Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 17.06.2021 – 4 O 7315/19
Titel:

Behandlungsfehler, Schmerzensgeld, Arzt, Versorgung, Eintragung, Verletzung, Therapie, Operation, Feststellung, Ermessen, Schmerzen, Klinik, Pflichtverletzung, Gutachten, vorgerichtliche Anwaltskosten, rechtliches Interesse, angemessenes Schmerzensgeld

Schlagworte:
Behandlungsfehler, Schmerzensgeld, Arzt, Versorgung, Eintragung, Verletzung, Therapie, Operation, Feststellung, Ermessen, Schmerzen, Klinik, Pflichtverletzung, Gutachten, vorgerichtliche Anwaltskosten, rechtliches Interesse, angemessenes Schmerzensgeld
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 22.05.2023 – 5 U 2251/21
BGH Karlsruhe vom -- – VI ZR 191/23
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62801

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 60.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Schmerzensgeld und Schadensersatzansprüche des Klägers nach orthopädisch-chirurgischer Behandlung im Hause der Beklagten im Zeitraum vom 19.10.2016 bis 03.11.2016. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler nach erfolgter Versorgung des linken Hüftgelenks mittels einer Totalendoprothese (TEP) in Anspruch.
2
Der Kläger stellte sich am 14.10.2016 in der Sprechstunde der Beklagten mit der Diagnose einer dekompensierten Coxarthrose linksseitig und einer noch kompensierten Coxarthrose rechtsseitig vor. Von Seiten der Beklagten wurde die Indikation zur Versorgung der Coxarthrose linksseitig mittels einer zementfreien Totalendoprothese gestellt. Die operative Versorgung im Hause der Beklagten erfolgte am 20.10.2016 durch Prof. Dr. med. …. Neben dem Einsatz einer zementfreie TEP in der linken Hüfte wurde beim Kläger auch eine Bursa trochanterica – Resektion durchgeführt.
3
Nach zunächst komplikationsfreiem Abschluss der Operation stellten sich beim Kläger bereits am ersten postoperativen Tag Schmerzen im Bereich des linken Mittelfußes ein. Zusätzlich trat auch eine Plegie der Fußheber und Fußsenker auf. Ein am 03.11.2016 in der Neurologischen Klinik des … durchgeführtes Konzil ergab eine Läsion des nervus ischiadicus. Der Kläger wurde am 03.11.2016 in die neurologische und orthopädische Weiterbehandlung entlassen.
4
Ab dem 04.11.2016 begab sich der Kläger in die stationäre Behandlung des Rehabilitationszentrums … und bei einer fortbestehenden Fußheberparese am 08.12.2016 in das …. Es zeigte sich weiterhin das Bild einer Läsion des nervus ischiadicus. Auch in den folgenden Jahren unterzog sich der Kläger aufgrund einer fortbestehenden Symptomatik, deren Umfang und Besserung zwischen den Parteien im Einzelnen umstritten ist, einer weiteren ärztlichen und physiotherapeutischen Behandlung.
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Der Kläger behauptet, dass die Implantation der Totalendoprothese am 20.10.2016 behandlungsfehlerhaft erfolgt sei. Insbesondere sei es der Beklagten vorzuwerfen, dass es im Zuge des Eingriffs zu einer Läsion des nervus ischiadicus gekommen sei. Die Beklagte habe intraoperativ nicht die notwendigen Strategien ergriffen, um eine Nervenläsion zu vermeiden. Aufgrund der behandlungsfehlerhaft durchgeführten Operation sei es bei dem Kläger zu einer hochgradig peroneal betonten Läsion des nervus ischiadicus gekommen. Diese habe beim Kläger eine über Jahre hinweg bestehende schmerzhafte Bewegungseinschränkung, eine vollständige Fußheberparese sowie weitere Beschwerden verursacht, die bisher keine signifikante Besserung erfahren hätten.
6
Ferner zeige das linke Bein eine erhebliche Längenzunahme, die in einem Bereich von 2 cm anzusiedeln sei. Auch die Beinlängenveränderung führe zu einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung und sei auf einen Behandlungsfehler im Rahmen des Eingriffs zurückzuführen.
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Infolge der Behandlungsfehler sei der Beklagte dauerhaft auf ausgleichendes orthopädisches Schuhwerk angewiesen.
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Im Übrigen wäre anstatt eines operativen Eingriffs auch eine konservative Schmerztherapie in Betracht zu ziehen gewesen.
9
Die Klagepartei trägt weiter vor, dass der Operation vom 20.10.2016 zudem eine unzureichende Aufklärung des Klägers über das Risiko einer schwerwiegenden Nervenschädigung und einer Beinlängendifferenz vorausgegangen sei. Der die Aufklärung durchführende Arzt habe lediglich 2-3 Minuten mit dem Kläger gesprochen und die anstehende Operation dabei beschönigend dargestellt. Auf die Möglichkeit bleibender Nervenverletzungen sei nicht hingewiesen worden. Auch über die Möglichkeit des Eintritts einer Beinlängendifferenz sei der Kläger nicht aufgeklärt worden. Wäre der Kläger ordnungsgemäß über die möglichen und letztendlich auch eingetretenen Behandlungsfolgen aufgeklärt worden, so hätte er von dem streitgegenständlichen Eingriff Abstand genommen. Die Operation sei daher rechtswidrig erfolgt.
10
Der Kläger ist demnach der Ansicht, dass ihm aufgrund der Behandlungsfehler der Beklagten ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000 € zustehe. Zudem sei festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die weiteren materiellen und immateriellen Schäden des Klägers zu ersetzen.
11
Der Kläger beantragt:
1.
Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter 50.000,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, alle materiellen und immateriellen Schäden die dem Kläger aus der Behandlung vom 19.10.2016 bis 03.11.2016 entstanden sind oder noch entstehen werden, sofern sie nicht auf Dritte übergegangen sind, zu tragen.
3.
Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 923,38 € zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
13
Die Beklagte behauptet, dass eine Läsion des nervus ischiadicus links nicht auf ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen der Beklagten zurückzuführen sei. Sollte sich eine Schädigung des nervus ischiadicus im Zuge der Operation tatsächlich ereignet haben, so handele es sich hierbei um eine eingriffsimmanente Komplikation. Die notwendigen Strategien zur Vermeidung von Nervenläsion seien seitens der Beklagten in ausreichender Weise beachtet worden. Eine Beinlängendifferenz von 2 cm liege nicht vor. Die Beinlängendifferenz sei mit unter 1 cm anzugeben und liege daher innerhalb des postoperativen Toleranzbereiches. Über die Möglichkeit von Nervanläsionen als eingriffstypische und schicksalhafte Komplikation sei der Kläger aufgeklärt worden. Insofern fände sich im Aufklärungsbogen auch eine handschriftliche Eintragung des aufklärenden Arztes. Auch über die Möglichkeit einer eintretenden Beinlängendifferenz sei der Kläger aufgeklärt worden. Die Beklagte erhebt zudem hilfsweise den Einwand der hypothetischen Einwilligung.
14
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
15
Mit Beschluss vom 28.02.2020 hat die Kammer ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dr. med. … erholt, welches der Sachverständige unter dem 29.06.2020 erstattet (Bl. 50 ff. d.A.) und im Rahmen einer weiteren Stellungnahme unter dem 09.09.2020 ergänzt hat (Bl. 83 ff. d.A.).
16
Die Kammer hat am 22.04.2021 mündlich zur Sache verhandelt und sowohl den Kläger als auch den Sachverständigen Dr. … zur Erläuterung seines Gutachtens gehört. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen (Bl. 100 ff. d.A.).

Entscheidungsgründe

17
Die Klage ist zulässig, in der Sache aber unbegründet.
I.
18
Die Klage ist zulässig.
19
1. Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist gemäß § 1 ZPO, §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG sachlich und gemäß §§ 12, 13, 29 Abs. 1, 32 ZPO örtlich zuständig.
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2. Der Klageantrag zu Ziff. 1. ist zulässig. Insbesondere ist es zulässig, dem Gericht die Festlegung der Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes zu überlassen (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 253 ZPO Rn. 14 f.). Eine Größenordnung (mindestens 50.000,00 €) und die Bemessungsgrundlagen sind angegeben.
21
3. Auch der Klageantrag zu Ziff. 2. ist zulässig. Insbesondere hat der Kläger ein rechtliches Interesse an der beantragten Feststellung gemäß § 256 ZPO. Der Kläger hat ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung etwaiger Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte, da diese gerade bestritten werden (vgl. Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 256 ZPO Rn. 7). Durch das Bestreiten liegt eine Unsicherheit für etwaige Ansprüche des Klägers vor. Das erstrebte Urteil ist geeignet, diese Unsicherheit zu beseitigen. Das erforderliche Feststellungsinteresse liegt bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen vor, wenn sich ein Schaden noch in der Entwicklung befindet oder aus anderen Gründen noch nicht abschließend beziffert werden kann; eine nur teilweise Bezifferbarkeit des Schadens erfordert nicht die Erhebung einer diesbezüglichen Leistungsklage, sondern lässt insgesamt die Erhebung einer Feststellungsklage zu (vgl. BGH NJW 1984, 1552, 1554; NJW-RR 2004, 79, 81).
II.
22
In der Sache ist die Klage jedoch unbegründet.
23
Der Klagepartei ist der Nachweis eines haftungsbegründenden Behandlungsfehlers nicht gelungen. Ebenso wenig konnte sich die Kammer davon überzeugen, dass der Beklagten ein Mangel in der Aufklärung des Klägers vorzuwerfen ist. Dem Kläger steht daher weder ein Anspruch aufgrund einer Pflichtverletzung aus dem Behandlungsvertrag gemäß §§ 630 a Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB noch ein deliktischer Anspruch aus § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB zu.
24
1. Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn die konkrete ärztliche Behandlung nicht dem anerkannten und gesicherten Stand der ärztlichen Wissenschaft entspricht, wenn also nach den Erkenntnissen der ärztlichen Wissenschaft unter den jeweiligen Umständen die objektiv erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen wurde (OLG Hamm NJW 2000, 1801 m.w.N.). Dabei kommt es auf die im jeweiligen Fachkreis des Arztes zu fordernde Sorgfalt an (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Auflage 2014, Rn. 2 zu B. I. 1.). Die Beweislast für eine Pflichtverletzung trägt dabei grundsätzlich die Klagepartei (BGH NJW 1987, 705).
25
Dieser Beweis ist der Klagepartei nicht gelungen.
26
a) Die Kammer hegt zunächst keinen Zweifel daran, dass der Einsatz einer Totalendoprothese beim Kläger medizinisch indiziert gewesen ist.
27
Dem steht nicht entgegen, dass sowohl die Klagepartei als auch der Sachverständige Dr. med. … darauf hingewiesen haben, dass auch eine konservative Schmerztherapie in Betracht gekommen wäre. Insofern ist aber zu berücksichtigen, dass eine derartige konservative Schmerztherapie jedenfalls ab dem 15.07.2016 durch den niedergelassenen Orthopäden Dr. med. … durchgeführt wurde. Am 14.10.2016 hat sich der Kläger dann selbst im Hause der Beklagten vorgestellt. Dies lässt nach Ansicht der Kammer den Schluss zu, dass der Kläger mit dem Ergebnis der bis zu diesem Zeitpunkt durchgeführten konservativen Schmerztherapie nicht in einem hinreichenden Maße zufrieden gewesen ist. Zumal in dem entsprechenden Arztbrief vom 14.10.2016 vermerkt ist, dass ein subjektiv hoher Leidensdruck bei dem Kläger bestehe und dieser eine operative Versorgung wünsche.
28
Insofern geht die Kammer davon aus, dass bei gegebener Sachlage zwar auch eine Fortführung der konservativen Schmerztherapie behandlungsfehlerfrei möglich gewesen wäre, es aber auch keinen Behandlungsfehler darstellt, nach einer länger andauernden konservativen Therapie nunmehr ein operatives Vorgehen in die Wege zu leiten.
29
Die Kammer berücksichtigt dabei auch, dass ein derartiges Vorgehen dem Wunsch des Klägers entsprochen hat, der im Rahmen seiner mündlichen Anhörung selbst dargelegt hat, die streitgegenständliche Hüftoperation zuvor bereits möglichst lange hinausgezögert zu haben.
30
b) Die im Zuge der Operation vom 20.10.2016 stattgefundene Läsion des nervus ischiadicus begründet keinen Behandlungsfehler. Der entsprechende Nachweis ist der Klagepartei nicht gelungen.
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(1) Die Kammer ist aber davon überzeugt, dass es im Zuge des operativen Eingriffs vom 20.10.2016 tatsächlich zu einer Verletzung des nervus ischiadicus links gekommen ist. Eine derartige Läsion wurde beim Kläger erstmals unmittelbarer nach der erfolgten Operation festgestellt. Auch die mit einer Schädigung des nervus ischiadicus verbundenen Beschwerden wurden vom Kläger initial am erst postoperativen Tag berichtet. Dementsprechend sind auch der vorliegenden Dokumentation erstmals am ersten postoperativen Tag neurovaskuläre Defizite beim Kläger zu entnehmen.
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(2) Eine derartige Verletzung des nervus ischiadicus impliziert jedoch nicht ohne weiteres einen behandlungsfehlerhaftes Vorgehen der Beklagten, sondern kann vorliegend als eingriffsimmanentes Risiko keine Haftung begründen.
33
Der Sachverständige Dr. med. … hat in diesem Zusammenhang für die Kammer nachvollziehbar und plausibel das operative Vorgehen bei der Implantation der Totalendoprothese am Hüftgelenk über den lateralen Zugang beschrieben. Er hat insbesondere dargelegt, dass es sich hierbei um eine von insgesamt vier gleichrangig nebeneinander stehenden regelhaften Implantationstechniken handele. Der nervus ischiadicus werde bei der angewandten Operationstechnik nicht dargestellt. Der Nerv liege vielmehr in den Weichteilen hinter dem Hüftgelenk verborgen und ziehe von dort beinabwärts.
34
Eine Darstellung des nervus ischiadicus könne lediglich dann erfolgen, wenn der dorsale Zugang gewählt werde. Bei diesem Vorgehen könne der Nerv visualisiert werden. Bei der gewählten Operationstechnik sei eine Darstellung jedoch nicht möglich, denn hierfür müssten Muskelgruppen durchtrennt werden. Dies sei mit erheblichen Nachteilen insbesondere im Hinblick auf die Luxationsgefahr der Prothese verbunden. Eine Darstellung des nervus ischiadicus sei daher vorliegend nicht sinnvoll gewesen.
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Bei der angewandten Operationstechnik werde es erforderlich, mittels des Einsatzes von mehreren Haken – wahrscheinlich sogenannte Hohmann-Haken – das anliegende Weichteilgewebe zu verdrängen, um den Operationssitus adäquat darstellen zu können. Bei diesem Verdrängen der Weichteile und des Muskelgewebes könne es zu einem Dehnungsschaden am nervus ischiadicus kommen. Eine derartige Nervenverletzung sei jedoch auch bei Beachtung der größtmöglichen Sorgfalt nicht gänzlich zu vermeiden. Dies ergebe sich sowohl aus der Literatur als auch aus dem klinischen Alltag. Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang weiter darauf hingewiesen, dass es bei diesem Prozess zwar ein Mindestmaß für die Eröffnung des Operationsgebietes gebe, aber bereits dieses Mindestmaß eine Verletzung am Nerv hervorrufen könne.
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Eine Schädigung des nervus ischiadicus begründe daher noch keinen Behandlungsfehler, da der Operateur während des Eingriffs einen Ausgleich zwischen der Darstellung des Operationsgebietes einerseits und der Intensität der Verdrängung der Weichteile andererseits finden müsse. Sichere Hinweise auf ein fehlerhaftes Vorgehen bei Durchführung der angewandten Operationstechnik hätten sich im Ergebnis nicht gefunden.
37
(3) Den Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. … schließt sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung an. Der Sachverständige ist der Kammer aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt. Er ist Chefarzt einer Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie und verfügt über herausgehobene Fachkenntnisse. Als Grundlage seiner sachverständigen Ausführungen standen dem Sachverständigen zudem die vollständigen Behandlungsunterlagen zur Verfügung.
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Der Sachverständige hat für die Kammer überzeugend dargelegt, dass der betroffene Nerv bei der zutreffend gewählten Operationstechnik intraoperativ nicht dargestellt werden kann. Die Schädigung des Nervs tritt vielmehr indirekt über die Verdrängung des anliegenden Weichgewebes ein. Auch bei Bewertung durch die Kammer liegt es nahe, dass hierbei ein Zielkonflikt für den Operateur dahingehend entsteht, wonach er einerseits ausreichend Gewebe verdrängen muss, um eine ungestörte Sicht auf das Operationsgebiet zu erhalten und andererseits möglichst geringen Druck zur Vermeidung einer Schädigung der Weichteile ausüben darf. Hierbei handelt es sich aber um eine abstrakt zu bewertende Entscheidung, deren Richtigkeit intraoperativ nicht überprüft werden könne. Aufgrund des so dargelegten Spannungsverhältnisses sieht die Kammer keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, aus der Verletzung des nervus ischiadicus auf einen Behandlungsfehler seitens der Beklagten zu schließen. Es erschließt sich der Kammer nicht, dass der operierende Arzt vorliegend erkennen konnte, dass es zu einer Schädigung des nervus ischiadicus kommen wird. Vielmehr haben die Ausführungen des Sachverständigen für die Kammer verdeutlicht, dass sich unzweifelhaft eine eingriffsimmanente Komplikation verwirklicht hat. Anhaltspunkte dafür, dass dem behandelnden Arzt innerhalb der zutreffend gewählten Operationstechnik technische Fehler unterlaufen sind, haben sich unter Berücksichtigung der Operationsschritte, wie sie im Operationsbericht geschildert sind, nicht ergeben.
39
c) Im Hinblick auf die eingetretene Beinverlängerung auf der linken Seite geht der Sachverständige von einem Wert von 1,5 cm aus und begründet dies nachvollziehbar und schlüssig mit der aktuellen Verordnung einer Schuherhöhung um 1,5 cm rechts. Der Sachverständige hat insofern überzeugend ausgeführt, dass das Erreichen einer Beinlängengleichheit durch verschiedene intraoperative nicht zu beeinflussende Umstände erschwert werden könne. Es sei daher nicht als Behandlungsfehler einzuschätzen, wenn postoperativ eine Beinlängendifferenz von 1 bis 2 cm festzustellen sei. Die Kammer schließt sich dem nach einer eigenen kritischen Würdigung an.
III.
40
Die Klägerin dringt zudem mit ihrer Rüge einer nicht ordnungsgemäßen Aufklärung nicht durch.
41
1. Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde gemäß § 630 d Abs. 1 BGB verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt voraus, dass der Patient vor der Einwilligung nach Maßgabe von § 630 e Absatz 1 bis 4 BGB aufgeklärt worden ist. Nach der Rechtsprechung (vgl. etwa BGH NJW 2010, 3230, 3231, m.w.N.) muss der Patient „im Großen und Ganzen“ wissen, worin er einwilligt. Dazu muss er über die Art des Eingriffs und seine nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken informiert werden, soweit diese sich für einen medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergeben und für seine Entschließung von Bedeutung sein können. Dem Patienten muss eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern (vgl. BGH NJW 2000, 1784, 1785 f.; 1994, 1397, 1398). Die Notwendigkeit zur Aufklärung hängt bei einem spezifisch mit einer Therapie verbundenen Risiko nicht davon ab, wie oft das Risiko zu einer Komplikation führt. Entscheidend ist vielmehr die Bedeutung, die dieses Risiko für die Entschließung des Patienten haben kann. Bei einer möglichen besonders schweren Belastung für seine Lebensführung ist deshalb die Information über ein Risiko für die Einwilligung des Patienten auch dann von Bedeutung, wenn sich das Risiko sehr selten verwirklicht (vgl. BGH NJW 2000, 1784, 1785 f.; 1984, 1397, 1398). Jede Verletzung der Pflicht zur Risikoaufklärung macht die Einwilligung des Patienten in den Eingriff unwirksam und der Eingriff bleibt mangels Rechtfertigung rechtswidrig (vgl. Geiß/Greiner, a.a.O., C Rn. 130).
42
2. a) Die Einwilligung des Patienten in den Eingriff ist mit ihren Voraussetzungen, insbesondere einer richtig und vollständig erteilten Selbstbestimmungsaufklärung, nach § 630 h Abs. 2 S. 1 BGB von der Behandlungsseite zu beweisen. Der Behandlungsseite obliegt demnach grundsätzlich der Beweis sämtlicher Tatsachen, aus denen sich eine wirksame Einwilligung ergibt. Allerdings sind an den Beweis der Behandlungsseite für die Erfüllung ihrer Aufklärungspflichten keine überzogenen Anforderungen zu stellen (vgl. Geiß/Greiner, a.a.O., C Rn. 130). Das Gericht darf seine Überzeugungsbildung über eine erfolgte Risikoaufklärung auf die Angaben der Beklagten stützen, wenn deren Darstellung in sich schlüssig und „einiger Beweis“ für ein Aufklärungsgespräch erbracht ist (BeckOGK/U. Walter, Stand: 15.3.2020, § 630 h BGB Rn. 11).
43
Nach § 630 f Abs. 2 BGB besteht bezüglich der Aufklärung auch eine Dokumentationspflicht. § 630 h Abs. 3 BGB statuiert in diesem Zusammenhang die Vermutung, dass eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme, die der Behandelnde nicht in der Patientenakte aufgezeichnet hat, nicht getroffen wurde, wobei jedoch die Dokumentation von Einwilligungen und Aufklärungen aus medizinischer Sicht nicht in diesem Sinne geboten ist (BGH NJW 2014, 1527, 1528). Die Vermutung des § 630 h Abs. 3 BGB gilt daher nicht. Dem Behandelnden ist der Nachweis der Aufklärung daher auch dann nicht verwehrt, wenn er sie nicht dokumentiert hat (BeckOK BGB/Katzenmeier, 57. Ed. 1.2.2021, § 630 f BGB Rn. 19).
44
b) Gemessen an den vorgenannten Maßstäben ist es der Beklagten gelungen, den Nachweis einer richtig und vollständig erfolgten Selbstbestimmungsaufklärung mit den Anforderungen, die sich bei einem Eingriff im Bereich der orthopädischen Chirurgie stellen, zu führen.
45
Die Beklagte hat die Erfüllung der ihr obliegenden Risikoaufklärung schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Sie hat insbesondere dargelegt, dass über die Möglichkeit einer Verletzung von Nerven und der damit einhergehenden Schäden im Rahmen des Aufklärungsgesprächs ausdrücklich gesprochen worden sei. Auch über die Möglichkeit einer Beinlängenveränderung sei von Seiten des Arztes im Aufklärungsgespräch gesprochen worden.
46
Die Kammer erachtet diese Behauptung der Beklagtenpartei als hinreichend belegt und nimmt dabei insbesondere auch den Aufklärungsbogen vom 18.10.2016 in den Blick. Dieser bildet zunächst die durchgeführte Operation ihrem Inhalt nach zutreffend ab. Auch die Risiken werden ausführlich beschrieben. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es im Rahmen der Aufklärung allein maßgeblich ist, ob die dort beschriebenen Risiken durch den aufklärenden Arzt auch mündlich erörtert worden sind. Einen zu beachtenden Hinweis hierfür bieten aber bereits die handschriftlichen Anmerkungen zum Aufklärungsgespräch. Dort ist insbesondere vermerkt: „Verletzungen: WT, Nerven, Gefäße → bleibende Schäden“. Dieser Umstand indiziert bereits, dass die handschriftlich festgelegten Anmerkungen auch tatsächlich mündlich erörtert worden sind.
47
Der Kläger hat im Rahmen seiner mündlichen Anhörung zudem selbst darauf hingewiesen, dass der Operateur Prof. Dr. … ihm den Aufklärungsboden ausgehändigt und mit ihm über Risiken gesprochen habe. Er habe ihn auch auf die Möglichkeit einer Nervenschädigung und einer Beinlängendifferenz hingewiesen. Zwar gibt der Kläger weiter an, dass der aufklärende Arzt hierbei geäußert habe, dass er dies nur der Form halber vor der Operation sagen müsse. Für die Kammer wird aber hinreichend deutlich, dass die Risiken einer Beinlängendifferenz sowie einer Nervenschädigung mündlich erörtert worden sind und dem Kläger vor Augen geführt wurden. Dass der aufklärende Arzt das Risiko einer Nervenschädigung relativiert hat, ist vor dem Hintergrund des Umstandes, dass auch der Sachverständige Dr. med. … das Risiko einer entsprechenden Komplikation mit 1 bis 4 % und damit als selten angegeben hat, nicht zu beanstanden.
48
Auch der Umstand, dass der aufklärende Arzt im Zuge der Aufklärung des Klägers lediglich pauschal von Nervenschädigungen gesprochen hat, ohne jedoch im Speziellen auf eine Schädigung des nervus ischiadicus einzugehen, bietet keinen Anlass zur Beanstandung. Denn auch insofern ist in den Blick zu nehmen, dass der Sachverständige dargelegt hat, dass es eine Vielzahl verschiedener Nerven gebe und schon im Hinblick auf die Deutlichkeit und den Umfang des Aufklärungsgesprächs ein Eingehen auf einzelne Nerven nicht angezeigt sei.
49
Angesichts dieser Umstände ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger über das Risiko der stattgefundenen Operation hinreichend aufgeklärt worden ist.
50
Die Klage war nach alledem als unbegründet abzuweisen.
III.
51
Mangels Erfolgs in der Hauptsache war die Klage auch hinsichtlich der geltend gemachten Nebenforderungen (Zinsen und außergerichtliche Rechtsanwaltskosten) sowie hinsichtlich der begehrten Feststellung abzuweisen.
IV.
52
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
53
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 2 ZPO.
V.
54
Der Streitwert war auf 60.000,00 € festzusetzen. Hierbei wurde zugrunde gelegt, dass in Ziffer 1 der Klage ein Mindestbetrag des Schmerzensgelds in Höhe von 50.000,00 € geltend gemacht wurde. Den Feststellungsantrag in Ziffer 2 der Klageanträge bemisst die Kammer mit 20 % des begehrten Schmerzensgeldes.