Titel:
Erfolglose Klage gegen Verpflichtung zur Erstattung von Bestattungskosten
Normenketten:
BestG Art. 14 Abs. 2 S. 2
BestV § 15 S. 1
SGB XII § 74
Leitsätze:
1. Die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht und die daran anknüpfende Kostenerstattungspflicht greift unabhängig davon, ob die Angehörigen auch Erben des Verstorbenen sind bzw. die Erbschaft zwischenzeitlich bereits ausgeschlagen haben oder ob sie gegenüber dem Verstorbenen aufgrund ihres Verwandtschaftsverhältnis privatrechtlich zum Unterhalt verpflichtet gewesen sind. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
2. Anders als im Zivilrecht besteht die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht und infolgedessen auch die Verpflichtung, die Kosten der Ersatzvornahme zu tragen, unabhängig davon, ob die Familienverhältnisse zu dem Verstorbenen intakt gewesen sind und Kontakt bestanden hat. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 74 SGB XII stellt in Bezug auf die letztliche Kostentragung eine „Härtefallregelung“ dar, welche jedoch in dem Verfahren gegenüber dem Sozialhilfeträger geltend zu machen und zu prüfen ist. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
4. Grundsätzlich fällt die Entscheidung, welchen von mehreren Bestattungspflichtigen die Behörde heranzieht, in deren weiten Ermessenspielraum. Grenzen ergeben sich lediglich durch das Willkürverbot und offenbare Unrichtigkeiten. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bestattungskosten, Bestattungspflicht, Gestörtes Familienverhältnis, Erlöschen, Verwirkung, Verwandtschaftsverhältnis, Familienverhältnis, Härtefallregelung, Ermessenspielraum, Gesamtschuld
Fundstelle:
BeckRS 2021, 6287
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags ab-wenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die seitens der Beklagten mit Bescheid vom 26. Mai 2020 ausgesprochene Verpflichtung zur Erstattung der Kosten für die von Amts wegen durchgeführte Bestattung seines verstorbenen Vaters, Herrn J.S.
2
Letzterer verstarb am … … 2017 in der H. Klinik in M. (Bl. 1 / 2 der Behördenakte - BA), welche den Sterbefall der Beklagten am 2. März 2017 meldete (Bl. 1 - 3 d. BA). Die Meldung (Bl. 4 d. BA) enthielt zwar die Mitteilung, dass der Verstorbene zu Lebzeiten zwei Söhne erwähnt habe, jedoch keine näheren Angaben zu deren Identität oder Kontaktdaten.
3
Noch am 2. März 2017 begann die Beklagte mit der Ermittlung der bestattungspflichtigen Angehörigen des Verstorbenen.
4
Die seitens der Beklagten am 2. März 2017 eingeholte Auskunft aus dem Bayer. Behördeninformationssystem (Bay.BIS) ergab, dass der Verstorbene zuletzt mit Hauptwohnsitz in der Gemeinde … gemeldet war (Bl. 5 d. BA).
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Des Weiteren bat die Beklagte mit Schreiben jeweils vom 2. März 2017 das Einwohnermeldeamt … (Bl. 9 / 10 d. BA) sowie das Standesamt der Stadt S. (Bl. 7 / 8 d. BA), dem Geburtsort des Verstorbenen, um Amtshilfe und Datenübermittlung.
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Zugleich gab die Beklagte noch am 2. März 2017 die Abholung des Verstorbenen vom Klinikum zum …-friedhof in Auftrag (Bl. 6 d. BA), welche am 2. März 2017 erfolgte.
7
Mit Telefax vom 3. März 2017 (Bl. 12 d. BA) übermittelte das Standesamt S. den Geburtseintrag des Verstorbenen (Bl. 13), welcher keine Hinweise auf Eheschließung enthielt, und teilte zudem neben den verstorbenen Eltern und einem ebenfalls bereits verstorbenen Bruder noch die Namen der noch lebenden Geschwister des Verstorbenen mit (Bl. 12 d. BA), nämlich der Schwester A. sowie der Brüder C.S. und D.S. Hinsichtlich der beiden Bruder wurde zudem deren Wohnort mitgeteilt.
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Die Gemeinde … teilte mit Schreiben vom 3. März 2017 (Bl. 15 d. BA), welches bei der Beklagten am 6. März 2017 einging (Bl. 15 d. BA) u.a. die Zuzugsanschriften sowie den Familienstand „geschieden“ mit (Bl. 15 d. BA).
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Da der Beklagten nur die Anschriften der beiden Brüder des Verstorbenen vorlagen, informierte sie mit Schreiben jeweils vom 6. März 2017 Herrn D.S. (Bl. 16 - 18 d. BA) sowie Herrn C.S (Bl. 19 - 21 d. BA) über den Sterbefall und ihre diesbezüglich bestehende Bestattungspflicht und forderte diese auf, die Bestattung des Verstorbenen bis spätestens 10. März 2017 zu veranlassen.
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Mit E-Mail vom ... März 2017 (Bl. 22 d. BA) ließ die Familie der beiden Brüder mitteilen, dass diese wie auch die Schwester des Verstorbenen aufgrund ihres Alters sowie aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage seien, sich um die Bestattung zu kümmern und deshalb keine Bestattung veranlassen würden. Des Weiteren verwies die Familie auf die gesetzlich vorrangig heranzuziehenden Kinder des Verstorbenen und machte in diesem Zusammenhang erste nähere Angaben zum Kläger sowie einem weiteren Sohn des Verstorbenen, Herrn R.S. (Vor- und Nachname, ungefähres Geburtsdatum sowie vermutlicher Wohnort).
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Auf Basis dieser Angaben ermittelte die Beklagte mittels Bay.BIS am 9. März 2017 den Kläger sowie dessen Geburtsort (Bl. 23 d. BA) sowie R.S. und dessen Geburtsort (Bl. 24 d. BA) und bat noch am selben Tag die Standesämter der jeweiligen Geburtsorte, das Standesamt V. (Bl. 25 d. BA) sowie das Standesamt E. (Bl. 26 d. BA), um Feststellung, ob es sich um die gesuchten Söhne des Verstorbenen handele und gegebenenfalls um Übermittlung der Geburtseinträge.
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Da die gesetzliche Bestattungsfrist bereits weit überschritten war, ordnete die Beklagte noch am 9. März 2017 die Bestattung von Amts wegen in Form einer Feuerbestattung ohne Trauerfeier und ohne Urnentrauerfeier sowie Beisetzung der Urne in einer Sammelgitternische an (Bl. 27 - 29 d. BA).
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Ausweislich der Rechnung vom 16. Mai 2017 (Bl. 46 i.V.m. 47/48 d. BA) entstanden hierfür Bestattungskosten in Höhe von insgesamt 2.389,51 EUR. Diese setzen sich zusammen aus Leistungen und Auslagen der Städtischen Bestattung in Höhe von 1.059,51 EUR sowie Gebühren der Städtischen Friedhöfe München in Höhe von 1.330 EUR.
14
Nachdem das Standesamt E. mit Telefax vom 10. März 2017 (Bl. 30 - 34 d. BA) die gewünschten Unterlagen übermittelt und die Beklagte die Anschrift des Klägers sowie des R.S. ermittelt hatte (Bl. 35 sowie Bl. 36 d. BA), setzte sie diese jeweils mit Schreiben vom 22. März 2017 (Bl. 37 - 38 sowie Bl. 39 - 40 d. BA) vom Ableben des Verstorbenen sowie von der von Amts wegen vorgenommenen Bestattung in Kenntnis und teilte diesen ihre Absicht mit, sie als Gesamtschuldner zur Erstattung der entstandenen Bestattungskosten zu verpflichten.
15
Mit E-Mail vom … März 2017 (Bl. 41 d. BA) lehnte der Kläger die Übernahme der Kosten wegen Unbilligkeit nach § 1611 BGB ab. Der Verstorbene sei zwar sein „biologischer Erzeuger“, jedoch habe dieser ihn und seine Mutter verlassen, als er zwei Jahre alt war. Seitdem habe er seit über 50 Jahren keinerlei Kontakt mehr mit dem Verstorbenen gehabt. Zudem sei der Verstorbene seinen Unterhaltsverpflichtungen in aller Regel nicht nachgekommen. Die Mutter des Klägers habe sich den Unterhalt von den Sozialbehörden vorschussweise auszahlen lassen müssen. Der Verstorbene sei weder erzieherisch, emotional noch finanziell sein „Vater“ gewesen. Vielmehr hätte sein Stiefvater diese Rolle eingenommen.
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Mit Schreiben vom 31. März 2017 (Bl. 42 - 44 d. BA) erwiderte die Beklagte, dass die öffentlich-rechtliche Pflicht, für die Bestattung eines Verstorbenen zu sorgen, nicht mit der zivilrechtlichen Pflicht, die Bestattungskosten zu tragen, identisch sei. Eine Härtefallregelung sei weder im Bestattungsgesetz noch in der Bestattungsverordnung gesetzlich vorgesehen. Die Frage der Unzumutbarkeit der Kostentragung müsse der Kläger vielmehr gegenüber dem Sozialhilfeträger geltend machen, so er gemäß § 74 SGB XII die Übernahme der Bestattungskosten beantragen sollte.
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Mit Schreiben vom 6. April 2017 bat die Beklagte das Amtsgericht München - Nachlassgericht, um Mitteilung des Erben (Bl. 45 d. BA).
18
Mit Schreiben vom 14. Juni 2017 (Bl. 49 d. BA) teilte das Nachlassgericht mit, dass von allen bekannten Erben eine Erklärung zur Erbausschlagung vorläge, die Ermittlung weiterer Erben mangels Aktivnachlasses unterblieben sei und das Nachlassverfahren eingestellt worden sei.
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Auf nochmalige Nachfrage der Beklagten vom 21. Juni 2017 (Bl. 50 d. BA) legte das Nachlassgericht mit Schreiben vom 4. Juli 2017 (Bl. 51 d. BA) die Erklärungen zur Erbausschlagung in Kopie vor (Bl. 52 - 58 d. BA): Sowohl der Kläger (Bl. 56 d. BA) wie auch R.S. (Bl. 52 d. BA) hatten für sich und ihre Nachkommen das Erbe ausgeschlagen.
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Mit Schreiben vom 30. August 2017 an den Kläger (Bl. 62 - 64 d. BA) sowie Herrn R.S. (Bl. 59 - 61 d. BA) teilte die Beklagte diesen mit, dass sie beabsichtige, diese gesamtschuldnerisch für die entstandenen Bestattungskosten in Höhe von 2.389,51 EUR zu verpflichten und gab ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme bis 29. September 2017.
21
Im Zeitraum zwischen September 2017 und April 2020 erfolgte keine weitere Bearbeitung seitens der Beklagten, insbesondere keine weitere Kontaktierung des Klägers oder Herrn R.S.
22
Mit Schreiben vom 22. April 2020 teilte die Beklagte dem Kläger (Bl. 68 - 69 d. BA) sowie Herrn R.S. (Bl. 70 - 71 d. BA) mit, dass die ausstehenden Bestattungskosten bislang noch nicht bezahlt worden seien und keine Bestätigung des zuständigen Sozialhilfeträgers vorliege, dass ein entsprechender Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten gestellt wurde, und informierte die beiden über den bevorstehenden Erlass der Leistungsbescheide bzgl. der Verpflichtung zur Zahlung der Bestattungskosten i.H.v. 2.389,51 EUR.
23
Mit E-Mail vom … April 2020 (Bl. 72 d. BA) machte der Kläger u.a. geltend, dass er - nachdem er bereits im Jahr 2017 der Beklagten mitgeteilt hatte, dass der Verstorbene niemals sein echter Vater gewesen sei, ihn und seine Mutter vielmehr im Alter von zwei Jahren im Stich gelassen habe und danach seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachgekommen sei, des Weiteren er die Beklagte gebeten habe, den übersandten Schriftverkehr gegebenenfalls an den zuständigen Sozialhilfeträger weiterzuleiten - davon ausgegangen sei, dass sich die Angelegenheit erledigt habe, da er seit dem 20. August 2017 nichts mehr von der Beklagten gehört hätte.
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Mit E-Mail vom 28. April 2020 (Bl. 72 d. BA) verwies die Beklagte nochmals darauf, dass die dargelegten Umstände keinerlei Auswirkungen auf die geltend gemachte Bestattungs- bzw. Kostentragungspflicht hätten, empfahl dem Kläger, sich hierzu direkt mit dem Sozialhilfeträger in Verbindung zu setzen, und kündigte an, zeitnah einen Leistungsbescheid zu erlassen, damit der Kläger diesen dem Sozialhilfeträger im Falle eines Antrags vorlegen könne.
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Mit Bescheid der Beklagten vom 26. Mai 2020 (Bl. 73 - 84 d. BA), dem Kläger zugestellt am 29. Mai 2020 (Bl. 96 d. BA), wurde der Kläger verpflichtet, die Kosten für die Bestattung seines verstorbenen Vaters in Höhe von 2.389,51 EUR zu bezahlen (Nr. 1). Des Weiteren wurden Gebühren für den Bescheid i.H.v. 50 EUR sowie Auslagen für die Zustellung i.H.v. 2,49 EUR erhoben (Nr. 2) und die Gesamtsumme aus Nr. 1 und Nr. 2 in Höhe von 2.442,00 EUR bis zum 6. Juli 2020 fällig gestellt (Nr. 3).
26
Im Rahmen der Begründung führte die Beklagte u.a. aus, dass die Tatsache, dass der Verstorbene für den Kläger eine fremde Person sei, für die bestattungsrechtliche Kostenersatzpflicht irrelevant sei. Grundlage für die Bestattungspflicht sei allein das Abstammungs- bzw. Verwandtschaftsverhältnis und gerade nicht die Solidargemeinschaft der Familie, die sich durch ein gegenseitiges Geben und Nehmen auszeichnet. Daher käme es auch nicht darauf an, ob der Verstorbene seinen Unterhaltsverpflichtungen nachgekommen sei oder nicht, der Verstorbene den Kontakt zum Kläger abgebrochen habe, kein Vater-Sohn-Verhältnis gepflegt habe etc. Dass der Gesetzgeber an die nächsten Angehörigen anknüpfe und auch bei gestörten Familienverhältnissen diesen die Kosten auferlege anstatt die Kosten der Bestattung auf die Allgemeinheit zu verlagern, sei zudem auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Auch könne die Beklagte von einer Kostenforderung nicht absehen, da die Gemeinden schon aus wirtschaftlichen Gründen (Art. 61 Abs. 2 Satz 1 GO) verpflichtet seien, die Kosten zu erheben, somit das in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG eingeräumte Ermessen in der Regel auf null reduziert sei. Der Kläger hafte gesamtschuldnerisch mit dem weiteren Sohn des Verstorbenen.
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Ein Bescheid gleichen Inhalts wurde am selben Tag auch gegenüber Herrn R.S erlassen (Bl. 85 - 95 d. BA) und diesem am 29. Mai 2020 zugestellt (Bl. 97 d. BA).
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Mit Schriftsatz vom ... Juni 2020, eingegangen bei Gericht am 8. Juni 2020, erhob der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 26. Mai 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München, ohne einen bestimmten Antrag zu stellen.
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Zur Begründung trug der Kläger zunächst vor, er habe auf das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 30. August 2017 sehr wohl - vermutlich per E-Mail - Stellung genommen. Darin habe er zunächst auf ein Schreiben seiner Mutter vom 4. September 2017 verwiesen, in welchem diese bestätigt habe, dass er den Verstorbenen nie kennengelernt, sich dieser nie um seine weitere Entwicklung gekümmert habe und auch seinen Unterhaltsverpflichtungen zumeist nicht nachgekommen sei bzw. immer wieder durch das Jugendamt dazu „gedrängt“ hätte werden müssen. Zudem habe er darin die Beklagte darum gebeten, seine Einlassung als Antrag an den zuständigen Sozialhilfeträger weiterzuleiten. Jedoch könne er sich nicht mehr an das genaue Datum erinnern, auch habe er den E-Mail-Verkehr bereits gelöscht, da er seitens der Beklagten weder eine Rückantwort, geschweige denn einen Leistungsbescheid erhalten und er daher die Angelegenheit irgendwann für erledigt erachtet habe. Es müsse wohl um den 5. September 2017 herum gewesen sein. Eine Kopie des o.g. Schreiben der Mutter vom 4. September 2017 war der Klageschrift als Anlage beigelegt.
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Der Kläger ist vor diesem Hintergrund der Auffassung, gesetzlich nicht zur Übernahme der Bestattungskosten verpflichtet werden zu können. Zum einen könne ihm die Zahlung der Bestattungskosten aus persönlichen Gründen „moralisch“ nicht zugemutet werden. Zudem weise der Verfahrensablauf unter zeitlichen Aspekten offenkundige Ungereimtheiten auf, erwecke insbesondere den Eindruck, dass der Vorgang zunächst liegengeblieben oder in der Schublade verschwunden, später wiederaufgetaucht sei und nun noch schnell fristgerecht abgewickelt werden solle.
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Mit Schreiben vom ... Juni 2020 (Bl. 98 - 101 d. BA) legte der Kläger zudem Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde bei der Beklagten ein und monierte das aus zeitlichen Gründen nicht nachvollziehbare Verwaltungshandeln.
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Mit Schreiben vom … Juni 2020 informierte der Kläger die Beklagte darüber, dass er beim zuständigen Sozialhilfeträger die Übernahme der Bestattungskosten nach § 74 SGB XII beantragt habe, und bat die Beklagte, bis zur Entscheidung hierüber das Mahnverfahren auszusetzen.
33
Mit E-Mail vom 18. Juni 2020 (Bl. 104 d. BA) bestätigte das Sozialreferat München, dass sowohl der Kläger als auch R.S. zwischenzeitlich einen Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten nach § 74 SGB XII gestellt hätten.
34
Mit Schriftsatz vom 22. Juni 2020, beantragte die Beklagte,
35
Zur Begründung führte die Beklagte u.a. aus, dass die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht bzw. die Pflicht zur Übernahme der Bestattungskosten ausschließlich auf das Verwandtschaftsverhältnis abstelle, im Übrigen ein Fall des intendierten Ermessens vorliege, ein Absehen von einer Inanspruchnahme demnach nur bei besonderen Gründen gerechtfertigt sei, welche laut Rechtsprechung nur vorlägen, wenn sich der Verstorbene seinen Kindern gegenüber schwerster Verfehlungen schuldig gemacht habe. Hierfür gäbe es vorliegend jedoch keinerlei Hinweise. Jenseits solcher besonderer Umstände müsse die Unzumutbarkeit der Kostentragung vielmehr gegenüber dem Sozialhilfeträger geltend gemacht werden und dieser die Frage der Zumutbarkeit prüfen. Der entsprechende Antrag hierfür müsse vom Kläger selbst gestellt werden.
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Zudem begründe allein die Tatsache, dass der Kläger seit seiner verwaltungsverfahrensrechtlichen Anhörung vom 30. September 2017 bis zum Schreiben vom 22. April 2020 nicht mehr von der Beklagten gehört habe, noch keinen einer Verpflichtung zur Erstattung der Bestattungskosten entgegenstehenden Vertrauensschutz, zumal auch die allgemeine dreijährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen sei. Zwar verpflichte Art. 10 Satz 2 BayVwVfG die Beklagte, die ihr übertragenen Aufgaben alsbald zu erledigen und innerhalb angemessener Zeit zu entscheiden. Welche Frist jeweils angemessen sei, hänge jedoch von den Umständen des Einzelfalls ab. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass die Anmeldung von Sterbefällen zur eventuellen Amtsbestattung und die darauffolgenden Ermittlungsverfahren nach bestattungspflichtigen Angehörigen in München seit Jahren stetig zunähmen und oberste Priorität hätten. Aus diesem Grund hätten die zuständigen Sachbearbeiter kaum Ressourcen, um den anfallenden Kostenersatz zeitnah zu bearbeiten, so dass die Inanspruchnahme der Ersatzpflichtigen im Einzelfall auch einmal etwas länger dauere. Im Übrigen habe der Kläger die Möglichkeit gehabt, von sich aus auf die Behörde zuzugehen und um eine Entscheidung zu bitten. Und selbst wenn - entgegen der Auffassung der Beklagten - eine verzögerte bzw. verschleppte Verfahrensbearbeitung angenommen werden würde, führe diese nach Auffassung der Beklagten nicht zur Rechtswidrigkeit des erlassenen Leistungsbescheids.
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Des Weiteren setzte die Beklagte das Mahn- und Betreibungsverfahren zunächst bis 1. Februar 2021 aus.
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Die Beteiligten haben mit Schriftsatz vom … Februar 2021 (Kläger) bzw. 17. Februar 2021 (Beklagte) auf mündliche Verhandlung verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten dem zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
41
Das Gericht legt die ohne einen bestimmten Antrag erhobene Klage gem. § 88 VwGO dahingehend aus, dass der Kläger die vollumfängliche Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 26. Mai 2020 begehrt.
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Die so verstandene Klage ist zulässig, aber unbegründet.
43
Der Bescheid der Beklagten vom 26. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
44
1. Die unter Nr. 1 des angefochtenen Bescheides ausgesprochene Verpflichtung des Klägers, die für die Bestattung seines verstorbenen Vaters angefallenen Kosten in Höhe von 2.389,51 EUR zu bezahlen, ist rechtmäßig.
45
Rechtsgrundlage für die Verpflichtung des Klägers ist Art. 14 Abs. 2 Satz 2 Bestattungsgesetz (BestG). Danach kann die Gemeinde von einem Bestattungspflichtigen Ersatz der notwendigen Kosten verlangen, wenn sie gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG selbst oder durch vertraglich Beauftragte für die Bestattung und die ihr vorausgehenden notwendigen Verrichtungen sorgen musste, weil der nach § 15 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Bestattungsgesetzes (Bestattungsverordnung - BestV) Bestattungspflichtige seiner Bestattungspflicht nicht nachgekommen ist und Anordnungen nach Art. 14 Abs. 1 BestG nicht möglich, nicht zulässig oder nicht erfolgsversprechend waren.
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a) Vorliegend sind nicht nur die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG für das Entstehen des geltend gemachten Erstattungsanspruches dem Grunde wie der Höhe nach erfüllt, sondern ist - soweit die Verpflichtung im Übrigen in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt war - seitens der Beklagten das Ermessen auch gemäß Art. 40 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechend ausgeübt worden.
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aa) Die Entscheidung der Beklagten, den Kläger dem Grunde nach zur Erstattung der von Amts wegen durchgeführten Bestattung seines Vaters als Gesamtschuldner zu verpflichten, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
48
(1) Der Kläger gehört gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 lit. b) BestV als Sohn des Verstorbenen - wie auch der andere Sohn des Verstorbenen, Herr R.S. sowie die noch lebenden Geschwister des Verstorbenen bzw. deren Kinder (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 lit. f) bzw. g) BestV) - zum Kreis derjenigen Angehörigen, die gemäß Art. 15 Abs. 1 BestG i.V.m. § 15 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BestV bestattungspflichtig sind bzw. - im Falle einer zulässigen Bestattung von Amts wegen - gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG für die Erstattung der angefallenen Kosten in Anspruch genommen werden können.
49
Die Bestattung durfte durch die Beklagte von Amts wegen im Wege der Ersatzvornahme nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG durchgeführt werden.
50
Ausweislich Art. 14 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 BestG hat die Beklagte - gegebenenfalls mittels Anordnung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BestG - vorrangig zu veranlassen, dass die Bestattung des Verstorbenen rechtzeitig durch die nach Art. 15 Abs. 1 BestG bestattungspflichtigen Angehörigen erfolgt (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BestG). Nur soweit diese ihrer Bestattungspflicht nicht rechtzeitig nachkommen und entsprechende Anordnungen nicht möglich, nicht zulässig oder nicht erfolgsversprechend sind, darf die Beklagte die Bestattung an deren Stelle von Amts wegen im Wege der Ersatzvornahme durchführen (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG) und die Erstattung der hierfür entstandenen Kosten verlangen (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG).
51
Vorliegend war es der innerhalb des von Gesetzes wegen für die Durchführung der Bestattung vorgegebenen bzw. vertretbaren Zeitraums (vgl. § 19 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BestV) nur möglich, die beiden Brüder des Verstorbenen zu ermitteln und zur Veranlassung der Bestattung aufzufordern, was diese jedoch verweigerten.
52
Zwar war der Beklagten bereits seit 2. März 2017 infolge Mitteilung der H. Klinik bekannt, dass der Verstorbene vermutlich zwei Söhne hatte, welche vorrangig vor den Geschwistern des Verstorbenen für die Bestattung heranzuziehen gewesen wären. Jedoch erlangte sie nähere Angaben über deren Identität (Vor- und Nachname sowie geschätztes Geburtsdatum sowie vermutlicher Wohnort) erst am 8. März 2017 durch die E-Mail der Familie der Geschwister des Verstorbenen.
Da die gesetzliche Bestattungsfrist (§ 19 Abs. 1 Satz 1 BestV) bereits weit überschritten war und eine rechtzeitige Ermittlung beider oder zumindest einer der beiden Söhne und dessen anschließende Aufforderung, die Bestattung noch rechtzeitig zu veranlassen, somit keinen Erfolg mehr versprach, durfte die Beklagte am 9. März 2017 gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 BestG die Bestattung von Amts wegen anordnen.
53
Die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht und die daran anknüpfende Kostenerstattungspflicht greift unabhängig davon, ob die Angehörigen auch Erben des Verstorbenen sind bzw. die Erbschaft zwischenzeitlich bereits ausgeschlagen haben (privatrechtliche Erbenhaftung) oder ob sie gegenüber dem Verstorbenen aufgrund ihres Verwandtschaftsverhältnis privatrechtlich nach § 1601 BGB zum Unterhalt verpflichtet gewesen sind (BayVGH, B.v.9.6.2008 - 4 ZB 07.2815 sowie B.v. 14.9.2015 - 4 ZB 15.1029). Denn die öffentlich-rechtliche Pflicht, für die Beerdigung eines Verstorbenen zu sorgen, ist nicht mit der zivilrechtlichen Pflicht zur Tragung der Beerdigungskosten identisch. Die zivilrechtlichen Vorschriften über die Kostentragungspflicht enthalten keine rechtliche Vorgabe für den Kreis der öffentlich-rechtlichen Bestattungspflichtigen. Sie schließen öffentlich-rechtliche Ansprüche, die sich aus einem ordnungsbehördlichen Einschreiten gegenüber dem Bestattungspflichtigen ergeben, unbeschadet eines etwaigen Ersatzanspruchs des Bestattungspflichtigen gegenüber dem zivilrechtlich Verpflichteten, nicht aus. Derartige öffentlich-rechtliche Ansprüche beruhen auf einem vom Zivilrecht unabhängigen, der Kompetenz des Landesgesetzgebers unterliegenden Rechtsgrund (vgl. zum Ganzen BVerwG, B.v. 19.8.1994 - 1 B 149/94 - juris Rn. 5). Die Ausschlagung einer Erbschaft führt nur zu einer Befreiung des Erben von solchen Verbindlichkeiten, die ihren Rechtsgrund gerade in der Erbenstellung haben. Verpflichtungen aus einem anderen Rechtsgrund werden von der Ausschlagung der Erbschaft dagegen nicht berührt (OVG Saarland, U.v. 27. 12. 2007 - 1 A 40/07 - juris). Damit berührt die zivilrechtliche Ausschlagung einer Erbschaft nicht die öffentlich-rechtlichen Bestattungspflichten, die im Sicherheits- und Ordnungsrecht und damit in der Gefahrenabwehr wurzeln und sicherstellen sollen, dass der Verstorbene möglichst rasch bestattet wird.
54
Anders als im Zivilrecht besteht die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht und infolgedessen auch die Verpflichtung, die Kosten der Ersatzvornahme zu tragen, unabhängig davon, ob die Familienverhältnisse zu dem Verstorbenen intakt gewesen sind und Kontakt bestanden hat. Da die Bestattungspflicht vorrangig der Gefahrenabwehr und der Einhaltung der Bestattungsfristen dient, knüpft das Gesetz die Bestattungspflicht vielmehr formal an die Verwandtschaft zum Verstorbenen. Hintergrund der gesetzlichen Regelung in Art. 15 Abs. 2 BestG und §§ 1, 15 BestV ist dabei der Gedanke, dass die in diesen Vorschriften genannten Angehörigen eines Verstorbenen diesem - ungeachtet ihrer persönlichen Beziehungen zueinander - allein schon aufgrund der familiären Verbundenheit regelmäßig näher stehen als die Allgemeinheit (BayVGH, B.v. 17.1.2013 - 4 ZB 12.2374 - juris Rn. 7). Eine Pflicht, im Bestattungsgesetz eine Ausnahme oder Einschränkung der Bestattungspflicht in Fällen vorzusehen, in denen die familiären Verhältnisse gestört waren, besteht aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht (BayVGH, B.v. 9.6.2008 - 4 ZB 07.2815 - juris).
55
Abgesehen davon können auf Ebene des Bestattungsrechts herangezogene Angehörige nicht nur in solchen Fällen gemäß § 74 SGB XII vom zuständigen Sozialhilfeträger die Übernahme der Kosten verlangen, in denen die Übernahme der Bestattungskosten für den Pflichtigen - unabhängig von dessen persönlicher Beziehung zum Verstorbenen - finanziell unzumutbar ist, sondern auch in solchen Fällen, in denen sich die Unzumutbarkeit der Kostentragung wegen grober Unbilligkeit aus persönlichen Gründen ergibt (BVerwG, U.v. 29.1.2004 - 5 C 2/03 sowie BVerwG, U.v. 5.6.1997 - 5 C 13-96, in welchem ausgeführt wird, dass dem Anspruch aus § 74 SGB XII nicht entgegensteht, dass die Bestattungskosten zunächst seitens des Bestattungspflichtigen „vorgestreckt“ wurden).
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Insofern stellt § 74 SGB XII in Bezug auf die letztliche Kostentragung die vom Kläger inhaltlich geltend gemachte „Härtefallregelung“ dar, welche jedoch in dem Verfahren gegenüber dem Sozialhilfeträger geltend zu machen und zu prüfen ist. Für eine analoge Anwendung des seitens des Klägers geltend gemachten § 1611 Abs. 1 BGB, welcher direkt nur im Rahmen privatrechtlicher Unterhaltsansprüche im Verhältnis Unterhaltsberechtigter - Unterhaltsverpflichteter anzuwenden ist, bzw. einen Rückgriff auf einen etwaig darin zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedanken, verbleibt - bereits mangels Regelungslücke - kein Raum.
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Lediglich bei - in der Regel abgeurteilten - schweren Straftaten des Verstorbenen zulasten des an sich Bestattungspflichtigen, bei denen es dem Angehörigen nicht einmal zugemutet werden kann, zunächst zur Übernahme der Kosten verpflichtet zu werden (vgl. etwa: BayVGH, B.v. 9.6.2008 - 4 ZB 07.2815; BayVGH, U.v. 17. 1. 2013 - 4 ZB 12.2374; HessVGH, U.v. 26.10.2011 - 5 A 1245/11), kann bereits auf Ebene des Bestattungsrechts über das der Behörde vom Gesetzgeber eingeräumte Ermessen ausnahmsweise von einer Verpflichtung abgesehen werden.
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(2) Soweit Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG die Entscheidung, ob einer der oben genannten Bestattungspflichtigen konkret zur Kostenerstattung herangezogen werden soll, in das Ermessen der Behörde stellt („kann“), handelt es sich um einen Fall des intendierten Ermessens. d.h. in der Regel ist nur die Entscheidung für die Inanspruchnahme des Pflichtigen ermessensfehlerfrei. Dies folgt aus der Zweckrichtung der Regelung in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG, wonach es regelmäßig ohne Ansehung der tatsächlichen persönlichen Beziehung des Pflichtigen zum Verstorbenen dem Interesse der Allgemeinheit an der rechtmäßigen, wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung von Steuergeldern entspricht, die durch die Gemeinde verauslagten Bestattungskosten vom Bestattungspflichtigen zurückzufordern. Einer Darlegung der Ermessenserwägungen bedarf es hier nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die ein Absehen von der Rückforderung rechtfertigen könnten (BayVGH, B.v. 9.6.2008 - 4 ZB 07.2815).
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Wie bereits ausgeführt, sind solche außergewöhnlichen Umstände zu bejahen bei schweren Straftaten des Verstorbenen zulasten des an sich Bestattungspflichtigen, die in der Regel zu einer Verurteilung des Verstorbenen geführt haben müssen (HessVGH, U.v. 26.10.2011 - 5 A 1245/11; BayVGH, B.v. 9.6.2008 - 4 ZB 07.2815; BayVGH, U.v. 17. 1. 2013 - 4 ZB 12.2374).
60
Allein die Tatsache, dass der Verstorbene dem Kläger unbekannt ist, keinen Kontakt zu diesem gesucht hat (siehe hierzu: BayVGH, B.v. 19.12.2011 - 4 C 11.2581), und seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kläger oftmals verletzt hat (siehe hierzu: BayVGH, B.v. 17.1.2013 - 4 ZB 12.2374) rechtfertigt - anders als die Verübung schwerer Straftaten - nicht die Annahme außergewöhnlicher Umstände, um bereits auf Ebene des Bestattungsrechts von einer Verpflichtung des Klägers abzusehen. Der Kläger ist vielmehr auf § 74 SGB XII und das Verfahren gegenüber dem Sozialhilfeträger zu verweisen (vgl.o.).
61
(3) Auch die Entscheidung der Beklagten, den Kläger neben dem weiteren Sohn des Verstorbenen für die Kostenerstattung als Gesamtschuldner heranzuziehen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
62
Grundsätzlich fällt die Entscheidung, welchen von mehreren Bestattungspflichtigen die Beklagte heranzieht, in deren weiten Ermessenspielraum. Grenzen ergeben sich lediglich durch das Willkürverbot und offenbare Unrichtigkeiten. Ausreichend ist deshalb, wenn die Wahl des Schuldners unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität geeignet und zweckmäßig erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.1993 - 8 C 57/91 - NJW 1993, 1667; VG München, U.v. 30.9.2004 - M 10 K 04.2800).
63
Jedoch soll die Beklagte, wenn mehrere Bestattungspflichtige vorhanden sind, gemäß Art.15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 BestG i.V.m. § 15 Satz 2 BestV bei ihrer Auswahl den Grad der Verwandtschaft bzw. Schwägerschaft berücksichtigen. Verwaltungsrechtliche Sollvorschriften dieser Art sind im Regelfall für die mit ihrer Durchführung betraute Behörde rechtlich zwingend und verpflichten sie, so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist. Nur wenn Umstände vorliegen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Behörde anders verfahren als im Gesetz vorgesehen und nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden (BVerwG, U.v.2.7.1992 - 5 C 39.90 - BVerwGE 90, 275/278).
64
Die Voraussetzungen einer gesamtschuldnerischen Haftung nach § 421 BGB sind vorliegend erfüllt. Der Kläger und R.S. weisen denselben Verwandtschaftsgrad (Verwandte 1. Grades, vgl. § 1589 Abs. 1 Satz 2 BGB) zum Verstorbenen auf. Die Entscheidung der Beklagten, beide als Gesamtschuldner zu verpflichten, hingegen von einer Inanspruchnahme der Geschwister bzw. deren Abkömmlinge (Verwandte 2. Grades, vgl. § 1589 Abs. 1 Satz 2 BGB) abzusehen, war rechtlich nicht zu beanstanden.
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bb) Auch die Höhe der geltend gemachten Kosten ist nicht zu beanstanden.
66
Der Kläger ist gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG zur Erstattung der notwendigen Kosten der Bestattung verpflichtet. Notwendige Kosten der Bestattung sind sämtliche Kosten der Beklagten, die diese zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG aufwenden musste, um eine angemessene Bestattung in einfacher, aber würdiger und ortsüblicher Form zu gewähren (vgl. VGH BadenWürttemberg, U.v. 25.9.2001 - 1 S 974/01 - juris; a.A. VGH Baden-Württemberg, U.v. 15.11.2007 - 1 S 2720/06). Der Kostenrahmen darf hierbei den in § 74 SGB XII vorgegebenen erstattungsfähigen Rahmen nicht überschreiten.
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Die vorliegend festgesetzten Kosten sind angemessen. Die im Rahmen der Ersatzvornahme veranlasste Bestattung beschränkte sich auf das Minimum, welches für eine ordentliche und würdevolle Bestattung notwendig ist. Die erhobenen Kosten entsprachen den örtlichen Verhältnissen. Für die Leistungen und Auslagen der Städtischen Bestattung sind Kosten in Höhe von 1.059,51 EUR sowie Friedhofsgebühren in Höhe von 1.330 EUR angefallen, somit insgesamt 2.389,51 EUR.
b) Der Anspruch der Beklagten auf Erstattung der Bestattungskosten ist - entgegen der Auffassung des Klägers - auch nicht in der Zwischenzeit infolge zu später Geltendmachung bzw. Verwirkung erloschen.
68
aa) Gemäß Art. 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Gesetz zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (AGBGB) erlöschen die auf eine Geldzahlung gerichteten öffentlich-rechtlichen Ansprüche einer bayerischen Gemeinde, soweit nichts anderes bestimmt ist, in drei Jahren, wobei gem. Art. 71 Abs. 1 Satz 2 AGBGB die Frist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Berechtigte von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Verpflichteten Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste, jedoch nicht vor dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Gemäß Art. 71 Abs. 2 Hs. 2 AGBGB i.V.m. Art. 53 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG wird der Lauf der Frist durch einen Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruches erlassen wird, gehemmt, mit der Wirkung, dass der Zeitraum in die Frist nicht eingerechnet wird, Art. 71 Abs. 2 Hs. 1 AGBGB i.V.m. § 209 BGB.
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Vorliegend erlangte die Beklagte von den den Anspruch begründenden Umständen bzw. von der Person des Klägers im Februar bzw. März 2017 Kenntnis. Die Frist begann daher gem. Art. 71 Abs. 1 Satz 2 AGBGB mit Ablauf des Jahres 2017 zu laufen und wäre demnach - ohne eine vorherige Hemmung - grundsätzlich mit Ablauf des Jahres 2020 geendet.
70
Durch Erlass des streitgegenständlichen Bescheides am 26. Mai 2020, der dem Kläger am 29. Mai 2020 und damit noch vor Ablauf des Jahres 2020 zugestellt wurde, wurde ein Erlöschen des Anspruchs gemäß Art. 53 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG jedoch rechtzeitig durch Feststellung des Anspruches gehemmt.
71
bb) Der Anspruch der Beklagten ist vorliegend auch nicht unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) aus Gründen des Vertrauensschutzes deshalb als verwirkt anzusehen, als der Kläger, nachdem er mit Schreiben der Beklagten vom 30. August 2017 angehört worden war, trotz angeblicher Rückmeldung Anfang September 2017 sowie Bitte um Weiterleitung an den zuständigen Sozialhilfeträger bis zum 22. April 2020 nichts mehr von der Beklagten hörte und aufgrund der langen Zeitspanne sowie im Vertrauen auf ordnungsgemäßes Verwaltungshandeln daher davon ausging, seine Zahlungspflicht habe sich anderweitig erledigt und er werde nicht mehr zur Erstattung der Kosten herangezogen.
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(1) Die Verwirkung eines Rechts aus Gründen des Vertrauensschutzes setzt das Verstreichen eines längeren Zeitraums seit der Möglichkeit seiner Geltendmachung (sog. zeitliches Moment) sowie das Vorliegen besonderer Umstände (sog. Umstandsmoment) voraus, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (BVerwG, 16.04.2002 - 4 B 8.02).
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Auf Ebene des Umstandsmomentes ist - für die Begründung von Vertrauensschutz zu Gunsten des Verpflichteten mit der Folge der Verwirkung des Rechtes seitens des Berechtigten - insbesondere entscheidend, ob durch ein, dem Berechtigten zurechenbares, Verhalten (aktives Tun, Dulden oder Unterlassen) auf Seiten des Verpflichteten die Erwartungshaltung entstand, er würde für die bestehende Verpflichtung nicht bzw. nicht mehr herangezogen (Vertrauen), der Verpflichtete - aus seiner Perspektive heraus - dies den Umständen nach auch derart verstehen durfte (schutzwürdiges Vertrauen) und der Berechtigte die Entstehung des schutzwürdigen Vertrauens zu vertreten hat (Verantwortung), so dass er mit dem Verlust seines Rechts im Wege der Verwirkung belastet werden darf.
74
Zeitsowie Umstandselement stehen insoweit nicht isoliert als kumulative Voraussetzungen nebeneinander, sondern ergänzen sich in ihrer Indiz- bzw. Argumentationswirkung gegenseitig:
75
Je größer der zwischen Entstehung und Ausübung des Rechts verstrichene Zeitraum ist, desto geringer sind - ab einer gewissen Dauer - die spezifischen Anforderungen an die konkreten, Vertrauensschutz zu Gunsten des Verpflichteten begründenden (sonstigen) Umstände. Ein sehr langer Zeitraum kann eine geschützte Vertrauensstellung indizieren, wobei eine solche Indizierung jedenfalls für solche Zeitspannen ausscheidet, für welche der Gesetzgeber eine Frist für die Geltendmachung bestimmt hat (etwa Verjährungs- oder Festsetzungsfristen), wie vorliegend die Festsetzungsfrist in Art. 71 AGBGB.
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Umgekehrt können speziell gelagerte Umstände auch schon nach sehr kurzer Zeit zu einer Verwirkung des Rechts führen, etwa wenn der Berechtigte gegenüber dem Verpflichteten zunächst explizit seinen Verzicht auf das später dann dennoch geltend gemachte Recht erklärt.
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(2) Unter Anwendung der soeben dargestellten Grundsätze ist eine Verwirkung des Anspruches vorliegend zu verneinen.
78
Der Kläger gründet vorliegend sein Vertrauen, seine Zahlungsverpflichtung habe sich bereits anderweitig erledigt, nach eigener Aussage auf den Umstand, dass er auf das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 30. August 2017 hin dieser bereits Anfang September 2017 per E-Mail die Gründe für eine ausnahmsweise Unzumutbarkeit einer Kostentragung dargelegt und diese gebeten habe, seine Einlassungen als Antrag an den zuständigen Sozialhilfeträger weiterzuleiten, von der Beklagten seitdem jedoch über viele Monate (bis zum Schreiben vom 22. April 2020) weder eine Rückantwort, geschweige denn einen Leistungsbescheid erhalten habe, so dass er gedacht habe, die Angelegenheit habe sich infolge Weiterleitung an den zuständigen Sozialhilfeträger längst erledigt.
79
Jedoch vermag eine bloße temporäre Untätigkeit der Beklagten zur Durchsetzung der Kostenerstattungspflicht innerhalb der Festsetzungsfrist des Art. 71 AGBGB vorliegend weder ein schutzwürdiges Vertrauen seitens des Klägers noch eine Verantwortung seitens der Beklagten zu begründen. Aus diesem Grund konnte für die Zwecke dieses Verfahrens vorliegend auch dahinstehen, ob der Kläger Anfang September 2017 tatsächlich an die Beklagte schrieb und um Weiterleitung an den Sozialhilfeträger bat und die zweieinhalbjährige Untätigkeit insoweit Auswirkungen auf die materielle Beweislast bzw. die Beweisanforderungen hat.
80
In diesem Zusammenhang ist zunächst anzumerken, dass nach den allgemein geltenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung bloßem Schweigen in der Regel noch kein Erklärungswert zukommt. Dies ist ausnahmsweise nur dann der Fall, wenn dies entweder explizit gesetzlich bestimmt ist, wobei dies in der Regel eines vorherigen expliziten Hinweises auf die Konsequenzen eines etwaigen Schweigens voraussetzt, oder ganz ausnahmsweise dem Schweigen in bestimmten Situationen nach allgemeiner Verkehrssitte ein bestimmter Erklärungswert zugestanden wird.
81
Wie die Beklagte in ihrer Klageerwiderung zu Recht eingewandt hat, ist im Rahmen der Eingriffsverwaltung ein Verwaltungshandeln grundsätzlich erst beendet, wenn die Verwaltung dies erklärt. Bloßem Schweigen - noch dazu innerhalb der Festsetzungsfrist - kommt demnach schon nach allgemeiner Verkehrssitte grundsätzlich kein Erklärungswert zu (§ 157 BGB analog).
82
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Beklagte bei der Aufforderung gegenüber den Geschwistern des Verstorbenen, ihrer Bestattungspflicht nachzukommen sowie - nach deren Weigerung - der im Wege der Ersatzvornahme vorgenommenen Anordnung der Bestattung von Amts wegen, in einem deutlich kürzeren zeitlichen Rahmen agierte. Aus Gründen des Seuchenschutzes und der Gefahrenabwehr ist zur Bestattung von Verstorbenen ein enges Zeitfenster einzuhalten. Jegliche Verzögerungen sind zu vermeiden. Solche Dringlichkeitsgründe, welche ein zügiges Handeln der Gemeinde erfordern, sind bei bloßen Zahlungsansprüchen aufgrund einer Ersatzvornahme nicht gegeben, da die Gefahrenquelle bereits durch die Ersatzvornahme beseitigt wurde. Aus diesem Grund können Kostenbescheide zur Übernahme der durch eine Ersatzvornahme angefallenen Kosten auch mit größerem zeitlichem Abstand zum Grundverwaltungsakt erlassen werden. Der Gesetzgeber räumt - anders als bei der Bestattungsfrist - der Behörde hierbei eine deutlich längere Festsetzungsfrist (Art. 71 AGBGB) für ein Tätigwerden ein, welche vorliegend nicht überschritten wurde.
83
2. Auch die in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids ausgesprochene Verpflichtung des Klägers, die für die Erteilung des Bescheides angefallenen Gebühren in Höhe von 50 EUR sowie die für die Postzustellung angefallenen Auslagen in Höhe von 2,49 EUR zu zahlen, ist rechtmäßig.
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Rechtsgrundlage für die festgesetzten Gebühren sind §§ 1, 2 Abs. 1, 3 der städtischen Kostensatzung i.V. m. Art. 6 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Kostengesetz. Rechtsgrundlage für die Erstattung der Auslagen sind §§ 1, 3 Abs. 2 Nr. 2 der Kostensatzung.
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3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
86
4. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.