Titel:
Kein deliktischer Schadensersatzanspruch in Dieselfall bei Weiterveräußerung des Fahrzeugs
Normenkette:
BGB § 823, § 826
Leitsatz:
Da die deliktische Haftung nicht an das Bestehen einer Verbindlichkeit und deren Nicht- oder Schlechterfüllung anknüpft, stellt sich im Deliktsrecht die Frage nach dem Erfüllungsinteresse regelmäßig nicht; vielmehr richtet sich der deliktische Schadensersatzanspruch grundsätzlich allein auf den Ersatz des Erhaltungsinteresses und damit auf das negative Interesse. Aufgrund der Weiterveräußerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist dieses negative Interesse nicht mehr herstellbar, da die Belastung des Klägers mit dem nachteiligen Kaufvertrag entfallen ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, negatives Interesse, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA 897, Fahrzeugweiterveräußerung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Urteil vom 25.05.2023 – 24 U 4761/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62200
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 10.824,09 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger erhebt Ansprüche auf Schadensersatz gegen die Beklagte aus dem Kauf eines Pkws der Marke …, welcher nicht von der Beklagten hergestellt wurde, aber einen von der Beklagten entwickelten Motor enthält.
2
Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 21.04.2015 (Rechnung vom 29.04.2015) vom … einen gebrauchten Pkw der Marke … und einem Kilometerstand von 10.000 km zu einem Kaufpreis von 73.500,- € (vgl. Anlage K1). Das Fahrzeug wurde an den Kläger übergeben. Das Fahrzeug hat einen Motor des Typs EA 897 (EU 6). Dieser Motor wird federführend von der Beklagten entwickelt und hergestellt. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat für das streitgegenständliche Fahrzeug einen Rückruf angeordnet, da es davon ausgeht, dass bei dem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz kommt. Hierzu lief im November 2017 eine Anhörung. Hinsichtlich des Fahrzeugs ist mit Schreiben der … vom Oktober 2016 ein Rückruf erfolgt. Die Beklagte, bzw. die Herstellerin des Fahrzeugs, bietet für das Fahrzeug ein Softwareupdate an. Der Kläger hat das streitgegenständliche Fahrzeug am 08.03.2017 zu einem Verkaufspreis von 58.929,11 € in Zahlung gegeben. Dabei hatte es wohl einen Kilometerstand von 29.881 km (Bl. 5 d.A.).
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Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, dass in die Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs mehrere „illegale Abschalteinrichtungen“ integriert seien. So sei ein sog. „Thermofenster“ integriert, das die Abgasrückführungsrate bei einer Außentemperatur unter 17° C reduziere bzw. ganz abschalte, was bei unserem mitteleuropäischen Klima dazu führe, dass die Abgasrückführung in den Monaten Januar bis April sowie Oktober bis Dezember nicht wie geschuldet funktioniere. Der Einsatz von „AdBlue“ werde im Straßenbetrieb gedrosselt. Darüber hinaus kämen noch andere Strategien zum Einsatz (Prüfsiandserkennung durch Aufwärmstrategie und Lenkwinkelerkennung sowie manipulierte Software für das Getriebe), die ebenfalls dazu führen würden, dass die NOx-Grenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten würden. Der Vorstand oder jedenfalls Teile des Vorstandes der Beklagten hätten Kenntnis von dem Einbau der nach Ansicht des Klägers unzulässigen Abschalteinrichtungen, die zu einem Verlust der Betriebserlaubnis führen würden, gehabt. Durch das bewusste Inverkehrbringen der gesetzeswidrig ausgestatteten Fahrzeuge sei auch von einem entsprechenden Schädigungsvorsatz auszugehen. Der Vorstand der Beklagten habe eine Schädigung der Vermögensinteressen der Käufer zumindest billigend in Kauf genommen.
4
Der Kläger ist der Auffassung, er habe einen Schadensersatzanspruch gerichtet auf Rückerstattung des Kaufpreises abzüglich des erlangten Verkaufserlöses und einer Nutzungsentschädigung. Der Anspruch der Klagepartei ergebe sich insbesondere aus § 826 BGB. Die Klagepartei ist der Auffassung, die Beklagte sei im Rahmen einer sekundären Darlegungs- und Beweislast verpflichtet, näher zu den konzerninternen Abläufen in Bezug auf die streitgegenständliche Softwareentwicklung und -implementierung vorzutragen. Die Nutzungsentschädigung errechne sich aus einer Gesamtfahrleistung von 400.000 km.
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Der Kläger beantragte zuletzt,
1) die Beklagte kostenpflichtig und vorläufig vollstreckbar zu verurteilen, an die Klagepartei 10.824,09 € nebst jährlichen Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.07.2020 bezüglich des Fahrzeuges … zu zahlen.
2) die Beklagte kostenpflichtig und vorläufig vollstreckbar zu verurteilen, an die Klagepartei weitere 1.101,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
6
Die Beklagte beantragte zuletzt,
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Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, dass die Klage schon deshalb unbegründet sei, da der streitgegenständliche Pkw nicht von dem sog. „Abgasskandal“ betroffen sei. Das Kraftfahrtbundesamt habe für Fahrzeuge zwar einen verpflichtenden Rückruf betreffend dessen Emissionsverhaltens angeordnet, daraus ergebe sich aber kein Schadensersatzanspruch des Klägers. Ferner sei es dem Kläger beim Kauf des streitgegenständlichen Pkw nicht darauf angekommen, ein möglichst sparsames und umweltfreundliches Auto zu kaufen. Dagegen sprächen schon das Gewicht und die Leistung des Fahrzeugs. Der klägerische Vortrag zur angeblichen Kenntnis der Manipulationssoftware sei unschlüssig, unsubstantiiert und in der Folge nicht einlassungsfähig. Da der Kläger bereits eine Manipulation nicht schlüssig dargelegt habe, sei nicht nachvollziehbar, auf welchen Sachverhalt sich eine angebliche Kenntnis des Vorstandes der Beklagten beziehen solle. Ein vorsätzliches Handeln des Vorstandes liege jedenfalls nicht vor.
8
Die Beklagte ist der Auffassung, dass eine seitens der Klagepartei nicht näher substantiiert vorgetragene Täuschung durch die Beklagte nicht gegeben sei. Im Übrigen sei die Nutzung eines sog. „Thermofensters“ auch zulässig, zumindest habe die Beklagte von der Zulässigkeit ausgehen dürfen. Vor diesem Hintergrund könne auf Beklagtenseite auch von keinem vorsätzlichen Verhalten ausgegangen werden. Die Beklagte sei auch nicht im Rahmen einer etwaigen sekundären Darlegungs- und Beweislast zu weitergehenden Angaben verpflichtet. Ein Anspruch auf Schadensersatz bestehe aus den klägerseits erörterten Anspruchsgrundlagen jedenfalls nicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
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Die Parteien haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt. Als Zeitpunkt, der dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten, wurde der 11.06.2021 bestimmt.
Entscheidungsgründe
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I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Anspruch scheitert vorliegend bereits daran, dass aufgrund der Weiterveräußerung des Fahrzeugs ein deliktischer Schadensersatzanspruch des Klägers ausscheidet (vgl. z.B. OLG München, Urteil vom 11.02.2021, Az. 24 U 1207/20). Vertragliche Ansprüche bestehen nicht.
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1) Der Kläger hat keine vertraglichen Ansprüche gegen die Beklagte. Diese war an dem Erwerb des Klägers nicht beteiligt. Ein Vertragsverhältnis zwischen den Parteien ist nicht ersichtlich. Derartige Ansprüche wurden durch den Kläger auch nicht behauptet.
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2) Deliktische Ansprüche sind von vornherein nicht geeignet, der Klage des Klägers zum Erfolg zu verhelfen.
14
a) Deliktische Schadensersatzansprüche sind auf das sogenannte negative Interesse zu beschränken und damit gerade nicht darauf gerichtet, die Erwartung eines Käufers zu schützen, den Wert und die Nutzungsmöglichkeit einer mangelfreien Sache zu erhalten. „Da die deliktische Haftung nicht an das Bestehen einer Verbindlichkeit und deren Nicht- oder Schlechterfüllung anknüpft, stellt sich im Deliktsrecht die Frage nach dem Erfüllungsinteresse regelmäßig nicht; vielmehr richtet sich der deliktische Schadensersatzanspruch grundsätzlich allein auf den Ersatz des Erhaltungsinteresses und damit auf das negative Interesse“ (vergleiche OLG München a.a.O. und BGH vom 09.06.2020, VIII ZR 315/19). Aufgrund der Weiterveräußerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs am 08.03.2017 ist dieses negative Interesse nicht mehr herstellbar, da die Belastung des Klägers mit dem nachteiligen Kaufvertrag entfallen ist.
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b) „Das Vorliegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB einmal unterstellt, läge der Schaden des Klägers in dem Abschluss eines für ihn ungünstigen Kaufvertrags […]. Die Herstellung von auf das negative Interesse gerichtetem Schadensersatz läge dem entsprechend darin, dass der Kläger den (um den Wert gezogene Nutzungen geminderten) Kaufpreis erhält, aber im Gegenzug dafür das erworbene Fahrzeug herausgeben muss“ (OLG München a.a.O.).
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c) „Durch die Weiterveräußerung ist nicht nur Letzteres unmöglich geworden. Indem der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug veräußert hat, hat er den Wert des Fahrzeugs realisiert und ist daher durch den ursprünglichen Kaufvertrag nicht mehr belastet. Etwas anderes ergäbe sich nur, wenn man annähme, der Kläger hätte das Auto zu einem höheren Preis veräußern können, wenn es nicht mit der – hier unterstellten – unzulässigen Abschalteinrichtung versehen gewesen wäre. Eine solche Argumentation liefe jedoch auf die – im Rahmen eines deliktischen Schadensersatzanspruchs nicht mögliche – Geltendmachung des positiven Interesses hinaus; der Kläger begehrte dann nicht, so gestellt zu werden, wie er ohne den ursprünglichen Kaufvertrag stünde (negatives Interesse), sondern so gestellt zu werden wie er stünde, wenn das Auto den Makel der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht hätte (positives Interesse)“ (OLG München, a.a.O.).
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d) Dieser Argumentation schließt sich das LG Memmingen an, so dass schon deshalb kein Anspruch des Klägers besteht.
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e) Vorliegend ist ein Schaden des Klägers auch nicht ersichtlich. Der Kläger hat nicht nur gar nicht behauptet, dass er das Fahrzeug ohne „Dieselskandal“ zu einem höheren Preis hätte veräußern können (positives Interesse), sondern dies ist vorliegend auch sehr unwahrscheinlich. Der Kläger hat das Fahrzeug bereits veräußert gehabt, als das Anhörungsverfahren zum Rückruf, auf den der Kläger seinen Anspruch im wesentlichen stützt, noch gar nicht begonnen hatte. Zu diesem Zeitpunkt kann sich daher die mögliche Betroffenheit des Fahrzeugs vom „Dieselskandal“ noch gar nicht auf den Verkaufspreis ausgewirkt haben, da diese noch unbekannt gewesen wäre. Wenn der Kläger aber den angemessenen Verkaufspreis ohne Berücksichtigung des „Dieselskandals“ erhalten hat, ist beim Kläger kein Schaden (mehr) vorhanden, der ersetzt werden könnte und müsste.
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3) Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung, so dass die Klage vollumfänglich abzuweisen war.
20
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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III. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.