Titel:
Offenkundigkeit durch Eintragung im Handelsregister
Normenkette:
ZPO § 727
Leitsatz:
Eine Offenkundigkeit iSd § 727 ZPO hinsichtlich des öffentlich im Internet zugänglichen Handelsregisters liegt nicht vor. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
offenkundig, Verschmelzung, Handelsregister, Rechtsnachfolge
Vorinstanz:
AG Kempten, Beschluss vom 05.11.2021 – 2 C 1146/19
Rechtsmittelinstanzen:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 24.05.2023 – VII ZB 69/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 16.08.2023 – VII ZB 69/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62641
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 05.11.2021, Az. 2 C 1146/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
1
Mit Schreiben vom 06.07.2021 beantragte die Klägerin die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung zweier Versäumnisurteile sowie eines Kostenfestsetzungsbeschlusses des AmtsgerichtsKempten mit Rechtsnachfolgeklausel, da die Klägerin als übertragende Rechtsträgerin nach Maßgabe des Verschmelzungsvertrages vom 27.04.2021 mit der E GmbH als übernehmender Rechtsträgern verschmolzen wurde. Zum Nachweis wurden zwei unbeglaubigte Handelsregisterauszüge (HRB 42081 und HRB 168009) des Amtsgerichts Hamburg vorgelegt. Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass die Gesamtrechtsnachfolge offenkundig sei im Sinne von § 727 Abs. 2 ZPO.
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Das Amtsgericht Kempten wies mit Beschluss vom 05.11.2021 den Antrag der Klägerin vom 06. 07.2021 auf Erteilung der Rechtsnachfolgeklausel ab unter Hinweis auf die Rechtsprechung des OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.12.2020, 10 W 6/20 Rn. 6 und LG Karlsruhe, Beschluss vom 13.07.2020, 20 T 26/20 Rn. 19 ff. mit der Begründung, eine etwaige Veröffentlichung im Internet unter „www.handelsregister.de“ reiche für die Offenkundigkeit nicht aus.
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Dagegen legte die Beschwerde Klägerin mit Schreiben vom 10.11.2021, eingegangen am 08.11.2021 Rechtsmittel ein.
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Mit Beschluss vom 15.11.2021 hat das Amtsgericht Kempten der Beschwerde nicht abgeholfen und dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.
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Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
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Eine Offenkundigkeit im Sinne des § 727 ZPO hinsichtlich des öffentlich im Internet zugänglichen Handelsregisters liegt nicht vor.
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Tatsachen sind offenkundig, wenn sie der Allgemeinheit bekannt oder ohne besondere Fachkunde – auch durch Information aus allgemein zugänglichen Quellen – wahrnehmbar (allgemeinkundig) oder den zur Entscheidung über die Erteilung der Vollstreckungsklausel berufenen Gerichtspersonen aus ihrer jetzigen oder früheren amtlichen Tätigkeit (gerichtskundig) bekannt sind (BGH BeckRS 2020, 23528 Rn. 21, 23, 25; JurBüro 2009, 163; LG Hamburg BeckRS 2019, 11754 Rn. 7; LG Karlsruhe BeckRS 2020, 16586 Rn. 16; vgl. auch OLG München BeckRS 2014, 03896).
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Bezüglich der Allgemeinkundigkeit schließt sich die Beschwerdekammer der Rechtsprechung das OLG Karlsruhe, BeckRS 2020,16586 sowie des OLG Naumburg, NJW-RR 2012, 638 an, welche diese aufgrund des Anmeldeerfordernisses sowie der Kostenlast ablehnt. Das OLG Karlsruhe führt in dem Beschluss vom 15.12.2020 – 10 W 6/20 aus: „Zu Recht hat das Landgericht die Rechtsnachfolge nicht als offenkundig i.S.v. §§ 727, 291 ZPO angesehen. Dafür reicht eine etwaige Veröffentlichung im Internet unter „www.handelsregister.de“ nicht aus, weil der Zugang zu Informationen auf dieser Seite eine umfangreiche Registrierung voraussetzt und kostenpflichtig ist (OLG Naumburg NJW-RR 2012, 638; ausführlich LG Karlsruhe, Beschluss vom 13.07.2020 – 20 T 26/20 –, BeckRS 2020, 16586 m.w.N. zum Streitstand; vgl. auch BGH, Beschluss vom 26.08.2020 – VII ZB 39/19 –, WM 2020, 1880 Rn. 20 ff.).
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Die Möglichkeit zur Registereinsicht begründet auch keine Gerichtskundigkeit, da dies voraussetzen würde, dass die Tatsache bei dem für die Erteilung der Rechtsnachfolgeklausel zuständigen Gericht aufgrund seiner jetzigen oder früheren amtlichen Tätigkeit, jedoch nicht erst aus Anlass des aktuellen Antrags, bekannt geworden ist (BGH, Beschluss vom 26.08.2020 – VII ZB 39/19). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.