Inhalt

LG Landshut, Endurteil v. 16.12.2021 – 82 O 3792/20
Titel:

Erkrankung, Streitwert, Versicherungsnehmer, Heilbehandlung, Verfahren, Versicherungsbedingungen, Behandlungsmethode, Erstattung, Behandlung, Verschlimmerung, Klage, Prostatakarzinom, Erstattungspflicht, Sicherheitsleistung, Kosten des Verfahrens, medizinisch notwendig, medizinische Indikation

Schlagworte:
Erkrankung, Streitwert, Versicherungsnehmer, Heilbehandlung, Verfahren, Versicherungsbedingungen, Behandlungsmethode, Erstattung, Behandlung, Verschlimmerung, Klage, Prostatakarzinom, Erstattungspflicht, Sicherheitsleistung, Kosten des Verfahrens, medizinisch notwendig, medizinische Indikation
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 15.02.2022 – 25 U 41/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62747

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen.
2.    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3.    Das Urteil ist für die Beklagte vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages.
4.    Der Streitwert für das Verfahren wird auf 5.576,32 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegenüber der Beklagten die Erstattung von Kosten für eine Heilbehandlung geltend.
2
Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem 01.09.2002 einen privaten Krankenversicherungsvertrag mit den Tarifen … . Dem Vertrag liegen die allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die Krankheitskosten- und Krankenhausteilversicherung nebst Tarifbedingungen (Anlage B 1) zugrunde sowie der Versicherungsschein mit Versicherungsbedingungen (Anlage K 1 und Anlage K 2).
3
Beim Kläger wurde am 25.05.2020 ein Prostatakarzinom festgestellt.
4
Vor Durchführung einer Behandlung reichte der Kläger bei der Beklagten einen Kostenvoranschlag zu einer Protonenstrahlentherapie am Universitätsklinikum E. wegen des Prostatakarzinoms ein (Anlage K 8).
5
Mit Schreiben vom 03.09.2020 (Anlage K 10) lehnte die Beklagte eine Kostenzusage ab.
6
Von einer Gesamtrechnung von 26.544,04 € hat die Beklagte einen Gesamtbetrag in Höhe von 21.524,51 € an den Kläger erstattet.
7
Der Kläger trägt vor, dass die bei ihm durchgeführte Protonentherapie des Universitätsklinikums E. medizinisch notwendig gewesen sei. Bei einer lebensbedrohenden Erkrankung sei die Behandlung bereits dann vertretbar, wenn sie als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf die Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken. Dies sei bei der beim Beklagten durchgeführten Behandlung der Fall gewesen.
8
Der Kläger beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 5.576,32 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu bezahlen.
2. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger wegen entstandener vorgerichtlicher Anwaltsgebühren einen weiteren Betrag in Höhe von 639,16 € nebst Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit der Klage zu bezahlen.
9
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
10
Die Beklagte trägt vor, dass die durchgeführte Protonenstrahlentherapie medizinisch nicht notwendig gewesen sei. Es bestehe nach § 4 Abs. 6 S. 1 MB/KK eine Erstattungspflicht für schulmedizinisch anerkannte Verfahren. Um ein solches handele es sich hier nicht. Darüber hinaus bestehe nur eine Erstattungspflicht des Versicherers für Verfahren, die in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt sind oder wenn keine schulmedizinischen Methoden zur Verfügung stehen. Keine dieser Voraussetzungen liege hier vor. Es handelt sich hier nicht um einen Sachverhalt, in dem keine schulmedizinischen Methoden zur Verfügung standen. Die Protonentherapie sei noch in der Erprobungsphase und somit schulmedizinisch noch nicht anerkannt. Es habe keine medizinische Indikation zur Durchführung der Protonentherapie gegeben.
11
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen Bezug genommen.
12
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Erholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen D.. Diesbezüglich wird auf das gerichtliche Sachverständigengutachten in den Akten sowie die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen verwiesen.

Entscheidungsgründe

13
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
I.
14
Der Kläger kann von der Beklagten nicht die Bezahlung von 5.576,32 € nebst Zinsen hieraus und 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage verlangen und auch nicht die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltsgebühren in Höhe von 639,16 € nebst Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit der Klage aus dem Versicherungsvertrag.
15
Die vom Kläger geltend gemachte Behandlung war nicht medizinisch notwendig.
16
Eine notwendige Heilbehandlung im Sinne der allgemeinen Versicherungsbedingungen liegt vor, wenn es nach den objektiven, medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Maßnahmen objektiv vertretbar war, sie als notwendig anzusehen (vgl. BGH NJW 1979, 1250; NJW 1996, 3074).
17
Medizinisch notwendig im Sinne der allgemeinen Versicherungsbedingungen ist eine Behandlung, wenn die ärztliche Entscheidung nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen in dem Zeitpunkt, in dem sie getroffen wurde, medizinisch vertretbar war. Es genügt, wenn es nach den damaligen objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen vertretbar war, sie als notwendig anzusehen.
18
Es ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung kommt es nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und auch nicht allein auf die des behandelnden Arztes an (vgl. BGH NJW 1996, 3075). Von einer medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung in diesem Sinne ist im Allgemeinen auszugehen, wenn eine Behandlungsmethode zur Verfügung steht und angewendet wird, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken. Wenn diese Eignung nach medizinischen Erkenntnissen feststeht, steht grundsätzlich auch die Eintrittspflicht des Versicherers fest. Die Einschätzung des behandelnden Arztes wird sachverständiger Nachprüfung unterzogen. Die gewählte Behandlungsmethode muss auf einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz beruhen.
19
Erforderlich ist eine Behandlungsmethode nur dann, wenn nicht andere erfolgversprechendere und/oder gefahrlosere geeignete Methoden zur Wahl stehen. Nach § 4 Abs. 6 S. 1 MB/KK besteht eine Erstattungspflicht für schulmedizisch anerkannte Verfahren und darüber hinaus für Verfahren, die in der Praxis ebenso erfolgversprechend und bewährt sind oder wenn keine schulmedizinischen Methoden zur Verfügung stehen. Ein in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährtes Verfahren setzt voraus, dass es über eine gewisse Dauer eingesetzt wurde und Erfolge vorweisen kann, die denjenigen Erfolgen, die mit überwiegend anerkannten schulmedizinischen Methoden oder Arzneimitteln erzielt wurden, gleichstehen (vgl. OLG Köln, Versicherungsrecht 10, 621; Versicherungsrecht 06, 397). Dabei muss die gleiche Erfolgsprognose wie bei einer schulmedizinischen Behandlung bestehen (vgl. OLG Karlsruhe, Versicherungsrecht 14, 991).
20
Bei einer lebensbedrohenden Erkrankung ist die Behandlung bereits dann vertretbar, wenn sie als wahrscheinlich angesehen werden konnte, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken (vgl. BGH NJW-RR 2014, 295).
21
Die Bestimmung der Leistungspflicht des Versicherers in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung des Versicherungsnehmers hat sich auch daran zu orientieren, was einerseits anerkannt in medizinische Standards entsprechende Behandlungen zu leisten vermögen und andererseits die Alternative vom Versicherungsnehmer gewünschte Behandlung zu leisten vermag (vgl. BGH, Versicherungsrecht 2013, 1558 ff.).
22
Aufgrund der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die vom Kläger geltend gemachte Protonentherapie nicht medizinisch notwendig war.
23
Aufgrund des schriftlichen Sachverständigengutachtens nebst ergänzender Stellungnahme des Sachverständigen D. ist das Gericht davon überzeugt, dass eine medizinische Notwendigkeit nicht bestand. Der Sachverständige ordnete die Protonentherapie in die Reihe der bereits etablierten, kurativen Therapieformen des Prostatakarzinoms ein. Er bejahte eine Protonentherapie im vorliegenden Fall beim Kläger nicht. Der Sachverständige stellte dar, dass die Protonentherapie eine technische Abwandlung der externen Strahlentherapie darstelle. Der Mehrnutzen oder Vorteil der Protonentherapie in der Heilung beim Prostatakarzinoms sei wissenschaftlich nicht belegt. Ein Behandlungsvorteil der Protonentherapie beim Prostatakarzinom sei nicht belegt. Es lägen andere, etablierte schulmedizinische Therapien vor, die alle vollumfänglich in der Lage waren, das Prostatakarzinom des Klägers zu heilen, nämlich radikale Prostatektomie, externe, intensmodulierte Protonen-Strahlentherapie und HDRBrachytherapie. Der Sachverständige stellte dar, dass alle verfügbaren, schulmedizinischen Behandlungsmethoden eine Heilung des Prostatakarzinoms des Klägers zu erreichen vermochten. Ein Vorteil bezüglich der Heilung durch die Protonentherapie bestehe nicht.
24
Bezüglich des lokal begrenzten Prostatakarzinoms des Klägers handele es sich um eine heilbare, nicht lebenszerstörende Erkrankung. Lebenszerstörend wäre die Erkrankung nur, wenn keine suffiziente Behandlung durchgeführt werden würde. Da jedoch drei schulmedizinische Behandlungsmöglichkeiten zur Auswahl standen und in der Lage gewesen seien, das Prostatakarzinom des Klägers zu heilen, sei das Prostatakarzinom des Klägers im individuellen Fall nach einer Behandlung nicht lebensbedrohlich gewesen.
25
Aufgrund der für das Gericht widerspruchsfreien und vollumfänglich nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen ist das Gericht davon überzeugt, dass die vom Kläger geltend gemachte Protonentherapie nicht medizinisch notwendig im Sinne der Versicherungsbedingungen war.
26
Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen ist das Gericht davon überzeugt, dass es sich beim lokal begrenzten Prostatakarzinoms des Klägers um eine heilbare und bei Behandlung nicht lebenszerstörende Erkrankung handelte. Der Sachverständige stellte dar, dass das Prostatakarzinom des Klägers im individuellen Fall nach einer Behandlung nicht lebensbedrohlich war.
27
Das Gericht ist aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen weiter davon überzeugt, dass für das Prostatakarzinom des Klägers drei schulmedizinische Behandlungen möglich gewesen wären, die alle vollumfänglich in der Lage gewesen wären, das Prostatakarzinom des Klägers zu heilen.
28
Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen ist das Gericht davon überzeugt, dass die Protonentherapie für das Prostatakarzinom keinen Behandlungsvorteil versprach. Die Protonentherapie bei einem Prostatakarzinom stellte somit keine schulmedizinisch anerkannte Behandlungsmethode dar, so dass eine medizinische Notwendigkeit der Protonentherapie nicht vorlag. Eine medizinische Notwendigkeit im Sinne einer Geeignetheit und Erforderlichkeit lag nicht vor. Die Geeignetheit der Methode war wissenschaftlich nicht belegt. Erforderlich war die Behandlungsmethode nicht, weil andere erfolgversprechende und geeignete Methoden zur Wahl standen.
II.
29
Da der Hauptsacheanspruch unbegründet ist, ist auch der Anspruch auf Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen unbegründet.
III.
30
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
31
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.