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LG München II, Endurteil v. 16.11.2021 – 12 S 1554/21
Titel:

Coronavirus, SARS-CoV-2, Berufung, Arbeitgeber, Mietobjekt, Beweisantrag, Mietvertrag, Verletzung, Verschulden, Beweisaufnahme, Befangenheit, Zustellung, Wohnung, Arbeitsplatz, Aktenlage, Unrichtigkeit, Aussicht auf Erfolg, Verletzung materiellen Rechts, Entscheidung nach Aktenlage

Schlagworte:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Berufung, Arbeitgeber, Mietobjekt, Beweisantrag, Mietvertrag, Verletzung, Verschulden, Beweisaufnahme, Befangenheit, Zustellung, Wohnung, Arbeitsplatz, Aktenlage, Unrichtigkeit, Aussicht auf Erfolg, Verletzung materiellen Rechts, Entscheidung nach Aktenlage
Vorinstanz:
AG Weilheim vom 29.03.2021 – 3 C 381/20
Rechtsmittelinstanzen:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 27.09.2022 – VIII ZR 11/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 03.07.2023 – VIII ZR 11/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62625

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Weilheim i.OB vom 29.03.2021, Az. 3 C 381/20, wird zurückgewiesen.
2. Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist bis 31.01.2022 gewährt.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Weilheim i.OB ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Räumung und Herausgabe des streitgegenständlichen Mietobjekts.
2
Die Klägerin hat an den Beklagten mit Mietvertrag vom 29.07.2014 ab dem 01.11.2014 ein Reihenmittelhaus in vermietet.
3
Mit Schreiben vom 21.02.2020 hat die Klägerin eine Mieterhöhung verlangt, der der Beklagte widersprochen hat.
4
Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 23.03.2020 hat die Klägerin dem Beklagten wegen Eigenbedarfs für ihre Enkelin zum 30.09.2020 gekündigt mit der Begründung, diese wohne derzeit bei ihren Eltern und wolle in das Mietobjekt einziehen.
5
Der Beklagte hat der Kündigung widersprochen.
6
In der Klage vom 22.06.2020 hat die Klägerin ausgeführt, die Enkelin wolle mit ihrem Lebensgefährten in das Mietobjekt einziehen und hat vorsorglich erneut wegen Eigenbedarfs gekündigt. Auch der Lebensgefährte wohne noch im Elternhaus.
7
Mit Schriftsatz vom 23.09.2020 hat die Klägerin erneut wegen Eigenbedarfs der Enkelin gekündigt.
8
Mit Schriftsatz vom 24.11.2020 hat die Klägerin erneut eine Kündigung wegen Eigenbedarfs für sich selbst ausgesprochen. Sie sei nunmehr aufgrund des Todes ihres Lebensgefährten am 06.10.2020 verpflichtet, aus der gemeinsam bewohnten Wohnung auszuziehen.
9
Der Beklagte hat den Eigenbedarf sowohl bezüglich der Enkelin als auch bezüglich der Klägerin bestritten. Er behauptet, die Kündigung sei erfolgt, weil er der Mieterhöhung widersprochen habe.
10
Zudem macht der Beklagte Härtegründe geltend. Er befinde sich in langjährigen Streitigkeiten mit seinem Arbeitgeber und führe deswegen zahlreiche Rechtsstreitigkeiten, um die er sich kümmern müsse. Da es ihm derzeit untersagt sei, den Arbeitsplatz aufzusuchen, benötige er das Büro im Mietobjekt. Seine berufliche und private Existenz werde durch die Eigenbedarfskündigung bedroht. Seit August 2019 erhalte er keine Gehaltsabrechnungen mehr, weswegen es ihm nicht möglich sei, Ersatzwohnraum zu finden.
11
Das Amtsgericht hat am 23.11.2020 mündlich verhandelt und dabei die Klägerin und den Beklagten informatorischen angehört.
12
Das Amtsgericht hat mit Beweisbeschluss vom 23.11.2020 Termin zur Durchführung der Beweisaufnahme und Fortführung der mündlichen Verhandlung auf 11.01.2021 bestimmt. Dieser Beschluss nebst Terminierung wurde dem damaligen Beklagtenvertreter am 25.11.2020 zugestellt.
13
Mit Schriftsatz vom 14.12.2020 hat dieser Beklagtenvertreter mitgeteilt, dass er den Beklagten nicht mehr vertrete.
14
Der Beklagte selbst hat mit Schreiben vom 04.01.2021 und 11.01.2021 jeweils einen Terminsverlegungsantrag gestellt mit der Begründung, gegen ihn sei eine Corona-Quarantäneanordnung nach Rückkehr aus einem Risikogebiet aufgrund einer Reise nach Athen ergangen.
15
Das Amtsgericht hat durch Verfügung vom 08.01.2021 und Beschluss vom 11.01.2021 die Terminsverlegung abgelehnt.
16
Der Beklagte erschien zum Termin vom 11.01.2021 nicht. Das Amtsgericht hat an diesem Termin eine Zeugeneinvernahme durchgeführt. Der Klägervertreter hat eine Entscheidung nach Aktenlage beantragt.
17
Das Amtsgericht hat in der Sitzung Termin zur Verkündung einer Entscheidung am 01.02.2021 bestimmt. Das Protokoll wurde dem Beklagten am 20.01.2021 zugestellt.
18
Mit Schreiben vom 31.01.2021 hat der Beklagte die zuständige Richterin wegen Befangenheit abgelehnt. Der Antrag wurde durch Beschluss vom 26.02.2021 zurückgewiesen. Die Zustellung des Beschlusses erfolgte an die neue Beklagtenvertreterin am 04.03.2021.
19
Mit Schriftsatz vom 18.03.2021 hat die Beklagtenvertreterin Antrag auf Bestimmung eines neuen Termins und Wiederholung der Beweisaufnahme gestellt.
20
Der Termin zur Verkündung einer Entscheidung vom 01.02.2021 wurde zunächst auf den 01.03.2021 und sodann auf den 29.03.2021 verlegt.
21
Das Amtsgericht hat mit Endurteil vom 29.03.2021 der Klage stattgegeben.
22
Das Amtsgericht hat ausgeführt, dass die Kündigung von 23.03.2020 das Mietverhältnis zum 30.09.2020 beendet habe.
23
Die Kündigung sei formell wirksam. Der Kündigungsgrund des Eigenbedarfs liege vor.
24
Das Amtsgericht war aufgrund der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass zunächst die Enkelin der Klägerin beabsichtigt hatte, in das Haus der Klägerin allein einzuziehen, dann mit ihrem Lebensgefährten und dass nunmehr die Klägerin selbst einziehen wolle.
25
Das Amtsgericht hat weiter ausgeführt, dass auch die später geltend gemachten Eigenbedarfsgründe berücksichtigt werden konnten gemäß § 573 Abs. 3 Satz 2 BGB. Bereits die erste Kündigungserklärung sei wirksam gewesen, sie sei durch die nachträglich entstandenen Gründe verstärkt worden.
26
Eine besondere Härte im Sinne des § 574 BGB liege nicht vor. Die vom Beklagten angeführten Gründe könnten eine solche nicht begründen.
27
Das Amtsgericht hat weiter festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Aktenlage gemäß § 331 a, 251 a ZPO vorgelegen haben.
28
Der Beklagte habe nicht glaubhaft gemacht, dass er am Termin vom 11.01.2021 ohne sein Verschulden ausgeblieben sei. Der Termin sei dem Beklagten bzw. seinem damaligen Prozessvertreter seit 25.11.2021 bekannt gewesen. Terminverlegung sei zu diesem Zeitpunkt nicht beantragt worden. Athen liege in Attika. Diese Region sei seit 08.11.2020 Risikogebiet gewesen. Dass der Beklagte wegen der Reise dorthin, von der er erst am 02.01.2021 zurückgekehrt ist, und der dann angeordneten Quarantäne zum Termin nicht kommen konnte, sei nicht unverschuldet. Der Beklagte könne sich hier nicht darauf berufen, dass sich die Quarantäneregelungen laufend geändert hätten. Der Beklagte hätte auch rechtzeitig einen neuen Prozessvertreter beauftragen können.
29
Der Antrag des Beklagten auf Anberaumung eines neuen Termines sei nicht bis zum 7. Tag vor dem angesetzten ursprünglichen Verkündungstermin vom 01.02.2021 eingegangen. Auf diesen sei abzustellen, weil sonst durch unbegründete Befangenheitsanträge die durch die ZPO vorgesehenen Fristen faktisch verlängert werden könnten.
30
Der Beklagte verfolgt mit der Berufung seinen Klageabweisungsantrag weiter. Er rügt die Tatsachenfeststellung des Amtsgerichts und die Verletzung materiellen Rechts.
31
Der Beklagte bestreitet, dass die Enkelin der Klägerin je Eigenbedarf gehabt habe und meint, dieser Eigenbedarf sei nur vorgeschoben gewesen.
32
Der Beklagte bestreitet weiterhin den Eigenbedarf der Klägerin selbst. Das Mietobjekt sei nicht geeignet für die Klägerin. Der Beweisantrag des Beklagten, eine Ortsbesichtigung durchzuführen, sei nicht berücksichtigt worden.
33
Die späteren Eigenbedarfsgründe hätten nicht berücksichtigt werden dürfen.
34
Der Terminsverlegungsantrag des Beklagten sei zu Unrecht abgelehnt worden. Auch die Härtegründe seien fehlerhaft abgelehnt worden.
II.
35
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
36
Eine Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 513 Abs. 1 Fall 1 in Verbindung mit § 546 ZPO), oder die Tatsachenfeststellung unrichtig ist (§ 513 Abs. 1 Fall 2 in Verbindung mit § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder neue berücksichtigungsfähige Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorliegen (§ 513 Abs. 1 Fall 2 in Verbindung mit §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO).
37
Dabei hat eine Berufung nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn eine Abänderung des Ersturteils zu Gunsten des Berufungsführers zu erwarten ist, was nur bei einem durchgreifenden Fehler des Ersturteils zu bejahen ist. Entsprechende Rechtsfehler, auf denen das Urteil beruht, kann die Berufung nicht aufzeigen.
38
Die Kammer hat von der Tatsachenfeststellung des Amtsgerichts auszugehen, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 23.03.2020 die Enkelin der Klägerin zunächst allein in das Mietobjekt einziehen wollte, dass sie in der Folge beabsichtigte, dort mit ihrem Partner einzuziehen, und das nach dem Tod des Lebensgefährten der Klägerin diese beabsichtigt, selbst in das Mietobjekt einzuziehen.
39
Das Berufungsgericht ist grundsätzlich an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gebunden, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden. Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche. Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinn sind die objektivierbaren rechtlichen und tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloße subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht. Die Berufungsbegründung kann derartige konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung nicht aufzeigen.
40
Es ist unerheblich, dass die Klägerin kurz vor Ausspruch der Eigenbedarfskündigung eine Mieterhöhung verlangt hat, der der Beklagte widersprochen hat. Das Amtsgericht hat sich aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Enkelin der Klägerin und in der Folge die Klägerin selbst beabsichtigt haben bzw. beabsichtigen, das Mietobjekt zu nutzen. Damit ist die Vermutung eines nur vorgeschobenen Eigenbedarfs entkräftet.
41
Soweit sich der Beklagte darauf beruft, das Mietobjekt sei für die Klägerin ungeeignet, ist festzustellen, dass die Klägerin beabsichtigt, einen Treppenlift in das Anwesen einzubauen. Die Gartenarbeiten und der Winterdienst müssen nicht von der Klägerin selbst durchgeführt werden. Soweit der Beklagte sich darauf beruft, dass die von ihm eingebaute Küche für die Klägerin wegen deren geringen Größe nicht nutzbar sei, ist festzustellen, dass diese Küche von dem Beklagten vor Herausgabe des Mietobjekts entfernt werden muss und die Klägerin dann eine für sie geeignete Küche einbauen lassen kann.
42
Daher war auch der vom Beklagten angebotene Beweis einer Ortsbesichtigung nicht zu erholen.
43
Ausgehend von der Tatsachenfeststellung des Amtsgerichts hat dieses zu Recht festgestellt, dass die Kündigung der Klägerin vom 23.03.2020 wirksam war. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil verwiesen.
44
Das Amtsgericht hat weiter zutreffend festgestellt, dass die vom Beklagten genannten Gründe nicht geeignet sind eine besondere Härte im Sinne des § 574 BGB zu begründen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird ebenfalls auf die Ausführungen des Amtsgerichts verwiesen.
45
Das Amtsgericht hat weiter zu Recht festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Aktenlage nach den § 331 a, 251 a Abs. 2 ZPO vorgelegen haben. Auch hier wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts verwiesen.
46
Die Entscheidung über die Räumungsfrist beruht auf § 721 Abs. 1 ZPO.
47
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
48
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).