Titel:
Verjährungshemmung: Fehlende Individualisierung des Anspruchs im Mahnbescheid
Normenketten:
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 3
ZPO § 690 Abs. 1 Nr. 3
Leitsätze:
1. Wird in einem Mahnbescheid eine geltend gemachte Schadensersatzforderung lediglich als „Anspruch aus Ingenieurvertrag“ bezeichnet, so hemmt die Zustellung des Mahnbescheids mangels hinreichender Bestimmtheit und Individualisierung der Forderung den Lauf der Verjährung nicht (Rn. 6 und 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Mahnbescheid kann zur hinreichenden Individualisierung des Anspruchs auch auf Rechnungen oder andere vorprozessuale Urkunden Bezug genommen werden kann, wenn diese dem Mahnbescheid in Abschrift beigefügt oder dem Gegner bereits zuvor zugegangen sind. Eine fehlende Individualisierung im Mahnbescheid kann hingegen nicht verjährungshemmend nachgeholt werden. (Rn. 7 und 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ingenieur, Planung, Nachholung, Schadensersatz, Verjährung, Mahnbescheid, Individualisierung, Bestimmtheit, Hemmung, Anspruchsbegründung
Vorinstanz:
LG Hof, Endurteil vom 08.12.2020 – 11 O 98/15
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 07.06.2023 – VII ZR 594/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62902
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hof vom 08.12.2020, Aktenzeichen 11 O 98/15, wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Hof ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 66.998,02 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen mangelhafter Ingenieurleistungen in Anspruch.
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Die Klägerin beauftragte den Beklagten mit Vertrag vom 15.03./08.05.2007 mit Ingenieurleistungen (Leistungsphasen 2, 3, 5 – 9) für das Bauvorhaben „Abwasseranlage …, BA …, Bauumfangsänderung“. Der Vertrag nahm in § 2 Bezug auf die „Allgemeinen Vertragsbestimmungen für Ingenieurleistungen“, die in § 9.4 AVB-Ing. bestimmen, dass die Verjährung „spätestens mit der Anweisung der Schlusszahlung beginnt“ (vgl. Anlage K 1).
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In der Folge erstellte der Beklagte insbesondere die Ausschreibungsunterlagen. Auf dieser Grundlage erteilte er am 26.10.2007 der S. GmbH … (im Folgenden: S.) den Auftrag für Entwässerungs- und Kanalarbeiten sowie zur Schaffung eines Regenüberlaufbeckens. Die S. stellte jedoch ihre Arbeiten am 29.05.2008 ein, ohne diese fertigzustellen. Die Klägerin erteilte daraufhin der T. GmbH den Auftrag, den der S. erteilten Auftrag fortzuführen. Hierdurch entstanden der Klägerin – nach ihrem Vortrag – Mehrkosten in Höhe von 37.088,26 €.
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Der Beklagte stellte der Klägerin nach Abschluss des Bauvorhabens seine Leistungen mit verschiedenen Schlussrechnungen in Rechnung, zuletzt mit Honorarschlussrechnung vom 10.08.2009 (Anlage B 2), welche die Klägerin am 29.12.2009 bezahlte (Anlage B 2a).
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In der Folge nahm die Klägerin die S. vor dem Landgericht Hof (Az.: 13 O 384/10), dem Oberlandesgericht Bamberg (Az.: 8 U 82/12) und dem Bundesgerichtshof (Az.: VII ZR 179/13) gerichtlich wegen der ihr entstandenen Mehrkosten in Anspruch, unterlag jedoch in allen drei Instanzen, weil der Beklagte die Ausschreibung fehlerhaft formuliert hatte, sodass die S. die beauftragte Leistung nicht hatte erbringen können und müssen. In der Folge hatte die Klägerin – nach ihrem Vortrag – der S. Prozesskosten in Höhe von 8.438,90 € zu erstatten. Zudem entstanden ihr – nach ihrem Vortrag – eigene Prozesskosten in Höhe von 21.470,86 €.
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Auf Antrag der Klägerin vom 20.08.2014 (Anlage K 29) erließ das Amtsgericht Coburg am 22.08.2014 einen Mahnbescheid in Höhe der Gesamtsumme der vorgenannten Beträge gegen den Beklagten, in dem die Klägerin die Hauptforderung als „Anspruch aus Ingenieurvertrag vom 08.05.2007 vom 08.05.2007“ bezeichnete. Weiter hieß es: „Der Antragsteller hat erklärt, dass der Anspruch von einer Gegenleistung abhänge, diese aber erbracht sei.“ Der Mahnbescheid vom 22.08.2014 wurde dem Beklagten am 27.08.2014 zugestellt.
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Zudem forderte die Klägerin den Beklagten mit Schriftsatz ihrer Prozessvertreter vom 21.08.2014 unter Darlegung des Sachverhalts außergerichtlich zur Zahlung von 66.998,02 bis zum 19.09.2014 auf (Anlage K 30). Dieses Schreiben wurden dem Beklagten am 29.08.2014 zugestellt (Anlage K 30a).
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Der Beklagte legte gegen den Mahnbescheid Widerspruch ein, worüber die Klägerin am 11.09.2014 unterrichtet wurde. Am 10.03.2015 erteilte die Klägerin eine Ermächtigung für den Einzug der Gerichtskosten. Mit Anspruchsbegründung vom 11.02.2020 begründete die Klägerin ihre Forderung. Darin bezeichnete sie ihren Anspruch als „Schadensersatz aus Ingenieurvertrag“.
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Das Landgericht hat die auf Zahlung von 66.998,02 € zuzüglich Zinsen gerichtete Klage abgewiesen, da der Anspruch der Klägerin verjährt sei und der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben habe. Der Mahnbescheid vom 22.08.2014 habe die Verjährung nicht gehemmt, da er nicht hinreichend individualisiert sei. Nachfolgende Verzichte auf die Einrede der Verjährung hätten diese ebenfalls nicht gehemmt, da unklar sei, ob sie sich auf den vorliegenden Rechtsstreit bezögen.
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Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die Darstellung des Sach- und Streitstandes im Tatbestand des angefochtenen Urteils.
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Gegen dieses Urteil des Landgerichts wendet sich die Berufung der Klägerin, die ihre Sachanträge weiterverfolgt. Sie trägt vor: Der Mahnbescheid sei hinreichend individualisiert, weil zwischen den Parteien keine weiteren Rechtsbeziehungen bestanden hätten als diejenigen, die sich aus dem Ingenieurvertrag aus dem Kalenderjahr 2007 ergaben. Zudem habe der Beklagte „das Bauvorhaben“ der Klägerin auch „während der Prozesse mit der Firma S.“ regelmäßig begleitet. Fast jeder Schriftsatz der Firma S. sei Veranlassung für eine Besprechung gewesen, an der jeweils auch der Beklagte als technischer Berater teilgenommen habe. Ferner habe sie dem Beklagten mit Schreiben vom 21.08.2014, ihm zugegangen am 29.08.2017, im Detail aufgezeigt, wie sich die Forderung zusammensetze. Bei der Auslegung der Verzichtserklärung habe das Landgericht das Schreiben vom 14.07.2015 (Anlage K 46) übergangen, aus dessen Inhalt sich ergebe, dass allen Beteiligten deutlich war, auf welchen Rechtsstreit sich die Anspräche beziehen würden.
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Die Klägerin beantragt,
1. Das Endurteil des Landgerichts Hof vom 08.12.2020, AZ: 11 O 98/15,wird abgeändert.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 66.998,02 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit12.12.2009 zu bezahlen.
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Der Beklagte beantragt,
Die Berufung wird zurückgewiesen.
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Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.
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Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hof vom 08.12.2020, Aktenzeichen 11 O 98/15, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
16
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweisbeschluss des Senats vom 19.03.2021 Bezug genommen. Die Ausführungen der Klägerin in der Stellungnahme vom 17.05.2021 zu dem Hinweisbeschluss des Senats geben keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung. Insoweit ist lediglich ergänzend anzumerken:
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1. Soweit die Klägerin erneut vorträgt, dass es für den Beklagten ersichtlich gewesen sei, auf welcher Basis er in Anspruch genommen wurde, und dass sich hierzu Details aus dem Schreiben der Klägerin vom 21.08.2014 ergeben würden, ist der Senat diesem Vorbringen bereits im Hinweisbeschluss entgegengetreten (a.a.O., dort S. 5, 6). Daran hält der Senat auch nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage fest.
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2. Soweit die Klägerin nun erstmals einwendet, eine Verjährung ihrer Ansprüche aus dem Ingenieurvertrag gegenüber dem Beklagten habe nicht vor dem 21.04.2018 eintreten können, verhilft auch das der Berufung nicht zum Erfolg.
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Hierzu lässt die Klägerin nunmehr vorbringen: Dem Beklagten seien auch die Arbeiten gemäß den Leistungsphasen 5 – 9 mit dem Umfang von 48 v. H. später in einer zweiten Stufe anvertraut worden. Vor Ablauf der Verjährung der Gewährleistungsansprüche der Klägerin gegenüber der Firma T. am 31.04.2013 sei daher nochmals eine Begehung vom Beklagten vorzunehmen gewesen. Dies sei die letzte Hauptleistungspflicht des Beklagten gewesen, welche er der Klägerin aufgrund des Ingenieurvertrages geschuldet habe. Erst im Anschluss hieran hätte der Beklagte eine „Schlussrechnung“ erteilen können. Die Rechnungen, die vor dem 21.04.2013 gestellt worden seien, nämlich die Rechnung vom 16.03.2009 und vom 10.08.2009 könnten somit noch nicht als „Schlussrechnungen“ im Sinn von § 9.4 AVB-Ing bewertet werden.
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a) Hierbei handelt es sich um nachgeschobenen neuen Sachvortrag, der im nunmehrigen Verfahrensstadium keine Berücksichtigung mehr finden kann. Die der Klagepartei eingeräumte Frist zur Stellungnahme gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO ermöglicht nicht eine Art „zweiter Berufungsbegründung“. Soweit die Stellungnahme vom 17.05.2021 neue Angriffs- und Verteidigungsmittel enthält, sind diese deshalb gemäß §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO zwingend zurückzuweisen (OLG München, Beschluss vom 08.04.2021 – 8 U 4122/20 –, juris Rn. 6).
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In erster Instanz ist unstreitig geblieben, dass der Beklagte (auch) die Erbringung der Leistungsphase 9 gegenüber der Klägerin abgerechnet und die Klägerin die Rechnungen des Beklagten vollständig und ohne Beanstandung beglichen hat. Der Beklagte hat die streitgegenständlichen Rechnungen stets als „Honorarschlussrechnung“ bezeichnet (vgl. Seite 3 der Klageerwiderung, sowie Seite 1 des Schriftsatzes vom 24.08.2020 = Bl. 38 bzw. Bl. 55), ohne dass die Klägerin dem in tatsächlicher oder auch nur rechtlicher Hinsicht entgegengetreten wäre. Wenn die Klägerin nunmehr vorträgt, bei den streitgegenständilchen Rechnungen handele es sich in Wahrheit nicht um Schlussrechnungen, sondern um Abschlagsrechnungen, und dies damit begründet, dass der Beklagte eine Hauptleistung der Leistungsphase 9 ihr gegenüber noch gar nicht erbracht habe, handelt es sich somit um neuen Sachvortrag. Dieser ist verspätet und kann daher schon aus prozessualen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden.
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b) Überdies wird von der Klägerin nunmehr eingeräumt – auch dies war erstinstanzlich noch nicht vorgetragen, sondern fand lediglich eine Andeutung in der Anlage K 1 –, dass dem Beklagten die Leistungsphasen 5 – 9 erst „später in einer zweiten Stufe anvertraut worden“ waren. Damit liegt kein „Vollauftrag“ im Sinne der AVB-Ing vor, sodass der Beklagten gemäß § 7.2 AVB-Ing berechtigt war, Teilschlussrechnungen zu stellen. Zudem bestimmt § 9.4 AVB-Ing, dass die Verjährungsfrist bei stufenweiser Beauftragung mit der Abnahme der Leistungen der jeweiligen Stufe beginnt, lediglich spätestens mit der Anweisung der Schlusszahlung.
23
Die hier in Rede stehende Pflichtverletzung des Beklagten betrifft sicher nicht die Leistungsstufe 9. Die Leistungsstufen 2, 3, 5 – 8 hat der Beklagte jedoch in den streitgegenständlichen Rechnungen gegenüber der Klägerin abgerechnet. Diese hat die Rechnungen geprüft und vollständig bezahlt. Hiernach hatte die Klägerin diese Leistungsstufen durch vorbehaltlose Zahlung der Teilschlussrechnungen schlüssig abgenommen mit der Folge, dass die Verjährung angelaufen war, wie im Hinweisbeschluss vom 19.03.2021 dargelegt.
24
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
25
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
26
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.