Inhalt

AG Schwandorf, Endurteil v. 23.09.2021 – 1 C 987/20
Titel:

Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rechtsanwaltskosten, Versicherungsschein, Streitwert, Wirksamkeit, Versicherer, Vollstreckung, Zustimmung, Klage, Klausel, Verfahren, Sicherheitsleistung, Basistarif, unangemessene Benachteiligung, Kosten des Rechtsstreits, gesetzliche Krankenversicherung

Schlagworte:
Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rechtsanwaltskosten, Versicherungsschein, Streitwert, Wirksamkeit, Versicherer, Vollstreckung, Zustimmung, Klage, Klausel, Verfahren, Sicherheitsleistung, Basistarif, unangemessene Benachteiligung, Kosten des Rechtsstreits, gesetzliche Krankenversicherung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62456

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 4.571,67 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitrags-/Prämienerhöhungen in der privaten Krankenversicherung des Klägers.
2
Der Kläger schloss mit der Beklagten am 01.01.2015 einen Vertrag über eine private Kranken- und Pflegeversicherung unter der Versicherungsnummer ... ab.
3
Die Beklagte nahm zum 01.01.2017, 01.01.2018, 01.01.2019 und 01.01.2020 jeweils eine Beitragsanpassung im Tarif BTN.0 (Basistarif) vor und erhöhte die Versicherungsbeiträge des Klägers um einen jeweiligen Betrag in Höhe von monatlich 17,66 € (ab 01.01.2017), 7,36 € (ab 01.01.2018), 13,01 € (ab 01.01.2019) und 32,62 € (ab 01.01.2020). Hierzu wurde jeweils ein Nachtrag zum Versicherungsschein (Anlagenkonvolut KGR 1) und ein Informationsblatt zu den Beitragsanpassungen (Anlagenkonvolut BLD2) an den Kläger übersandt.
4
Mit Schreiben vom 30.09.2020 machten die jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers die vermeintliche Unwirksamkeit der Prämienerhöhung bei der Beklagten geltend.
5
Der Kläger behauptet, ab 01.01.2017 die jeweils festgesetzten Beitragserhöhungen im streitgegenständlichen Tarif BTN.0 gezahlt zu haben.
6
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beitragserhöhungen zum einen keine ausreichende Begründung enthalten habe (§ 203 Abs. 5 VVG) und sich daraus ein Anspruch auf Rückzahlung der rechtsgrundlos geleisteten Prämien ergebe. Es seien die maßgeblichen Gründe für die Beitragsanpassung in den jeweiligen Schreiben nicht hinreichend angegeben worden. Zum anderen seien die Prämienerhöhungen materiell gesetzeswidrig gewesen.
7
Darüber hinaus ist der Kläger der Ansicht, dass es dahin stehen könne, ob es sich um eine Beitragsanpassung im Sinne des § 203 Abs. 2 VVG handle, da die Klausel des § 8b Abs. 2 AVB BTN mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen aus mehreren Gründen unvereinbar sei und den Kläger daher unangemessen benachteilige.
8
Der Kläger beantragt,
1. Es wird festgestellt, dass folgende Beitragsanpassungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer ... unwirksam sind:
a) im Tarif BTN.0 die Beitragserhöhung zum 01.01.2017 in Höhe 17,66 €
b) im Tarif BTN.0 die Beitragserhöhung zum 01.01.2018 in Höhe 7,36 €
c) im Tarif BTN.0 die Beitragserhöhung zum 01.01.2019 in Höhe 13,01 €
d) im Tarif BTN.0 die Beitragserhöhung zum 01.01.2020 in Höhe 32,62 € und der Gesamtbeitrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen auf insgesamt 818,91 € zu reduzieren ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 1.604,37 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte
a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
b) die nach 3a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 550,42 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
9
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
10
Die Beklagte ist der Ansicht, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Tarif des Klägers um einen sog. „Basistarif“ handle, dessen Beitragshöhe gem. § 152 Abs. 3 VAG auf den Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt ist. Da sich der Höchstbeitrag für die gesetzliche Krankenversicherung regelmäßig ändere, gelte dies auch für den Betrag des Basistarifes des Klägers. Es handle sich demnach nicht um eine klassische Beitragsanpassung und es sei bereits keine Begründungspflicht im Sinne des § 203 Abs. 5 VVG erforderlich.
11
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Klausel des § 8b Abs. 2 AVB BTN auch keine unangemessene Benachteiligung darstelle, da das Verfahren des § 155 VAG bei einer Beitragsanpassung im Sinne des § 152 Abs. 3 VAG nicht erforderlich sei.
12
Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
13
Das Gericht hat mit Beschluss vom 20.08.2021 entschieden, dass mit Zustimmung der Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden werde und als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, den 17.09.2021 bestimmt.

Entscheidungsgründe

14
Die Klage ist zulässig, aber vollumfänglich unbegründet.
I.
15
Die Klage ist zulässig.
16
Das angerufene Gericht ist zur Entscheidung des Rechtsstreits sachlich gem. §§ 1 ZPO, 23 Nr. 1 GVG und örtlich gem. § 215 Abs. 1 S. 1 VVG zuständig. Der Kläger hat seinen Wohnsitz in 9... N..
17
Der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienänderungen ist zulässig (BGH, Urteil vom 16.12.2020, VI ZR 294/19). Auch der Antrag auf Feststellung hinsichtlich der Verpflichtung der Herausgabe von Nutzungen ist zulässig (BGH, Urteil vom 19.12.2018, IV ZR 255/17).
18
Auch im Übrigen sind Einwände gegen die Zulässigkeit der Klage weder vorgetragen noch ersichtlich.
II.
19
Die Klage ist vollumfänglich unbegründet.
20
1. Der Feststellungsantrag hinsichtlich Ziffer 1. der Klage ist unbegründet, da die Beitragsanpassungen zum 01.01.2017, 01.01.2018, 01.01.2019 und 01.01.2020 wirksam sind.
21
a) Zunächst ist festzustellen, dass es sich im vorliegenden Fall um keine Beitragserhöhung im Sinne des § 203 Abs. 2 VVG handelt. Eine Beitragserhöhung/Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 VVG setzt eine nicht nur als vorübergehend anzusehende Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage voraus. Danach sind die Versicherungsleistungen und die Sterbewahrscheinlichkeiten zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall handelt es sich allerdings um den „Basistarif“, welcher der Höhe nach gem. § 152 Abs. 3 VAG auf den Höchstbetrag der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt ist. Eine Erhöhung – wie sich auch aus den jeweiligen Informationsblättern zu den Beitragsanpassungen (Anlagenkonvolut BLD2) ergibt – aufgrund einer nicht nur als vorübergehend anzusehende Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage liegt nicht vor. Die Beitragsanpassung erfolgte aufgrund des Anstiegs des Höchstbeitrages für die gesetzliche Krankenversicherung im Sinne des § 152 Abs. 3 VAG. Demnach ist auch nicht das Begründungserfordernis gem. § 203 Abs. 5 VVG einzuhalten.
22
Selbst wenn das Begründungserfordernis auch bei einer Beitragsanpassung des Basistarifes vom Versicherer einzuhalten wäre, wäre der Versicherer diesem Begründungserfordernis auch nachgekommen. Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG erfordert nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 S. 1 VVG veranlasst hat (BGH; Urteil vom 16.12.2020, IV ZR 294/19). Von Seiten des Versicherers muss nicht mitgeteilt werden, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie zum Beispiel den Rechnungszins, anzugeben. Die Mitteilungspflicht hat nicht den Zweck, dem Versicherungsnehmer eine Plausibilitätskontrolle der Prämienanpassung zu ermöglichen. Die Angaben müssen sich auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung beziehen; eine allgemeine Mitteilung, die nur die gesetzlichen Voraussetzungen der Beitragserhöhung wiedergibt, genügt nicht (BGH, Urteil vom 16.12.2020, IV ZR 294/29, Rn. 27).
23
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes und Anwendung auf die Beitragsanpassung des Basistarifs erfüllen die Nachträge zum Versicherungsschein (Anlagenkonvolut KGR 1) und Informationsblätter zu den Beitragsanpassungen (Anlagenkonvolut BLD2) des streitgegenständlichen Tarifs die nach § 203 Abs. 5 VVG zu stellenden Mindestanforderungen an die Mitteilung der maßgeblichen Gründe.
24
Die besonderen Bedingungen (Anlage BLD1), welche Vertragsbestandteil geworden sind, weisen bereits darauf hin, dass es sich um einen Basistarif handelt, welcher den tariflichen Vorgaben auf die Höhe des derzeit gültigen durchschnittlichen Höchstbeitrages in der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt wurde. Es wurde darauf hingewiesen, dass bei Änderungen dieses durchschnittlichen gesetzlichen Höchstbeitrages auch die Kappung bzw. der Beitrag im Basistarif (BTN) entsprechend angepasst wird. Dies wurde im Rahmen der Beitragsanpassungen zum 01.01.2017 (Schreiben vom 14.12.2016), zum 01.01.2018 (Schreiben vom 13.12.2017), zum 01.01.2019 (Schreiben vom 13.12.2018) und zum 01.01.2020 (Schreiben vom 12.12.2019) auch mitgeteilt und erläutert. Eine weiterreichende Erläuterung war nach Meinung des Gerichts nicht erforderlich.
25
Nach alledem ist die Beklagte ihrer Begründungspflicht zur Beitragsanpassung im erforderlichen Maße nachgekommen, auch wenn nach Auffassung des Gerichts die Begründungspflicht gem. § 203 Abs. 5 VVG im vorliegenden Fall keine Anwendung findet, da es sich nicht um eine Beitragserhöhung im Sinne des § 203 Abs. 2 bzw. Abs. 3 VVG handelt.
26
b) Auch im Übrigen sind die Beitragsanpassungen der Beklagten wirksam.
27
Die Klausel des § 8b Abs. 2 AVB BTN stellt insbesondere keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB dar. Bei der Beitragsanpassung aufgrund eines Anstiegs des Höchstbeitrages für die gesetzliche Krankenversicherung im Sinne des § 152 Abs. 3 VAG handelt es sich nicht um eine Prämienänderung im Sinne des § 155 VAG. Dieses Verfahren ist bei der streitgegenständlichen Prämienanpassung nicht erforderlich.
28
Zur Begründung ist folgendes auszuführen: Für den Basistarif (§ 152 VAG, § 192 Abs. 7 VVG), dessen Vertragsleistungen in Art, Umfang und Höhe den Leistungen nach den §§ 11 bis 68 SGB V, auf die ein Rechtsanspruch besteht, entsprechen und der branchenweit einheitlich ausgestaltet ist, besteht für die Versicherer nach Maßgabe von § 152 Abs. 2 VAG, § 193 Abs. 5 VVG ein Kontrahierungszwang (vgl. Prölss/Dreher/Präve, VAG, 13. Aufl. 2018, § 152 Rn. 12 ff.; Gagel/Rolfs, 82. EL Juni 2021, SGB II § 26 Rn. 24). Gem. § 152 Abs. 3 S. 1 VAG ist der Beitrag für diesen Basistarif ohne Selbstbehalt und in allen Selbstbehaltsstufen auf den Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung gedeckelt. Dieser Höchstbeitrag wird durch den Gesetzgeber stetig angepasst und nicht durch die Versicherer. Aufgrund des Kontrahierungszwangs und die Deckelung des Beitrages im Basistarif auf den Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherungen wäre es nach Auffassung des Gerichts nicht Sinn und Zweck, dass der Versicherer bei einer Erhöhung des Höchstbeitrages der gesetzlichen Krankenversicherungen das Verfahren nach § 155 VAG durchlaufen müsste, um die Beiträge des Basistarifs entsprechend anzupassen. Der Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherungen wird durch den Gesetzgeber angepasst und es liegt keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers vor, wenn sich der Beitrag des Basistarifs sodann ebenfalls erhöht.
29
2. Weitere Anspruchsgrundlagen sind ebenfalls nicht einschlägig oder ersichtlich, da eine wirksame Beitragsanpassung vorliegt.
30
3. Aufgrund der unter II. 1. festgestellten wirksamen Beitragsanpassungen hat der Kläger auch kein Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der geleisteten Versicherungsbeiträge (Klageantrag Ziffer 2.).
31
4. Auch der Feststellungsantrag hinsichtlich Ziffer 3. der Klage (Verpflichtung zur Herausgabe der Nutzungen und entsprechender Zinsen) ist aufgrund der unter II. 1. festgestellten Wirksamkeit der Beitragsanpassungen unbegründet.
32
Mangels Begründetheit eines Anspruchs in der Hauptsache hat der Kläger auch keinen Anspruch auf die geltend gemachten Nebenforderungen (vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten und Verzugszinsen). Insbesondere ist hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten auch kein verzugsbegründendes Ereignis ersichtlich, welches den Ersatz der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Verzugsschaden rechtfertigt.
III.
33
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
IV.
34
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11 Alt. 2, 709 S. 1, 2 ZPO.