verwiesen.
8
Der Kläger lässt zuletzt beantragen,
„Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Januar 2020 dem Kläger unter Anerkennung von Prüfungsunfähigkeit die Wiederholung der Klausuren 7 bis 11 zu gestatten.“
9
Der Beklagte beantragt,
„Die Klage wird abgewiesen.“
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Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Die Klage sei unbegründet. Der Kläger habe die Prüfungsunfähigkeit nicht rechtzeitig geltend gemacht. Prüfungsteilnehmer, die eine schriftliche Prüfungsarbeit in einem nicht zu vertretenden Zustand der Prüfungsunfähigkeit angefertigt hätten, müssten die Prüfungsunfähigkeit unmittelbar im Anschluss an die Abgabe der Prüfungsarbeit geltend machen. Dies diene dem prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit. Es solle verhindern, dass sich ein Prüfungsteilnehmer nach Abgabe der Klausur mit anderen über den Inhalt und die Lösung der Klausur austausche oder anhand von Lehrbüchern damit auseinandersetze, um so unter Einschätzung der eigenen Leistung entscheiden zu können, ob die Klausur gewertet werden solle. Andernfalls bestehe die Möglichkeit, eine Klausur im prüfungsunfähigen Zustand „versuchsweise“ abzulegen und sich die Möglichkeit einer nachträglichen Berufung auf die Prüfungsunfähigkeit offen zu halten. Dies würde zu einem gleichheitswidrigen zusätzlichen Prüfungsversuch führen. Dem Prüfling solle keine – auch keine nur kurze – Zeitspanne verbleiben, um sich die Geltendmachung der Prüfungsunfähigkeit zu überlegen. Es sei nicht ersichtlich, dass dem Kläger eine frühere Geltendmachung nicht möglich gewesen wäre. Er habe seine Prüfungsunfähigkeit bereits während der Prüfung erkannt. Es wäre ihm ohne weiteres möglich gewesen, sie bei der Abgabe gegenüber der Prüfungsaufsicht anzuzeigen. Sofern der Kläger davon ausgegangen sei, die Aufsichtsperson würde ihn an das Landesjustizprüfungsamt verweisen, sei nicht ersichtlich, warum er nicht wenigsten nachgefragt habe. Auch wenn der Kläger Schmerzen gehabt habe, habe er die Klausur beenden und anschließend selbständig das Gesundheitsamt, einen niedergelassenen Arzt und das Universitätsklinikum aufsuchen können. Der Vortrag, er habe sich nur noch auf seine Schmerzen konzentrieren können, sei nicht stimmig. Er habe zunächst den Amtsarzt aufgesucht, um sich die Prüfungsunfähigkeit bestätigen zu lassen. Der Kläger sei in der Lage gewesen, die Situation richtig einzuschätzen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 11. März 2020 und vom 8. März 2021 verwiesen.
11
Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 7. Mai 2020 ausgesetzt, mit Beschluss vom 19. April 2021 wiederaufgenommen und unter dem jetzigen Aktenzeichen fortgeführt.
12
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13
Über die Klage kann nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Parteien sich mit Schriftsatz vom 11. März 2020 und 9. Februar 2020 einverstanden erklärt haben.
I.
14
Die Klage ist mit dem verfahrensgegenständlichen Antrag zulässig.
15
§ 63 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen (JAPO) vom 13.Oktober 2003 (GVBl. S. 758, BayRS 2038-3-3-11-J) in der für den Examenstermin 2019/2 maßgeblichen Fassung der Änderung durch Verordnung vom 26. März 2019 sieht vor, dass die Aufgaben 7 bis 11 Ersatzarbeiten nachzufertigen sind, wenn eine oder mehrere Aufgaben im zweiten Teil des schriftlichen Examens (Aufgaben 7 bis 11) wegen einer Verhinderung gem. § 10 Abs. 1 und 5 JAPO nicht bearbeitet wurden.
16
Da der Klageantrag mit den in § 63 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b JAPO statuierten Rechtsfolgen im Einklang steht, sieht das Gericht keine Veranlassung, sich damit auseinanderzusetzen, ob diese Regelung auch für den Fall rechtmäßig ist, dass sich die Verhinderung klar abgrenzbar nur auf eine einzige Aufgabe bezieht. Sinnhaftigkeit und Verhältnismäßigkeit des Regelungsgefüges von § 63 Abs. 1 i.V.m. den Härtefallregelungen des Abs. 2 JAPO kann damit offenbleiben.
II.
17
Die zulässige Klage ist unbegründet.
18
Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 29. Januar 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, für die Aufgaben 7 bis 11 des schriftlichen Teils des Zweiten Juristischen Staatsexamen Ersatzarbeiten nachzufertigen, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
19
Gem. § 10 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 JAPO findet § 63 JAPO, der das vom Kläger begehrte Nachfertigen der Prüfungsarbeiten 7 bis 11 vorsieht, für Prüfungsteilnehmer Anwendung, die eine oder mehrere dieser Prüfungsarbeiten in einem nicht zu vertretenden Zustand der Prüfungsunfähigkeit abgelegt haben.
20
Zwar war der Kläger beim Abfassen der schriftlichen Prüfungsarbeit am 10. Dezember 2019 auch zur Überzeugung des Gerichts prüfungsunfähig i.S.v. § 10 Abs. 5 Satz 1 JAPO. Die durch den Abszess an seiner Lippe bedingte Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit ergibt sich dabei nachvollziehbar und widerspruchsfrei aus den ärztlichen bzw. amtsärztlichen Attesten, die zeitnah und aufgrund eigener Untersuchungen erstellt wurden, Diagnose und Symptome benennen und mit dem Vortrag des Klägers zu seinen gesundheitlichen Beschwerden beim Abfassen der Klausur in Einklang stehen. Jedoch hat der Kläger diese Prüfungsunfähigkeit nicht rechtzeitig geltend gemacht. Gem. § 10 Abs. 5 Satz 2 JAPO hat die Geltendmachung bei einer im Lauf der Prüfung eintretenden Prüfungsunfähigkeit unmittelbar im Anschluss an die Abgabe der schriftlichen Arbeit zu erfolgen.
21
Wie von der Beklagten zutreffend ausgeführt, dient das Erfordernis der unmittelbaren Geltendmachung dem das gesamte Prüfungsrecht beherrschenden, verfassungsrechtlich gebotenen und gewährleisteten Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG). Dementsprechend ist ein strenger Maßstab anzulegen.
22
So fasst der Bayerischen Verwaltungsgerichthof in einem Beschluss vom 28. Januar 2011 – 7 ZB 10.2236 – juris, Rn. 16, die ständige Rechtsprechung dazu exemplarisch wie folgt zusammen: „Um Missbräuchen vorzubeugen, durch die sich Prüflinge eine ihnen nicht zustehende und damit den Grundsatz der Chancengleichheit verletzende weitere Prüfungschance verschaffen könnten, unterliegt die Geltendmachung krankheitsbedingter Prüfungsunfähigkeit sowohl hinsichtlich des zeitlichen Rahmens als auch hinsichtlich der Formalisierung strengen Anforderungen (BVerwG vom 10.4.1990 BayVBl 1990, 411/412; BayVGH vom 29.7.2005 VGH n.F. 59, 4/6 m.w.N.). Die Unverzüglichkeit der Geltendmachung und des Nachweises einer Prüfungsunfähigkeit ist zu verneinen, wenn sie nicht zum frühest möglichen Zeitpunkt erfolgen, zu dem sie vom Prüfling zumutbarerweise hätte erwartet werden können (BVerwG vom 7.10.1988 BVerwGE 80, 282/286 und vom 13.5.1998 BVerwGE 106, 369/373).
23
Mithin ist eine Prüfungsunfähigkeit nur dann unmittelbar i.S.v. § 10 Abs. 5 Satz 2 JAPO geltend gemacht, wenn der Prüfling sie zum frühestmöglichen, für ihn zumutbaren Zeitpunkt gegenüber dem Landesjustizprüfungsamt als Adressat gem. § 10 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 JAPO anzeigt. Entscheidend sind dabei die Umstände des jeweiligen Einzelfalls (vgl. VG Ansbach, U.v. 17.10.2913 – AN 2 K 13.00740 – juris, Rn. 34f. m.w.N).
24
Erkennt der Prüfling – wie hier der Kläger – bereits beim Abfassen der Prüfungsarbeit, dass er krankheitsbedingt in seiner Leistungsfähigkeit gemindert ist, kann die Geltendmachung schon während der Prüfung durch eine Anzeige bei der jeweiligen Prüfungsaufsicht erfolgen. Diese nimmt die Erklärung entgegen und dokumentiert sie im Prüfungsprotokoll. Die Entscheidung darüber, ob die vom Prüfling gegenüber der Prüfungsaufsicht angezeigten Prüfungsunfähigkeit tatsächlich vorliegt, obliegt dabei nicht der Prüfungsaufsicht. Sie fungiert lediglich als Empfangsbevollmächtigte des Landesjustizprüfungsamts. Deshalb bleibt es einem Prüfling, der seine Prüfungsunfähigkeit gegenüber der Prüfungsaufsicht anzeigt, unbenommen, die Prüfung vorsorglich fortzusetzen und die Prüfungsaufgabe weiterzubearbeiten. Bestätigt sich die von ihm geltend gemachte Prüfungsunfähigkeit im Nachhinein nicht, wird die Prüfungsarbeit regulär korrigiert und bewertet, so dass der Prüfling nicht das Risiko tragen muss, die Prüfung abgebrochen zu haben. Dem steht nicht entgegen, dass die Geltendmachung gem. § 10 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 JAPO keine Bedingung enthalten darf und nicht zurückgenommen werden kann. Denn auch im Fall einer vorsorglichen Bearbeitung der Prüfungsaufgabe hat der Prüfling nicht nachträglich die Wahl, ob die Prüfungsleistung gewertet werden soll. Liegen die Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Prüfungsunfähigkeit tatsächlich vor, verbleibt es – unabhängig von einer etwaigen späteren Willensänderung des Prüflings – bei den sich aus § 10 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 i.V.m. § 63 JAPO ergebenden Rechtsfolgen.
25
Selbstverständlich ist es dem Prüfling auch bei einer im Verlauf der Prüfung eintretenden Prüfungsunfähigkeit unbenommen, sich gem. § 10 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 JAPO direkt an das Landesjustizprüfungsamt zu wenden. Die Anzeige der Prüfungsunfähigkeiten gegenüber der Prüfungsaufsicht stellt lediglich eine Verfahrenserleichterung zugunsten des Prüflings dar. Nimmt er diese Möglichkeit nicht in Anspruch, obwohl er sich seiner Prüfungsunfähigkeit bereits bei Abgabe der Prüfungsaufgabe bewusst ist, muss er sich jedoch unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, mit dem Landesjustizprüfungsamt in Verbindung setzen. Das Risiko, dort beim ersten Anrufversuch kurzfristig niemand telefonisch zu erreichen, trägt dabei der Prüfling. Es obliegt ihm – im Rahmen der Zumutbarkeit – für den Zugang seiner beabsichtigten Erklärung zu sorgen.
26
Vorliegend ist schon nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger tatsächlich zeitnah zur Abgabe der Prüfungsarbeit am 10. Dezember 2019 ernsthaft versucht hätte, das Landesjustizprüfungsamt zu erreichen. Er selbst trägt lediglich vor, er sei nach Ende der Bearbeitungszeit zu seinem Handy gegangen, um es anzuschalten und das Prüfungsamt anzurufen, mit dem er auf dem Weg zum Gesundheitsamt habe telefonieren wollen. Eine Aussage dazu, ob er einen solchen Anrufversuch tatsächlich unternommen hat, ist seiner Stellungnahme gerade nicht zu entnehmen. Auch in seiner Email vom 11. Dezember 2019 schildert er nur, dass er nach dem Aufsuchen des Gesundheitsamts versucht habe, das Landesjustizprüfungsamt telefonisch zu erreichen. Mithin ist ein Anrufversuch nach Abgabe der Klausur auf dem Weg zum Gesundheitsamt schon nicht glaubhaft.
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Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob der Kläger bereits auf dem Weg zum Gesundheitsamt versuchte das Landesjustizprüfungsamt anzurufen, oder erst nachdem er beim Gesundheitsamt keinen Amtsarzt angetroffen hatte. Denn jedenfalls befreit ein einmaliger Anrufversuch – egal zu welchem Zeitpunkt – den Kläger nicht von der Obliegenheit, die Prüfungsunfähigkeit gem. § 10 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 JAPO unmittelbar nach der Abgabe der Prüfungsarbeit geltend zu machen. Selbst wenn der Kläger unter der im Ladungsschreiben für Fragen zu einer Verhinderung ausdrücklich angegebenen Telefonnummer bei einem einmaligen Anrufversuch niemanden erreicht haben sollte, hätte er erneut versuchen müssen, unter der angegebenen Telefonnummer jemanden zu erreichen. Ein solcher Anruf wäre ihm möglich und zumutbar gewesen. Da er auch nach eigener Einlassung selbstständig das Gesundheitsamt und anschließend den niedergelassenen Arzt und das Universitätsklinikum aufsuchen konnte, ist nicht ersichtlich, dass er zu weiteren Anrufversuchen schmerzbedingt nicht mehr in der Lage gewesen sein sollte. Dies ist weder vorgetragen noch lassen die vorgelegten ärztlichen bzw. amtsärztlichen Atteste darauf schließen.
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Da der rechtzeitige Zugang seiner Erklärung allein in seinen Verantwortungsbereich fällt, hätte er nötigenfalls auch mehrfach anrufen bzw. sich mit Hilfe der ebenfalls auf der Ladung ausgewiesenen Telefonnummern der Sachbearbeiterin und der Vermittlung des Bayerischen Justizministeriums weiterverbinden lassen müssen. Er dringt auch nicht mit seiner Einlassung durch, dass ihm dieses Unterlassen nicht anzulasten sei, weil das Landesjustizprüfungsamt es versäumt habe, seine Erreichbarkeit sicherzustellen. Schon die pauschale Behauptung, das Landesjustizprüfungsamt sei ohnehin nicht erreichbar gewesen, ist unsubstantiiert. Insbesondere kann der Kläger aus dem für den Vortag geschilderten Anrufversuch keine Rückschlüsse auf die generelle telefonische Erreichbarkeit des Landesjustizprüfungsamts ziehen. Schon nach eigenem Vortrag hatte er am 9. Dezember 2019 erst nach 17 Uhr versucht, das Landesjustizprüfungsamt telefonisch zu erreichen. Dies steht im Einklang ist mit der Darstellung des Beklagten, dass das Landesjustizprüfungsamt unter der angegebenen Telefonnummer an den Prüfungstagen grundsätzlich bis 17 Uhr telefonisch erreichbar war. Mithin ist auch davon auszugehen, dass der Kläger bei einem erneuten Anruf zeitnah zu seiner Abgabe um 15 Uhr dort jemanden erreicht hätte.
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Darüber hinaus wäre es ihm möglich gewesen, seine Prüfungsunfähigkeit zeitnah mittels Email vom seinem mitgeführten Smartphone aus geltend zu machen. Dafür hätte es keiner aufwändigen Internetrecherche bedurft. Auf dem Ladungsschreiben war sowohl die Emailadresse der für die Ladung zuständigen Sachbearbeiterin als auch die allgemeine Emailadresse des Landesjustizprüfungsamts angegeben. Auch damit hätte er eine zeitnahe Geltendmachung seiner Prüfungsunfähigkeit problemlos bewirken können. Soweit er dies deswegen unterlassen haben will, weil er davon ausgegangen sei, dass die Email zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gelesen werde, ist diese Fehlvorstellung über die Frage des Zugangs einer Email nicht relevant. Als Prüfling obliegt es grundsätzlich ihm selbst, sich bereits im Vorfeld einer Prüfung Klarheit über deren rechtliche Rahmenbedingungen zu verschaffen. Dazu zählen auch die Voraussetzungen der Geltendmachung einer im Laufe der Prüfung eingetretenen Prüfungsunfähigkeit.
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Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Kläger nach Abgabe der Prüfungsarbeit unter Schmerzen litt und psychisch angespannt war. Doch trägt der Kläger selbst vor, dass er sich wegen des Abszesses bereits am Vortrag mit der Frage seiner Prüfungsfähigkeit auseinandergesetzt habe. Schon deshalb ist nicht nachvollziehbar, dass er sich nicht sorgfältiger mit den Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme mit dem Landesjustizprüfungsamt befasst hatte.
31
Sofern der Kläger die sofortige Kontaktaufnahme mit dem Landesjustizprüfungsamt unterlassen haben sollte, weil er davon ausging, dass die Geltendmachung der Prüfungsunfähigkeit bereits deren Nachweis mittels ärztlichem Attest voraussetze, befand er sich abermals in einem unbeachtlichen Rechtsirrtum. Denn auch insoweit obliegt es dem Prüfling, sich bereits im Vorfeld der Prüfung über die notwendigen und gebotenen Schritte im Fall einer Prüfungsunfähigkeit kundig zu machen. Auch das Ladungsschreiben des Beklagten war in diesem Punkt weder irreführend noch unvollständig.
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Aus der psychischen Grunderkrankung des Klägers, die zur Gewährung des Nachteilsausgleichs in Form der Schreibzeitverlängerung mit Erholungspause geführt hat, lässt sich nicht folgern, dass es dem Kläger wegen seiner individuellen Gegebenheiten subjektiv nicht möglich gewesen sei, sich entsprechend zeitnah zur Abgabe der Klausur an das Landesjustizprüfungsamt zu wenden. Entsprechende Anklänge im Vortrag des Klägers sind weder plausibel noch finden sie Anknüpfungspunkte im amtsärztlichen Zeugnis vom 22. Oktober 2019, dass Grundlage der Verlängerung seiner Prüfungszeit war. Da der Kläger sich – auch nach eigenem Vortrag – bereits am Vortag mit einer möglichen Geltendmachung von Prüfungsunfähigkeit auseinandergesetzt hatte, kann er mit dem Vortrag, Zögern im Handeln und im Entscheiden seien durch seine Grunderkrankung bedingt, nicht durchdringen. Im Übrigen war das Vorgehen des Klägers im Anschluss an die Abgabe der Prüfungsarbeit am 10. Dezember 2019 – wie es sich aus seiner eigenen Schilderung erschließt – schon nicht von einem solchen Zögern geprägt. Vielmehr scheint das Unterlassen der unmittelbaren Geltendmachung gegenüber dem Landesjustizprüfungsamt wohl vielmehr auf einer – vermeidbaren – Fehlvorstellung des Klägers bezüglich seiner prüfungsrechtlichen Obliegenheiten zu beruhen.
33
Mithin war es dem Kläger bereits ca. sechs Stunden früher – als tatsächlich geschehen – möglich und zumutbar, dem Landesjustizprüfungsamt seine Prüfungsunfähigkeit anzuzeigen. Es fehlt damit an einer unmittelbaren Geltendmachung i.S.v. § 10 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 JAPO.
34
Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich der Kläger in der Zeitspanne zwischen Abgabe und Geltendmachung der Prüfungsunfähigkeit tatsächlichen einen prüfungsrechtlichen Vorteil verschafft hatte, indem er sich durch die Auseinandersetzung mit dem Prüfungsinhalt einen Eindruck zu seiner abgelegten Leistung verschafft und dies gegebenenfalls zur Grundlage seiner Entscheidung bezüglich der Geltendmachung der Prüfungsunfähigkeit gemacht hatte. Um dem Prinzip der Chancengleichheit umfänglich Rechnung zu tragen, genügt es bereits, dass grundsätzlich die Möglichkeit zu einem solchen Verhalten bestand. Davon ist immer dann auszugehen, wenn der betreffende Prüfling seine Prüfungsunfähigkeit nicht zum frühestmöglichen – bereits während der Klausur – und zumutbaren Zeitpunkt geltend macht. § 10 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 JAPO sieht nicht vor, dass der Prüfling sich diesbezüglich exkulpieren kann. Da den individuellen Umständen des Einzelfalls bereits durch die Prüfung der Zumutbarkeit einer Geltendmachung hinreichend Rechnung getragen wird, bestehen auch keine rechtlichen Bedenken gegen diese abstrakt-generelle Betrachtung.
35
Die Klage war mithin abzuweisen.
III.
36
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
37
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.