Inhalt

LG München II, Endurteil v. 11.10.2021 – 2 O 2125/21
Titel:

Fristlose Kündigung des Pachtverhältnisses wegen Pachtrückständen

Normenkette:
BGB § 313 Abs. 1, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3a
Leitsätze:
1. Grundsätzlich liegt das Verwendungsrisiko der Pachtsache beim Pächter. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage - die pandemiebedingte Betriebsuntersagung im Jahr 2021- berechtigt gem. § 313 Abs. 1 BGB noch nicht zu einer Vertragsanpassung. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pachtrückstände, fristlose Kündigung, Vertragsanpassung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 04.05.2022 – 32 U 7551/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 03.05.2023 – XII ZR 46/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62159

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, die Gaststättenräume und Freiflächen im Anwesen in 85570 Markt Schwaben, bestehend aus einem Flur, einer Küche, zwei Kühlräume, einem Barbereich, einem Gastraum, einem Nebenzimmer und einem Wintergarten im Erdgeschoss sowie einem Flur, einem Lagerraum, einem Bierkühlungsraum, einem Raum für den Fettabscheider, einer Lüftungszentrale, einem Personalaufenthaltsraum, einer Umkleide/Dusche mit einer Nutzfläche von insgesamt ca. 424 qm sowie einem Biergarten für 300 Plätze zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 15.232,00 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.07.2021 zu zahlen. 
3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 
4. Das Urteil ist in Ziffer 1. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 70.000 € und in Ziffer 2. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. 

Tatbestand

1
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Räumung und Herausgabe einer gepachteten Gaststätte sowie die Zahlung rückständiger Pachtzinsen für den Zeitraum Januar 2021 bis Juni 2021.
2
Der Beklagte schloß mit der damaligen Eigentümerin des streitgegenständlichen Anwesens am 28.12.2018 einen Vertrag, wonach diese damit einverstanden war, dass der Beklagte vom bisherigen Pächter mit Wirkung zum 01.01.2019 die Führung der Gaststätte übernimmt. Weiter sollte zwischen den Parteien ein Pachtvertrag zustande kommen, sofern der Beklagte weiter eine Kaution in Höhe von 20.000 € leistet.
3
Am 26.06.20219 vereinbarte der Beklagte mit xx einen Nachtrag zum Pachtvertrag.
4
Darin wurde die Höhe des monatlichen Mietzinses mit 2.200 € netto nebst Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 1.000 € zuzüglich Mehrwertsteuer in Höhe von 19%, also 608 €, insgesamt also mit 3.808 € vereinbart. Weiter vereinbarten sie, dass sich das Pachtverhältnis ab 01.07.2019 um weitere 3 Jahre, mit beidseitiger Optionsmöglichkeit um weitere 5 Jahre verlängert. Die Kündigung des Pachtverhältnisses sollte mit einer Frist von 6 Monaten zum Vertragsende beidseitig möglich sein.
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Auf der schriftlichen Nachtragsvereinbarung vom 29.06.2019 gibt es 2 handschriftliche Ergänzungen. Zum einen wurde handschriftlich ergänzt: „zum 15. jeden Monats“. Zum anderen wurde handschriftlich ergänzt: „Dieser Nachtrag ist nur gültig bei Kauf des Hotels durch H.“. Dabei gibt es eine Vertragsfassung, die nur den erstgenannten handschriftlichen Nachtrag enthält und eine, die beide handschriftlichen Ergänzungen enthält.
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Die Klägerin ist seit 18.05.2020 Eigentümerin des streitgegenständlichen Anwesens.
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Mit Schreiben vom 30.12.2020, dem Beklagten am selben Tag zugegangen, hat die Klägerin das Pachtverhältnis zum Ablauf des 30.06.2021 ordentlich gekündigt. Der Beklagte widersprach der Kündigung mit dem Hinweis darauf, dass im Nachtrag zum Pachtvertrag eine Befristung vereinbart worden sei. Die Klägerin erwiderte mit Schreiben vom 14.03.2021 und vertrat die Ansicht, die im Nachtrag handschriftlich erfolgte Vereinbarung, dass der Nachtrag nur gültig sei beim Kauf des Hotels durch H. , sei nicht eingetreten. Daher gelte der Nachtrag nicht. Deswegen liege ein unbefristetes Pachtverhältnis vor. Sie habe daher nach § 584 BGB zum Schluss des Pachtjahres kündigen können.
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Der Beklagte befindet sich mit der Zahlung des monatlichen Pachtzinses nebst Nebenkostenvorauszahlung für den Zeitraum Januar 2021 bis September 2021 in Rückstand. Die Klägerin macht als offene Teilklage für den Zeitraum Januar 2021 bis Juni 2021 nur einen Betrag von 15.232 € geltend.
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Mit Schreiben vom 16.06.2021 erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten die fristlose Kündigung wegen des Zahlungsrückstands für den Zeitraum Januar 2021 bis Juni 2021 und verlangte die unverzügliche Räumung und Herausgabe des Pachtgegenstandes.
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Mit Schreiben vom 23.09.2021 kündigte die Klägerin höchstvorsorglich und hilfsweise erneut das Pachtverhältnis aus wichtigem Grund gegenüber dem Beklagten aufgrund dessen Zahlungsrückstand, der sich im September 2021 auf 34.368 € erhöhte.
11
Die Klage wurde dem Beklagten am 08.07.2021.
12
Die Klägerin beantragt,
1.
Der Beklagte wird verurteilt, die Gaststättenräume und Freiflächen im Anwesen in 8..5570 Markt Schwaben, bestehend aus einem Flur, einer Küche, zwei Kühlräume, einem Barbereich, einem Gastraum, einem Nebenzimmer und einem Wintergarten im Erdgeschoss sowie einem Flur, einem Lagerraum, einem Bierkühlungsraum, einem Raum für den Fettabscheider, einer Lüftungszentrale, einem Personalaufenthaltsraum, einer Umkleide/Dusche mit einer Nutzfläche von insgesamt ca. 424 qm sowie einem Biergarten für 300 Plätze zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
2.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 15.232,00 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt
K l a g e a b w e i s u n g.
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Der Beklagte behauptet, die Pachtrückstände seien aufgrund der Lockdownbeschränkungen entstanden. Im Jahr 2019 habe er noch einen Gewinn von 2.374,25 € erzielt, während er im Jahr 2020 einen Verlust von 55.786,70 € erlitten habe. Es sei für ihn nicht in Betracht gekommen, diese enormen Verluste durch die Lieferung von Speisen auszugleichen, da sein Gewerbe hauptsächlich Einkünfte durch Gäste erzielt habe, die die besondere Atmosphäre des Biergartens hätten genießen wollen und hierfür bereit gewesen wären, deutlich höhere Preise für die angebotenen Speisen und Getränke zu bezahlen als bei Lieferungen realistisch zu erzielen gewesen wären. Zudem habe er damit rechnen dürfen, dass die Nachfrage für seine gutbürgerlichen Speisen in Zeiten der Lockdowns deutlich geringer sein würde als für exotischere Produkte (asiatische Speisen, insbesondere Sushi) oder für Nieschenprodukte (vegane oder glutendreie Speisen) – also für Gerichte, welche die meisten Menschen in diesen Breiten nur selten selbst zubereiten würden. Es sei daher einem gewissenhaften, wirtschaftlichen Kalkül des Beklagten entsprungen, seinen Betrieb zeitweise zu schließen, anstatt Speisen und Getränke über Lieferdienste auszuliefern, was die Verluste durch Gehälter, sowie Zutaten- und Betriebskosten noch hätte weiter erhöht. Im Ergebnis sei es ihm daher im Sinne von § 313 I BGB nicht zumutbar gewesen, für den Zeitraum seit Beginn der Corona-Lockdowns, also seit März 2020, am Inhalt des Pachtvertrags mit der Klägerin, insbesondere an der Zahlung der vollen Pachtpreishöhe, festgehalten zu werden. Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung sei nicht gegeben. Vielmehr handle es sich hier um einen äußerst nachvollziehbaren Grund für die verzögerten Zahlungen des Beklagten an die Klägerin.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 11.10.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet.
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Das Pachtverhältnis ist durch fristlose Kündigung beendet worden. Der rückständige Pachtzins ist unstreitig. Eine Herabsetzung oder Stundung des Pachtzinses ist nicht veranlasst.
I.
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A. Das Pachtverhältnis ist durch fristlose Kündigung beendet.
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1. Die Klägerin hat erneut mit Schreiben vom 23.09.2021 die fristlose Kündigung des Pachtverhältnisses gegenüber dem Beklagten erklärt.
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2. Ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung lag vor.
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a. Nach § 543 II S. 1 Nr. 3a BGB liegt ein wichtiger Grund vor, wenn der Mieter für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist.
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b. Der Beklagte hat unstreitig seit Januar 2021 keine Miete gezahlt. Er ist damit mit der Miete für zwei aufeinander folgende Termine in Verzug.
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c. Der Beklagte kann sich auf § 313 I BGB nicht berufen. Der Lockdown in der Gastronomie ist seit mehr als 2 Monaten beendet. Seit 18.05.2021 war eine Gastronomie im Außenbereich und seit 25.05.2021 war ein Betrieb von Speiselokalen im Innenbereich unter Hygieneauflagen möglich. Damit war es dem Beklagten seit mehr als zwei Monaten wieder möglich, seinen Gaststättenbetrieb wieder zu öffnen. Der Beklagte hat nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung die Gaststätte erst seit zwei Tagen wieder geöffnet. Die Schließung der Gaststätte bis Anfang Oktober war daher nicht pandemiebedingt.
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3. Auf die Wirksamkeit der übrigen Kündigungen durch die Klägerin kommt es daher nicht mehr an, ebenso wenig auf die Frage, ob der handschriftliche Zusatz auf der Nachtragsvereinbarung hinsichtlich deren Gültigkeit wirksam vereinbart wurde oder nicht.
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B. Die geltend gemachte Pachtzinsforderung ist fällig. Eine Stundung oder Herabsetzung des Pachtzinses nach § 313 I BGB ist nicht veranlasst.
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1. Die pandemiebedingt Betriebsuntersagung im Jahr 2021 ist kein Mangel der Pachtsache im Sinne des §§ 581 II, 536 I BGB (OLG München NJW 2021, 948).
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2. Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage berechtigt gem. § 313 I BGB noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Es muss hinzukommen, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Durch diese Formulierung kommt zum Ausdruck, dass nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsabschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse eine Vertragsanpassung oder eine Kündigung (§ 313 III BGB) rechtfertigt. Hierfür ist vielmehr erforderlich, dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt (BGH NJW 2012, 1718 Rn. 30; OLG München NJW 2021, 948 Rn. 33, beck-online). Die Prüfung dieser Voraussetzung erfordert eine umfassende Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände (BGH NJW-RR 2020, 523 Rn. 23), insbesondere auch der Vorteile, die der betroffenen Partei neben den Nachteilen aus den eingetretenen Veränderungen erwachsen sind (BGHZ 127, 212 = NJW 1995, 47). Dabei ist auch zu erwägen, dass der Gesetzgeber verschiedene Maßnahmen ergriffen hat, um die wirtschaftlichen Folgen der pandemiebedingten Betriebsschließungen für die betroffenen Unternehmen abzufedern. Er hat dabei Kriterien dafür aufgestellt, unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmen Hilfsleistungen erhält. Wenn das OLG München auch der Auffassung ist, dass § 313 I BGB grundsätzlich anwendbar ist, darf nach seinen Ausführungen die Anwendung aber nicht dazu führen, dass gesetzgeberische Wertungen umgangen werden. Die Anwendung muss daher auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben, bei denen ein Festhalten an der vereinbarten Regelung zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbaren Ergebnis führen würde (vgl. BGHZ 127, 212 = NJW 1995, 47; OLG München, NJW 2021, 948 Rn. 34, beckonline). Das OLG München ist deshalb auch nicht der Auffassung, dass eine Herabsetzung der Miete nach einem objektiven Schema erfolgen kann wie beispielsweise der hälftigen Herabsetzung unter vorheriger Anrechnung von tatsächlich erfolgten oder nur möglichen Hilfsleistungen. Denn dann würde die Vertragsanpassung lediglich an die Stelle der Minderung nach § 536 I BGB treten, bei der es auf die Unzumutbarkeit der Zahlung der vollständigen Miete für den Mieter nicht ankommt. Ein Abstellen auf den konkreten Fall bedeutet nicht nur, dass die tatsächlichen oder möglichen Hilfsleistungen für den Mieter in eine feststehende Formel eingefügt werden. Vielmehr erfordert eine Betrachtung aller konkreter Umstände des Einzelfalls auch gerade die Beachtung der wirtschaftlichen Situation des Mieters und auch des Vermieters. Dabei kann es eine Rolle spielen, wie viele Jahre der Mietvertrag schon besteht und wie der Umsatz und Gewinn der letzten Jahre waren, so dass eine Möglichkeit bestand, Rücklagen zu bilden. Da die wirtschaftliche Situation des Mieters zu berücksichtigen ist, kann es bei einem Konzern sogar auf die Konzernmutter ankommen. Es verbietet sich allerdings jede schematische Betrachtungsweise (OLG München NJW 2021, 948 Rn. 35, beck-online). Nach Auffassung des OLG München ist die Anwendbarkeit unter Berücksichtigung der Wertungen des Gesetzgebers aber auf die Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Mietzahlung für den Mieter aus wirtschaftlichen Gründen untragbar ist (OLG München NJW 2021, 948 Rn. 39, beck-online).
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3. Gemessen an diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für eine Herabsetzung oder Stundung des Pachtzinses nicht vor.
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a. Der Beklagte trägt vor, es habe seinem wirtschaftlichen Kalkül entsprochen, keinen Lieferservice anzubieten, weil die damit verbundenen Kosten zu hoch gewesen wären und auch die Kunden seine gutbürgerliche Küche im Vergleich zu ausgefallenerem Essen (asiatische Küche, vegane oder glutenfreie Küche) verschmäht hätten. Im Jahr 2019 habe er einen Gewinn in Höhe von 2.374,25 € erzielt. Coronabeihilfen habe er beantragt und Anfang Oktober auch ausbezahlt erhalten.
30
c. Grundsätzlich liegt das Verwendungsrisiko der Pachtsache beim Pächter. Der Beklagte hat sich hier entschieden trotz gesetzlicher Zulässigkeit einen Lieferservice oder eine Abholmöglichkeit nicht anzubieten. Er hat seinen Betrieb auch nach Lockerung der Coronamaßnahmen und der wieder erteilten Erlaubnis für den Betrieb von Gaststätten nicht sofort geöffnet. Die von ihm vorgetragenen Umstände für seine komplette Schließung der Gaststätte bezeichnet er selbst als Kalkül. Konkrete Berechnungen stellt der Beklagte nicht an. Im Rahmen einer Abwägung der Gesamtumstände überwiegt hier das Verwendungsrisiko für den Beklagten. Er hat sich hier schlicht darauf beschränkt, die Gaststätte zu schließen und dies über den Zeitraum des Lockdowns hinaus. Daher ist nicht ersichtlich, dass die Verpflichtung zur Zahlung der Miete seit Januar 2021 zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbaren Ergebnis führen würde. Zudem hat der Beklagte, wie er in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, mittlerweile eine Coronabeihilfe bekommen, mit der er die noch offene Pachtzinsforderung begleichen kann.
II.
31
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
32
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.