Inhalt

OLG München, Endurteil v. 08.11.2021 – 17 U 6346/20
Titel:

Schadensersatz, Abtretung, Patent, Schadensersatzanspruch, Berufung, Gesellschafter, Sittenwidrigkeit, Insolvenzverfahren, Gesellschaft, Staatsanwaltschaft, Forderung, Kaufvertrag, Haftung, Anfechtung, Co KG, abgetretene Forderung, Kosten der Rechtsverfolgung

Schlagworte:
Schadensersatz, Abtretung, Patent, Schadensersatzanspruch, Berufung, Gesellschafter, Sittenwidrigkeit, Insolvenzverfahren, Gesellschaft, Staatsanwaltschaft, Forderung, Kaufvertrag, Haftung, Anfechtung, Co KG, abgetretene Forderung, Kosten der Rechtsverfolgung
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 01.10.2020 – 20 O 2660/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 18.04.2023 – II ZR 184/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 61884

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des LG München I vom 01.10.2020 (20 O 2660/19) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 5.002.880,40 nebst 5%-Punkte Zinsen über dem Basiszinssatz aus € 4.911.398,87 seit dem 25.08.2012 und aus weiteren € 91.481,53 seit dem 27.01.2019 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 20% und die Beklagte 80%.
4. Das Urteil ist jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Berufungsrechtsstreits tragen die Klägerin 21% und die Beklagte 79%.
IV. Das in Ziffer I. genannte Urteil des Landgerichts München I und dieses Urteil sind ohne Sicherheitsleistung jeweils vorläufig vollstreckbar. Die Gegenpartei kann die Vollstreckung der Partei jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei jeweils vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf € 6.335.789,09 festgesetzt.

Entscheidungsgründe

A
1
Die Parteien streiten über Ansprüche einer Tochtergesellschaft gegen ihre vormalige Muttergesellschaft, die jetzige Beklagte, aus abgetretenem Recht und aus eigenem Recht der Klägerin.
2
Letztere ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren Gesellschaftszweck die Bündelung und Durchsetzung der Ansprüche der beiden Gesellschafter gegen die Beklagte ist. Die Beklagte ist ein börsennotiertes Unternehmen, das als Beteiligungsgesellschaft Restrukturierungsmaßnahmen durchführt.
3
Noch unmittelbar vor Abschluss des Unterbeteiligungsvertrages mit den Gesellschaftern der Klägerin bzw. dieser selbst (vgl. unten zu Anlage K 53) schüttete die S. GmbH, deren alleinige Gesellschafterin zum damaligen Zeitpunkt bereits die A. GmbH war, mit Gesellschafterbeschlüssen vom 26.03.2008 zum 27.03.2008 € 5,7 Mio. und vom 31.03.2008 zum 03.04.2008 € 1 Mio. Bruttodividenden, Letztere aus der Kapitalrücklage der S. GmbH, an die A. GmbH aus, ohne dass die Gesellschafter der Klägerin vor Abschluss nachfolgend beschriebener Unterbeteiligungsverträge (Anlage K 53) hiervon erfuhren.
4
Jedenfalls spätestens im Jahre 2009 hatte die A. GmbH, als Tochtergesellschaft der Rechtsvorgängerin der Beklagten (künftig: Beklagte), die S. GmbH gekauft und in der Folge saniert. Dabei bestanden auch Unterbeteiligungsverträge mit den Gesellschaftern der Klägerin (Anlage K 53).
5
Die A. GmbH wurde am 19.07.2012 in die A. GmbH & Co KG (künftig: KG; persönlich haftende Gesellschafterin: A. E. D. GmbH) als 100%-iges Tochterunternehmen der Beklagten formumgewandelt. Am 27.07.2012 verkaufte die KG aus ihrem Bestand die S. GmbH für 72 Millionen Euro an die italienische … S.p.a. Für diesen Fall sahen die Unterbeteiligungsverträge eine Beteiligung der Klägerin am Erlös in Höhe von 5% (Anlage K 53) bzw. für den Gesellschafter der Klägerin … mit weiterem Unterbeteiligungsvertrag von 2009 weitere 2% vor, deren Auszahlung jedoch nicht erfolgte. Der gesamte Verkaufspreis floss der Beklagten als Vorabgewinnausschüttung (in Höhe von € 72 Mio.) zu bzw. wurde an weitere Unterbeteiligte (in Höhe von € 10.792.600,04) ausgeschüttet. Zu diesem Zeitpunkt und bis September 2012 waren die Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der KG als solche im Amt und in Personalunion gleichzeitig Mitglieder der Rechtsabteilung der Beklagten.
6
Kurz nach dem Verkauf wurde die KG in die … C. GmbH & Co KG (künftig weiterhin: KG) umfirmiert, wobei die persönlich haftende Gesellschafterin in … Verwaltungs GmbH (künftig: … GmbH) umbenannt wurde (ebenfalls eine 100%-ige Tochter der Beklagten).
7
Bilanztechnisch findet sich in der (Konzernabschluss-) Bilanz der Beklagten, dass diese in der Bilanz der KG bis Ende 2014 Eigenkapital in einer Größenordnung von ca. € 3 Mio. belassen hatte (die Beklagte behauptet € 3.039.591,00).
8
Die KG wurde schließlich von den Gesellschaftern der Klägerin ab 15.09.2014 vor dem Landgericht München I im Verfahren mit dem Aktenzeichen 12 O 6238/14 auf die obige Erlösbeteiligung in Anspruch genommen. Während des Verfahrens wurde sie am 06.08.2015 durch Ausscheiden der Beklagten als einziger Kommanditistin (vgl. Anlage K 12, Seite 3) aufgelöst, weshalb die persönlich haftende Gesellschafterin, die PD GmbH, als einzig verbleibende Gesellschafterin in die Beklagtenposition rückte.
9
Im Oktober 2015 begründete die … GmbH einen Geschäftssitz in London/Großbritannien. Am 11.12.2015 verurteilte das Landgericht die … GmbH auf Zahlung an die Gesellschafter der Klägerin in Höhe von € 3.508.142,56 und € 1.403.256,82 jeweils nebst Zinsen. Auf Anlage K 12 wird verwiesen.
10
Ferner fielen aus diesem Vorprozess erstinstanzlich für die Gesellschafter der Klägerin von der … GmbH zu ersetzende Kosten in Höhe von € 55.842,50 (Gerichtskosten) und € 35.639,03 (außergerichtliche Kosten) an (siehe Anlage K 42).
11
Gegen das Urteil legte die … GmbH Berufung ein. Im Berufungsverfahren veräußerte die Beklagte spätestens am 11.01.2016 ihre Anteile an der … GmbH an eine M. Holding GmbH künftig: M.), bei der die Gesellschafter der Klägerin im April 2016 nicht vollstrecken konnten. Am 19.07.2016 wies das Oberlandesgericht München gemäß § 522 Abs. 2 ZPO darauf hin, dass die Berufung der … GmbH keine Aussicht auf Erfolg habe (vgl. Anlage K 13a). Die M. beschloss als Alleingesellschafter am 22.07.2016 hinsichtlich der … GmbH die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach britischem Recht, dem der High Court of Justice am 12.08.2016 die sog. „Confirmation“ erteilte. Zum Joint Liquidator wurde Herr … (künftig: Joint Liquidator) ernannt. Darauf stellte das OLG München mit Zwischenurteil vom 22.02.2017 fest, dass der Rechtsstreit der Gesellschafter der Klägerin gegen die … GmbH unterbrochen sei (vgl. Anlage K 20).
12
Der Joint Liquidator gab unter dem 14.11.2017 per E-Mail gegenüber dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Erklärung entsprechend Anlage K 35 ab, auf die verwiesen wird. Eine weitere Erklärung übersandte er unter dem 06.08.2019 (Anlage K 43a), auf die ebenfalls verwiesen wird.
13
Zwischenzeitlich ist das englische Insolvenzverfahren beendet und die … GmbH mit Wirkung zum 31.03.2020 aufgelöst. Im Handelsregister ist sie zwischenzeitlich ebenfalls gelöscht.
14
Die Gesellschafter der Klägerin erwirkten am 24.08.2016 vor dem Amtsgericht München im Zwangsvollstreckungsverfahren mit dem Aktenzeichen 1552 M 46299/16 gegen die hiesige Beklagte als einstige Muttergesellschaft der KG und der … GmbH und Drittschuldnerin einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss über folgende Ansprüche: „Sämtliche Schadensersatz- und/oder Erstattungs- und/oder Bereicherungsansprüche aus der Erlösabführung aus dem Beteiligungsverkauf der Firma S. GmbH mit Sitz in B. an die italienische … Gruppe im Juli 2012 aus dem Vermögen der A. GmbH & Co KG (Amtsgericht München HRA 99345) (nach Umwandlungen jetzt: … Verwaltungs GmbH HRB 196706)“. Diesbezüglich wird auf die Anlage K 16 verwiesen.
15
Nach vorläufiger Einstellung der Zwangsvollstreckung hieraus mit Beschluss des AG – Vollstreckungsgericht – München vom 15.09.2016 (vgl. Anlage B 3) nahm die Klägerin mit Schriftsatz vom 08.01.2019 den Antrag auf Erlass dieses Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zurück (vgl. Anlage B 4).
16
Eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft München I gegen die Beklagte wurde nach § 152 Abs. 2 StPO eingestellt.
17
Die Klägerin behauptet bereits erstinstanzlich, die Verantwortlichen der Beklagten hätten gegenüber der KG einen existenzvernichtenden Eingriff durch Abzug aller Aktiva (insbesondere gesamter Erlös aus dem Verkauf der S. GmbH) zugunsten der Beklagten zum 27.07.2012 veranlasst und dadurch die KG und die Gesellschafter der Klägerin in Kenntnis von deren Gewinnbeteiligung, zu bezahlen durch die KG, sittenwidrig geschädigt.
18
Sie trägt weiter vor, dass während des obigen Berufungsverfahrens gegen die … GmbH die Beklagte eine klassische Firmenbestattung ihrer Tochtergesellschaft in England eingeleitet habe. So sei die Niederlassung für die … GmbH in London eingetragen worden, ohne die bilanziell notwendigen Rückstellungen für die Verbindlichkeiten des Landgerichtsprozesses einzustellen.
19
Die Klägerin behauptet erstinstanzlich weiter, dass 2017 der Joint Liquidator die klägerischen Ansprüche anerkannt und diese Ansprüche zusammen mit anderen an die Klägerin abgetreten habe (Anlage K 35). Es handele sich dabei um die Ansprüche der … GmbH gegen ihre (frühere) Muttergesellschaft, die Beklagte, gemäß dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 24.08.2016 im Verfahren mit dem Aktenzeichen 1552 M 46299/16.
20
Hilfsweise behauptet die Klägerin, dass ihr Prozessbevollmächtigter ihr am 06.04.20 die streitgegenständlichen Ansprüche mit Wirkung zum 08.08.2019 abgetreten habe (Bl. 189 d. A.), wobei der Gesellschafter … die Abtretung angenommen habe.
21
Die Klägerin behauptet weiter, dass dem Joint Liquidator zugleich eine Erfolgsprovision von 20% zugestanden worden sei. Hierauf habe sie € 1.271.736,38 verauslagt.
22
Sie ist der Auffassung, dass die Beklagte die Vollstreckung der klägerischen Ansprüche behindert habe. Die Beklagte hafte gegenüber ihrer einstmaligen Tochtergesellschaft, der … GmbH, wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs aus § 826 BGB.
23
Sie ist weiter der Ansicht, dass der Klägerin aus abgetretenem Recht wegen des Verkaufs der S. GmbH Schadensersatzansprüche und/oder Erstattungsansprüche und/oder Bereicherungsansprüche der PD GmbH gegen die Beklagte aus der Erlösabführung zustünden.
24
Darüber hinaus seien diese Ansprüche auch nicht teilweise verjährt, da der Mahnantrag vom 31.12.2018 insoweit hemmend wirke.
25
Die Klägerin hat am 31.12.2018 einen Mahnantrag gestellt, der zum Erlass eines Mahnbescheides am 23.01.2019 führte, der am 26.01.2019 der Beklagten zugestellt wurde. Hiergegen hat die Beklagte am 01.02.2019 Widerspruch eingelegt. Der Anspruch wurde am 28.03.2019 begründet.
26
Die Beklagte ist schon erstinstanzlich der Ansicht, dass die Klage bereits unzulässig sei. Die Klägerin sei nicht prozessführungsbefugt, weil die Voraussetzungen für eine gewillkürte Prozessstandschaft nicht vorlägen. Der Joint Liquidator habe nämlich die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, nicht aber die Klägerin selbst, bevollmächtigt.
27
Im Übrigen läge auch keine Aktivlegitimation der Klägerin vor, weil die behaupteten Ansprüche der … GmbH nicht wirksam an die Klägerin abgetreten worden seien.
28
Bei der Vorabgewinnausschüttung seien selbst nach dem Vortrag der Klägerin über € 3,0 Mio. in der KG belassen worden.
29
Die Beklagte sei von einer wirksamen Kündigung der Unterbeteiligungsverträge mit der Klägerin bzw. dem Klägergesellschafter … ausgegangen, sodass sie diesen keine Zahlungen mehr zu leisten gehabt hätte.
30
Die Beklagte ist darüber hinaus der Auffassung, dass etwaige Rückstellungen bei der … GmbH nicht erforderlich gewesen seien, weil die Unterbeteiligungsverträge wegen fehlender Sanierungsbeiträge der Gesellschafter der Klägerin berechtigt gekündigt worden seien, da das von Herrn Dr. … eingebrachte Patent ungeeignet und die Übernahme der Geschäftsführung der S. GmbH durch Herrn … wegen Ermittlungen illegaler Preisabsprachen in dem Unternehmen, in dem er zuvor Geschäftsführer gewesen sei, nicht möglich gewesen seien. Daher sei die … GmbH davon ausgegangen, dass keine Verbindlichkeiten der Gesellschaft bestünden. Auch im Jahr 2015 seien Rückstellungen im Prozess noch nicht notwendig gewesen, weil zu diesem Zeitpunkt eine Inanspruchnahme der … GmbH nicht zu mehr als 50% wahrscheinlich gewesen sei. Das Landgericht selbst habe auch zunächst nur einen Vergleichsvorschlag von 1/3 unterbreitet. Nach dem Landgerichtsurteil habe die beauftragte Rechtsanwaltskanzlei … in einem Rechtsgutachten mehrere Rechtsfehler des Urteils aufgedeckt, so dass gute Erfolgsaussichten in der Berufung bestanden hätten. Der Beklagten sei daher letztlich erst nach dem Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts vom 19.07.2016 klar gewesen, dass der Rechtsstreit wohl verloren gehen würde. Zu diesem Zeitpunkt sei die … GmbH aber bereits an die Firma M. GmbH verkauft gewesen und habe nicht mehr unter der Kontrolle der Beklagten gestanden.
31
Die Beklagte ist schließlich der Ansicht, dass Ansprüche aus der Vorabgewinnausschüttung im Jahr 2012 – auch im Hinblick auf den klägerseits behaupteten existenzvernichtenden Eingriff i. S. v. § 826 BGB – ohnehin verjährt seien. Wenn schon nicht auf die Kenntnis der Geschäftsführer der … GmbH zum Zeitpunkt des Verkaufs der S. GmbH abzustellen sei, so doch zumindest auf die Kenntnis der Geschäftsführernachfolger, die im September 2012 bestellt worden seien. Dies gelte auch für Ansprüche aus einer etwaigen Pflichtverletzung wegen einer fehlenden Rückstellung. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts München sei unwirksam und/oder unbestimmt und damit nichtig.
32
Mit Endurteil vom 01.10.2020 hat das LG München I die Klage abgewiesen.
33
Mit Schriftsatz vom 22.06.2021, beim OLG München eingegangen am gleichen Tag, erweiterte die Klägerin ihre Klage um weitere € 61.172,31 [Kosten des für erledigt erklärten Berufungsrechtsstreits 20 U 67/16 des OLG München: vgl. Anlage K 68 nach Bl. 466 d. A.] nebst Zinsen (vgl. Schriftsatz vom 22.06.2021, Seite 2 = Bl. 464 d. A.).
34
Ihre Ansprüche würden vorrangig aus existenzvernichtendem Eingriff aus abgetretenem Recht, hilfsweise aus abgetretenem Anspruch der KG/… GmbH wegen Treupflichtverletzung, weiter hilfsweise aus Anfechtung nach § 11 Abs. 1 Satz, § 3 Abs. 1 AnfG sowie schließlich aus eigenem Recht nach § 852 Satz 1 BGB geltend gemacht.
35
Sodann wurde mit Verfügung vom 24.06.2021 die Zustellung angeordnet (Bl. 462 d. A.) und per besonderem elektronischem Anwaltspostfach ausgeführt. Am 13.08.2021 wurde das Empfangsbekenntnis beim Beklagtenvertreter telefonisch angemahnt. Bis heute kam es nicht in Rücklauf. Im Schriftsatz der Beklagtenseite vom 03.08.2021 (Bl. 490/491 d. A.) nimmt der Beklagtenvertreter auf den klägerischen Schriftsatz vom 22.06.2021 Bezug.
36
Die Klägerin beantragt jetzt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 1. Oktober 2020, Az. 20 O 2660/19, die Beklagte – aus abgetretenem Recht – zu verurteilen, an die Klägerin EUR 7.691.590,61 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Dezember 2018 und EUR 38.177,46 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
37
Hilfsweise beantragt sie,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 1. Oktober 2020, Az. 20 O 2660/19, die Beklagte – aus eigenem Recht – zu verurteilen, an die Klägerin EUR 7.630.418,30 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit des Hilfsantrags zu zahlen.
38
Die Beklagte beantragt,
Die Berufung wird zurückgewiesen.
39
Ansprüche aus existenzvernichtendem Eingriff seien zugunsten einer GmbH & Co KG, also auch zugunsten der hiesigen KG, nicht möglich. Dies gelte auch für deren persönlich haftende Gesellschafterin, hier die … GmbH, die mit keinem nennenswerten eigenen Gesellschaftsanteil an der KG beteiligt gewesen sei.
40
Die Verurteilung der … GmbH sei erstinstanzlich aus ganz anderem Grund erfolgt als hinsichtlich der Unterbeteiligung der Gesellschafter der Klägerin (Bl. 409).
41
Eine Anfechtung nach Anfechtungsgesetz scheitere an der fehlenden Existenz der … GmbH im Hinblick auf § 14 AnfG, für Deckungshandlungen gelte eine Frist von 4 Jahren nach § 3 Abs. 2 AnfG, die abgelaufen sei, im Übrigen liege eine kongruente Deckung vor.
42
Die in der Bilanz der KG zum Jahresschluss 2012 verbuchten € 3.039.591,00 seien tatsächlich auch vorhanden gewesen, und zwar auch noch im März 2015.
43
Hinsichtlich des Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
44
Mit Beschluss des Senats vom 16.08.2021 wurde der Beklagten nachgelassen, auf das neue Vorbringen der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 10.08.2021 bis 20.09.2021 zu erwidern. Am 20.09.2021 ging ein solcher der Beklagten bei Gericht ein, auf den verwiesen wird (Bl. 534/551 d. A.).
45
Auch Schriftsätze der Klägerin gingen am 20.09.2021 und am 13.10.2021 bei Gericht ein, ohne dass dieser Schriftsatzfrist gewährt worden wäre. Auf diese wird ebenfalls verwiesen.
46
Am 26.10.2021 ging seitens der Beklagten ein weiterer Schriftsatz (außerhalb der gewährten Schriftsatzfrist) ein, auf den ebenfalls verwiesen wird.
B
47
Die zulässige Berufung der Klägerin (§§ 511, 517, 520 ZPO) hat überwiegend Erfolg (§ 826 BGB), die Klägerin hat einen Schadensersatzanspruch in Höhe von € 4.911.398,87 aus abgetretenem Recht des englischen Joint Liquidators (§ 398 Satz 1 BGB) und in Höhe von weiteren € 91.481,53 aus eigenem Recht jeweils nebst Zinsen (§ 826 BGB):
I.
48
Die Klägerin ist aktivlegitimiert (§ 398 Satz 1 BGB; Anlagen K 35 und K 43a). Zu problematisieren ist dies ohnehin nur für die Schadenspositionen € 3.508.142,05 und € 1.403.256,82 nebst Zinsen (die von der KG nach Ansicht der Klägerin abgezogenen Gelder), denn bei den übrigen Schadenspositionen handelt es sich um eigene Kosten der Rechtsverfolgung für die Klägerin, wegen der die KG (und später die … GmbH) nicht durch den existenzvernichtenden Eingriff geschädigt worden sein können, weshalb dementsprechend auch die Anträge der Klägerin auszulegen sind:
49
1. Auf die Abtretung der Ansprüche der … GmbH an die Klägerin ist deutsches Recht anzuwenden (Art. 14 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht; Rom I; künftig: VOEG 593/08).
50
a) Am 14.11.2017 (vgl. Anlage K 35) galt die VOEG 593/08 auch für das Gebiet Großbritanniens (Art. 1 Abs. 4 VOEG 593/08; vgl. Münchener Kommentar-Martiny, 8. Auflage, Art. 1 Rom I-VO Randziffer 83) bis zum Vollzug des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union im Jahr 2021.
51
b) Das anzuwendende dingliche und schuldrechtliche (vgl. Münchener Kommentar-Martiny, 8. Auflage, Art. 14 Rom I-VO Randziffer 21) Recht für die Abtretung richtet sich nach Art. 14 Abs. 1 VOEG 593/08, also dem Recht, das zwischen Zedent und Zessionar anzuwenden ist. Eine ausdrückliche Rechtswahl (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 VOEG 593/08) haben die Klägerin, ihr Prozessbevollmächtigter und der Joint Liquidator nicht getroffen. Aus Art. 4 Abs. 1 VOEG 593/88 ergibt sich nichts anderes. Nach Art. 4 Abs. 2 VOEG 593/08 wäre englisches Recht anzuwenden, da die charakteristische Leistung (Übertragung der Forderung) durch den Joint Liquidator zu erbringen war. Da sich aber alles Weitere (Aktivlegitimation im Prozess, Schadensersatzforderung) nach deutschem Recht richtet und in Deutschland abspielt, liegt zum deutschen Staat die offensichtlich wesentlich engere Verbindung vor, weshalb auf die Abtretung deutsches Recht anzuwenden ist (Art. 4 Abs. 3 VOEG 593/08).
52
2. Die Bezeichnung der Forderung ist wirksam, da bestimmt genug:
53
a) Diese Frage ist nach deutschem Recht zu entscheiden (Art. 10 Abs. 1 VOEG 593/08).
54
b) Eine Abtretung ist nur wirksam, wenn die Forderung, die Gegenstand der Abtretung ist, bestimmt oder wenigstens bestimmbar ist. Dieses Erfordernis ergibt sich aus der Rechtsnatur der Abtretung, die ein dingliches Rechtsgeschäft ist. Die Abtretung bewirkt, dass das Gläubigerrecht an einer Forderung von dem bisherigen Gläubiger auf eine andere Person als neuen Gläubiger übergeht (§ 398 BGB). Wie ein Gläubigerrecht nur an einer bestimmten oder mindestens bestimmbaren Forderung bestehen kann, so kann auch nur das Gläubigerrecht an einer bestimmten oder bestimmbaren Forderung Gegenstand der Abtretung sein. An dem Erfordernis der Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit fehlt es, wenn von mehreren selbständigen Forderungen ein Teil abgetreten wird, ohne dass erkennbar ist, von welcher oder von welchen Forderungen ein Teil abgetreten werden soll (BGH, Urteil vom 11.05.2017, IX ZR 238/15, NJW 2017, 3373, 3375, Randziffer 25). Der Bestimmtheitsgrundsatz verbietet, aus der Gesamtsumme mehrerer Forderungen nur einen summenmäßig bestimmten Teil abzutreten, wenn vor diesem Hintergrund ungeklärt bleibt, welche Einzelforderungen von der Abtretung betroffen sind, und nicht erkennbar ist, auf welchen Teil der Forderungen der Zedentin sich die Abtretung bezieht (BGH, Urteil vom 11.05.2017, IX ZR 238/15, NJW 2017, 3373, 3375, Randziffer 28). Verknüpft die Abtretungsvereinbarung den Umfang der Forderungsabtretung mit der zu sichernden Forderung, indem sie die Abtretung auf die fortlaufenden Forderungen der Klägerin begrenzt, wird dadurch die Höhe der Abtretung ungewiss und lässt sich aus der Abtretungsvereinbarung allein weder ersehen noch errechnen, wie hoch die Forderung der Zessionarin gegen die Zedentin ist, sondern lässt sich nur mit Hilfe sonstiger Unterlagen jeweils für den maßgeblichen Stichtag feststellen. Insoweit ist die abgetretene Forderung ihrer Höhe nach lediglich zwischen den Parteien des Abtretungsvertrags bestimmbar. Die Wirkungen eines solchen Abtretungsvertrags erstrecken sich jedoch notwendig auf den Schuldner der abgetretenen Forderung. Es kann deswegen nicht genügen, dass sich aufgrund des Vertrags nur im Verhältnis zwischen Zedenten und Abtretungsempfänger ermitteln lässt, wer von ihnen wie viel vom Schuldner fordern kann. Vielmehr muss auch der Schuldner, mindestens in gewissen Grenzen, aus dem Abtretungsvertrag oder sonstigen ihm erkennbaren Umständen entnehmen können, wie eine nur teilweise abgetretene Forderung sich auf den Zedenten und Abtretungsempfänger aufteilt und wie viel er deshalb an jeden von beiden zu leisten hat (BGH, Urteil vom 11.05.2017, IX ZR 238/15, NJW 2017, 3373, 3375, Randziffer 30).
55
c) Der Schuldner, die Beklagte, kann ohne Weiteres erkennen, welche Forderung(en) gemeint ist/sind. Es geht um die Ansprüche gegen die Beklagte, es geht um sämtliche Ansprüche der … GmbH, was sich schon aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 24.08.2016 (Anlage K 16) ergibt, die aus der Erlösabführung aus dem Beteiligungsverkauf der Firma S. GmbH stammen, wobei im Hinblick auf die Zitierung der §§ 30, 31 GmbHG auch klar ist, dass diesbezüglich der mehr oder weniger vollständige Entzug der liquiden Mittel der … GmbH durch die Beklagte gemeint ist. Dies wird in der Urkunde Anlage K 35 erweitert auf sämtliche im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht genannte Ansprüche. Da die Beklagte zur Zeit des Rechtsstreits der Gesellschafter der Klägerin gegen die … GmbH in erster Instanz bis Ende 2015 die Gesellschaftsanteile zu 100% hielt, ist nicht ersichtlich, inwiefern ihr nicht bekannt gewesen sein sollte, welche Ansprüche gemeint sind. Die Bestimmtheit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses kann daher hier dahinstehen, die Urkunde Anlage K 35 gibt jedenfalls die gemeinte Forderung aus der Sicht der Beklagten eindeutig wieder.
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3. Die Forderung wurde bereits durch die Anlage K 35 uneingeschränkt an die Klägerin bzw. deren Gesellschafter abgetreten, und diese nicht nur zum Einzug ermächtigt:
57
a) Zu den anerkannten Grundsätzen der Vertragsauslegung gehören insbesondere die Maßgeblichkeit des Wortlautes als Ausgangspunkt jeder Auslegung, die Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragspartner im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGH, Urteil vom 27.06.2001, VIII ZR 235/00, WM 2001, 1863, 1864, Ziffer II 1) sowie des mit der Absprache verfolgten Zwecks (BGH, Urteil vom 15.10.2014, XII ZR 111/12, WM 2014, 2280, 2283, Randziffer 48), wobei beim Wortlaut der diesem zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen ist (BGH, Urteil vom 13.02.2002, III ZR 166/01, WM 2002, 1458, 1459; Urteil vom 22.01.2015, VII ZR 353/12, Randziffer 21; s.a. Urteil vom 28.07.2015, XI ZR 434/14, WM 2015, 1704, 1706, Randziffer 18; Urteil vom 21.11.2018, I ZR 10/18, WM 2019, 1367, 1368, Randziffer 16), und bei der Auslegung die (vollständige Würdigung der: BGH, Urteil vom 18.02.2020, KZR 6/17, Randziffer 30) Gesamtumstände und der mit der Vereinbarung verfolgte Zweck (BGH, Urteil vom 06.12.2017, VIII ZR 219/16, WM 2018, 1811, 1814, Randziffer 30) sowie die beiderseitigen Interessen gebührend zu beachten sind (BGH, Urteil vom 26.10.2009, II ZR 222/08, WM 2009, 2321, 2322, Randziffer 18; Urteil vom 22.01.2015, VII ZR 353/12, NJW-RR 2015, 398, 399, Randziffer 21). Auszugehen ist weiter davon, dass die Parteien im Zweifel dasjenige wollen, was gesetzeskonform und nach den Maßstäben der Rechtsordnung zu einer vernünftig und sachgerechten Regelung führt (BGH, Urteil vom 02.10.2015, V ZR 307/13, WM 2016, 525, 527, Randziffer 14). Eine Vertragsauslegung kann dann zwar auch zu einem vom Wortlaut abweichenden Ergebnis gelangen. Dies gilt aber nur, wenn sich ein dies rechtfertigender übereinstimmender Wille der Vertragspartner feststellen lässt (§ 133 BGB), wobei unter beiderseits interessengerechter Auslegung auf die bei den Parteien jeweils bestehende Willensrichtung abzustellen ist (BGH, Urteil vom 03.12.2001, II ZR 372/99, WM 2002, 332, 334, Ziffer II 2), oder wenn Begleitumstände nahelegen, dass der Erklärende mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht (BGH, Urteil vom 15.10.2014, XII ZR 111/12, WM 2014, 2280, 2283, Randziffer 48; s.a. Urteil vom 31.03.2016, III ZR 70/15, NJW 2016, 2656, 2659, Randziffer 26). Bei der Auslegung von Verträgen kann auch das nachträgliche Verhalten der Vertragsparteien zu berücksichtigen sein. Dieses kann zwar den objektiven Vertragsinhalt nicht mehr beeinflussen, aber Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlichen Willens und das tatsächliche Verständnis der Vertragsparteien haben (BGH, Urteil vom 27.03.2013, I ZR 9/12, GRUR 2013, 1213, 1217, Randziffer 46; s.a. Urteil vom 17.12.2015, IX ZR 61/14, WM 2016, 172, 177, Randziffer 46). Nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen hat der Tatrichter bei seiner Willenserforschung insbesondere den mit der Absprache verfolgten Zweck und die Interessenlage der Parteien zu berücksichtigen, ferner die sonstigen Begleitumstände, die den Sinngehalt der gewechselten Erklärungen erhellen können (BGH, Urteil vom 17.10.2019, III ZR 42/19, WM 2020, 847, 852, Randziffer 50).
58
b) Der Beklagten ist zuzugeben, dass das Wort „authorise“ ermächtigen heißen kann, aber keineswegs muss. Einschlägige Wörterbücher geben auch Übersetzungen mit „befugen“ oder „bestellen“, aber auch mit „billigen“ oder „gutheißen“ an (Quelle: www.leo.org). In diesem Zusammenhang darf nach Ansicht des Senats nicht übersehen werden, dass diese Erklärung des Joint Liquidator Bezug nimmt auf den damals noch bestehenden Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 24.08.2016 (Anlage K 16), dessen Vollstreckung nur vorläufig eingestellt war (Anlage B 3). Die Gesellschafter der Klägerin und der Joint Liquidator waren daher ganz offensichtlich bestrebt, diese unsichere Lage zu klären, wobei den Gesellschaftern der Klägerin offensichtlich die Geltendmachung ermöglicht werden sollte. Ferner hat der Joint Liquidator, wenn auch erst mit Erklärung vom 06.08.2019 (Anlage K 43a) deklaratorisch klargestellt, dass es in der Erklärung vom 14.11.2017 (Anlage K 35) um die Vollübertragung der Rechte an die Gesellschafter der Klägerin gegangen sei. Aus diesem Zusammenhang heraus hat der Senat keine Zweifel, dass bereits im August 2017 das Vollrecht der hier geltend gemachten Ansprüche der … GmbH gegen die Beklagte an die Gesellschafter der Klägerin (und nicht an deren Prozessbevollmächtigten) übertragen werden sollte.
59
Der Beklagten hilft ein Berufen auf den klägerischen Schriftsatz vom 02.06.2020, und dort Seiten 1/2 (= Bl. 187/188 d. A.) nicht weiter: Denn der Klägervertreter führt dort lediglich aus, dass mit dem Wortlaut der Erklärung des Joint Liquidators vom 14.11.2017 (Anlage K 35) eine Ermächtigung des Klägervertreters ausgesprochen wurde, jedoch nicht gemeint gewesen sei, wie sich sodann aus der weiteren Erklärung vom 06.08.2019 (Anlage K 43a) ergeben habe. Von einem unstrittigen Vortrag im Sinne der Beklagten kann also keine Rede sein. Das gilt auch für die Anspruchsbegründung (dort Seite 36 = Bl. 47 d. A.). Denn dort wird lediglich die Ermächtigung des Klägervertreters vorgetragen, nicht jedoch in wessen Namen er berechtigt ist, die Ansprüche geltend zu machen. Eine (Ermächtigung zur) Anspruchsinhaberschaft in eigenem Namen ergibt sich aus der Anlage K 35 nicht (sie wäre auch wenig sinnvoll), vom Wortlaut her bleibt offen, ob dies eine Ermächtigung zur Geltendmachung für den Joint Liquidator, die Klägerin oder deren Gesellschafter darstellen soll. Betrachtet man in diesem Zusammenhang jedoch auch den in Bezug genommenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 24.08.2016 (Anlage K 16, dort Seiten 2 und 6), dann wird klar, dass es um Ansprüche zumindest des Herrn Dr. … als einem Gesellschafter der Klägerin geht, sodass sich nach Ansicht des Senats bereits daraus die Abtretung zumindest zugunsten des Herrn Dr. … ergibt, da es für eine Beauftragung durch den Joint Liquidator an den Klägervertreter lediglich einer einfachen Prozessvollmacht entsprechend Formular bedurft hätte.
60
Auch die Einwendungen zur Erklärung des Joint Liquidators vom 06.08.2019 ändern am Ergebnis nichts: Dass die Erklärung echt ist, bezweifelt die Beklagte selbst nicht. Damit ist zumindest in der Erklärung selbst eine (zur Sicherheit erneute) Abtretung zu sehen, die wiederum von der Klägerin mit Schriftsatz vom 28.08.2019 (dort Seite 2 = Bl. 97 d. A.) vorgelegt wurde.
61
Soweit man also von einer Abtretung zumindest und allein an Herrn Dr. … ausgeht, hat dieser diese Forderung spätestens mit Klageerhebung in die Klägerin eingebracht und an sie zumindest stillschweigend abgetreten.
62
4. Die mögliche Problematik einer möglicherweise im englischen Recht bestehenden, dem § 92 InsO vergleichbaren Vorschrift hat sich durch die Beendigung des englischen Insolvenzverfahrens zumindest jetzt gelöst und steht einer Aktivlegitimation der Klägerin nicht mehr (möglicherweise) im Weg. Zumindest fehlt es diesbezüglich an entgegenstehendem Vortrag der Parteien, wofür auch nichts ersichtlich ist.
63
5. Die Forderungsinhaberschaft der Klägerin (soweit man diese im konkreten Fall überhaupt als selbständig parteifähig ansieht) ergibt sich im Fall einer Abtretung der Joint Liquidators lediglich an die Gesellschafter der Klägerin daraus, dass die Existenz der Klägerin allein der Geltendmachung dieser Ansprüche gegen die Beklagte dient, woraus sich zumindest die stillschweigende (Weiter-) Abtretung an die Klägerin durch deren Gesellschafter ergibt.
II.
64
Die (gesetzlichen Vertreter der) Beklagte(n) hat (haben) die KG sowie die … GmbH bewusst sittenwidrig geschädigt (§ 826 BGB):
65
1. Die Haftung wegen Existenzvernichtung begründet einen originären Anspruch der … GmbH gegen einen Gesellschafter, der seine Grundlage in § 826 BGB findet. Eine Existenzvernichtung liegt vor, wenn der Gesellschafter auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens keine angemessene Rücksicht nimmt, indem er der Gesellschaft durch offene oder verdeckte Entnahmen ohne angemessenen Ausgleich Vermögenswerte entzieht, die sie zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigt, und sie dadurch in die Insolvenz führt oder eine bereits bestehende Insolvenz vertieft. Der existenzvernichtende Eingriff ist sittenwidrig, weil die Gesellschaft dadurch um Vermögen gebracht wird, das sie zur vorrangigen Befriedigung ihrer Gläubiger benötigt. Als Haftende kommen neben dem unmittelbaren Gesellschafter der … GmbH auch mittelbare Gesellschafter (Gesellschafter-Gesellschafter) sowie Mittäter, Anstifter und Gehilfen (§ 830 BGB) in Betracht (BGH, Urteil vom 21.02.2013, IX ZR 52/10, WM 2013, 763, 765f., Randziffer 20). Eine besondere auf die Schädigung der Gesellschaft oder ihrer Gläubiger gerichtete Absicht setzt die Haftung wegen Existenzvernichtung aber nicht voraus. Die Sittenwidrigkeit folgt bereits aus der Erfüllung der objektiven Voraussetzungen. In subjektiver Hinsicht genügt bedingter Vorsatz. Ein solcher liegt vor, wenn dem handelnden Gesellschafter bewusst ist, dass durch von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung veranlasste Maßnahmen das Gesellschaftsvermögen sittenwidrig geschädigt wird; dafür reicht es aus, dass ihm die Tatsachen bewusst sind, die den Eingriff sittenwidrig machen, während ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht erforderlich ist. Eine derartige Sittenwidrigkeit betrifft nicht nur die Fälle, in denen die Vermögensentziehung geschieht, um den Zugriff der Gläubiger auf dieses Vermögen zu verhindern, sondern ist auch dann anzunehmen, wenn die faktische dauerhafte Beeinträchtigung der Erfüllung der Verbindlichkeiten die voraussehbare Folge des Eingriffs ist und der Gesellschafter diese Rechtsfolge in Erkenntnis ihres möglichen Eintritts billigend in Kauf genommen hat (BGH, Urteil vom 21.02.2013, IX ZR 52/10, WM 2013, 763, 766, Randziffer 21). Die Übertragung von Vermögen der Schuldnerin auf eine von ihrem Alleingesellschafter beherrschte Schwestergesellschaft kann zur Haftung des Gesellschafters wegen Existenzvernichtung führen, wenn die Übertragung ohne angemessenen Wertausgleich erfolgt (BGH, Urteil vom 21.02.2013, IX ZR 52/10, WM 2013, 763, 766, Randziffer 23).
66
2. Als Rücktritts- bzw. Kündigungsgründe für den Unterbeteiligungsvertrag und damit für die Gewinnbeteiligung aus der Unterbeteiligung der Klägerin an der S. GmbH trägt die Beklagte lediglich Ungeeignetheit des eingebrachten Patents des Herrn Dr. … und Nichtübernahme der Geschäftsführertätigkeit bei der S. GmbH durch Herrn … vor. Eine Garantie für die Geeignetheit des Patents hatte Herr Dr. … im Unterbeteiligungsvertrag (Anlage K 53) jedoch nicht übernommen und die Nichtübernahme der Geschäftsführertätigkeit beruht auf einer Anzeige eines Dritten wegen Preisabsprachen des Unternehmens, deren Geschäftsführer Herr … zuvor war. Dass Letzterer diesbezüglich schuldhaft gehandelt hätte, behauptet die Beklagte selbst nicht. Damit war zur Überzeugung des Senats auch für einen Nichtjuristen und damit auch die Geschäftsführer/Mitglieder des Leitungsorgans/geschäftsführende Direktoren der persönlich haftenden Gesellschafterin der Beklagten von vorneherein klar, dass die Wirksamkeit einer Kündigung der Unterbeteiligung der Gesellschafter der Klägerin höchst unsicher war und man sich auf deren Wirksamkeit bis zum Hinweis des OLG München nach § 522 Abs. 2 ZPO am 19.07.2016 im Verfahren 20 U 67/16 keineswegs verlassen konnte (und die Gesellschafter der Klägerin zwingend an der Kapitalerhöhung bei der S. GmbH zu beteiligen gewesen wären). Wenn dann aber, und an der entsprechenden Kenntnis der Verantwortlichen bei der Beklagten zum damaligen Zeitpunkt hat der Senat keine Zweifel, die Umsätze ohne Berücksichtigung der Gesellschafter der Klägerin komplett über die A. I. GmbH & Co KG, also die Rechtsvorgängerin der KG, an die Beklagte verlagert werden, nehmen damit die Verantwortlichen sowohl bei der A. I. GmbH & Co KG als auch bei der Beklagten zumindest billigend in Kauf, dass die Gesellschafter der Klägerin dadurch geschädigt werden, weil sie ihre Ansprüche gegen die A. I. GmbH & Co KG nicht mehr realisieren können.
67
3. Dieses Verhalten der gesetzlichen Vertreter (= Geschäftsführer zunächst der Fa. A. I. GmbH, dann der Komplementärin A. E. D. GmbH) der A. I. GmbH & Co KG wie auch der Beklagten war jeweils sittenwidrig:
68
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 28.06.2016, VI ZR 536/15, WM 2016, 1975, 1977, Randziffer 16; Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, WM 2020, 1078, 1079, Randziffer 15; Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798, 2802, Randziffer 29; Urteil vom 12.03.2020, VII 236/19, WM 2020, 987, 989, Randziffer 24; Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, Randziffer 14; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, Randziffer 12 – nach juris; Urteil vom 08.03.2021, VI ZR 505/19, WM 2021, 751, 753, Randziffer 17; Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, WM 2021, 1609, 1610, Randziffer 11; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 192/20, WM 2021, 2056, 2057, Randziffer 20; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Randziffer 13; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, WM 2021, 2108, 2109, Randziffer 13; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 321/20, Randziffer 13; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 322/20, Randziffer 13). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht oder einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Auch hier müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28.06.2016, VI ZR 536/15, WM 2016, 1975, 1977, Randziffer 16; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, Randziffer 12 – nach juris; s.a. BGH, Urteil vom 19.10.2010, VI ZR 124/09, WM 2010, 2256, 2257, Randziffer 12; Urteil vom 20.11.2012, VI ZR 268/11, WM 2012, 2377, 2379, Randziffer 25; Urteil vom 04.06.2013, VI ZR 288/12, WM 2013, 1310, 1312, Randziffer 14; Urteil vom 19.11.2013, VI ZR 336/12, WM 2014, 17, 18, Randziffer 9; Urteil vom 03.12.2013, XI ZR 295/12, WM 2014, 71, 72f., Randziffer 23; Urteil vom 20.07.2017, IX ZR 310/14, WM 2017, 1559, 1560, Randziffer 16; Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, WM 2020, 1078, 1079, Randziffer 15; Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798, 2802, Randziffer 29; Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, WM 2021, 354, 356, Randziffer 14; Urteil vom 08.03.2021, VI ZR 505/19, WM 2021, 751, 753, Randziffer 17). Bei mittelbaren Schädigungen kommt es darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 07.05.2019, VI ZR 512/17, WM 2019, 1262, 1263, Randziffer 8; Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798, 2802, Randziffer 29; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, WM 2021, 652, 653, Randziffer 12; Urteil vom 08.03.2021, VI ZR 505/19, WM 2021, 751, 753, Randziffer 17; s.a. Urteil vom 12.03.2020, VII 236/19, WM 2020, 987, 990, Randziffer 36 für unrichtiges Testat Lagebericht; Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, WM 2021, 354, 356, Randziffer 14). Da für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln ist, ist ihr das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat. Zu kurz greift es daher, in solchen Fällen entweder nur auf den Zeitpunkt der Tathandlung bzw. der Tat oder nur auf den des Schadenseintritts abzustellen (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798, 2802, Randziffer 30; s.a. Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, WM 2021, 50, 51, Randziffer 12; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, WM 2021, 652, 654, Randziffer 13). Es verbietet sich lediglich, im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten aus der ex post-Perspektive zu bewerten, es also – unter Zugrundelegung heutiger Anschauungen und Verhältnisse – rückwirkend als sittenwidrig einzustufen. Geht es um die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts gemäß § 138 Abs. 1 BGB, so sind die Verhältnisse im Zeitpunkt seiner Vornahme bzw. des Vertragsschlusses maßgeblich, während es auf die spätere Entwicklung für die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts nicht ankommt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein vertragliches Schuldverhältnis in aller Regel bereits mit dem Vertragsschluss, so er denn wirksam ist, begründet wird. Im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB wird das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten (der unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls in einem Vertragsabschluss liegen kann) begründet, weil der haftungsbegründende Tatbestand des § 826 BGB die Zufügung eines Schadens zwingend voraussetzt. Deshalb kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber nicht mehr als sittenwidrig zu werten sein. Eine solche Verhaltensänderung kann somit bereits der Bewertung seines Gesamtverhaltens als sittenwidrig – gerade in Bezug auf den geltend gemachten, erst später eingetretenen Schaden und gerade im Verhältnis zu dem erst später Geschädigten – entgegenstehen und ist nicht erst im Rahmen der Kausalität abhängig von den Vorstellungen des jeweiligen Geschädigten zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798, 2802, Randziffer 31; s.a. Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, WM 2021, 50, 51, Randziffer 12; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, WM 2021, 652, 654, Randziffer 13).
69
b) Hier fallen folgende Kriterien ins Gewicht. Soweit sie zeitlich nach dem Geldtransfer zur Beklagten liegen, belegen diese zwar nicht eine sittenwidrige Einstellung der Verantwortlichen von A. I. GmbH & Co KG und Beklagter zum damaligen Zeitpunkt, lassen aber Rückschlüsse hierauf zu:
70
Zwar mag die Beklagte über die damalige Fa. A. I. GmbH rechtlich zulässig in der Lage gewesen sein, Gewinnausschüttungen bei der S. GmbH zu veranlassen. Dass sie als verantwortliche Alleingesellschafterin ihrer Tochter Fa. A. I. GmbH und deren alleiniger Tochter S. GmbH dies jedoch vor Abschluss der Unterbeteiligungsverträge mit den Gesellschaftern der Klägerin diesen nicht mitteilen ließ, obwohl dies ganz offensichtlich ein erhebliches wertbestimmendes Kriterium für die Gesellschafter der Klägerin bei Kenntnis gewesen wäre, lässt schon eindeutige Rückschlüsse auf Einstellung und Geschäftsgebaren der verantwortlich für die Beklagte Handelnden zu. Der Senat kann sich des Eindrucks, insbesondere unter Berücksichtigung nachfolgender Kriterien, nicht erwehren, dass die Beklagte bereits damals entsprechend ihrer vorgefassten Absicht Vorbereitungen traf, bei späterem Sanierungserfolg die Gesellschafter der Klägerin nach Ausnutzung von deren (erhofftem) Knowhow leer ausgehen zu lassen.
71
Die Beklagte räumt selbst ein, die Kaufpreiszahlung für die S. GmbH vollständig über die A. I. GmbH & Co KG vereinnahmt und teilweise auch an Dritte ausgekehrt zu haben, ohne die Beteiligung der Gesellschafter der Klägerin in auch nur irgendeiner Form zu berücksichtigen.
72
Auch aus der Sicht eines juristischen Laien und damit aus der Sicht der Geschäftsführer/Mitglieder des Leitungsorgans/geschäftsführende Direktoren der persönlich haftenden Gesellschafterin der Beklagten war die Wirksamkeit der Kündigung bzw. des Rücktritts enorm zweifelhaft (s. oben unter Ziffer B II 2).
73
Während des Rechtsstreits der Klägerin gegen die A. I. GmbH & Co KG wird diese durch die Beklagte durch deren Austritt als (einzige) Kommandistin einfach aufgelöst und im Handelsregister gestrichen. Der Vortrag der Beklagten hierzu, dies lasse „das Bestehen und die Durchsetzbarkeit von Forderungen der Gläubiger unberührt“ (Schriftsatz vom 12.04.2021, Seite 25 = Bl. 409 d. A.), spricht erstens für sich und zweitens sagt es nichts dazu, was aus den bilanziellen € 2,8 Mio. bis € 3,0 Mio. bei der A. I. GmbH & Co KG geworden ist, die sich aus der Sicht des Senats zunächst tatsächlich (und dabei spricht alles für einen Zeitpunkt vor dem 31.12.2012) und dann auch bilanziell anscheinend mehr oder weniger in Luft aufgelöst haben, weshalb die Vermutung nahe liegt, dass diesem Bilanzposten nie ein tatsächlicher Wert zugrunde lag. Denn gleichzeitig trägt die Beklagte selbst vor, die … GmbH habe „eine reine Verwaltungsgesellschaft ohne nennenswertes Eigenkapital“ (Schriftsatz vom 12.04.2021, Seite 5 = Bl. 389 d. A.) dargestellt. Da die … GmbH als einzige verbliebene Gesellschafterin nach eigenem Vortrag der Beklagten im Vorprozess (Schriftsatz vom 16.10.2015, Seite 2 = Bl. 263 der Beiakte) das Vermögen der A. I. GmbH & Co KG übernommen hat (womit entsprechende Regelungen im Gesellschaftsvertrag mangels Bestreitens durch die Klägerin vorgetragen sind; vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 31.05.2010, II ZB 9/09, WM 2010, 1719, 1721, Randziffer 7), waren diese bilanziellen € 2,8 Mio. bis € 3,0 Mio. zum Zeitpunkt des Austritts der Beklagten als Kommanditistin der KG im August 2015 anscheinend nicht mehr vorhanden (das tatsächliche Vorhandensein hat die Beklagte erst mit Schriftsatz vom 20.09.2021 behauptet aber auch dort nicht unter Beweis gestellt). Wo diese Bilanzposition nach dem Ausscheiden der Beklagten verblieben ist, erläutert die Beklagte jedenfalls nicht. Auf Nichtwissen zum Ende des Jahres 2015 kann sie sich jedenfalls schon deshalb nicht berufen, da eine Veräußerung der … GmbH erst im Januar 2016, also nach Abschluss des Jahres 2015, erfolgte.
74
Während der Fortsetzung des Rechtsstreits gegen die … GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin der A. I. GmbH & Co KG wird diese persönlich haftende Gesellschafterin nach Großbritannien verlegt, anschließend verkauft und gerät dann (ebenfalls) in Insolvenz, sodass das erstinstanzliche Urteil wegen Unterbrechung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz (zumindest zunächst; ob dies möglich gewesen wäre ohne die Erledigterklärung der Klägerin im Rechtsstreit 20 U 67/16 des OLG München kann hier dahinstehen) nicht rechtskräftig werden kann.
75
Dem steht die Tatsache eines bilanziellen Eigenkapitals bei der A. I. GmbH & Co KG bis 2015 im Bereich von € 3,0 Mio. nicht entgegen.
76
Die Beklagte behauptet jetzt, das tatsächliche Vorhandensein dieses Kapitals bei der KG sei zwischen den Parteien durch beide Instanzen hinweg durchweg unstrittig gewesen (Schriftsatz Beklagte vom 20.09.2021, Seite 3 = Bl. d. A.). Zum Einen hat sie, soweit ersichtlich, immer nur von Eigenkapital in Bilanzen gesprochen (und auf dieses verwiesen), nie aber von der tatsächlichen Existenz. Letztere hat die Klägerin aber bereits erstinstanzlich bestritten.
77
Ferner gibt die Beklagte damit praktisch schon zu, einen existenzvernichtenden Eingriff gegenüber der KG begangen zu haben zumindest in Höhe der überschießenden Ansprüche der Klägerin. Zum Anderen besagt dieses bilanzielle Eigenkapital über die tatsächlichen Liquiditätsreserven der A. I. GmbH & Co KG gar nichts. Im Gegenteil: Die Beklagte hat selbst den vollständigen Transfer der Einnahmen aus dem Verkauf der S. GmbH an sich vorgetragen. Woher weitere liquide Vermögenswerte bei der A. I. GmbH & Co KG herkommen sollen, ist nicht ersichtlich und trägt die Beklagte auch nicht vor. Ferner müssten diese Eigenkapitalreserven nach Ausscheiden der Beklagten als einziger Kommanditistin aus der KG bei der … GmbH aufgetaucht sein. Hierzu trägt die Beklagte aber ebenfalls nichts vor, obwohl sie bis Januar 2016 Alleineigentümerin der … GmbH war.
78
Soweit die Beklagte weiter behauptet, die Verurteilung der … GmbH durch das Erstgericht im Vorprozess sei aus ganz anderem Grund als wegen der Unterbeteiligung der Gesellschafter der Klägerin erfolgt, kann dies der Senat nicht nachvollziehen: Die Schadensersatzleistungen, zu denen die … GmbH verurteilt wurde, resultieren aus Kapitalerhöhungen, die an den Gesellschaftern der Klägerin vorbei bei der KG durchgeführt wurden, wodurch der Anteil der Gesellschafter der Klägerin verwässert wurde, sodass damit ihr Gewinnanteil gedrückt werden sollte. Grundlage der Verurteilung war aber die nach Ansicht des Erstgerichts weiter bestehende Grundlage Unterbeteiligungsvertrag. Auch dieses Verhalten einer 100%-igen Tochtergesellschaft der Beklagten deutet darauf hin, dass bewusst alles seitens der Beklagten unternommen wurde, um den Gesellschaftern der Klägerin den Zufluss von deren Gewinnbeteiligung aus der Veräußerung der S. GmbH zu verhindern bzw. soweit wie möglich zu schmälern.
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Diese Kriterien (mit Ausnahme des letzten) besagen für sich allein jeweils wenig bis nichts. In ihrer Gesamtheit ergeben sie aber ein Bild, das den Senat zur Überzeugung gelangen lässt, dass die Beklagte den Geldtransfer bewusst (auch) vorgenommen hat, um die Gesellschafter der Klägerin von der Gewinnbeteiligung, wenn schon nicht rechtlich, so doch zumindest wirtschaftlich (letztlich durch Insolvenz der … GmbH als geplante Firmenbestattung) abzuschneiden.
80
c) Dass die … GmbH, aus deren Recht die Klägerin ihre Gewinnauszahlungsansprüche in erster Linie geltend macht, nicht die KG war und ist sondern lediglich deren persönlich haftende Gesellschafterin, ändert an der Haftung der Beklagten nichts. Denn dadurch, dass der KG durch die Beklagte die erforderlichen Mittel zur Begleichung der Forderung der Klägerin entzogen wurde, war auch die … GmbH praktisch insoweit mittellos, da sie nach der Bilanz der Beklagten für 2012 (Anlage K 53) nur mit der Mindeststammeinlage in Höhe von € 25.000,00 ausgestattet war. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass sie über weitere Aktiva verfügt hätte. Die Beklagte selbst trug bereits erstinstanzlich vor, sie habe zu keiner Zeit über nennenswertes Eigenkapital verfügt (Schriftsatz Beklagte vom 27.12.2019, Seite 5 = Bl. 134 d. A.). Durch die Mittellosigkeit der KG wurde ihr jedoch die Möglichkeit genommen, ihren Aufwendungsersatzanspruch gegen die A. I. GmbH & Co KG durchzusetzen (§ 110 Abs. 1, § 161 Abs. 2 HGB), sodass sie durch den existenzvernichtenden Eingriff gegenüber der A. I. GmbH & Co KG ebenso existenzvernichtend getroffen wurde. Im Übrigen trägt die Beklagte selbst vor, dass durch Ausscheiden der Beklagten als einziger Kommanditistin der KG deren Vermögen auf die verbliebene letzte Gesellschafterin, die … GmbH, übergegangen sei, wodurch sie Rechtsnachfolgerin auch bezüglich der Verbindlichkeiten der KG wurde.
81
d) Der Hinweis des Erstgerichts im Vorprozess gegen die KG/… GmbH „auf der Basis der mündlichen Verhandlung vom 6. März 2015“ ändert hieran nichts: Es ist schon nicht klar, auf welcher genauen Tatsachengrundlage und in welchem wirtschaftlichen Umfeld das Landgericht diesen Vorschlag unterbreitete. Das gilt um so mehr, als die Beklagte selbst sich (zu Recht) darauf beruft, dass der Rechtsstreit des Vorprozesses zwischen anderen Parteien stattgefunden hat und daher für den hiesigen Rechtsstreit nicht bindend ist.
82
e) Der Vortrag der Beklagten, die Klägerin hätte keine Anhaltspunkte für eine auch nur ansatzweise Kenntnis eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters von den Ansprüchen der Gesellschafter der Klägerin vorgetragen, geht ins Leere: Die Beklagte selbst behauptet die nach ihrer Ansicht angeblich unstrittige (was nicht der Fall ist: vgl. nur Schriftsatz der Klägerin vom 30.12.2019, dort Seite 6 = Bl. 146 d. A.) Tatsache, dass sie davon ausgegangen sei, dass die Unterbeteiligungsverträge wirksam gekündigt worden seien, weshalb der Klägerin und deren Gesellschafter … keine Ansprüche mehr zustünden. Damit gibt sie aber selbst zu, von der Möglichkeit solcher Ansprüche über ihre verfassungsmäßig berufenen Vertreter (§ 31 BGB) definitiv gewusst zu haben.
83
4. Entgegen stehen auch konkurrenzrechtliche Probleme zum Anfechtungsrecht nicht mehr: Unstrittig ist das englische Insolvenzverfahren beendet, weshalb insolvenzanfechtungsrechtliche Ansprüche, gleichgültig, in welcher Form diese nach englischem Recht bestehen, keinen Vorrang mehr vor deutschen Schadensersatzansprüchen aus existenzvernichtendem Eingriff nach § 826 BGB beanspruchen können.
84
Damit sind auch konkurrenzrechtliche Sperren zwischen Anfechtungsansprüchen nach dem Anfechtungsgesetz und solchen Schadensersatzansprüchen entfallen (§ 18 Abs. 1 AnfG).
85
5. Auf eine Haftung nach §§ 30, 31 GmbHG kommt es nicht mehr an, die Vorschriften wären jedoch auf eine GmbH & Co KG anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.2014, II ZR 360/13, WM 2015, 333, 333, Randziffer 8).
III.
86
Da die Parteien im Rechtsstreit 20 U 67/16 der Klägerin gegen die … GmbH diesen unstrittig übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist der (nicht rechtskräftige) Titel erster Instanz in Form des Endurteils vom 11.12.2015 (Anlage K 12) wirkungslos geworden (vgl. Zöller-Althammer, 33. Auflage, § 91a ZPO Randziffer 12).
87
Eine Anfechtung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG ist daher nicht (mehr) möglich. Konkurrenzrechtliche Probleme im Hinblick auf das Urteil des BGH vom 08.12.2018 (IX ZR 92/17, WM 2018, 1422, 1425f., Randziffern 33 und 45) stellen sich daher nicht (mehr).
IV.
88
Hilfsweise genauso wie oben und mit identischer Begründung (s. oben Ziffer B II) hat die Beklagte auch die Gesellschafter der Klägerin sittenwidrig geschädigt (§ 826 BGB):
89
1. Denn der ganze oben beschriebene Ablauf diente zur Überzeugung des Senats den Verantwortlichen der Beklagten nur dazu, zu verhindern, dass die Gesellschafter der Klägerin ihre Gewinnanteile aus dem Verkauf der S. GmbH erhielten, was sie, wie oben unter Ziffer B II 3 b beschrieben, durch Abzug der gesamten liquiden Mittel aus der KG in Kenntnis von deren Gewinnauszahlungsverpflichtungen gegenüber den Gesellschaftern der Klägerin bewerkstelligten.
90
2. Dass die Klägerin eigene Ansprüche (nur) auf § 852 BGB gestützt hat, schadet nicht, da der Streitgegenstand aus § 826 BGB und derjenige aus § 852 BGB für den Fall der Verjährung des Schadensersatzanspruchs aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung identisch sind (vgl. BGH, Urteil vom 16.01.1961, III ZR 204/59, VersR 1961, 326, 328, Ziffer II a; nach juris Randziffer 32 a. E.).
V.
91
Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist, soweit in erster Instanz mit den Positionen € 3.508.142,05 und € 1.403.256,82 nebst Zinsen aus abgetretenem Recht geltend gemacht, nicht verjährt (§§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB):
92
1. Weil sich der Anspruch wegen Existenzvernichtung auf § 826 BGB stützt, richtet sich die Verjährung nicht nach den Sondervorschriften des GmbH-Gesetzes, sondern nach den allgemeinen Regeln. Die Verjährung des Anspruchs kann sich unter Berücksichtigung der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 6 Abs. 1 und 4 EGBGB entweder aus § 852 BGB a.F. oder aus §§ 195, 199 Abs. 1 BGB n.F. ergeben. Beide Normen knüpfen den Beginn der Verjährung an subjektive Voraussetzungen in der Person des Anspruchsinhabers. Ist dieser eine … GmbH, kommt es auf die Kenntnisse ihrer Geschäftsführer als gesetzlicher Vertreter an. Eine Zurechnung scheidet allerdings aus, soweit diese selbst als Schädiger anzusehen sind, wenn sie am Abschluss der vertraglichen Vereinbarung als schädigender Handlung beteiligt waren. Zurechenbar sind hingegen Kenntnisse von gesetzlichen Vertretern, die an der schädigenden Handlung nicht beteiligt waren, gleichviel ob sie ihre Organstellung zu diesem Zeitpunkt bereits innehatten oder erst später erworben haben. Es kommt daher für die Bestimmung des Verjährungsbeginns darauf an, ob die Schuldnerin neben den Geschäftsführern, die den Kaufvertrag für die Schuldnerin unterzeichneten, damals noch weitere Geschäftsführer hatte, die an der Übertragung der Assets nicht beteiligt waren, oder ob sie zu einem späteren Zeitpunkt einen oder mehrere neue Geschäftsführer erhielt, welche über die vorausgesetzten Kenntnisse verfügten (BGH, Urteil vom 21.02.2013, IX ZR 52/10, WM 2013, 763, 766f., Randziffer 25; s.a. Urteil vom 09.02.2009, II ZR 292/07, WM 2009, 800, 803, Randziffer 34).
93
2. Nach eigenem Vortrag der Beklagten waren die Geschäftsführer der … GmbH, Letztere als persönlich haftende Gesellschafterin der KG, am Vertragstag des Verkaufs der S. GmbH (27.07.2012) bis September 2012 im Amt und gleichzeitig in Personalunion Mitglieder der Rechtsabteilung der Beklagten. Sie waren daher in Kenntnis der sittenwidrigen Schädigung der Gesellschafter der Klägerin tätig, weil sie am Geldtransfer zur Beklagten nach deren eigenem Vortrag beteiligt waren und nicht ersichtlich ist, wieso sie bei Transfer des gesamten Veräußerungserlöses ohne vorherige Auszahlung der Klägerin von der KG zur Beklagten die tatsächlichen Hintergründe nicht mitbekommen haben sollten, zumal sie diesen Transfer als die letztlich Verantwortlichen der KG ja selbst veranlasst bzw. sogar durchgeführt haben müssen. Sie haben sich daher selbst schadensersatzpflichtig gemacht, weshalb auf ihre Kenntnis für das Anlaufen der Verjährungsfrist entsprechend vorstehenden Grundsätzen nicht abgestellt werden kann.
94
3. Die Bestellung neuer Geschäftsführer im September 2012 ändert hieran nichts. Die Beklagte trägt nichts dazu vor, inwiefern diese Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von diesen abgeschlossenen Vorgängen gehabt haben sollten. Auch in den Folgejahren bis zum Antrag aus Erlass des Mahnbescheids im vorliegenden Verfahren (Zustellung am 26.01.2019) ist hierfür nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich. Die Anspruchsbegründung erfolgte am 28.03.2019. Auf eine etwaige Unwirksamkeit des Mahnbescheids mangels Begründung kommt es daher nicht an.
95
Auch zur denkbaren Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Joint Liquidators vor Abtretung der Ansprüche an die Klägerin bzw. deren Gesellschafter fehlt es an jeglichem Vortrag der Beklagten. Damit ist die Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht vor dem Ende des Jahres 2017 angelaufen (im Hinblick auf die Erklärung des Joint Liquidators vom 14.11.2017: Anlage K 35) und damit nicht vor, aber am 31.12.2020 abgelaufen. Selbst wenn man zugunsten der Beklagten annimmt, dass der Joint Liquidator im Jahr 2016 (unmittelbar nach der Confirmation durch den High Court of Justice am 12.08.2016) über die Geldtransfers im Bilde gewesen sein sollte, wäre die dreijährige Verjährungsfrist nicht vor dem 31.12.2019 abgelaufen.
96
4. Der Anspruch wurde am 26.03.2019 im hiesigen Rechtsstreit begründet und ist damit nicht verjährt.
VI.
97
Verjährt ist der Anspruch auch nicht bezüglich der Positionen € 55.842,50, € 35.639,03 und € 1.271.736,38 jeweils aus eigenem (vgl. oben Ziffer B I) Recht:
98
1. Insoweit handelt es sich um einen eigenen Schadensersatzanspruch der Gesellschafter der Klägerin, weshalb auch eine eigene Betrachtung der Verjährungssituation erforderlich ist. Voraussetzung für ein Anlaufen der Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB wäre zumindest die grob fahrlässige Unkenntnis der Gesellschafter der Klägerin (nicht der … GmbH!) davon, dass der Erlös aus der Veräußerung der S. GmbH bereits vollständig von der KG zur Beklagten geflossen und die KG (und später die … GmbH) illiquide war. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass den Gesellschaftern der Klägerin diese Kenntnis vor dem Jahr 2016 (im Rahmen des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der … GmbH) möglich gewesen wäre.
99
2. Damit lief die Verjährungsfrist am 01.01.2017 an und mit dem 31.12.2019 ab.
100
3. Der Anspruch wurde am 26.03.2019 im hiesigen Rechtsstreit begründet und ist damit nicht verjährt.
VII.
101
Verjährt ist jedoch der mit der Klageerweiterung im Schriftsatz vom 22.06.2021 (Bl. 464 d. A.) geltend gemachte weitere Schaden in Höhe von € 61.172,31 (Kosten des Berufungsrechtsstreits 20 U 67/16 vor dem OLG München):
102
1. Nach dem Grundsatz der Schadenseinheit hätte die Klägerin innerhalb der spätestens ab 01.01.2017 laufenden Verjährungsfrist Feststellungsklage für Zukunftsschäden erheben können und müssen (vgl. BGH, Urteil vom 26.07.2018, I ZR 274/16, WM 2018, 1591, 1593, Randziffer 26).
103
2. Anspruchstatsache für den geltend gemachten Kostenersatz des Rechtsstreits zweiter Instanz gegen (zunächst die KG und dann gegen) die … GmbH ist der existenzvernichtende Eingriff der Beklagten gegenüber der KG (s. oben Ziffer B II). Die diesem Schadensersatzanspruch zugrunde liegenden Tatsachen sind der Klägerin (vgl. oben B VI 1) im Jahr 2017 bekannt gewesen, wie sich aus Anlagen K 35 und K 43a sowie der Insolvenz der … GmbH ergibt.
104
3. Verjährungshemmende Maßnahmen hat die Klägerin bis zum 31.12.2020 nicht ergriffen, die Klageerweiterung wurde erst am 22.06.2021 anhängig.
105
4. Die von der Klägerin im Schriftsatz vom 10.08.2021 zitierte Rechtsprechung hilft nicht weiter, da es im vorliegenden Rechtsstreit um eine Erweiterung des Streitgegenstands geht und nicht um eine bloße Auswechslung von Tatsachenvortrag. Aus dem von der Klägerin zitierten Urteil vom 08.01.2014 ergibt sich eindeutig, dass dort für weitergehendere Ansprüche ein Feststellungsantrag rechtshängig war (XII ZR 12/13, NJW 2014, 920, 921, Randziffer 24), was im vorliegenden Rechtsstreit nicht der Fall ist. Im Urteil vom 02.05.2002 stellt der BGH ausdrücklich auf eine gesonderte Verjährungsprüfung ab (III ZR 135/01, NJW 2002, 2167, 2168, Ziffer 2 a). Eine reine Werterhöhung liegt auch nicht vor, sondern weitere einzelne Schadenspositionen (Gebühren, Reisekosten, Umsatzsteuer).
5. § 852 Satz 1 BGB hilft der Klägerin nicht weiter, weil die Beklagte diesbezüglich nichts erhalten hat.
VIII.
106
Der ersatzfähige Schaden beträgt € 5.002.880,40 (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB):
107
1. Die der Klägerin entgangenen € 3.508.142,05 und € 1.403.256,82 sind der Höhe nach unstrittig.
108
2. Die Kosten für den Vorprozess erster Instanz in der Höhe nach ebenfalls unstrittigen € 55.842,50 und € 35.639,03 wären von der KG/… GmbH ohne die Verschiebung der gesamten Einnahmen aus dem Verkauf der S. GmbH noch vorhanden gewesen und die Klägerin befriedigt worden. Sie waren daher adäquat kausal durch das Schadensereignis verursacht und sind daher ersatzfähig.
109
3. Bei der Verzinsung wegen Verzugs ist ebenfalls zu differenzieren:
110
a) Zinsen kann die Klägerin hinsichtlich der € 3.508.142,05 und € 1.403.256,82 ab 25.08.2012 verlangen, da sich aus dem Urteil im Rechtsstreit 12 O 6238/14 ergibt, dass dort die KG mit Schreiben vom 10.08.2012 mit Frist bis 24.08.2012 gemahnt worden ist (Anlage K 12, S. 49).
111
b) Im Übrigen sind Zinsen erst ab Zustellung des Mahnbescheids am 26.01.2019 forderbar.
112
4. Die Kosten des Liquidators in Höhe von € 1.271736,38 sind nicht adäquat durch die Beklagte verursacht worden: Entweder war der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 24.08.2016 wirksam, dann ist nichts dafür ersichtlich, was die Tätigkeit des Insolvenzverwalters für die Klägerin hätte notwendig werden lassen. Oder der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss war mangels Bestimmtheit unwirksam, dann geht dies zu Lasten der Klägerin.
113
Eine Ersatzfähigkeit im Sinne eines Herausforderungsschadensersatzanspruchs kommt ebenfalls nicht in Betracht:
114
Der Zurechnungszusammenhang von Folgen, die auf einer Pflichtverletzung des Schädigers beruhen und durch einen selbstständigen Entschluss des Geschädigten mitverursacht sind, bleibt bestehen, wenn der Entschluss des Verletzten durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert ist und keine ungewöhnliche Reaktion auf die Schädigung darstellt. Die Umstände, aus denen sich ergibt, dass sich der Geschädigte zu seiner Reaktion auf das haftungsbegründende Verhalten des Schädigers herausgefordert fühlen durfte, hat der Geschädigte darzulegen und zu beweisen (BGH, Urteil vom 02.07.2013, II ZR 293/11, WM 2013, 1560, 1561, Randziffer 12).
115
Letzterem ist die Klägerin nicht nachgekommen, da sie nicht dargelegt hat, welche Bemühungen sie im Hinblick auf den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG München vom 24.08.2016 im Zwangsvollstreckungsverfahren mit dem Aktenzeichen 1552 M 46299/16 entwickelt hat, um der Pfändung doch noch zum Erfolg zu verhelfen.
116
5. Die vorgerichtlichen Kosten des erstinstanzlich tätigen Prozessbevollmächtigten sind ebenfalls nicht ersatzfähig, da für eine solche Tätigkeit nichts ersichtlich und auch nichts vorgetragen ist.
C
117
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
118
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der § 63 Abs. 2 Satz 1, § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG; § 4 Abs. 1 ZPO bestimmt.
119
Da reine Tatsachenfragen zu bewerten waren, sind die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gegeben.