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VG München, Urteil v. 11.11.2021 – M 17 K 17.41214
Titel:

Herkunftsland: K..., Staatenloser Palästinenser, Sehbehinderung (GdB 100), Seelische Störung, Abschiebungsverbot (bejaht)

Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1
AsylG § 4 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Schlagworte:
Herkunftsland: K..., Staatenloser Palästinenser, Sehbehinderung (GdB 100), Seelische Störung, Abschiebungsverbot (bejaht)
Fundstelle:
BeckRS 2021, 62146

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 11. Mai 2017 wird in den Nummern 4 bis 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich K... vorliegen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger ¾ und die Beklagte ¼.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger ist staatenloser Palästinenser, stammt aus K... und ist der islamischen Religion zugehörig. Nach eigenen Angaben reiste er am 25. Februar 2016 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 10. Juni 2016 einen Asylantrag.
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Bei seiner persönlichen Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 8. Dezember 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, dass er seit seiner Geburt an einer Sehbehinderung leide. In K... sei er wegen dieser Sehbehinderung diskriminiert worden. Am 21. März 2013 sei es in der Apotheke, in der er als angestellter Apotheke gearbeitet habe, zu einem Disput mit einem Kunden gekommen, in dessen Folge der Kläger wegen unterstellter Gotteslästerung zu einer Haftstrafe von einem Monat verurteilt worden sei. Der Kunde habe das Fachwissen des Klägers aufgrund dessen Sehbehinderung in Frage gestellt, worauf der Kläger erwidert habe, dass er keiner Religion angehören wolle, die Behinderte wie ihn so respektlos behandle. Nach der Entlassung aus der Haft sei er als angeblicher Gotteslästerer gebrandmarkt gewesen. Er habe er keine Arbeit mehr gefunden, weil die Verurteilung in seinem Führungszeugnis eingetragen gewesen sei. Bei Polizeikontrollen auf der Straße sei er stundenlang zu Unrecht festgehalten worden. Er habe versucht mit der Situation umzugehen, doch als die Probleme immer mehr geworden seien, habe er im Jahr 2016 das Land verlassen.
3
Mit Bescheid vom 11. Mai 2017 erkannte das Bundesamt weder die Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) noch den subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) zu, lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach K... oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
4
Die Bevollmächtigte des Klägers erhob mit Schreiben vom … Mai 2017 Klage und beantragte,
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1. Der Bescheid des Bundesamts vom 11. Mai 2017 wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft i.S.v. § 3 AsylG zuzuerkennen.
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3. Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen.
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4. Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen.
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Zur Begründung führte sie mit Schriftsätzen vom … August 2016 und vom … Oktober 2017 aus, dass der Kläger nicht kuwaitischer Staatsangehöriger sei, sondern Palästinenser. Er sei in K... geboren und habe dort überwiegend gelebt. Er sei in K... zu Unrecht wegen Gotteslästerung angeklagt und zu einer Haftstrafe verurteilt worden. In der Haft sei er gefoltert, beleidigt und diskriminiert worden. Grund sei seine Behinderung und der Vorwurf der Gotteslästerung gewesen. Wegen des Vorwurfs der Gotteslästerung habe der staatenlose behinderte Kläger in K... keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Der Kläger leide an einer hochgradigen Sehbehinderung, aufgrund dessen bestehe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit.
10
Die Beklagte übersandte die Behördenakten und stellte keinen Antrag.
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Mit Beschluss vom 23. September 2021 übertrug das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, insbesondere auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 10. November 2021, sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Falle des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –).
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Die zulässige Klage ist im zweiten Hilfsantrag im tenorierten Umfang begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich K... (§ 113 Abs. 5 VwGO). Soweit darüber hinaus die Aufhebung des angefochtenen Bescheids in Ziffer 1 und 3 begehrt wurde, ist die Klage unbegründet, da die Beklagte den Asylantrag des Klägers insoweit zu Recht abgelehnt hat. Der Bescheid des Bundesamts vom 11. Mai 2017 ist in Ziffer 1 und 3 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
15
Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Zuerkennung eines subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
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Zur Begründung wird auf die zutreffende Begründung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Ergänzend hierzu wird ausgeführt:
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
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Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK –, BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK –, BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist.
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Besondere Umstände, aufgrund derer der Kläger einer Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein könnte, sind nicht ersichtlich.
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Insbesondere kann der Umstand, dass die kuwaitische Gesellschaft bzw. der kuwaitische Staat dem Kläger nach seinen Angaben wegen seiner Verurteilung im Jahr 2013 wegen Gotteslästerung zu einer Haftstrafe zuschreibt, vom islamischen Glauben abgefallen zu sein, nicht die Annahme rechtfertigen, dass sich der Kläger aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb K...s befindet.
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Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 – juris) für die Anerkennung als Flüchtling oder als Person mit subsidiärem Schutzstatus entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a des Gesetzes zur Umsetzung der RL 2011/95/EU (nachfolgend QRL) angesehen werden können. Dieser Rechtsprechung des EuGH hat sich das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40/15 – juris). Hiernach ist nicht jeder Eingriff in das Recht der Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCharta) verstößt, bereits eine „Verfolgungshandlung“ im Sinne der QRL. Maßgeblich ist, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Bei der Prüfung, ob ein Eingriff in die Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung darstellt, ist im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Betroffenen zu prüfen, ob er aufgrund der Ausübung der Religionsfreiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 QRL genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.
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Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr. Dieser Maßstab wird vom BVerwG mit demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gleichgesetzt (BVerwG U. v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris Rn. 20,23).
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Nach dem Vortrag des Klägers hatte er in den knapp drei Jahren, die er nach der Verurteilung wegen Gotteslästerung und Verbüßung der Haftstrafe noch in K... verbracht hat, zwar gewisse Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche und bei Polizeikontrollen auf der Straße, es gab jedoch keine gezielten Verfolgungshandlungen durch bestimmte staatliche oder nichtstaatliche Akteure.
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Dem Vorbringen des Klägers kann deshalb weder mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit entnommen werden, dass er vor seiner Ausreise aus K... im Februar 2016 von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren aus asylrelevanten Gründen verfolgt worden ist, noch, dass er bei einer Rückkehr nach K... mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit von diesen verfolgt werden würde.
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2. Das Bundesamt hat im Hinblick darauf auch zu Recht die Zuerkennung subsidiä-ren Schutzes (§ 4 AsylG) abgelehnt. Das Gericht nimmt auch insoweit auf die Begründung des Bundesamts Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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2.1. Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass dem Kläger in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht, hat dieser nicht vorgebracht (vgl. unter 1.).
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2.2. Auch besteht für den Kläger keine ernsthafte und individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG).
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Ein internationaler Konflikt liegt gemäß den vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949 einschließlich der Zusatzprotokolle I und II vom 8. Juni 1977 vor, wenn an ihm zwei oder mehr Staaten beteiligt sind, die gegeneinander Waffengewalt einsetzen. Von einem innerstaatlichen Konflikt ist nach den o.g. völkerrechtlichen Regelungen die Rede, wenn nicht zwei Staaten gegeneinander, sondern ein Staat auf seinem Staatsgebiet kämpft, etwa, weil sein Gewaltmonopol bedroht wird und er im Innern um Souveränität ringt. Die Schwelle eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist erst ab einer gewissen Intensität erreicht. Nicht erfasst sind nach dem Zusatzprotokoll II innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen (BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07, NVwZ 2008, 1241/1244; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – NVwZ 2011, 56/58).
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Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht in K... gegenwärtig nicht.
31
3. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gegen die Beklagte einen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) hinsichtlich K.... Insoweit war der Bescheid des Bundesamts vom 11. Mai 2017 in den Nrn. 4, 5 und 6 aufzuheben (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung, da es sich beim national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 16 ff.).
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Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Einschlägig ist hier Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Die Reichweite der Schutznorm des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt. Eine unmenschliche Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK, die allein auf der humanitären Lage und den allgemeinen Lebensbedingungen beruht, ist möglich (vgl. BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris Rn. 5 m.w.N. der Rspr. des BVerwG und des EuGH). Humanitäre Verhältnisse verletzen Art. 3 EMRK zum einen in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung „zwingend“ seien. Dieses Kriterium sei angemessen, wenn die schlechten Bedingungen überwiegend auf Armut zurückzuführen seien oder auf die fehlenden staatlichen Mittel, um mit Naturereignissen umzugehen. Zum anderen könne eine Verletzung darin zu sehen seien, dass es dem Betroffenen nicht mehr gelinge, seine elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen. Im Anschluss hieran stellt das Bundesverwaltungsgericht darauf ab, ob es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen sei, verletze die Abschiebung des Ausländers Art. 3 EMRK. Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus. Nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind. Dieser Maßstab ist auch für Abschiebungen in Staaten, die wie K... nicht zu den Unterzeichnern der EMRK gehören, anzuwenden (EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich, 8319/07 – NVwZ 2012, 681; VG München, U.v. 9.4.2020 – M 6 K 17.32718 – ZAR 2020, 381 m.Anm. Achatz).
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Im vorliegenden Einzelfall liegt ein entsprechend hohes Gefährdungsniveau beim Kläger unter Berücksichtigung der nachstehenden Ausführungen vor, wenn er nach K... zurückkehren müsste. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger als Rückkehrer tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
34
Der Kläger ist schwer sehbehindert und leidet unter einer seelischen Störung. Dies ergibt sich aus dem Änderungsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales – Region … – Versorgungsamt – vom 14. Oktober 2019, wonach ihm aufgrund der Sehminderung ein Grad der Behinderung von 100 und aufgrund der seelischen Störung ein Grad der Behinderung von 20 zugesprochen wurde. Die Bescheinigung einer seelischen Störung deckt sich mit dem Eindruck des Gerichts vom Kläger in der mündlichen Verhandlung, der – ungeachtet seiner Sehbehinderung – einen insgesamt nicht leistungsfähigen Eindruck machte. Zudem ist davon auszugehen, dass es dem Kläger auch aufgrund des Umstandes, dass er nicht kuwaitischer Staatsbürger, sondern staatenloser Palästinenser ist, in K... – sofern ihm überhaupt die Wiedereinreise gelingt, was jedoch in die Zuständigkeit der Ausländerbehörde fällt (VGH München B.v. 6.5.2002 – 15 ZB 99.30118) – schwerer haben dürfte, eine Arbeit zu finden, als kuwaitische Staatsbürger (vgl. hierzu Deutsches Orient-Institut, Auskunft an VG Aachen vom 27. Januar 2003). Auch liegen keine auf konkreten Tatsachen beruhenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die Eltern oder die Geschwister des Klägers, die ggf. noch in K... leben, neben der Sicherstellung des eigenen Lebensunterhaltes auch den Lebensunterhalt des Klägers nach dessen Rückkehr ausreichend verlässlich gewährleisten könnten.
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In der Gesamtschau der geschilderten Umstände gehört der Kläger unzweifelhaft zum Kreis besonders vulnerabler Personen. Eine Rückkehr nach K... ist ihm im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten.
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4. Aufgrund dessen waren auch die Abschiebungsandrohung und das auf 30 Monate festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 AufenthG aufzuheben.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Sie berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Kostenverteilung im Asylverfahren (BVerwG, B.v. 29.6.2009 – 10 B 60/08 – juris). Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.