Inhalt

LG Regensburg, Endurteil v. 14.12.2021 – 24 O 242/21 (2)
Titel:

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Strafvollstreckungskammer, Durchsuchungsmaßnahme, Durchsuchungsanordnung, Körperliche Durchsuchung, Rechtsbeschwerde, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Geldentschädigung, Feststellung der Rechtswidrigkeit, Elektronischer Rechtsverkehr, Elektronisches Dokument, Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Kollegialgerichts-Richtlinie, Streitwert, Amtspflichtverletzung, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Mißbrauch, Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Entschädigungsansprüche, Beschlüsse

Schlagworte:
Amtshaftung, Rechtswidrigkeit, Rechtsirrtum, Rechtsprechung, Persönlichkeitsrecht, Genugtuung, Geldentschädigung
Rechtsmittelinstanz:
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 19.05.2023 – 2 BvR 78/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62217

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 500,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt eine Entschädigung in Geld wegen rechtswidriger Persönlichkeitsverletzung im Rahmen einer körperlichen Durchsuchung des Klägers in der JVA St.
2
Der Kläger verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe in der JVA St. Am 27.03.2019 erhielt er in der Cafeteria der Justizvollzugsanstalt Besuch seiner Mutter, seiner Schwester und seines Bruders. Besuche in der Cafeteria werden optisch überwacht. Unmittelbar nach dem Besuch, ohne noch Kontakt zu anderen Personen gehabt zu haben, wurde er einer körperlichen Durchsuchung unterzogen. Konkrete Verdachtsmomente für einen Missbrauch des Besuchs bestanden zu diesem Zeitpunkt gegen den Kläger nicht.
3
Der Durchsuchung lag eine Anordnung zugrunde, wonach im Monat März an jedem 6. Gefangenen und an jedem 8. Sicherungsverwahrten nach der Vorführung zum Besuch eine mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung vorzunehmen sei, soweit nicht der Missbrauch des Besuchs besonders fern liege. Bei der Entscheidung über die Durchführung einer Durchsuchung wurde ein Formblatt verwendet. Dieses führt unter Bezugnahme auf die genannte Anordnung aus, dass ein Missbrauch insbesondere dann besonders fernliegend erscheine, wenn der Besuch mit einer Amts- oder vergleichbaren Person (Polizei, Notar, Rechtsanwalt, Rechtspfleger, Gutachter, Therapeut) oder der Besuch mit außenstehenden Dritten unter Verwendung einer Trennvorrichtung oder als Einzelbesuch stattgefunden habe. Weiter heißt es darin:
„Unter den vorgenannten Kriterien lag die Gefahr des Missbrauchs des Besuchs nicht besonders fern besonders fern“.
4
Beim Kläger wurde die erstgenannte Auswahlmöglichkeit angekreuzt.
5
Bereits zu Beginn der Durchsuchung musste sich der Kläger vollständig entkleiden. Es erfolgte eine Nachschau unter den Achseln und in der Mundhöhle. Sodann musste er sich mit dem Rücken zu den Bediensteten stellen und sich bücken, um eine Inspizierung des Anus durch die Beamten zu ermöglichen. Anschließend wurde er aufgefordert, sich wieder umzudrehen und den Hodensack anzuheben.
6
Der Kläger stellte gegen die Entscheidung, ihn einer Durchsuchung mit körperlicher Entkleidung zu unterziehen, Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Nachdem das Landgericht Regensburg den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen und das Bayerische Oberste Landesgericht die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen hatte, wurde mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23.09.2020 die Sache unter Aufhebung der genannten Beschlüsse an das Landgericht Regensburg zurückverwiesen. Mit Beschluss vom 25.11.2020 (Az. 287/19) stellte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg fest, dass die beim Kläger am 27.03.2019 durchgeführte Durchsuchung rechtswidrig war und den Kläger in seinen Rechten verletzte.
7
Der Kläger behauptet, er habe die Prozedur als erniedrigend und demütigend empfunden. Die Durchsuchung sei in schematischer Weise erfolgt, da bei Besuch von Privatpersonen eine Einordnung dahingehend, dass die Gefahr des Missbrauchs besonders fernliegend sei, nicht erreichbar gewesen sei. Außerdem behauptet er, auch die Durchführung im konkreten Fall sei rechtswidrig gewesen, da eine Inspektion beispielsweise der Fußsohlen eine vollständige Entkleidung nicht erfordere und er daher länger als unbedingt erforderlich völlig entblößt dastehen habe müssen. Er ist der Ansicht, da bei ihm keine Unregelmäßigkeiten oder tatsächlichen Erkenntnisse für Drogenhandel oder andere subversive Verhaltensweisen vorgelegen hätten, wäre eine tatsächliche Einzelfallentscheidung geboten gewesen. Aufgrund der schwerwiegenden Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts sei die Zuerkennung einer Geldentschädigung geboten. Er meint, dass sich die Unzulässigkeit der Durchsuchung bereits aus den früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere der Entscheidung vom 05.11.2016 (Az.) deutlich ergeben hätte, da bereits darin die Unzulässigkeit schematischer Durchsuchungen festgestellt worden sei.
8
Der Kläger beantragt,
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger aufgrund der körperlichen Durchsuchung vom 27.03.2019 eine angemessene Geldentschädigung zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
9
Der Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
10
Der Beklagte behauptet, das verwendete Formblatt sei ständig an die von der Rechtsprechung fortlaufend neu entwickelten Grundsätze angepasst worden. Es sei vor der Durchsuchung des Klägers nach den zum damaligen Zeitpunkt maßgeblichen Kriterien anhand von Regelbeispielen überprüft worden, ob bei dem Kläger die Gefahr des Missbrauchs des Besuchsrechts besonders fernliegend erscheine, dies sei aber verneint worden. Die Gefahr könne weder durch eine polizeiliche Überprüfung der Besuchspersonen, die lediglich vor der erstmaligen Zulassung zum Besuch erfolge, noch durch den Nachweis der Identität vor jedem Besuch und durch die ergangenen Belehrungen ausgeschlossen werden. Es bestehe stets die Gefahr, dass Gefangene, die zwar selbst nicht zum Missbrauch der Besuchsform mit der geringsten Überwachung geneigt seien, durch Mitgefangene unter Druck gesetzt werden, um verbotene Gegenstände einschmuggeln zu lassen; die Durchsuchung diene daher gerade auch dem Schutz der nicht zum Schmuggeln geneigten Gefangenen. Gefangene, die bereits seit langem zum Cafeteria-Besuch zugelassen seien, dürften auch nicht die Sicherheit gewinnen, dass eine Durchsuchung ohnehin nicht stattfände. Berücksichtigt worden sei außerdem, dass im Zeitpunkt des Besuchs noch drei weitere Gefangene in der Cafeteria zugegen waren und die Cafeteria die am stärksten gelockerte Besuchsform darstelle, eine Übergabe kleiner Gegenstände oder kleiner Mengen von Betäubungsmitteln sei schnell möglich, ohne dass dies bemerkt würde. Es seien auch mildere Mittel geprüft worden, so hätte die Möglichkeit für die Gefangenen bestanden, eine restriktivere Form des Besuchs mit Trennvorrichtungen zu wählen; in diesem Fall wäre von der mit der Entkleidung verbundenen Durchsuchung Abstand genommen worden. Der Beklagte erhebt den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens und trägt vor, die Durchsuchung wäre in dieser Form auch dann durchgeführt worden, wenn das vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Formblatt eine Ergänzungsmöglichkeit für konkrete Erwägungen enthalten hätte. Mit Schriftsatz vom 26.11.2021 wurde weiter vorgetragen, dass die Entkleidung bereits zu Beginn der Durchsuchung erforderlich gewesen sei, um ein unbemerktes Transferieren von zunächst durch die Kleidung verborgener Gegenstände in bereits durchsuchte Körperöffnungen zu vermeiden.
11
Der Beklagte behauptet außerdem, es läge jedenfalls kein Verschulden der Bediensteten der JVA vor. Er meint, es sei zu berücksichtigen, dass sowohl das Landgericht Regensburg – auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht St. – als auch das Bayerische Oberste Landesgericht die Durchsuchung zunächst als rechtmäßig erachtet hätten. Auch habe das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 27.03.2019 in einem nahezu identischen Fall wie dem vorliegenden dargelegt, dass die dort durchgeführte Durchsuchung rechtmäßig gewesen sei. Der vorliegende Fall unterscheide sich außerdem sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht von dem, der Gegenstand der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 22.10.2020, Nr. 6780/17 und 30776/18 war, insbesondere weil ein Anspruch aus § 839 BGB, Art. 34 GG anders als die vom EGMR angewandte Rechtsgrundlage Verschulden voraussetze. Ein Anspruch auf eine Geldentschädigung bestehe zudem auch bei unterstellter Rechtswidrigkeit der Durchsuchung nicht, da bereits durch den Beschluss des Landgerichts Regensburg – auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht St. – vom 25.11.2020 ein ausreichender Genugtuungseffekt gegeben sei.
12
Mit Zustimmung der Parteien hat das Gericht am 29.10.2021 beschlossen, dass im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO entschieden wird und als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, den 26.11.2021 bestimmt. Die Akte des Landgerichts Regensburg – auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht St., Az. ... ist beigezogen worden.
13
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien und der weiteren Einzelheiten wird auf die jeweiligen Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Akteninhalt sowie den Inhalt der Beiakte 287/19 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
15
1.) Die Klage ist zulässig. Die Zuständigkeit des Landgerichts Regensburg ergibt sich in sachlicher Hinsicht aus § 71 Abs. 2 Nr. 1 GVG, in örtlicher Hinsicht aus § 18 ZPO.
16
2.) Ein Anspruch nach § 839 BGB, Art. 34 GG besteht jedoch nicht, da ein Verschulden der Bediensteten der Justizvollzugsanstalt, das dem Beklagten zuzurechnen wäre, nicht nachgewiesen werden kann.
17
2.1. Die Durchsuchung des Klägers vom 27.03.2019 war allerdings rechtswidrig.
18
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg hat mit Beschluss vom 25.11.2020 (Az.) unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.09.2020 (Az. 2) festgestellt, dass die der Durchsuchung zugrunde liegende Anordnung rechtswidrig war und den Kläger in seinen Rechten verletzte. Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist das Zivilgericht, was die Frage der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Handlung betrifft, die Grundlage der Amtshaftung sein soll, grundsätzlich an die rechtskräftige Entscheidung eines anderen Gerichtszweigs gebunden. Dies gilt auch für eine rechtskräftige Entscheidung einer Strafvollstreckungskammer im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG, die die Rechtswidrigkeit einer in diesem Verfahren beanstandeten Maßnahme festgestellt hat (BGHZ 161, 33 ff. Rdn. 6, – juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 16. November 2018 – 15 U 89/17-, juris, Rdn. 19).
19
2.2. Von der Bindungswirkung des Beschlusses vom 25.11.2020 ist indes nicht die Frage umfasst, ob auch eine schuldhafte Amtspflichtverletzung i.S.v. § 839 BGB, Art. 34 GG vorlag. Ein Verschulden der handelnden Amtswalter konnte hier durch den darlegungs- und beweisbelasteten Kläger nicht nachgewiesen werden.
20
Zwar hat nach ständiger Rechtsprechung jeder Inhaber eines öffentlichen Amts bei der Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung die Gesetzes- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und danach auf Grund vernünftiger Überlegungen sich eine Rechtsmeinung zu bilden (BGH NJW 2003, 3693). Dabei begründet nicht jeder objektive Rechtsirrtum ohne Weiteres einen Schuldvorwurf. Wenn die nach sorgfältiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als rechtlich vertretbar angesehen werden kann und er daran bis zur gerichtlichen Klärung der Rechtslage festhält, dann kann aus der späteren Missbilligung dieser Rechtsauffassung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf nicht hergeleitet werden (BGH NVwZ-RR 2021, 66 m.w.N.).
21
Trotz der später festgestellten Rechtswidrigkeit der Durchsuchung kann ein Verschulden den zuständigen Beschäftigten der Justizvollzugsanstalt aber demnach hier nicht angelastet werden, da die Interpretation von Art. 91 Abs. 3 BayStVollzG, die der Durchsuchung zugrunde lag, vertretbar war und auf einer sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung insbesondere der bis zu diesem Zeitpunkt ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beruhte.
22
Art. 91 Abs. 3 BayStVollzG erlaubt für bestimmte Fälle, insbesondere nach Kontakten mit Besuchern, die Anordnung einer mit einer Entkleidung verbundenen Durchsuchung durch eine allgemeine Anordnung des Anstaltsleiters. Diese ist sonst lediglich bei Gefahr im Verzug und auf Anordnung des Anstaltsleiters im Einzelfall gestattet (Art. 91 Abs. 2 BayStVollzG).
23
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dürften Durchsuchungen, die mit der Entkleidung und Inspektion von Körperöffnungen verbunden sind, aufgrund des damit einhergehenden schwerwiegenden Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aber dennoch nicht routinemäßig und unabhängig von fallbezogenen Verdachtsgründen durchgeführt werden (BVerfG, Beschluss vom 10.07.2013, Az. 2 BvR 2815/11). Für Fälle, in denen eine abstrakte Gefahr des Einbringens von Drogen und anderen verbotenen Gegenständen in die Vollzugsanstalt besteht, kann eine körperliche Durchsuchung zwar allgemein zugelassen werden, dies setzt aber den Vorbehalt einer Abweichung in Einzelfällen aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten voraus (BVerfG a.a.O).
24
In der Entscheidung vom 05.11.2016 (Az. 2 BvR 6/16) führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass grundsätzlich auch Durchsuchungen nach Art. 91 Abs. 2 S.1 Alt. 2 BayStVollzG für persönlich an sich unverdächtigte Gefangene angeordnet werden können, dies dürfe zur Wahrung der in Art. 91 BayStVollzG vorgesehenen Abstufung allerdings nicht zur Durchsuchung aller oder fast aller Gefangener vor jedem Besuchskontakt führen und damit zu einer Durchsuchungspraxis, die alleine in den Konstellationen des Art. 91 Abs. 3 StVollzG vorgesehen sei. Mit Blick auf den Begriff des „Einzelfalls“ i.S.d. Art. 91 Abs. 2 S.1 Alt. 2 BayStVollzG müsse die Verfügung der Anstaltsleitung erkennen lassen, dass von der Anordnung der Durchsuchung des stichprobenartig ausgewählten Gefangenen ausnahmsweise abgewichen werden könne. Um einen gerechten Ausgleich zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, der Wahrung der Intimsphäre des Gefangenen und dem Sicherheitsinteresse der Vollzugsanstalt zu erreichen, hätte den die Durchsuchungsanordnung vollstreckenden Vollzugsbeamten durch den Wortlaut der Anordnung zumindest die Möglichkeit belassen werden müssen, von ihr in einem solchen Einzelfall, in dem die Gefahr des Missbrauchs des Besuchs durch den Gefangenen besonders fernliegt, abzuweichen (BVerfG a.a.O.).
25
Diesen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts hatte die Justizvollzugsanstalt erkennbar versucht, bei der Gestaltung des Formblatts Rechnung zu tragen. Das Formblatt sieht die Möglichkeit vor, von der mit einer Entkleidung verbundenen Durchsuchung abzusehen, wenn die Gefahr des Missbrauchs besonders fernliegt. Auch trifft der Einwand der Beklagten zu, dass die Formulierung der Beispiele, die zu einem Absehen von der Durchsuchung berechtigen, nicht abschließend, sondern als Regelbeispiele gehalten ist. Dass auch persönlich an sich unverdächtige Gefangene zu durchsuchen waren, war nach der dargestellten Rechtsprechung nicht zu beanstanden. Es ist daher ersichtlich, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur zur Kenntnis genommen worden war, sondern diese sorgfältig geprüft wurde und versucht wurde, den von ihm entwickelten Kriterien gewissenhaft Rechnung zu tragen.
26
In dieser Rechtsauslegung konnte sich die JVA auch durch den Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.03.2019 (Az. 2 BvR 2294/18) bestätigt sehen. Das Bundesverfassungsgericht führte darin aus, es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, für eine aufgrund einer Allgemeinanordnung gem Art. 91 Abs. 3 StVollzG durchgeführte Durchsuchung im Regelfall bereits die abstrakte Gefahr etwa des Einbringens unerlaubter Gegenstände oder von Betäubungsmitteln nach Besuchen ausreichen zu lassen. Es sei nicht geboten, über den Wortlaut des Art. 91 Abs. 3 StVollzG hinaus konkrete Anhaltspunkte für einen Missbrauch des Besuchs zu verlangen. Allerdings obliege es der Anstaltsleitung, vor Erlass einer Allgemeinanordnung gem Art. 91 Abs. 3 StVollzG zu prüfen, inwiefern sie ihrem Sicherheitsinteresse auch durch weniger eingreifende Maßnahmen hinreichend Rechnung tragen könne. Sowohl die Justizvollzugsanstalten als auch die Fachgerichte hätten zu prüfen, inwieweit organisatorische Möglichkeiten, welche die Missbrauchsgefahr bei Besuchen herabsetzten und die anstaltsseitige Überwachung von Besuchen erleichtern, mildere und gleich geeignete Alternativen zu den eingriffsintensiven körperlichen Durchsuchungen darstellten(BVerfG, a.a.O.). Der Sachverhalt, der der angegebenen Entscheidung vom Tag der hier streitgegenständlichen Durchsuchung zugrunde lag, betraf wie hier Familienbesuch eines Gefangenen in der Cafeteria der JVA St. Das Bundesverfassungsgericht sah aber insbesondere keine verfassungsrechtlichen Bedenken darin, dass das OLG einen Missbrauch der verfahrensgegenständlichen Besuche nicht als fernliegend angesehen habe und insofern nicht allein die Person des Beschwerdeführers und dessen Besuch, sondern auch die Anwesenheit anderer Personen im Besuchsraum, bei denen die Gefahr eines Missbrauchs nicht fernlag, berücksichtigt habe. Auch das zur Anwendung gelangte Formblatt, das – soweit es sich der Entscheidung entnehmen lässt – dem auch hier verwendeten Formblatt entsprach, wurde nicht beanstandet.
27
Dementsprechend bestätigten auch sowohl das Landgericht Regensburg – auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht St. – als auch das Bayerische Oberste Landesgericht zunächst die Rechtmäßigkeit der hier konkret stattgefundenen Durchsuchung. Durch das Bayerische Oberste Landesgericht wurde die Rechtsbeschwerde des Klägers zwar durch Beschluss vom 04.09.2019 (Az.) bereits als unzulässig verworfen. Der Senat führte allerdings ergänzend aus, dass die Anstalt bei ihrer Ermessensentscheidung, ob ausnahmsweise von der in der Genehmigung der körperlichen Untersuchung durch den Anstaltsleiter vom 25.02.2019 angeordneten stichprobenartigen Durchsuchung abzusehen ist, sämtliche entscheidungserhebliche Umstände berücksichtigt und zutreffend gewichtet habe. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Anstalt in ihre Entscheidung wesentliche Ausnahmetatbestände nicht einbezogen und die Strafvollstreckungskammer aufgrund eines unvollständig aufgeklärten Sachverhalts entschieden habe. Der Grundrechtseingriff aufgrund der Durchsuchung sei nicht zu beanstanden. In gleicher Weise gelangte auch die Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Stellungnahme zur Rechtsbeschwerde vom 04.07.2019 zu der Einschätzung, dass unter Beachtung der sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebenden Vorgaben durch den durchsuchenden Beamten vor der Durchsuchung eine Prüfung erfolgt sei, ob das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands in Betracht käme.
28
Von einem Beamten der Justizvollzugsanstalt kann aber keine bessere Rechtseinsicht als von einem mit mehreren Rechtskundigen besetzten Kollegialgericht wie hier dem Bayerischen Obersten Landesgericht erwartet und verlangt werden (vgl. BGH NVwZ-RR 2000, 744). Diese Erwägung liegt der sogenannten „Kollegialgerichtsrichtlinie“ zugrunde. Diese besagt, dass einen Beamten in der Regel kein Verschulden trifft, wenn ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht die Amtstätigkeit als objektiv rechtmäßig angesehen hat (BGH NVwZ-RR 2005, 149). Dem steht hier auch nicht entgegen, dass durch Beschluss vom 04.09.2019 die Rechtsbeschwerde des Klägers bereits als unzulässig abgewiesen wurde. Zwar findet die Kollegialgerichtsrichtlinie lediglich dann Anwendung, wenn die Entscheidung des Gerichts, dass die Amtsausübung rechtmäßig sei, auf einer sorgfältigen Prüfung des Sachverhalts beruhte (vgl. BGH NVwZ-RR 2021, 298 m.w.N.). Hier ergibt sich aus den Gründen der Entscheidung vom 04.09.2019 allerdings, dass sich das Bayerische Oberste Landesgericht trotz der Abweisung als unzulässig auch umfassend mit der Begründetheit der Beschwerde befasst hat. Insbesondere wurde erkennbar geprüft, ob in ausreichender und ermessensfehlerfreier Weise die Möglichkeit geprüft wurde, von der Durchsuchung abzusehen und in die Entscheidung der Anstalt alle wesentlichen Umstände einbezogen wurden.
29
2.3. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer vergleichbaren Konstellation eine Geldentschädigung zugebilligt hat (vgl. EGMR vom 22.10.2020, Az. Nr. 6780/18 u.a.). Die Zuerkennung der Geldentschädigung erfolgte in der betreffenden Entscheidung auf Grundlage von Art. 41 der Konvention. Der Prüfung, ob ein Entschädigungsanspruch besteht, ist allerdings das nationale Recht, namentlich § 839 BGB, Art. 34 GG zugrunde zu legen. Erst und nur dann, wenn das innerstaatliche Recht lediglich eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen einer Konventionsverletzung gewährt, kommt eine Entschädigung nach Maßgabe von Art. 41 EMRK in Betracht, für deren Ausspruch dann ausschließlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zuständig wäre (vgl. BGH, NJW 2013, 3176).
30
3.) Auch die Behauptung des Klägers, die Durchsuchung sei außerdem auch ihrer Art und Weise nach rechtswidrig gewesen, verhilft der Klage nicht zum Erfolg.
31
Es kann insoweit dahingestellt bleiben, ob die vollständige Entkleidung zu Beginn der Durchsuchung erforderlich war oder, wie der Kläger vorträgt, die Nachschau im Mund und unter den Fußsohlen auch im bekleideten Zustand erfolgen hätte können. Selbst wenn man davon ausginge, dass auch die Art und Weise der Durchsuchung nicht rechtmäßig gewesen wäre und dies die mit dem Vollzug der Durchsuchung betrauten Bediensteten der JVA hätten erkennen können, wäre der konkret hiervon ausgehende Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers so geringfügig, dass bereits durch den Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 25.11.2020 eine hinreichende Genugtuung erfolgt wäre.
32
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hängt es von den Gesamtumständen des Einzelfalls ab, was unter einer angemessenen und ausreichenden Wiedergutmachung zu verstehen ist. Dabei ist insbesondere die Art der festgestellten Konventionsverletzung maßgeblich (vgl. EGMR vom 22.10.2020, Az. Nr. 6780/18 u.a., Rn. 76 ff.). Ausnahmsweise, insbesondere dann, wenn die festgestellte Verletzung wenig gravierend ist oder nur Verfahrensfragen betrifft, kann auch die Feststellung der Verletzung selbst eine ausreichende Genugtuung bieten (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 78).
33
Die Nachschau im Mund und unter den Fußsohlen stellen ersichtlich lediglich Sekunden bis allenfalls wenige Minuten dauernde Einzelakte der Durchsuchungsmaßnahme dar. Hinzu kommt, dass auch nach dem Vortrag des Klägers den handelnden Beamten allenfalls ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden könnte. Zudem beeinträchtigen die beanstandeten Maßnahmen als solche – selbst wenn sie, wie hier, mit der vollständigen Entkleidung verbunden sind – üblicherweise das Schamgefühl in weitaus geringerem Maße als die Inspektion der sonst durch Kleidung verborgenen Körperöffnungen bzw. Körperteile wie Anus und Genitalien. Zudem liegen zumindest plausible und nachvollziehbare Gründe für die gewählte Vorgehensweise vor. Insgesamt betrachtet, wäre daher eine etwaige weitere Rechtsverletzung des Klägers, die auf der unnötigen vollständigen Entkleidung zur Nachschau auch im Mund und unter den Fußsohlen beruht, so geringfügig, dass es der Zuerkennung einer Geldentschädigung nicht bedarf. Der Kläger hat insoweit bereits durch Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung mit Beschluss vom 25.11.2020, die sich auf die Maßnahme insgesamt bezieht, ausreichende Kompensation erfahren.
II.
34
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
35
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.