Titel:
Berufung, Kenntnis, Wirksamkeit, Feststellungsklage, Anspruch, Klageerhebung, Neufestsetzung, Rechtsfrage, Wirkung, Zugang, Mitteilung, Rechtslage, Risiko, Hinweis, Aussicht auf Erfolg, keine Aussicht auf Erfolg
Schlagworte:
Berufung, Kenntnis, Wirksamkeit, Feststellungsklage, Anspruch, Klageerhebung, Neufestsetzung, Rechtsfrage, Wirkung, Zugang, Mitteilung, Rechtslage, Risiko, Hinweis, Aussicht auf Erfolg, keine Aussicht auf Erfolg
Vorinstanz:
LG Passau, Endurteil vom 06.05.2021 – 3 O 740/20
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 25.10.2021 – 25 U 3640/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62454
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Passau vom 06.05.2021, Az. 3 O 740/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Zutreffend hat das Landgericht Verjährung für Ansprüche angenommen, die vor dem 01.01.2017 entstanden sind, also für alle Ansprüche, die in die in Bezug auf die Erhöhung des Tarifs Vital900 – N zum 01.01.2011 und zum 01.01.2015 entstanden sein können (dass die Erhöhung dieses Tarifs zum 01.01.2017 wirksam war, bezweifelt auch der Kläger nicht, vgl. Bl. 98 d.A. – vgl. zur Wirkung der Neufestsetzung: BGH, Urteil vom 10. März 2021 – Az. IV ZR 353/19; BGH, Urteil vom 16.12. 2020 – Az. IV ZR 294/19, Rn. 55, juris) und für alle Ansprüche, die in Bezug auf die Erhöhung der Tarife TN 21 und VitalZ-N bis zum 31.12.2016 entstanden sein können.
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1. Die Verjährungsfrist beginnt mit Zugang des Anpassungsschreibens. Der Senat folgt der Auffassung des OLG Köln, Urteil vom 22.09.2020 – Az. 9 U 237/19 und im Urteil vom 07. April 2017 – Az. 20 U 128/16 –, Rn. 16, juris des LG Frankfurt a. M. im Urteil vom 16. 4. 2020, 2-23 O 198/19, Rn. 25 juris, des LG Arnsberg im Urteil vom 16.5.2019 – 1 O 127/18, BeckRS 2019, 28861, beck-online, des LG Stuttgart im Urteil vom19.10.2020 – 18 O 50/20, BeckRS 2020, 40275 (so auch; Fuxmann/Leygraf, r+s 2021,61).
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Mit Zugang der Erhöhungschreiben hatte die Klagepartei – sofern sie die Schreiben gelesen hat - Kenntnis von den, den behaupteten Anspruch begründenden Umständen (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB), bzw. hätte – wenn sie sie nicht gelesen hat – Kenntnis haben müssen, wobei ihr im zuletzt genannten Fall grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.
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Die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis/grob fahrlässige Unkenntnis bezieht sich (ähnlich wie bei § 852 BGB a.F.) grundsätzlich nicht auf das Vorhandensein des Anspruches selbst, weshalb mögliche Rechtsirrtümer oder eine falsche Gesetzesanwendung den Verjährungseintritt regelmäßig nicht hindern (vgl. Münchner Kommentar zum, BGB, 5. Aufl. Bd.1 a Rn. 26 zu § 199). Es kommt in der Regel nicht darauf an, ob der Gläubiger die ihm bekannten Tatsachen rechtlich zutreffend würdigt (BGH, Urteil vom 03.03.2005 – Az. III ZR 353/04, NJW-RR 2005, 1148; BGH NJW-RR 05,1148; BGH, Urteil vom 17.10.1995 – VI ZR 246/9). Geht der Gläubiger irrtümlich davon aus, bei der gegebenen, ihm bekannten Tatsachenlage keinen Anspruch zu haben, hindert das den Verjährungsbeginn nicht. Auch Änderungen der bisherigen oder eine neue höchstrichterliche Rechtsprechung können nicht über das Entstehen des Anspruchs oder über den Beginn der Verjährung entscheiden (OLG Saarbrücken, Urteil vom 24.04.2007 – Az. 4 U 410/06). Mit den Anpassungsschreiben kannte die Klagepartei Grund und Höhe der Beitragsanpassung bzw. konnte sie kennen; sie konnte entscheiden, ob sie die Anpassung akzeptieren oder ihr entgegentreten möchte. Die Feststellung der Unwirksamkeit einer Anpassung ist das Ergebnis einer komplexen Rechtsprüfung.
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2. Eine Klageerhebung war auch nicht wegen einer unsicheren Rechtslage unzumutbar. Eine Rechtslage ist nicht schon dann unsicher und zweifelhaft, wenn eine Rechtsfrage umstritten und noch nicht höchstrichterlich entschieden ist; vorliegend ist auch folgendes zu berücksichtigen:
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Zwar war die Frage, welche Anforderungen an die Mitteilung nach § 203 Abs. 5 VVG zu stellen sind, in Literatur und Rechtsprechung umstritten und ist ein höchstrichterliches Urteil dazu erst am 16.12.2020 ergangen (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az.: IV ZR 294/19 – juris). Jedenfalls ist in einer solchen Konstellation dem Gläubiger die Erhebung einer Klage dann nicht unzumutbar, wenn er gleichwohl bereits vor einer höchstrichterlichen Entscheidung seinen Anspruch gegenüber dem Schuldner geltend macht und dadurch selbst zu erkennen gibt, vom Bestehen des Anspruchs auszugehen (BGH, Urteil vom 21.02.2018, IV ZR 304/16, Rz. 17 – juris). Vorliegend datiert die Klageschrift vom 18.09.2020 – ersichtlich noch in Unkenntnis des genannten Urteils des Bundesgerichtshofs –, so dass auch hier der Kläger zu erkennen gegeben hat, dass er vom Bestehen eines Anspruchs ausgehe.
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Unabhängig davon ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 203 VVG, dass die Wirksamkeit einer Erhöhung von einer Mitteilung der maßgeblichen Gründe abhängt. Sind solche überhaupt nicht fallbezogen mitgeteilt und fehlt es sogar an der Benennung des auslösenden Faktors, ist eine Klageerhebung nicht unzumutbar.
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3. Zu den Einwendungen der Klageseite:
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Das OLG Köln führt im Urteil vom 07. April 2017 – 20 U 128/16 –, Rn. 16, juris folgendes aus: „Es genügt die Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen, während nicht erforderlich ist, dass der Gläubiger den Vorgang rechtlich zutreffend bewertet (vgl. BGH, NJW 2008, 1729, 1732, Tz. 26). Grundsätzlich reicht eine Kenntnis aus, die den Berechtigten in die Lage versetzt, – wenn auch nicht ohne Risiko – eine Feststellungsklage zu erheben (vgl. BGH, NJW 2013, 1801, Rz. 27)… “ Dabei handelt es sich um allgemeine rechtliche Ausführungen, die auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar sind. Für diese Auffassung spricht in gewisser Weise auch, dass der Bundesgerichtshof im Urteil vom 19.12.2018 – Az. IV ZR 255/17, NJW 2019, 919 Rn. 72, beck-online ausgeführt hat: „Sollte das Berufungsgericht die geltend gemachten Zahlungsansprüche ganz oder teilweise für berechtigt halten, wird es auch die Frage der Verjährung neu zu beurteilen haben, die angesichts der dreijährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB sowie der Klageerhebung im Jahre 2016 allerdings nur für die im Jahre 2012 geleisteten Prämienanteile in Betracht kommt“ . Wäre der Bundesgerichtshof der vom Kläger vertretenen Auffassung, so hätte es nahegelegen, diesen Hinweis nicht zu erteilen oder aber zumindest auch auf die Problematik des Hinausschiebens des Verjährungsbeginns auch hinzuweisen, weil dann eine Verjährung wohl nicht in Betracht gekommen wäre. Wie dargestellt hatte der Kläger mit Zugang der Erhöhungsschreiben die erforderliche Tatsachenkenntnis (bzw. lag grob fahrlässige Unkenntnis vor); auf die rechtliche Würdigung kommt es nicht an.
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Die oben zitierten Ausführungen des Bundesgenachthofs aus der Entscheidung im Verfahren IV ZR 304/16 sind allgemeiner Natur und auf die vorliegende Fallkonstellation ohne weiteres anwendbar.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).