Inhalt

OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 20.09.2021 – 6 U 928/21
Titel:

Genussrechte, Außerordentliche Kündigung, Rücknahme der Kündigung, Ordentliche Kündigung, Rechtswahlklausel, Zahlung des Auseinandersetzungsguthabens, Außerordentliche fristlose Kündigung, Genussrechtsbedingungen, Verbrauchergerichtsstand, Landgerichte, Vorgerichtliche Anwaltskosten, Rechtsmittel, Örtliche Zuständigkeit, Internationale Zuständigkeit, Rechtsverfolgungskosten, Klagepartei, Kündigungserklärung, Kündigungsgründe, Pflichtverletzung, Zurückweisung der Berufung

Schlagworte:
Verbrauchergerichtsstand, Außerordentliche Kündigung, Gleichwertigkeit der Anteile, Rechtswahlklausel, Pflichtverletzung, Schadensersatzanspruch, Zuständigkeit
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 05.03.2021 – 83 O 1721/19
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62498

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 05.03.2021, Az. 83 O 1721/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Kapitalanlagevertrag geltend.
2
Die in Deutschland wohnende Klägerin zeichnete am 26.01.2007 bei der in Österreich ansässigen … I. AG (damals firmierend unter … Vermögensanlagen AG) mittels zweier unabhängiger Verträge Namensgenussrechte mit Gewinn- und Verlustbeteiligung in Höhe 8.000,00 € und 4.800,00, d.h. von insgesamt 12.800,00 € (K 1). Der Zeichnung lagen die Genussrechtsbedingungen des … zugrunde.
3
Nach Umwandlung der AG in eine GmbH, ebenfalls mit Sitz in Österreich, wurde diese sodann mit Wirkung zum 31.12.2018 grenzüberschreitend auf die im Vereinigten Königreich ansässige Beklagte, eine englische Ltd. verschmolzen.
4
Die Klägerin kündigte die Anlagen zum 31.12.2017. Die Kündigung wurde ihr mit Schreiben vom 29.06.2017 bzw. vom 30.06.2017 bestätigt. Mit Schreiben vom Februar 2019 teilte die … Anlegerverwaltung in Z.der Klägerin mit, dass für sie nunmehr die Möglichkeit bestehe, an einem in den Jahren 2021/2022 geplanten Börsengang der … Group Ltd. zu partizipieren durch eine Umwandlung der Genussrechte in Aktien einer britischen Gesellschaft: Aus rechtlichen und steuerlichen Gründen müssten die Buchwerte der Beteiligungen aller Genussscheininhaber zum 31.12.2017 temporär auf ein Minimum abgewertet werden. Der Klägerin wurden zwei Möglichkeiten angeboten, nämlich entweder die Kündigung aufrecht zu erhalten mit der Folge, dass dann der Rückzahlungsbetrag zum 31.12.2017 0,00 € betrage oder die Rücknahme der Kündigung mit der Option, mittelfristig nach dem geplanten Börsengang ihre Aktien zum aktuellen Tageskurs an der Börse zu veräußern.
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Die Klägerin konnte ihre Wahl auf einem beigefügten Formblatt ankreuzen, das folgende Formulierungen vorsah:
▪▪
„Ich möchte meine Kündigung beibehalten.
Mir ist bewusst, dass der Vertrag somit nach den maßgeblichen Genussrechts-/-scheinbedingungen laut Schreiben vom Februar 2019 abgerechnet wird.
▪▪
Ich möchte meine Kündigung zurücknehmen.
Ich beantrage, dass die von mir gegenüber der … I. GmbH ausgesprochene Kündigung meiner Genussrechte/-scheine keine Wirkung entfalten soll und die Rechtsfolgen der ausgesprochenen Kündigung nicht eintreten sollen. Ich bin mir bewusst, dass damit meine Beteiligung, die durch die Fusion der … I. GmbH auf die … übergangen ist, weiterhin Bestand hat.“
6
Die Klägerin kreuzte für beide Beteiligungen an, dass sie ihre Kündigung zurücknehmen wolle und unterschrieb das Formblatt am 26.02.2019.
7
Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigen vom 07.03.3019 erklärte die Klägerin die außerordentliche fristlose Kündigung ihrer Genussrechtsbeteiligungen und forderte zur Zahlung des Auseinandersetzungsguthabens bis 25.02.2019.
8
Die Klägerin ist der Ansicht, das Landgericht Regensburg sei international und örtlich zuständig, da sie als Verbraucherin unterzeichnet habe. Die Klage sei wirksam in England zugestellt worden. Zur Anwendung komme deutsches Recht. Ihre außerordentliche Kündigung sei wirksam. Die Umstände der Umwandlung begründeten einen wichtigen Grund. Die Zulässigkeit der behaupteten Abwertung der Genussrechte aller Anleger sei fraglich. Ihr Anspruch betrage mindestens 12.800 €. Dieser Betrag nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten sind Gegenstand der Klage.
9
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Sie rügte deren Zulässigkeit, insbesondere die internationale Zuständigkeit und eine ordnungsgemäße Zustellung der Klage. Die Klage sei auch unbegründet, da die Genussrechte durch die Verschmelzung untergegangen. Die eingeräumten Aktien seien gleichwertig. Außerdem habe der Buchwert der Genussrechte der Klagepartei zum Stichtag 31.12.2018. 0,00 € betragen.
10
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der in der ersten Instanz gestellten Anträge wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
11
Mit Urteil vom 05.03.2021 hat das Landgericht Regensburg die Klage abgewiesen. Die Klage sei zwar zulässig, aber unbegründet. Der Zahlungsanspruch könne nicht auf die ordentliche Kündigung zum 31.12.2017 gestützt werden, da die Klagepartei diese zurückgenommen habe. Darin sei die Annahme eines Vertragsangebots durch die Klagepartei zu sehen mit dem Inhalt, so gestellt zu werden, als hätte es die ordentliche Kündigung nicht gegeben, und als Genussrechsinhaberin behandelt zu werden, welcher jedoch anstatt der Genussrechte gleichwertige Rechte in Gestalt von B-Anteilen an der britischen Limited gewährt werden. Die von der Klagepartei vorgetragenen Umstände seien im konkreten Fall nicht geeignet einen wichtigen Grund zu rechtfertigen. Alle genannten Umstände hätten schon Vorgelegen, als sich die Klägerin zur Rücknahme ihrer Kündigung entschlossen habe. Die Klagepartei sei zunächst willens gewesen, Anteilseignerin einer britischen Limited zu werden. Die Klägerin habe auch nicht nachgewiesen, dass die B-Anteile nicht gleichwertig zu ihren Genussrechten seien.
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Die Klägerin hat gegen das Urteil unter Wiederholung ihrer erstinstanzlichen Anträge Berufung eingelegt.
13
Sie rügt, das Landgericht verneine zu Unrecht ein Recht zur außerordentlichen Kündigung. Dass die Genussrechte nicht mehr bestanden hätten, begründe gerade das Recht zur außerordentlichen Kündigung. Ein Festhalten am Vertrag sei der Klägerin nicht zumutbar. Entgegen der Ansicht der Beklagten komme es auf die Gleichwertigkeit der Anteile an der Limited den Genussrechten an. Diese sei nicht gegeben. Der Anspruch der Klagepartei ergebe sich auch aus § 280 Abs. 1 und 3 BGB, § 283 BGB. Dies übersehe das Landgericht und setze sich nur mit § 314 BGB auseinander.
14
Die Beklagte beantragt
die Berufung zurückzuweisen.
15
Sie hält an ihrer Ansicht fest, die Klage sei unzulässig, da es um eine Streitigkeit zwischen einer Aktionärin und einer Aktiengesellschaft gehe und im Übrigen auch unbegründet. Es sei österreichisches Recht anzuwenden. Die Rechtswahlklausel sei wirksam. Die außerordentliche Kündigung sei verfristet. Ein Kündigungsgrund habe nicht vorgelegen.
II.
16
Der Senat hat die Einwände der Berufungsführerin gegen das angefochtene Endurteil geprüft und gewürdigt. Die in der Berufung vorgetragenen Gesichtspunkte reichen jedoch nicht aus, um dem Rechtsmittel zum Erfolg zu verhelfen. Das Urteil des Landgerichts beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Regensburg International und örtlich zuständig.
18
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit Bezug auf die zutreffende Begründung des Landgerichts. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich nicht um eine innergesellschaftliche Streitigkeit zwischen einer Aktionärin und der Aktiengesellschaft. Die Klägerin macht keine Rechte aus den ihr zugeteilten Anteilen an der Beklagten geltend, sondern ausdrücklich aus den beiden 2007 gezeichneten Genussrechtsbeteiligungen. Im Zeitpunkt der Zeichnung der Genussrechte, auf den für die Frage abzustellen ist, ob die Klägerin den Verbrauchergerichtsstand des Art. 17 EuGVVO beanspruchen kann (BGH, 09.02.2017, IX ZR 67/16, Rn 53 – juris), war die Klägerin laut Zeichnungsschein Sozialpädagogin. Es gibt keine Anhaltspunkte und solche werden beklagtenseits auch nicht geltend machen, die dafür sprechen würden, die Klägerin habe die Zeichnung zu einem Zweck vorgenommen, der ihrer beruflichen oder einer gewerblicher Tätigkeit zugerechnet werden kann.
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2. Die Klage ist aber unbegründet. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zurecht abgewiesen.
20
Zwar teilt der Senat nicht die Ansicht der Beklagten, vorliegend sei österreichisches Recht anwendbar, sondern hält die Rechtswahlklausel gemäß Art. 29 EGBGB a.F. und der danach anwendbaren §§ 307 ff. BGB wie das Landgericht für unwirksam. Die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung lagen aber nicht vor.
21
a) Entscheidend für die Unbegründetheit der Klage ist vorliegend, dass die Klägerin ihre ordentliche Kündigung zum 31.12.2017 nach Erhalt des Schreibens der … Anlegerverwaltung vom Februar 2017 mit der Erklärung vom 26.02.2019 nicht einfach zurücknahm. Ihre angekreuzte Erklärung in dem ihr übersandten Formblatt ist aufgrund der ausdrücklichen Bezugnahme auf das Anschreiben vom Februar 2019 dahingehend auszulegen (§§ 133, 157 BGB), dass die Klägerin damit das Angebot der Beklagten annahm, dass ihr statt der Genussrechte B-Stammaktien der Beklagten gewählt werden. Grundlage des Angebots der Beklagten waren die temporäre Abwertung, der Genussrechte zum Zwecke der Umwandlung in Aktien, die bereits erfolgte Umwandlung sämtlicher Genussrechte in Aktien, und die Berechnungen im Schreiben vom Februar 2019 sowie deren konkrete Auswirkungen auf die Verträge der Klägerin. Mit der „Rücknahme“ der Kündigung hat die Klägerin deshalb einer neuen, bewusst anders ausgestalteten Form der Beteiligung zugestimmt. Auf die Frage der Gleichwertigkeit mit der Genussrechtsbeteiligung kommt es bei dieser Sachverhaltsgestaltung nicht an. Der Senat folgt insoweit der Auffassung des Oberlandesgericht München im Beschluss vom 21.04.2021, Az. 5 U 6030/20. Soweit die Klägerin demgegenüber auf ein Urteil des LG Verden verweist (17.07.2020, 2 O 259/19; Zurückweisung der Berufung durch das OLG Celle mit Beschluss vom 29.01.2021, 9 U 66/20), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Das Landgericht Verden sieht in der Rücknahme der Kündigung durch die dortige Klagepartei lediglich einen einseitigen Antrag, ohne die auch dort offenbar vorausgegangene Anlegerinformation vom Februar 2019 und die ausdrückliche Bezugnahme hierauf in der Erklärung, mit welcher die Kündigung zurückgenommen wurde, zu diskutieren. Der Beschluss des OLG Celle vom 29.01.2021 geht ebenfalls nicht auf diese Problematik ein. Lediglich auf S. 8/9 der Entscheidung wird im Zusammenhang mit den außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten argumentiert, die Rücknahme der Kündigungserklärung könne am Verzug der Beklagten nichts ändern, weil die Beklagte den Gegenstand der gekündigten Beteiligung bereits zuvor habe untergehen lassen. Eine nachträgliche Einigung der Parteien auf eine Beteiligung der Klägerin an der … anstelle ihrer Genussrechtsbeteiligung wäre dadurch aber nicht ausgeschlossen.
22
An ihrer Erklärung vom 26.02.2019 muss sich die Klägerin festhalten lassen. Auf die Gleichwertigkeit der Aktien mit den Genussrechten kommt es daher vorliegend nicht an (so auch OLG München, 21.04.2021, 5 U 6030/20). Die Umwandlung der Genussrechte in Aktien gemäß dem Schreiben vom Februar 2019 ist der zentrale Punkt der klägerseits am 26.02.2019 unterzeichneten Vereinbarung. Soweit sich die Klägerin in der Berufung daher gegen die Ansicht des Landgerichts wendet, es sei von einer Gleichwertigkeit auszugehen, verhelfen diese Einwendungen der Berufung nicht zum Erfolg und sind nicht geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu begründen.
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b) Der Anspruch ist auch nicht unter Schadensersatzgesichtspunkten gemäß §§ 280, 283 BGB begründet. Es fehlt bereits an einer Pflichtverletzung. Diese notwendige Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs kann nicht ohne Berücksichtigung der zwischen den Parteien im Februar 2019 getroffenen Vereinbarung geprüft werden. Damit kann auch insoweit weder aus der Umwandlung in Aktien noch aus der temporären Abwertung oder der behaupteten fehlenden Gleichwertigkeit der Aktien mit den Genussrechten eine Pflichtverletzung wegen eines Verstoßes gegen die Genussrechtsbedingungen abgeleitet werden.
III.
24
Aus den dargelegten Gründen verspricht das Rechtsmittel der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg, sondern ist nach gegenwärtigem Stand offensichtlich aussichtslos im Sinne des § 522 Abs. 2 ZPO. Die Klägerin muss daher, sofern keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte hinzutreten, mit der Zurückweisung ihrer Berufung rechnen (§ 522 Abs. 2 ZPO).
25
Sollte sich die Klägerin im Hinblick auf die Rechtsauffassung des Senats enschließen, ihr Rechtsmittel zurückzunehmen, hätte dies gegenüber einer förmlichen Zurückweisung gebührenrechtliche Vorteile (Ersparnis zweier Gerichtsgebühren).
26
Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 12.800 € festzusetzen.