Titel:
Sozialgerichtsgesetz, Elektronischer Rechtsverkehr, versicherungsrechtliche Voraussetzungen, allgemeiner Arbeitsmarkt, Erwerbsminderungsrente, Volle Erwerbsminderung, Rente wegen Erwerbsminderung, Gerichtsbescheid, Klageabweisung, Berufungsfrist, Widerspruchsbescheid, Sachverständige, Leidensgerechte Tätigkeit, Kostenentscheidung, Berufungsschrift, Rechtsmittelbelehrung, Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, Stundung, versicherte Tätigkeit, Teilzeitarbeitsmarkt
Schlagworte:
Gerichtsbescheid, Rente wegen Erwerbsminderung, medizinische Gutachten
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 08.03.2023 – L 6 R 656/21
BSG Kassel, Beschluss vom 04.07.2023 – B 5 R 19/23 AR
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62980
Tatbestand
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Der im Jahr 1972 geborene Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
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Der Kläger lebt in der Slowakischen Republik. Er war zuletzt als Elektriker tätig.
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Am 14.09.2017 erlitt der Kläger einen akuten Myokardinfarkt, er musste kardiopulmonal reanimiert werden. Durch eine Koronarographie wurde eine Dreigefäßerkrankung festgestellt. Aufgrund einer Infektion musste im Februar 2018 eine kardiochirurgische Reoperation erfolgen. Weiter leidet der Kläger unter atopischer Dermatitis.
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Am 24.08.2018 beantragte er Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten. Seit dem 01.03.2019 bezieht der Kläger eine Invalidenrente in der Slowakischen Republik.
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Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Frau Dr. T. kam am 08.04.2020 zu der Beurteilung, dass der Kläger in seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Elektriker nur noch unter drei Stunden tätig sein, er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hingegen leichte bis mittelschwere Tätigkeiten unter qualitativen Einschränkungen 6 Stunden und mehr täglich ausüben könne.
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Daraufhin wurde der Antrag des Klägers mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 21.04.2020 abgelehnt. Dagegen legte der Kläger am 25.05.2020 Widerspruch ein. Nach dem Infarkt sei sein Immunsystem beträchtlich geschwächt. Er befinde sich deshalb mit der Infektionskrankheit Eryzipel A 46 immer wieder im Krankenhaus.
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Der Widerspruch wurde mit Bescheid der Beklagten vom 24.06.2020 zurückgewiesen.
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Am 03.07.2020 erhob der Kläger dagegen die vorliegende Klage zum Sozialgericht Landshut.
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Nach Einholung der ärztlichen Befunde erstellte die Sachverständige Frau Dr. D. am 19.12.2020 ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage. Sie diagnostizierte eine chronische ischämische Herzkrankheit, arterielle Hypertonie, Zustand nach STEMI mit Rekanalisation und DES Implantation in 09/2017, Zustand nach Erysipeln an beiden Unterschenkeln und Adipositas. Die Leiden seien durch ärztliche Behandlungen besserungsfähig. Seit der ärztlichen Stellungnahme vom 08.04.2020 seien keine wesentlichen Änderungen des Gesundheitszustandes eingetreten, keine neuen Gesundheitsstörungen hinzugekommen. Dem Kläger könnten noch regelmäßig leichte, leidensgerechte Tätigkeiten im Wechselrhythmus, zu ebener Erde sowie ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, d.h. ohne Zeitdruck und Schicht- oder Nachtdienst, mindestens sechs Stunden täglich zugemutet werden. Die Sachverständige teilte außerhalb des Gutachtens weiter mit, dass mehrere identische Befunde nur mit ausgetauschtem Datum vorlägen, die Einschränkung durch den Infarkt nur mittelgradig sei. Wiederkehrende ärztliche Kontrollen fänden wohl nicht statt.
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In einer ergänzenden Stellungnahme vom 22.02.2021 führte die Sachverständige nochmals konkreter aus, dass die diagnostizierten Erkrankungen nach der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichend mit qualitativen Einschränkungen berücksichtigt werden könnten. Schwere körperliche Tätigkeiten seien dem Kläger nicht mehr zumutbar. Auch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Elektriker könne der Kläger auf Dauer nicht mehr verrichten.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.04.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2020 zu verpflichten, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beteiligten wurden mit gerichtlichen Schreiben vom 01.03.2021 zu einer beabsichtigten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid angehört.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie auf die gerichtliche Verfahrensakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Rechtssache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beteiligten wurden ordnungsgemäß angehört.
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2. Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 21.04.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab Antragstellung.
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a) Gemäß § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
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aa) Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die in gleicher Weise für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gelten, hat der Kläger für den in Frage kommenden Leistungszeitpunkt ab Antragstellung erfüllt.
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bb) Jedoch liegt eine volle Erwerbsminderung im Sinne von § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI beim Kläger zur Überzeugung der Vorsitzenden nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht vor.
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Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist. Ergänzend führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.
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Der Kläger, der den Nachweis der Leistungsvoraussetzungen zu erbringen hat, hat weder das Vorliegen einer dauerhaften zeitlichen Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit an geeigneten Arbeitsplätzen nachweisen können, noch belegen können, dass die Anforderungen an die Arbeitsbedingungen, die sich aus seinen Gesundheitsstörungen ergeben, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht beachtet werden können.
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Der Kläger ist in der Lage, mehr als sechs Stunden täglich unter qualitativen Einschränkungen leichte, leidensgerechte Tätigkeiten im Wechselrhythmus, zu ebener Erde sowie ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, d.h. ohne Zeitdruck und Schicht- oder Nachtdienst, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben.
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Die Vorsitzende stützt sich wesentlich auf die Feststellungen der Sachverständigen Frau Dr. D. und Frau Dr. T., die die genannten Einschränkungen der Arbeitsbedingungen aus den Gesundheitsstörungen des Klägers herleiten, im Übrigen aber das Vorliegen von quantitativen Einschränkungen jedenfalls für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verneinen. Die gesundheitliche Situation des Klägers wird in den Gutachten überzeugend erfasst und sozialmedizinisch nachvollziehbar und schlüssig gewürdigt. Sämtliche Diagnosen und Befunde werden einbezogen. Die Sachverständige Frau Dr. D. bezieht sich auf die sich in der Akte befindlichen, teils mehrfach identisch vom Kläger eingereichten, Befunde. Die ärztlich jeweils zu behandelnden Infektionen wirken sich nicht auf das Leistungsbild des Klägers aus. Die Erysipel sind ohne bleibende Folgen behandelt worden und gut verheilt. Die bestehenden Gesundheitsstörungen können ausreichend durch qualitative Einschränkungen berücksichtigt werden. Das zeitliche Leistungsvermögen ist nicht eingeschränkt.
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Nach Erstellung des Gutachtens wurden vom Kläger keine neuen Befunde beigebracht oder Verschlechterungen des Gesundheitszustandes des Klägers vorgetragen bzw. belegt. Die Feststellungen der Gutachterinnen werden durch keine dem Gericht vorliegenden medizinischen Befunde erschüttert.
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Sicherlich beeinflussen die unstreitig vorliegenden körperlichen Einschränkungen den Kläger permanent in seinem alltäglichen Leben. Diese führen auch unstreitig dazu, dass der Kläger seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Elektriker und andere schwere körperliche Tätigkeiten nicht mehr ausüben kann. Nicht nachgewiesen ist jedoch, dass diese Einschränkungen den Kläger in der Art beeinflussen, dass es ihm nicht mehr möglich ist, täglich leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von 6 Stunden oder mehr zu verrichten.
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3. Aus den vorliegenden Gutachten und Befunden ergibt sich aus Sicht der Kammer weiter kein Ansatz für das Vorliegen einer teilweisen Erwerbsminderung für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, so dass auch ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes ausgeschlossen ist.
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4. Der Kläger hat ebenso keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI. Er gehört als im Jahre 1972 Geborener bereits nicht zum berechtigten Personenkreis.
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Nach alledem war die Klage abzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).