Titel:
Behinderung, Berufung, Anwaltsvertrag, Abfindung, Abgeltungsklausel, Vergleich, Pflichtverletzung, Beratungspflicht, Bedeutung, Werkvertrag, Ehefrau, Umfang, Verfahren, Sonderbedarf, Aussicht auf Erfolg, nicht ausreichend, keine Aussicht auf Erfolg
Schlagworte:
Behinderung, Berufung, Anwaltsvertrag, Abfindung, Abgeltungsklausel, Vergleich, Pflichtverletzung, Beratungspflicht, Bedeutung, Werkvertrag, Ehefrau, Umfang, Verfahren, Sonderbedarf, Aussicht auf Erfolg, nicht ausreichend, keine Aussicht auf Erfolg
Vorinstanz:
LG Deggendorf, Urteil vom 21.07.2021 – 21 O 520/19
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 13.12.2021 – 28 U 5691/21 Bau
BGH Karlsruhe, Urteil vom 20.04.2023 – IX ZR 209/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62353
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 21.07.2021, Az. 21 O 520/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Entscheidungsgründe
I. Urteil des Landgerichts
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Das Landgericht wies die auf Schadensersatz gerichtete Klage ab, da der Beklagte keine Beratungspflichten aus dem Anwaltsvertrag mit dem Kläger verletzt habe.
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Der Kläger habe den Beklagten als Anwalt mandatiert, da er der Auffassung gewesen sei, dass ihm aus einem im Jahr 2014 geschlossenen Werkvertrag u.a. über Drainage und Abdichtungsarbeiten Gewährleistungsansprüche zustünden. Der Beklagte habe aber seine Pflichten aus dem Anwaltsvertrag nicht verletzt, als er für den Kläger einen Vergleich mit einer umfassenden Abgeltungsklausel erwirkt habe. So habe der Beklagte den Kläger ausreichend über die Bedeutung einer Abgeltungsklausel aufgeklärt. Da die Ehefrau den Kläger bei Abschluss des Anwaltsvertrags vertreten habe, sei es ausreichend, dass der Beklagte die Ehefrau aufgeklärt habe. Zudem kenne der Kläger aus einem anderen Rechtsstreit die Bedeutung einer „Abgeltung“.
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Der Kläger rügt u.a., der Beklagte habe ihn persönlich aufklären müssen und eine Aufklärung der Ehefrau sei nicht ausreichend. Auch habe angesichts der Tragweite der Abgeltungsklausel keine ausreichende Beratung stattgefunden. Zudem habe das Erstgericht rechtsfehlerhaft Erkenntnisse aus einem beigezogenen Verfahren verwertet, obwohl keine Partei eine Verfahrensbeiziehung beantragt habe. Auf die Einzelheiten der Berufungsbegründung wird Bezug genommen.
III. Gegenwärtige Einschätzung des Senats
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Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.
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Der Kläger hat gegen den Beklagten als seinen vormaligen Anwalt keine Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB.
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Nach den umfangreich getroffenen Feststellungen erster Instanz, an die das Berufungsgericht gebunden ist – konkrete Anhaltspunkte die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen begründen könnten, liegen nicht vor –, hat der Beklagte keine Pflichtverletzung aus dem Anwaltsvertrag begangen.
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1. Eine Pflichtverletzung ist nicht ersichtlich.
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Der Kläger meint, der Beklagte habe nicht ausreichend in Richtung einer Abgeltungsklausel aufgeklärt. Insoweit seien die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu Abfindungsvereinbarungen maßgeblich.
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a) Der Senat folgt der Berufungsrüge bereits im Ansatz nicht. Der Gleichstellung einer Abgeltungsklausel mit dem Wesen eines komplexen Abfindungsvergleichs (zu Einzelheiten vergleiche NJW Spezial 2004, 207 mit Verweisen auf zahlreiche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs) folgt der Senat nicht.
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So geht die Rechtsprechung bei komplexen Personenschäden, die regelmäßig aus Unfällen resultieren, zu Recht davon aus, dass dem Anwalt erhebliche Beratungs- und Aufklärungspflichten treffen. In solchen Fallkonstellation stehen sich regelmäßig ungleiche Partner gegenüber, die Prognose der künf- – 3 – tigen Entwicklungen ist angesichts der Komplexität der gesundheitlichen Entwicklung und dem individuellen Heilungsverlauf nicht absehbar, medizinische Komplikationen sind kaum prognostizierbar und die den Mandanten treffenden wirtschaftlichen Konsequenzen – Berufsunfähigkeit, Behinderung, Sonderbedarf – sind gravierend. Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, dass der Anwalt seinen Mandanten über Umfang und Reichweite einer Abfindung als erhebliches Risikogeschäft ausreichend sensibilisiert.
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b) Das ist nicht vergleichbar mit einer Abgeltungsklausel im Werkvertragsrecht.
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Der Kläger stellt unzutreffend allein auf den im Raum stehenden Umfang seiner Ansprüche ab. So ist bereits der Terminus „Abgeltung“ dem verständigen Verbraucher bekannt und in gerichtlichen und außergerichtlichen Vergleichen sind Abgeltungsklauseln der Regelfall. Der Senat hat in seiner Spruchpraxis bislang keine sog. „Naturalpartei“ erlebt, der die Bedeutung einer Abgeltungsklausel unbekannt gewesen wäre und bei der eine Unterbrechung zur weiteren Aufklärung über die Bedeutung einer Abgeltung erforderlich geworden wäre.
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Eine verständige Partei weiß, dass mit einer Abgeltungsklausel eine endgültige Befriedungswirkung erstrebt wird. In einem gestörten Rechtsverhältnis wird häufig eine abschließende Regelung vereinbart, da die Parteien einen künftigen weiteren Kontakt ausschließen wollen.
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c) Die Abgeltungsklausel im streitgegenständlichen Fall hat zu keiner besonderen Beratungspflicht geführt.
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aa) Im zu beurteilenden Fall bestanden bei Abschluss des Prozessvergleichs keine Prognoseschwierigkeiten.
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Bei Abfindungsklauseln rechtfertigen die Prognoseschwierigkeiten – neben den wirtschaftlichen Konsequenzen – die Annahme einer besonderen anwaltlichen Aufklärungspflicht. Die Rügen an dieser Stelle greifen aber insgesamt nicht.
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(1) Der Beklagte hat auf Wunsch des Klägers ein selbständiges Beweisverfahren beantragt, weil dieser die Vermutung hatte, dass entweder die Drainage nicht fachgerecht verlegt wurde, nicht ausreichend ausgestaltet wurde oder dass bei den Grabarbeiten Schäden an der Kellerwand verursacht wurden. Der Kläger befürchtete, dass bei seinem Haus Feuchtigkeitsschäden entstehen könnten.
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Wie der Kläger zutreffend ausführt, wäre es ein Leichtes gewesen, am Tag der vereinbarten Beweiserhebung die Aufgrabung vorzunehmen und festzustellen, ob die Drainage richtig verlegt wurde, technisch aufwendiger auszugestalten gewesen wäre – das wäre der Aspekt der Sowieso Kosten – oder ob der Unternehmer durch die Grabarbeiten tatsächlich Rechtsgüter des Klägers verletzt hat.
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(2) Warum an dieser Stelle Prognoseschwierigkeiten bestanden haben sollen, bleibt unklar. Der Fall unterscheidet sich daher maßgeblich von den Fällen mit klassischen Personenschäden.
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So ist es subjektiv schlicht unmöglich, vorherzusagen, ob beispielsweise ein mehrfach operiertes Kniegelenk vollständig verheilen wird, ob Reha Maßnahmen künftig dazu führen können, ob die Erwerbstätigkeit wieder hergestellt wird ob zu einem nennenswerten Teil Berufsunfähigkeit eintritt sowie ob Alltagseinschränkungen mit der Unmöglichkeit Treppen zu nutzen verbleiben oder nicht.
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Im streitgegenständlichen Fall ist das Gegenteil der Fall. Der Sachverhalt war leicht klärbar und die künftige Entwicklung, d.h. die Frage ob Feuchtigkeitsschäden drohen, war leicht zu beurteilen. Es wäre allein erforderlich gewesen, den Beweis zu erheben.
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bb) Ob im Einzelfall aufgrund technisch komplexer Sachverhalte Ausnahmen angezeigt sind, kann offenbleiben.
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Der Kläger hatte einen Privatsachverständigen beigezogen, der mögliche technische Unkenntnisse des Klägers ausgeglichen hat; an dieser Stelle ist ein Sachverständiger, bezogen auf zu schließende Wissenslücken, sachnäher als ein Anwalt.
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d) Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt ausreichend substantiiert dargelegt, dass er abweichend von einem verständigen Mandanten, die Bedeutung einer „Abgeltung“ nicht kennt und der Beklagte dies erkannt haben soll.
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Das ist auch im Ansatz nicht ersichtlich. Der Kläger war bereits in einem Rechtsstreit involviert, in dem ein Vergleich mit einer Abgeltungsklausel versehen war. Der Kläger rügt an dieser Stelle – konkrete Ausführungen fehlen leider – das Gericht habe gegen die Parteimaxime verstoßen.
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Die Rüge ist bereits in mehrfacher Hinsicht unklar.
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aa) So heißt es bereits in der Beklagtenstation, der Kläger sei an einem Parallelverfahren beteiligt gewesen, in dem ein Vergleich mit einer Abgeltungsklausel geschlossen wurde.
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Eine Tatbestandsberichtigung wurde nicht beantragt (§ 314 ZPO), so dass aufgrund der Beurkundungsfunktion des Tatbestands die Richtigkeit der Feststellungen folgt. Damit hat – anders als der Kläger in der Berufung rügt – der Beklagte sehr wohl auf das beigezogene Verfahren hingewiesen.
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bb) Auch wird offensichtlich die Reichweite und die Bedeutung der Parteimaxime verkannt, die im Zivilprozess aufgrund der Bedeutung der materiellen Wahrheit zahlreiche Einschränkungen erfahren hat.
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So findet sich in § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Rechtsgrundlage, von Amts wegen Akten beizuziehen.
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cc) Im Übrigen ist der Kläger nach § 138 Abs. 1 ZPO verpflichtet, umfassend und wahrheitsgemäß vorzutragen.
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Er hätte sich spätestens in der Berufungsinstanz zu dem Parallelverfahren und der dortigen Abgeltungsklausel erklären müssen. Ausführungen hierzu fehlen.
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dd) Zuletzt übersieht der Kläger, dass ein Beweisverwertungsverbot – wovon augenscheinlich ausgegangen wird – nicht im Raum steht.
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Es verbleibt allenfalls eine mögliche Verletzung des rechtlichen Gehörs. Diese ist aber nicht erheblich (§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO), da der Kläger sich im Berufungsverfahren zum Inhalt der beigezogenen Akte hätte erklären können, dies aber unterlassen hat.
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e) Auch im Übrigen liegt kein atypischer Fall vor, der Aufklärungspflichten ausgelöst hat.
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Die klassische Vergleichssituation bei Gericht ist der Versuch, vor einer Beweiserhebung eine gütliche Einigung zu erreichen. Hintergrund ist, dass in dem Moment, in dem der zu beurteilende Lebenssachverhalt geklärt ist, regelmäßig kein Raum mehr für einen Vergleich ist.
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Genau in dieser Situation haben sich Kläger als Besteller (vertreten durch die Ehefrau und den Beklagten) und der Unternehmer geeinigt. Es war unklar, ob die Drainagearbeiten ausreichend dimensioniert waren oder ob dem Unternehmer ein Ausführungsfehler unterlaufen ist.
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Eine Beweiserhebung hätte daher zu Ungunsten des Klägers verlaufen können. Hätten sich Ausführungsfehler nicht bestätigt und hätte sich allein eine Unterdimensionierung gezeigt, wäre der Kläger im Hinblick auf die sogenannten Sowiesokosten wirtschaftlich unterlegen. Hätte sich andererseits eine Beschädigung der Außenwand ergeben, hätte der Kläger Anspruch auf Schadensersatz.
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Berücksichtigt man nun, dass der Kläger einen Privatsachverständigen hatte, der in Übereinstimmung mit dem gerichtlichen Sachverständigen ein erhebliches Prozessrisiko für den Kläger ermittelt hatte, ist das Vorgehen insgesamt nicht zu beanstanden.
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2. Die Rügen in Richtung der Ehefrau sind damit nicht entscheidungserheblich.
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Der Senat merkt allerdings Folgendes an:
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a) Der Kläger verkennt Bedeutung und Reichweite des § 166 BGB.
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Nach den getroffenen Feststellungen – in erheblichem Umfang mangels eines Berichtigungsantrags (§ 314 ZPO, s.o.) zählen die Vorgänge bereits zum Sachstand – hat der Kläger seine Ehefrau als Vertreterin beauftragt, mit dem Beklagten den Anwaltsvertrag zu schließen, um in Betracht kommende Gewährleistungs- bzw. Schadensersatzansprüche im Hinblick auf den Werkvertrag über die Verlegung der Drainage durchzusetzen. Damit ist der Anwendungsbereich des § 166 BGB eröffnet.
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Diese Vorschrift konkretisiert den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatz, dass eine Partei, die sich im rechtsgeschäftlichen Verkehr Dritter bedient, sich deren Kenntnisse zurechnen lassen muss (statt vieler Schäfer in BeckOK BGB, 59. Edition Stand 1.8.2021, § 166 Rnr. 1). Dies wird bereits durch die amtliche Überschrift zum Ausdruck gebracht. Dass im Rahmen der Aufklärung auf den Vertreter abgestellt werden kann, ist daher unproblematisch.
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Auch irrt der Kläger offensichtlich über Bedeutung und Reichweite einer Aufklärung. Die Aufklärung gleicht Wissensdefizite aus und vermittelt der aufzuklärenden Person die erforderliche Sachkunde, damit diese in die Lage versetzt wird, in eigener Verantwortung eine Entscheidung zu treffen. Die Aufklärung ist daher in erster Linie eine Wissensvermittlung – die vielfach aus Dokumentationsgründen – schriftlich erfolgt, was in der Praxis gerade im Gesundheitswesen den Normalfall darstellt. § 166 BGB regelt genau diese Wissensvermittlung.
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b) Das Wissen und die Kenntnisse der Ehefrau sind daher unmittelbar dem Kläger zuzurechnen.
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Der Senat verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Rechtsprechung hin, die im Zusammenhang mit dem Einsatz von Ehegatten entwickelt wurde (Schäfer a.a.O Rnr. 20).
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c) Der Kläger hat seiner Ehefrau die Wahrnehmung des zentralen Termins der Beweiserhebung überlassen, an dem die Bagger vor Ort waren, um die erforderlichen Feststellungen zu treffen.
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Die Ehefrau war zudem begleitet von dem Privatsachverständigen, den der Kläger mit der Klärung beauftragt hatte und der zur Unterstützung erschienen war. Daher hat das Erstgericht rechtsfehlerfrei auf die Person der Ehefrau abgestellt.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
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Hierzu bzw. zur Stellungnahme zu diesem Hinweis besteht Gelegenheit bis zum 22.11.2021.
2. Verfügung vom 02.11.2021 hinausgeben an:
Prozessbevollmächtigte des Berufungsklägers zustellen …
Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten zustellen …
0. Wiedervorlage mit Fristablauf