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LG München I, Endurteil v. 21.09.2021 – 23 O 17131/20
Titel:

Leistungen, Krankenversicherung, Arzt, Bescheid, Behandlungskosten, Versicherungsvertrag, Streitwert, Zulassung, Versicherungsbedingungen, Heilbehandlung, Erlaubnis, Arzneimittel, Hauptversammlung, Leistung, Kosten des Rechtsstreits, rechtliche Grundlage

Schlagworte:
Leistungen, Krankenversicherung, Arzt, Bescheid, Behandlungskosten, Versicherungsvertrag, Streitwert, Zulassung, Versicherungsbedingungen, Heilbehandlung, Erlaubnis, Arzneimittel, Hauptversammlung, Leistung, Kosten des Rechtsstreits, rechtliche Grundlage
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62453

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.811,74 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.03.2020 zu zahlen.
2.    Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 6.811 , 74 € festgesetzt.

Tatbestand

I.
1
Die Parteien streiten über die Rückforderung von Behandlungskosten.
2
Der Beklagte unterhielt bei der Klägerin (bis zum 26.06.2020 firmierend unter ...) bis zum 31.12.2019 einen privaten Krankenversicherungsvertrag nach dem Tarif CV3N250. Auf das Vertragsverhältnis finden die als Anlage B 3 vorgelegten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (AVB) und die Tarifbedingungen Anwendung.
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Die AVB lauten auf auszugsweise wie folgt
„S. 4 Umfang der Leistungspflicht
(2) Der versicherten Person steht die Wahl unter den niedergelassenen approbierten Ärzten und Zahnärzten frei. Soweit der Tarif oder die Tarifbedingungen nichts anderes bestimmen, dürfen Heilpraktiker im Sinne des deutschen Heilpraktikergesetzes in Anspruch genommen werden.
(3) Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel müssen von den in Abs. 2 genannten Behandelnden verordnet, Arzneimittel außerdem aus der Apotheke bezogen werden."
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Die Tarifbedingungen lauten auszugsweise wie folgt:
„ 1. Erstattungsfähige Aufwendungen Erstattungsfähig sind bei
1.1. ambulanter Heilbehandlung … Aufwendungen für
b) Leistungen eines Heilpraktikers
e) Hei/mittel
In dem Zeitraum vom 03.01.2017 bis zum 30.01.2018 reichte der Beklagte bei der Klägerin Rech ... ein. Die Rezepte sind ausgestellt von dem ...
Die Stad hatte mit Bescheid vom 10.12.1982-ciie Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde gemäß S. 1 Abs. 1 des Heilpraktikergesetzes, ohne als Arzt bestallt zu sein, erteilt. Diese Erlaubnis wurde mit Bescheid der Landeshauptstadt München vom 23.05.2008 widerrufen. -hatte keine Praxis für die Ausübung des Heilpraktikerberufes angemeldet.“
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Die Klägerin erstattete insgesamt 11.311,30 €. Mit Schreiben vom 17.03.2020 forderte die Klägerin den Beklagten unter Fristsetzung bis 27.03.2020 auf, den Gesamtbetrag zurückzuzahlen, da die Leistung zu Unrecht ausbezahlt worden sein. Den Rückforderungsanspruch verrechnete die Klägerin mit Erstattungsansprüchen in Höhe von 4.499,56 €.
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Die Klägerin trägt im wesentlichen vor, dass-veder eine Zulassung als Heilpraktiker besessen, noch in München eine Praxis angemeldet hatte. Deshalb seien die streitgegenständliChen Leistungen im Rahmen der privaten Krankenversicherung nicht erstattungsfähig.
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Die Klägerin habe durch Erstattungsleistungen für in der Vergangenheit liegende Versicherungsfälle auch keinen Vertrauenstatbestand geschaffen.
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Die Klägerin beantragt,
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.811 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.03.2020, hilfsweise seit 06.05.2020, zu bezahlen.
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Der Beklagte beantragt
Die Klage ist als unbegründet abzuweisen.
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Er habe die Zahlungen rechtmäßig erhalten und dürfe sie behalten.
11
Der Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin. Er habe zu keiner Zeit Vertragsbeziehungen mit der Klägerin unterhalten oder Leistungen von ihr erhalten.
12
Bei den Abrechnungen mit der ... sei es kaum zu Rückfragen oder Unstimmigkeiten gekommen. Der Beklagte dürfe darauf vertrauen dass ... - war und die Abrechnung der Behandlung durch den-vertragskonform war.
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Er sei nicht verpflichtet, sich über den Status und die berufliche Situation des ... - über die potentiellen Anforderungen an den Heilpraktikerberuf, über die Bestallung und die Anforderungen bezüglich des Führens einer Praxis Kenntnis zu verschaffen. Da die Heilbehandlung außerordentlich erfolgreich gewesen sei, habe es auch keine Anhaltspunkte gegeben, an der Kompetenz zu zweifeln.
14
Die Klägerin habe es versäumt die Voraussetzungen für die Leistung zu prüfen und die Rechnungen des-von der ErstattUng auszuschließen.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
16
Das Gericht hat in der öffentlichen Sitzung vom 18.05.2021 verhandelt, auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen. Die Parteien haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
18
Die Klägerin hat gegen den Beklagten nach S. 812 Abs. 1 Satz 1 BGB Anspruch auf die Rückzahlung der Beträge, welche sie auf die Rechnungen und Rezepte-in den Jahren 2017 und 2018 ausgezahlt hat.
19
Die Klägerin ist aktiv legitimiert.
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Der Beklagte unterhielt bei der Klägerin in den Jahren 2017 und 2018 eine private Krankenversicherung.
21
Die Klägerin firmierte seinerzeit unter ... Ausweislich des im Termin vom 18.05.2021 vorgelegten Handelsregisterauszuges, Handelsregister B des Amtsgerichts München ... hat die Hauptversammlung am 08.04.2020 die Änderung des S. 1 (Firma) der Satzung beschlossen. Nunmehr führt die Klägerin den Namen ... .
22
Es handelt sich um dieselbe Rechtsträgerin.
23
Dem ist der Beklagte auch nach Vorlage des Handelsregisterauszuges im Termin vom 18.05.2021 nicht mehr entgegengetreten.
II.
24
Die Klägerin hat Anspruch auf die Rückerstattung der Versicherungsleistungen, welche sie auf die Rechnungen und Rezepte ... in den Jahren 2017 und 2018 an den Beklagten bezahlt hat, S. 812 Abs. 1 Satz 1 BGB.
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Der Beklagte hat die Leistungen der Klägerin ohne rechtlichen Grund erhalten und muss sie daher auf Verlangen der Klägerin an diese herausgeben.
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1. Rechtliche Grundlage für das Behaltendürfen von ausgezahlten Versicherungsleistungen ist das Leistungsversprechen der Klägerin aus dem zwischen den Parteien vereinbarten Versicherungsvertrag.
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Der Umfang der seitens der Klägerin geschuldeten Leistungen bestimmt sich nach S. 4 AVB und Ziffer 1 der Tarifbedingungen. Danach werden die Leistungen eines Heilpraktikers im Sinne des deutschen Heilpraktikergesetzes erstattet. Diese Formulierung ist klar und eindeutig. Die als Heilpraktiker behandelnde und abrechnende Person muss die in dem Heilpraktikergesetz normierten Voraussetzungen erfüllen.
28
Der Behandler muss also zur Zeit der Behandlungen tatsächlich Heilpraktiker im Sinne des Heilpraktikergesetzes gewesen sein. Unerheblich ist dagegen, das-auf den Rechnungen die Berufsbezeichnung Heilpraktiker führte. Die hier streitgegenständlichen Leistungen erfüllen diese Voraussetzung nicht.
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Wer Heilpraktiker ist regelt das Heilpraktikergesetz in S. 1 wie folgt:
„(1) Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestalit zu sein, ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis.
(2) Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird. Die Ausübung der Heilkunde als Heilpraktiker bedarf in Deutschland der staatlichen Erlaubnis.“
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Nach dieser Regelung war-n den Jahren 2017 und 2017 kein Heilpraktiker im Sinne des Heilpraktikergesetzes. Denn die von der Stadt-m Jahr 1982 erteilte Erlaubnis hatte die Landeshauptstadt München bereits im Jahr 2008 widerrufen.
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Die Klägerin hat damit Versicherungsleistungen in Höhe von 11.311,30 € erbracht, obwohl die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht nicht vorlagen. Den nach ihren Verrechnungen verbleibenden Betrag in Höhe von 6.81 1,74 € muss der Beklagte herausgeben.
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2. Der Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass er aus anderen Gesichtspunkten die einmal ausbezahlte Versicherungsleistung behalten darf.
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Für den Herausgabeanspruch des S. 812 Abs. 1 Satz 1 BGB kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte davon ausging oder davon ausgehen durfte, dass ein Heilpraktiker die Leistungen erbringt. Mangelnde Vorsatz bzw. Gutgläubigkeit des Versicherungsnehmers dahingehend, dass tatsächlich Heilpraktiker sei, ist weder Anspruchsvoraussetzung des versicherungsvertraglichen Leistungsversprechens, noch stellt es einen Grund das Behaltendürfen einer rechtsgrundlos erhaltene Leistung dar.
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Die Klägerin war auch nicht verpflichtet, vor der Leistungserbringung eigene Nachforschungen anzustellen, ob der abrechnende Behandler Heilpraktiker im Sinne des Heilpraktikergesetzes ist.
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Ohne besondere Anhaltspunkte ist regelmäßig davon auszugehen, dass sich die behandelnde und abrechnende Person an die geltenden Gesetze hält und als Heilpraktiker nur praktiziert, wenn ihr dies nach dem Heilpraktikergesetz gestattet ist. Eine allgemeine Pflicht des Versicherers, den Status des Behandlers zu überprüfen, gibt es nicht.
36
Schließlich kann sich der Beklagte auch nicht darauf berufen, dass sich die Klägerin widersprüchlich verhalte (veniere contra faktum proprium). Ein Vertrauen darauf, dass der private Krankenversicherer die Kosten eines Behandlers übernimmt, wenn er in der Vergangenheit Kosten desselben Behandlers getragen hat, gibt es in der vom Beklagten behaupteten Umfang nicht. Vielmehr ist es das Recht der Klägerin die Erstattungsfähigkeit für jede weitere Behandlungsmaßnahme und Rechnung gesondert zu überprüfen.
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Auch der Hinweis des Beklagten auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 08.01.2020, AZ: IV ZR 240/18) führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofes lag eine Klausel zugrunde, nach der Krankenhaustagegeld für die medizinisch notwendige vollstationäre Heilbehandlung gezahlt wird und diese Leistung bei einem Aufenthalt in Sanatorien, Erholungsheime und Kuranstalten entfällt. Diese Einschränkung einer zunächst zugesagten Leistung ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. In den Versicherung- und Tarifbedingungen des hier streitigen Versicherungsvertrages wird keine Leistung wieder ausgeschlossen, sondern es wird das Leistungsversprechen festgelegt.
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3. Die Klägerin hat Anspruch auf die ausgeurteilten Verzugszinsen. Aufgrund ihrer Zahlungsaufforderung vom 17.03.2020 mit Fristsetzung zum 27.03.2020 befindet sich der Beklagte seit dem 28.03.2020 in Zahlungsverzug, SS 286,288 BGB.
39
Die Kostenentscheidung beruht auf S. 91 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf S. 709 ZPO.
41
Der Streitwert bemisst sich nach dem Leistungsantrag.