Inhalt

OLG Bamberg, Urteil v. 12.11.2021 – 3 U 20/21
Titel:

Nießbrauch, Rechtsnießbrauch, Aufhebung oder Änderung des Nießbrauchs, Gesellschaftsanteil, Gesellschaft bürgerlichen Rechts, gesetzliches Schuldverhältnis, Zustimmung, Zustimmungserfordernis, Auflösung der Gesellschaft, Grundlagenbeschluss, Pflichtverletzung, Kausalität

Normenketten:
BGB § 280 Abs. 1
BGB § 1068 Abs. 1
BGB § 1071 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Die Bestellung eines Nießbrauchs an einem Gesellschaftsanteil einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist als Nießbrauch an einem Recht nach § 1068 Abs. 1 BGB zulässig.
2. Der Nießbrauch begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen dem Inhaber des Rechts und dem Nießbraucher. Verletzt der Inhaber des Rechts schuldhaft eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis, kann dies einen Schadensersatzanspruch des Nießbrauchers nach § 280 Abs. 1 BGB begründen (Fortführung von OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.09.1998, 3 Wx 209/98, NZG 1999, 26 Rn. 16; OLG München, Beschluss vom 08.08.2016, 31 Wx 204/16, NZG 2016, 1064 Rn. 22; OLG Hamm, Beschluss vom 13.11.1970, 15 W 280/70, OLGZ 1971, 226, 229).
3. Eine Pflichtverletzung des Rechteinhabers kann anzunehmen sein, wenn dieser ohne zuvor die Zustimmung des Nießbrauchers einzuholen, in der Gesellschafterversammlung einem Gesellschafterbeschluss zustimmt, der wirtschaftlich einem Beschluss über die Auflösung der Gesellschaft gleichkommt.
4. Beim Nießbrauch an Gesellschaftsanteilen begründet § 1071 Abs. 1 Satz 1 BGB jedoch kein Vetorecht des Nießbrauchers gegen ihn beeinträchtigende Beschlüsse. Der Nießbraucher hat daher Beschlüsse der Gesellschafter, die ohne seine an sich erforderliche Zustimmung ergangen sind, entschädigungslos hinzunehmen, wenn diese von der Mehrheit der Gesellschafter ohne oder gegen die Stimme des Rechteinhabers gefasst werden konnten. Die Pflichtverletzung des Rechteinhabers war dann nicht kausal für den Schaden des Nießbrauchers.
Schlagworte:
Nießbrauch, Rechtsnießbrauch, Aufhebung oder Änderung des Nießbrauchs, Gesellschaftsanteil, Gesellschaft bürgerlichen Rechts, gesetzliches Schuldverhältnis, Zustimmung, Zustimmungserfordernis, Auflösung der Gesellschaft, Grundlagenbeschluss, Pflichtverletzung, Kausalität
Vorinstanz:
LG Würzburg, Urteil vom 21.12.2020 – 94 O 1124/18
Fundstellen:
GmbHR 2023, 747
BeckRS 2021, 61993
LSK 2021, 61993

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 21.12.2020 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 14.01.2021, Aktenzeichen (jeweils) 94 O 1124/18, abgeändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten beider Rechtszüge sowie die Kosten seiner zurückgenommenen Anschlussberufung zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen der Beeinträchtigung eines Nießbrauchsrechts an einem Gesellschaftsanteil einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts.
2
1. Mit Gesellschaftsvertrag vom 02.12.1982 (Anlage B1) hatten die Gesellschafter W. Y. und Dr. R. Y. die „… GbR“ (im Folgenden nur GbR) gegründet, deren einziges Gesellschaftsvermögen das Grundstück … Straße ..., …, war. In dem Vertrag vom 02.12.1982 war unter anderem vereinbart:
§ 2 Zweck
3
Zweck der GbR ist die Verwaltung von dem den Gesellschaftern bereits gehörenden Grundbesitz, die Errichtung gewerblich genutzter Räume auf diesem Grundbesitz und deren Vermietung und Verpachtung.
§ 8 Abstimmungen …
4
Die Abstimmung erfolgt nach den Beteiligungsprozentsätzen an der GbR.
5
An der GbR waren der Gesellschafter W. Y. mit 5% und der Gesellschafter Dr. R. Y. mit 95% beteiligt. Am 23.12.1982 übertrug der Gesellschafter Dr. R. Y. an O. Z. und M. Z. jeweils 25% der Gesellschaftsanteile (vgl. Anlage K 1). Mit Wirkung zum 01.01.1987 übertrug der Gesellschafter O. Z. 20% der Gesellschaftsanteile auf die Beklagte. Mit notarieller Urkunde vom 29.11.1986 wurde mit Blick darauf vereinbart (Anlage K 3, Seite 5) :
„Fräulein C. Z. räumt hiermit Herrn M. Z. auf dessen ganze ferne Lebensdauer den unentgeltlichen Nießbrauch an dem erworbenen Gesellschaftsanteil zu 20% nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften ein, mit der Besonderheit, dass der Nießbraucher auch die während des Nießbrauchs fällig werdenden Tilgungsleistungen auf die derzeit im Grundbuch eingetragenen Grundpfandrechte und die außergewöhnlichen Ausbesserungen und Erneuerungen zu tragen hat.
Herr M. Z. tritt als Nießbraucher für die Dauer des Nießbrauchs anstelle der Gesellschafterin C. Z. in die volle Gesellschafterstellung ein. Er übernimmt alle Rechte und Pflichten, die mit dem Gesellschaftsanteil verbunden sind, wie ein Gesellschafter, soweit sich nicht aus § 8 der Satzung Einschränkungen ergeben.
Während der Dauer des Nießbrauchs sind Herr M. Z. folglich auch die Einkünfte aus dem Gesellschaftsanteil die sich bei der steuerlichen Gewinnermittlung ergeben zuzurechnen.
Während der Dauer des Nießbrauchs bleibt C. Z. Gesellschafterin, d.h. eine Veräußerung kann nur durch C. Z. erfolgen.
Handschriftlich ist insoweit ergänzt:
Vorstehender Satz wird gestrichen. C. Z. erwirbt somit den mit dem Nießbrauch belasteten Anteil.
Herr O. Z. erteilt Herrn M. Z. über den Tod hinaus Vollmacht, die vorstehenden Bedingungen zu ändern, um das wirtschaftliche Ziel der vorstehenden Vereinbarungen rechtlich abzusichern.“
6
Nach dieser – und weiteren, für den Streitfall nicht relevanter – Anteilsübertragungen waren Dr. R. Y. zu 50%, der Kläger zu 20%, die Beklagte zu 25% und J. T. zu 5% Gesellschafter der GbR. Mit Vertrag vom 20.02.2002 (Anlage K 4) übertrug der Kläger dem Gesellschafter T. weitere 20% der Gesellschaftsanteile. Dabei wurde u.a. vereinbart:
„IV. Nießbrauch
Der Übergeber behält sich auf seine Lebensdauer das unentgeltliche Nießbrauchsrecht an dem Vertragsgegenstand vor. Danach ist der Übergeber berechtigt, sämtliche Nutzungen aus dem Vertragsgegenstand zu ziehen und verpflichtet, sämtliche aus dem Vertragsgegenstand ruhenden privaten und öffentlichen Lasten … zu tragen. Der Nießbrauch hat auch die nach der gesetzlichen Lastenverteilungsregelung dem Eigentümer obliegenden privaten Lasten zu tragen … …
VII. Vollmacht
Herr J. T. erteilt hiermit Herrn M. Z. die Vollmacht, sämtliche ihm als Gesellschafter der vorbezeichneten Gesellschaft zustehenden Rechte für ihn uneingeschränkt auszuüben. Dies gilt insbesondere für das Stimmrecht und für Erklärungen … gegenüber dem Grundbuchamt.“
7
Am 22.11.2017 hielten die Gesellschafter der GbR eine außerordentliche Gesellschafterversammlung ab, bei der auch dem Kläger die Anwesenheit gestattet wurde. TOP 1 lautete: „Es wird beschlossen, die o.g. Firmenimmobilie der … GbR zu einem Verkaufspreis von 19,2 Mio. Euro (netto) … zum Zieltermin 01.01.2018 zu verkaufen“. Der Kläger erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme und ließ durch seinen ebenfalls anwesenden Rechtsanwalt „klarstellen“: „Herr Z. ist keine [sic!] Gesellschafter der … GbR [sic!], auch kein Eigentümer der Immobilie. Er wird nicht auf das Recht als Nießbrauchsberechtigter verzichten und daher zum Verkauf keine Erklärung abgeben. Er hat dies auch in der Vergangenheit nicht getan. Der Nießbrauchsberechtigte stimmt dem Verkauf nicht zu.“ Nach Diskussion wurde der Beschluss einstimmig gefasst (Anlage K 9). Mit Kaufvertrag vom 19.12.2017 veräußerten die Gesellschafter der GbR das vorgenannte Grundstück zu einem Kaufpreis von 19.200.000,00 € (Anlage K 5). Der Besitz an dem Grundstück sollte am 01.01.2018 übergehen. Auf einer Gesellschafterversammlung vom 31.01.2018 beschlossen die Gesellschafter einstimmig unter „TOP 4 Liquidation der Gesellschaft“ die „Auflösung der Gesellschaft“.
8
2. Der Kläger hat in erster Instanz vorgetragen, mit dem Besitzübergang des Grundstücks am 01.01.2018 sei der Gesellschaftszweck der GbR entfallen und ihm sein lebenslanges Nießbrauchsrecht entzogen worden, obwohl er dessen Aufhebung jedoch nicht zugestimmt habe. Die Beklagte sei „zur Zahlung von Schadenssatz gem. § 1071 BGB“ verpflichtet. Sie habe „das volle Stammrecht“ des Gesellschaftsanteils vereinnahmt, ohne dessen Belastung durch sein Nießbrauchsrecht zu berücksichtigen.
9
Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.726.150,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem gesetzlichen Basiszinssatz (§ 288 BGB) seit dem 01. Januar 2018 zu zahlen.
10
3. Die Beklagte hat erstinstanzlich erwidert, es habe weder aufgrund gesetzlicher Vorschriften noch nach der vertraglichen Vereinbarung die Pflicht bestanden, die Zustimmung des Klägers „zu der Veräußerung des Gesellschaftsvermögens“ einzuholen. Unabhängig davon habe der Kläger jedoch seine Zustimmung am 07.11.2017 in einem Telefonat gegenüber dem Mitgesellschafter Dr. Y. erteilt. Der Kläger habe zudem den Verkauf des Grundstücks tatkräftig unterstützt und sogar „forciert“ (vgl. Anlagen B6, B7). Außerdem habe der Kläger am 13.12.2017 die Löschung einer Grundschuld bewilligt, um die lastenfreie Übertragung des Grundstücks zu ermöglichen, worin eine konkludente Zustimmung des Klägers zu sehen sei. Jedenfalls aber habe sie annehmen dürfen, dass der Kläger den Verkauf ebenso wolle, wie sie. Die Beklagte ist zudem der Auffassung, der Bundesgerichtshof (NZG 2016, 1223) habe die Anwendbarkeit von § 1071 BGB in Konstellationen wie der vorliegenden ausgeschlossen. Das Nießbrauchsrecht des Klägers sei zudem kraft Gesetzes zusammen mit der GbR (§ 726 BGB) erloschen.
11
Die Beklagte hat in erster Instanz auf dieser Grundlage
Klageabweisung beantragt.
12
4. Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme des Zeugen Dr. Y. (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.07.2019, Bl. 130 ff.) sowie durch Erholung eines Gutachtens über den wirtschaftlichen Wert des Nießbrauchsrechts des Sachverständigen E. (Bl. 239 ff.) und auf dieser Grundlage der Klage mit Endurteil vom 21.12.2020 in Höhe von 1.468.767,63 € zuzüglich Zinsen seit dem 05.07.2018 stattgegeben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt:
13
Der Kläger könne von der Beklagten gemäß § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz verlangen. Zwischen den Parteien habe mit dem Nießbrauch ein gesetzliches Schuldverhältnis bestanden. Aufgrund dessen sei die Beklagte verpflichtet gewesen, vor ihrer Abstimmung in der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 22.11.2017 die Zustimmung des Klägers einzuholen. Da sie dies unterlassen habe, habe sie ihre Pflichten aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis verletzt. Nach § 1071 BGB habe eine Zustimmungspflicht bestanden, da die Veräußerung des Grundstücks den Bestand der GbR als solche berührt und somit bereits die Zustimmung der Beklagten zur Veräußerung eine zum Anteilsverlust führende Maßnahme dargestellt habe. Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehe der Anwendung von § 1071 BGB nicht entgegen. Die für eine Zustimmung beweispflichtige Beklagte habe die Zustimmung des Klägers zur Stimmabgabe nicht nachgewiesen. Eine solche könne insbesondere nicht in dem Telefonat mit dem Zeugen Dr. Y. gesehen werden. Weder habe der Kläger inhaltlich eine Zustimmung erteilt noch sei der Zeuge empfangsberechtigt für die etwaige Zustimmungserklärung gewesen. Die vom Kläger erteilte Löschungsbewilligung sei ebenfalls keine (konkludente) Zustimmung, denn dieser hätte sich gegebenenfalls schadensersatzpflichtig machen können, wäre der Verkauf seinetwegen gescheitert. Die Beklagte habe die Pflichtverletzung auch zu vertreten, da sie gewusst habe, dass der Kläger mit der Aufhebung des Nießbrauchsrechts nicht einverstanden sei. Dem Kläger sei dadurch ein Schaden „in Höhe von 1.470.000,00 €“ entstanden, denn ihm sei durch die Veräußerung des Grundstücks das Nießbrauchsrecht genommen worden. Den Schaden schätze das Gericht auf Grundlage des Gutachtens auf „1.468.767,63 €“. Zinsen könne der Kläger erst ab dem 05.07.2018 verlangen, da vorher keine Mahnung erfolgt und eine solche auch nicht entbehrlich gewesen sei.
14
Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angegriffenen Ersturteil (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
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5. Gegen das der Beklagten am 23.12.2020 zugestellte Endurteil vom 21.12.2020 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 14.01.2021 wendet sich die am 19.01.2021 eingelegte und am 22.02.2021 begründete Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor:
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Sie habe keine Pflichtverletzung begangen. Sie sei weder nach der vertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien noch nach § 1071 BGB verpflichtet gewesen, vor der Abstimmung über den Verkauf der Firmenimmobilie die Zustimmung des Klägers einzuholen. Nach der Rechtsprechung des BGH, über die sich das Landgericht ausdrücklich hinweggesetzt habe, sei § 1071 BGB auf gemeinschaftliche Verfügungen der Gesellschafter über das Gesellschaftsvermögen weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden, denn diese stellten keine beeinträchtigenden Änderungen im Sinne von § 1071 BGB dar (vgl. Friedrich/Leoff, DB 2017, 417). Selbst wenn man die Anwendbarkeit des § 1071 BGB unterstelle, sei die Zustimmung der Beklagten zum Verkauf der Immobilie keine zum Anteilsverlust führende Maßnahme. Zum Anteilsverlust habe erst die Veräußerung des Grundstücks durch die GbR geführt, denn erst hierdurch sei deren Gesellschaftszweck entfallen und die Gesellschaft kraft Gesetzes gemäß § 726 BGB zum 31.12.2017 aufgelöst worden. Erst die Auflösung der GbR führe zum Anteilsverlust.
17
Entgegen der Annahme des Landgerichts habe der Kläger zudem seine Zustimmung erteilt. Das Landgericht trenne unzutreffend zwischen einer Zustimmung zum Verkauf des Grundstücks, zur Abstimmung der Beklagten und zur Aufhebung des Nießbrauchrechts und nehme an, jedenfalls die Zustimmung zur Aufhebung des Nießbrauchrechts habe der Kläger nicht erteilt. Hierauf komme es jedoch nicht an. Nießbrauchgegenstand sei allein der Gesellschaftsanteil. Das daran bestehende Recht sei weder durch die Abstimmung der Beklagten noch durch rechtsgeschäftliche Aufhebung, sondern allein durch den Abschluss und die Erfüllung des Grundstückskaufvertrags erloschen. Dem Verkauf des Grundstücks als dem „maßgeblichen Rechtsgeschäft“ habe der Kläger jedoch zugestimmt. Der Kläger habe nach den Feststellungen des Landgerichts in einem Telefonat am 06.11.2017 gegenüber dem Zeugen Dr. Y. erklärt, dass er den Verkauf wolle. Dies habe der Zeuge Dr. Y. den Gesellschaftern per E-Mail am 07.11.2017 (Anlage B 5) auch mitgeteilt. Dem Kläger sei bei dem Telefonat klar gewesen, dass er weder als Gesellschafter noch als Grundbuchberechtigter spreche – wie sich aus seinen Äußerungen ergebe –, daher müsse ihm klar gewesen sein, dass er als Nießbraucher handele. Dem Kläger sei aufgrund seiner langjährigen Stellung als Gesellschafter auch klar gewesen, worum es gehe, und dass das Grundstück das einzige Gesellschaftsvermögen gewesen sei. Dem anwaltlich beratenen Kläger sei daher auch bewusst gewesen, dass mit der Veräußerung des Grundstücks sein Nießbrauch erlöschen würde. Gleichwohl habe der Kläger den Verkauf seit Juli 2017 forciert (vgl. Anlagen B 6, B 8). Damit habe der Kläger in dem Telefonat eine rechtsverbindliche, einseitige Erklärung abgegeben. Der Kläger habe damit gerechnet, dass diese – grundsätzlich empfangsbedürftige Erklärung – obwohl gegenüber dem Zeugen Dr. Y. abgegeben, die Beklagten erreicht, wie es auch tatsächlich geschehen sei. Jedenfalls habe der Kläger dem Verkauf konkludent durch die Bewilligung der Löschung einer Briefgrundschuld vom 13.12.2017 vor Vertragsunterzeichnung zugestimmt.
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Sie habe zudem nicht schuldhaft gehandelt, denn ihr sei durch den Zeugen Dr. Y. per E-Mail (Anlage B 5) mitgeteilt worden, dass der Kläger den Verkauf des Grundstücks wolle. Zudem habe der Zeuge Dr. Y. in derselben Nachricht mitgeteilt, dass der Mitgesellschafter T. dem Verkauf ebenfalls zugestimmt habe. Ihr sei bekannt gewesen, dass der Kläger am Gesellschaftsanteil des Mitgesellschafters T. ebenfalls ein Nießbrauchsrecht habe. Daher habe sie davon ausgehen können, dass sie dem Verkauf ebenfalls zustimmen durfte.
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Die Beklagte beantragt,
das am 21.12.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Würzburg (Az. 94 O 1124/18) abzuändern und die Klage abzuweisen.
20
6. Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil. Er meint, die Beklagte missverstehe die von ihr herangezogene Rechtsprechung des BGH. Zudem habe zwar der Gesellschafterbeschluss vom 22.11.2017 nicht unmittelbar die Auflösung der GbR zur Folge gehabt, sei aber deren zentrale Vorbedingung gewesen. Jedenfalls habe die Beklagte durch ihre Mitwirkung am Verkauf des Grundstücks am 19.12.2017 die Auflösung der Gesellschaft (mit-)bewirkt. Er habe noch in der Gesellschafterversammlung klargestellt, dass er auf sein Recht als Nießbrauchberechtigter nicht verzichte und dem Verkauf daher nicht zustimme (Anlage K 9).
21
Der Kläger beantragt,
Die Berufung wird zurückgewiesen.
22
Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Senatsprotokoll vom 14.07.2021.
II.
23
Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg und führt unter Abänderung des angegriffenen Ersturteils zur Klageabweisung insgesamt. Das Landgericht hat zu Unrecht angenommen, es bestünde ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte nach § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1068 BGB.
24
1. Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Bestellung eines Nießbrauchs an einem Gesellschaftsanteil einer GbR zulässig ist. Es handelt sich dabei um den Nießbrauch an einem Recht (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.09.1998, 3 Wx 209/98, NZG 1999, 26 Rn. 12; OLG Hamm, Beschluss vom 27.12.1976, 15 W 72/76, OLGZ 1976, 283, 285).
25
2. Ebenfalls zutreffend hat das Landgericht angenommen, die Beklagte habe eine gegenüber dem Kläger bestehende Pflicht aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis des Nießbrauchs verletzt und eine solche Pflichtverletzung sei grundsätzlich geeignet, Schadensersatzansprüche des Klägers zu begründen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.09.1998, 3 Wx 209/98, NZG 1999, 26 Rn. 16; OLG München, Beschluss vom 08.08.2016, 31 Wx 204/16, NZG 2016, 1064 Rn. 22; OLG Hamm, Beschluss vom 13.11.1970, 15 W 280/70, OLGZ 1971, 226, 229; Bayer, in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 1071 Rn. 2; MüKo-BGB/Pohlmann, 8. Aufl. 2020, § 1071 Rn. 13). Zwar war die Beklagte nicht verpflichtet, vor der Mitwirkung an der Veräußerung des Grundstücks am 19.12.2017 (a)) oder vor der Beschlussfassung am 31.01.2018 zu „TOP4: Liquidation“ (b)) jeweils die Zustimmung des Klägers hierzu einzuholen. Eine solche Verpflichtung bestand aber mit Blick auf die Abstimmung in der Gesellschafterversammlung am 22.11.2017 zu „TOP1: Beschluss der Veräußerung“ (c)). Diese Pflicht hat die Beklagte schuldhaft verletzt (d)).
26
a) Die Beklagte war nicht verpflichtet, die Zustimmung des Klägers vor ihrer Mitwirkung an der Veräußerung des Grundstücks am 19.12.2017 einzuholen. Der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 20.05.2016, V ZB 142/15, NZG 2016, 1223) hat bereits ausdrücklich klargestellt, dass die Verpfändung eines Gesellschaftsanteils die Gesellschafter nicht in der Möglichkeit beschränkt, über Grundeigentum der Gesellschaft zu verfügen, und dass § 1276 BGB insoweit auch keine analoge Anwendung findet (Rn. 21). Diese Rechtsprechung ist auf die – ihrem Inhalt und ihrem Schutzzweck nach im wesentlichen vergleichbare – Vorschrift des § 1071 BGB übertragbar. Damit unterlag jedenfalls die Mitwirkung der Beklagten an der Grundstücksveräußerung am 19.12.2017 nicht der Zustimmungspflicht.
27
b) Die Beklagte musste sich auch nicht vor der Beschlussfassung am 31.01.2018 zu TOP4 der Zustimmung des Klägers versichern. Bei dem Beschluss, die GbR aufzulösen, hat es sich um einen rein deklaratorischen Beschluss gehandelt, da die GbR schon wegen Zweckerreichung kraft Gesetzes aufgelöst war. Ein solcher Beschluss kann das Nießbrauchsrecht nicht beinträchtigen.
28
c) Die Beklagte war jedoch – bei sachgerechtem und am Schutzzweck der Norm orientierten Verständnis (BeckOGK/Servatius, 1.11.2019, BGB § 1071 Rn. 10) der Vorschrift des § 1071 BGB – verpflichtet, vor der Abstimmung in der Gesellschafterversammlung vom 22.11.2017 zu TOP1 die Zustimmung des Klägers zu ihrer Stimmabgabe mit „Ja“ einzuholen.
29
aa) Die Zustimmung des Klägers war indes noch nicht allein deshalb erforderlich, weil durch die Veräußerung des Grundstücks die wirtschaftliche Auszehrung seines Nießbrauchsrechts am Gesellschaftsanteil drohte. Zwar soll nach einer Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG Hamm, Beschluss vom 27.12.1976, 15 W 72/76, OLGZ 1976, 283, 288) eine Zustimmungspflicht schon dadurch begründet werden können, dass eine wirtschaftliche Aushöhlung des Nießbrauchs droht. Es würde zumindest eine Beeinträchtigung des Nießbrauchs bedeuten, wenn die Gesellschafter ohne Zustimmung des Nießbrauchers über einen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenstand verfügen könnten, da erst die Einzelgegenstände dem mit dem Nießbrauch belasteten Anteilsrechte am Gesellschaftsvermögen Inhalt und Wert verleihen würden.
30
Dieser Auffassung ist der BGH (a.a.O., Rn. 22) zwischenzeitlich ausdrücklich entgegengetreten und hat klargestellt, dass ein gesetzlich begründetes Zustimmungserfordernis (vgl. §§ 1071, 1276 BGB) nicht vor nur mittelbaren Verschlechterungen des wirtschaftlichen Werts des Rechts an dem Gesellschaftsanteil schützt. Dem tritt der Senat bei.
31
bb) Die Zustimmung des Klägers war auch nicht deswegen geboten, weil es sich bei der Beschlussfassung zu TOP1 um eine „Grundlagenentscheidung“ gehandelt hat. Allerdings sind nach einer in der Literatur und der obergerichtlichen Rechtsprechung verbreiteten Auffassung „gesellschaftsrechtliche Grundlagenentscheidungen“ grundsätzlich als nießbrauchsbeeinträchtigende Verfügungen zustimmungspflichtig (MüKo-BGB/Pohlmann, 8. Aufl. 2020, § 1071 Rn. 13; OLG Stuttgart, Beschluss vom 28.01.2013, 8 W 25/13, NZG 2013, 432 Rn. 12; OLG Oldenburg, Beschluss vom 09.03.2015, 12 W 51/15 (HR), NZG 2015, 643 Rn. 8; OLG Köln, Beschluss vom 07.10.2019, I-18 Wx 18/19, NZG 2020, 64 Rn. 7), insbesondere Beschlüsse zur Auflösung der Gesellschaft (OLG Stuttgart a.a.O.).
32
Der Senat muss diese Rechtsfrage nicht abschließend entscheiden, denn die Beschlussfassung vom 22.11.2017 ist dem operativen Geschäft zuzuordnen und keine Grundlagenentscheidung.
33
cc) Die Beklagte hätte aber vor ihrer Stimmabgabe mit „Ja“ am 22.11.2017 zu TOP1 die Zustimmung des Klägers deshalb einholen müssen, weil dieser Beschluss faktisch und wirtschaftlich einem Auflösungsbeschluss gleichkam. Die Beschlussfassung bezog sich nicht nur auf Teile des Gesellschaftsvermögens, sondern auf das einzige Gesellschaftsvermögen. Sie betraf nicht einen beliebigen Gegenstand, sondern das Grundstück, aus dessen Anlass die GbR gegründet worden und dessen Verwaltung einziger Gesellschaftszweck gewesen war. Mit ihr wurde die Veräußerung des Grundstücks ins Werk gesetzt, die wiederum kraft Gesetzes zur Auflösung der GbR wegen Zweckerreichung führen würde. Ein Auflösungsbeschluss wird aber – wie bereits dargelegt – als zustimmungspflichtig erachtet (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 28.01.2013, 8 W 25/13, NZG 2013, 432 Rn. 12).
34
d) Diese – wie dargelegt – aus § 1071 BGB folgende Pflicht, vor der Stimmabgabe mit „Ja“ in der Gesellschafterversammlung vom 22.11.2017 die Zustimmung des Klägers einzuholen, hat die Beklagte verletzt, indem sie mit „Ja“ abgestimmt hat, obwohl der Kläger seine Zustimmung hierzu nicht erteilt hat.
35
Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass der Kläger seine Zustimmung zur Stimmabgabe mit „Ja“ am 22.11.2017 nicht erteilt hat. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Die Berufung zeigt insoweit keine relevanten Verfahrens- oder Rechtsfehler auf.
36
Diese Pflichtverletzung der Beklagten geschah auch, wie das Landgericht mit Blick auf die Äußerungen des Klägers in der Gesellschafterversammlung vom 22.11.2017 zutreffend festgestellt hat, schuldhaft.
37
3. Die von der Beklagten begangene Pflichtverletzung ist jedoch nicht ursächlich für den dem Kläger entstandenen Schaden.
38
Beim Nießbrauch an Gesellschaftsmitgliedschaften führt § 1071 BGB nicht zu einem Vetorecht des Nießbrauchers gegen ihn beeinträchtigende Beschlüsse, denn er kann nicht mehr Einfluss haben als der Gesellschafter des belasteten Gesellschaftsanteils selbst (MüKo-BGB/Pohlmann, 8. Aufl. 2020, § 1071 Rn. 10; Staudinger/Heinze (2017), Anhang zu §§ 1068, 1069, Rn. 76). Der Nießbraucher hat daher Beschlüsse der Gesellschafter, die ohne seine an sich nach § 1071 BGB erforderliche Zustimmung ergangen sind, hinzunehmen, wenn diese von der Mehrheit der Gesellschafter ohne oder gegen die Stimme des bestellenden Gesellschafters gefasst werden können. Insoweit stehen dem Nießbraucher nicht mehr Rechte zu als dem bestellenden Gesellschafter (OLG München, Beschluss vom 08.08.2016, 31 Wx 204/16, NZG 2016, 1064 Rn. 22). Daher muss festgestellt werden (können), dass die positive Stimmabgabe des Gesellschafters kausal für den Schaden des Nießbrauchers war. War sie das wegen der Mehrheitsverhältnisse nicht, bleibt das Fehlen der Zustimmung rechtsfolgenlos (MüKo-BGB/Pohlmann, 8. Aufl. 2020, § 1071 Rn. 11).
39
So liegt es hier: Die Beschlussfassung am 22.11.2017 zu TOP1 konnte durch Mehrheitsentscheidung erfolgen. Einstimmigkeit war nicht erforderlich, denn die Gesellschafter der GbR haben in der „Satzung“ die Vorschrift des § 709 Abs. 1 BGB – zulässigerweise – abbedungen, indem sie dort zu „Abstimmungen“ vereinbart haben, dass „die Abstimmung nach den Beteiligungsprozentsätzen an der GbR“ erfolgt (§ 8 Ziff. 2 der Satzung, Anlage B 1).
40
Der Beschluss TOP1 vom 22.11.2017 wurde gleichwohl einstimmig gefasst. Auf den (Minderheits-)Anteil der Beklagten – die mit dem Nießbrauch des Klägers belasteten 20% der Gesellschaftsanteile – kam es demnach nicht an, da die beiden Mitgesellschafter, die ebenfalls mit „Ja“ abgestimmt haben, zusammen über 75% der Gesellschaftsanteile und damit über mehr als 50% der Gesellschaftsanteile verfügt haben und daher auch ohne die Beklagte einen Mehrheitsbeschluss herbeiführen konnten.
41
Diesen Beschluss muss der Kläger nunmehr – entschädigungslos – hinnehmen.
III.
42
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO.
43
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgt gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
44
Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.