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OLG München, Hinweisbeschluss v. 06.12.2021 – 24 U 7420/21
Titel:

Berufung, Darlegungslast, Beweislast, Anspruch, Kenntnis, Feststellung, Voraussetzungen, Verpflichtung, Verwendung, Voraussetzung, Kraftfahrt-Bundesamt, Unternehmen, sittenwidrig, Vertreter, Aussicht auf Erfolg, keine Aussicht auf Erfolg, sittenwidriges Handeln

Schlagworte:
Berufung, Darlegungslast, Beweislast, Anspruch, Kenntnis, Feststellung, Voraussetzungen, Verpflichtung, Verwendung, Voraussetzung, Kraftfahrt-Bundesamt, Unternehmen, sittenwidrig, Vertreter, Aussicht auf Erfolg, keine Aussicht auf Erfolg, sittenwidriges Handeln
Vorinstanz:
LG Memmingen, Endurteil vom 20.09.2021 – 26 O 883/21
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 26.01.2022 – 24 U 7420/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 05.06.2023 – VIa ZR 265/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62534

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 20.09.2021, Az. 26 O 883/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Es besteht Gelegenheit, hierzu binnen dreier Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.

Entscheidungsgründe

1
Die Berufung des Klägers hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO für eine Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege liegen vor.
2
Das angefochtene Urteil des Landgerichts Memmingen weist weder entscheidungserhebliche Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers auf noch rechtfertigen die nach § 529 Abs. 1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Das Landgericht hat das mit der Berufung weiterverfolgte Begehren ‒ in der Hauptsache Schadensersatz in Höhe des für das streitgegenständliche Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen dessen Übergabe und Übereignung an die Beklagte ‒ zutreffend abgewiesen. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB besteht nicht.
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Der Senat verweist zunächst auf die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 19.01.2021 (VI ZR 433/19 ‒ juris Rn. 13 bis 19), vom 09.03.2021 (VI ZR 889/20 ‒ juris Rn. 27 f.) sowie vom 29.09.2021 ‒ VII ZR 126/21 ‒ BeckRS 2021, 33038 Rn. 18). Danach wäre Voraussetzung für ein sittenwidriges Handeln und damit für einen Anspruch des Klägers aus § 826 BGB, dass die Beklagte in Fahrzeugen des vom Kläger erworbenen Typs eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut und diesen Umstand dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als für die Typgenehmigung zuständiger Behörde verschwiegen hat, um sich die begehrte Typgenehmigung zu erschleichen. Eine solche Täuschungshandlung hat der Kläger nicht hinreichend substantiiert vorgetragen.
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1. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2020 (VIII ZR 57/19 ‒ juris). Dieser Beschluss stellt klar, dass auch einer nur vermuteten, aber immerhin bestimmt behaupteten Tatsache durch Beweisaufnahme nachzugehen ist, wenn es dem Kläger am erforderlichen Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Motors fehlt. Insofern mag es, etwa in einem kaufrechtlichen Fall wegen Sachmängelgewährleistung, genügen, wenn der Kläger die nur vermutete Tatsache einer unzulässigen Abschalteinrichtung, deren Vorhandensein einen Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB darstellen würde, bestimmt behauptet und unter Beweis stellt. Unbeachtlich ist eine Behauptung aber dann, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt wird. Insoweit ist mit Blick auf den vorliegenden Fall zu sehen, dass es nicht lediglich um das Vorhandensein einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung geht, sondern Voraussetzung für einen deliktischen Anspruch aus § 826 BGB wäre, dass die Beklagte eine solche Abschalteinrichtung gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) bewusst verschwiegen und verschleiert hat, um sich die erforderliche Typgenehmigung zu erschleichen. Für eine solche Verschleierung gegenüber dem KBA durch ein Mitglied des Vorstands oder einen der Beklagten nach § 31 BGB zuzurechnenden sonstigen Repräsentanten liefert der Klägervortrag jedoch keine greifbaren Anhaltspunkte. Der Kläger hat in der Klageschrift nicht einmal vorgetragen, welcher Motorentyp genau in dem streitgegenständlichen Auto verbaut sei. Zwar benennt er (Seite 6 der Klageschrift) den Motorentyp EA 288, und seinen Ausführungen lässt sich auch entnehmen, dass es diesen Motorentyp nach den Abgasnormen EU 5 und EU 6 gibt, letzterenfalls entweder mit NOx-Speicherkatalysator oder mit SCR-Katalysator; um welche dieser Varianten es sich vorliegend handelt, wird aber nicht mitgeteilt.
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2. Dem Kläger kommt insoweit auch nicht das Institut der sekundären Darlegungslast entgegen. Wie der Bundesgerichtshof im Urteil vom 08.03.2021 (VI ZR 505/19 ‒ juris Rn. 27 ff.) ausgeführt hat, führt das Institut der sekundären Darlegungslast weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des in Anspruch Genommenen; eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen, die auf eine Kenntnis ihrer verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen schließen lassen sollen, setzt jedenfalls voraus, dass das (unstreitige oder nachgewiesene) Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (Rn. 27 f.). Genau in diesem Punkt unterscheidet sich der vorliegende Fall von der Problematik des Motors EA 189. Dort stand, so der Bundesgerichtshof (a. a. O., Rn. 29) weiter, fest dass im Unternehmen der dortigen Beklagten sittenwidrig gehandelt worden war, weil die grundlegende strategische Entscheidung getroffen worden war, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter arglistiger Täuschung des KBA eine illegale Motorsteuerung zu entwickeln und diese dann in Verkehr zu bringen. Vorliegend gibt es jedoch kein unstreitiges oder nachgewiesenes Vorbringen des Klägers, das eine solche ‒ für einen Anspruch aus § 826 BGB unabdingbare ‒ arglistige Täuschung des KBA nahelegte. Diese Auffassung hat der Bundesgerichtshof zuletzt im Urteil vom 29.09.2021 (VII ZR 126/21 ‒ BeckRS 33038 Rn. 21) bekräftigt.
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3. Im Gegenteil spricht der Umstand, dass das streitgegenständliche Fahrzeug keinem amtlichen Rückruf unterlag, eher dafür, dass das KBA bei seinen ‒ auch den Motorentyp EA 288 betreffenden ‒ Untersuchungen und Prüfungen nicht zu der Auffassung gelangt ist, dass ihm für die Typzulassung relevante Umstände nicht mitgeteilt worden sind. Soweit der Kläger in seiner nicht paginierten Berufungsbegründung (Bl. 365 d. A.) auf einen Rückruf von Fahrzeugen des Typs Volkswagen T6 verweist, die ebenfalls mit einem Motor des Typs EA 288 ausgestattet seien, ist dies unbehelflich, da es vorliegend unstreitig nicht um einen T6, sondern um einen Tiguan geht. Dass nicht alle Motoren, welche die Typbezeichnung EA 288 tragen, „über einen Kamm zu scheren“ sind, folgt schon daraus, dass es diesen Motorentyp in unterschiedlichen Varianten und Entwicklungsstufen gibt. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. vom 29.09.2021 ‒ VII ZR 126/21 ‒ BeckRS 2021, 33038 Rn. 14) nicht einmal das Vorliegen eines verpflichtenden Rückrufs durch das KBA, der hier nicht gegeben ist, ausreichend das Vorliegen einer Abschalteinrichtung indiziert, über die das KBA bei Erteilung der Typgenehmigung getäuscht worden sein müsse.
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4. Das Fehlen eines Rückrufbescheids ist insbesondere auch hinsichtlich einer etwaigen Schadensfeststellung und der Feststellung eines etwaigen Schädigungsvorsatzes auf Seiten der Beklagten von Bedeutung. Der 15. Zivilsenat des OLG München hat dazu in seinem Urteil vom 14.04.2021, eine vergleichbare Fallkonstellation betreffend, aus Sicht des Senats im Kern zutreffend ausgeführt wie folgt:
„Im Übrigen liegt auch kein Schaden vor […] Diesen hat der BGH in den EA189-Verfahren maßgeblich auf die drohende Betriebsbeschränkung oder -untersagung aufgrund des KBA-Rückrufbescheids gestützt. Abgestellt wurde darauf, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs für die Zwecke des Käufers nicht voll brauchbar gewesen sei, weil es einen verdeckten Sachmangel aufgewiesen habe, der zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte führen können […] Für einen solchen Sachmangel gibt es vorliegend jedoch gerade keine Anhaltspunkte. Wenn der Kläger behauptet, im Motor EA 288 sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, welche die erteilte Genehmigung in Frage stelle (und welche offensichtlich nach der Vorstellung des Klägers vom KBA im Rahmen der Untersuchungen stets übersehen wurde), und hierzu Sachverständigenbeweis anbietet, übersieht er, dass das KBA die für einen eventuellen Rückruf des Fahrzeugs oder Widerruf der Typengenehmigung maßgebliche Behörde ist. Das (abstrakte) Risiko eines Widerrufs kann mit Null bezeichnet werden, wenn die zuständige Behörde nach (mehrfacher) tatsächlich durchgeführter, sorgfältiger Prüfung keine unzulässige Abschaltvorrichtung festzustellen vermag.“
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Aus den genannten Gründen ist im Fall des Klägers der Eintritt eines Schadens fernliegend.
9
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, sollte auch aus Kostengesichtspunkten ‒ Ersparung zweier Gerichtsgebühren gemäß Nr. 1222 KV-GKG ‒ ihre Rücknahme erwogen werden.