Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 31.05.2021 – B 1 S 21.575
Titel:

Anordnungen zur Hundehaltung, Leinenzwang in der Öffentlichkeit, Beschränkung der Anzahl der auszuführenden Hunde

Normenkette:
LStVG Art. 18 Abs. 2
Schlagworte:
Anordnungen zur Hundehaltung, Leinenzwang in der Öffentlichkeit, Beschränkung der Anzahl der auszuführenden Hunde
Fundstelle:
BeckRS 2021, 61795

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheids wird angeordnet, soweit die Zwangsgeldandrohung Ziffer 2 des Bescheids betrifft.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen Anordnungen zur Hundehaltung.
2
Die Antragstellerin betreibt ausweislich des Gewerberegisters seit 1. Februar 2017 eine Hunde-Physiotherapie, Krankengymnastik, Osteopathie und ist nach der Bestandsliste Hundesteuer 2021 Steuerpflichtige von sieben Hunden. Fünf der Hunde gehören der Rasse „Australian Cattle Dog“, ein Hund der Rasse „Bordercollie“ an und ein weiterer ist ein Mischling.
3
In der Akte findet sich eine E-Mail eines Sachbearbeiters der Unteren Jagdbehörde vom 4. Mai 2015, in der dieser von eigenen Begegnungen und Begegnungen Dritter mit der Antragstellerin berichtete, bei denen diese mehrere freilaufende Hunde ausgeführt haben soll, bei denen die Hunde sich teilweise erheblich von ihr entfernt haben sollen. Er kritisierte dies im Hinblick auf die Einwirkungsmöglichkeit und die Gefahr der Wilderei durch die Hunde.
4
Am 30. November 2018 wurde die Antragstellerin erneut auf eine Meldung aufmerksam gemacht, nach der sie erneut mit ca. acht Hunden in einem Jagdrevier unterwegs gewesen sein soll, ohne dass die Hunde angeleint gewesen seien.
5
Am 14. Februar 2020 führte die Antragstellerin in der Abteilung … des Reviers … mindestens acht Hunde aus. Es kam zu einem – im Einzelnen strittigen – Vorfall mit dem Revierleiter der Bayerischen Staatsforsten für das Revier der Antragsgegnerin Herrn E. Ein im jenen Moment nicht angeleinter Hund sprang Herrn E. an und „erwischte“ dessen rechten Oberschenkel. Die Antragstellerin rief ihre Hunde zu sich, entschuldigte sich und erkundigte sich bei Herrn E., welcher Hund es denn gewesen sei. Dieser konnte nicht benannt werden.
6
Eine in der Akte befindliche ärztliche Bescheinigung vom 16. März 2020 gibt an, dass Herr E. in die Praxis kam, nachdem ihn nach eigenen Angaben ein in einer Hundemeute freilaufender Hund in den rechten Oberschenkel schnappend gebissen habe. Der Arzt führt aus: „Es zeigte sich am rechten ventralen kniegelenksnahen Oberschenkel eine typische Verletzung, welche lateral an einer Stelle tiefer ging und ansonsten deutliche oberflächliche Riss- und Quetschungszeichen zeigte.“
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Mit Schreiben vom 29. Mai 2020 wurde die Antragstellerin zum Vorfall am 14. Februar 2020 angehört.
8
Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft … wegen fahrlässiger Körperverletzung ließ die Antragstellerin mit Schriftsatz ihrer damaligen Bevollmächtigten vom 15. Juni 2020 vortragen, dass sie sich am 14. Februar mit acht ihrer Hunde im Gebiet des Staatswaldes aufgehalten habe. Sie sei dabei gewesen, die Hunde anzuleinen, als Herr E. auf sie zugekommen sei. Noch bevor sie das erledigt habe, sei er nah herangetreten und einer der Hunde der Antragstellerin habe nach ihm geschnappt. Er habe der Antragstellerin die Stelle gezeigt und beide hätten sehen können, dass lediglich eine leichte Rötung vorhanden gewesen sei. Dieses Schreiben wurde der Antragsgegnerin weitergeleitet und ergänzend unter anderem ausgeführt, dass die Antragstellerin alles ihr Mögliche unternehmen werde, damit es zu keinen Beeinträchtigungen mehr kommen werde. Es sei zu berücksichtigen, dass der Geschädigte bis zum Abschluss des Anleinvorgangs warten hätte können und eventuell auch hätte müssen. Im Schreiben vom 18. August 2020 wurde ausgeführt, dass die Hunde der Antragstellerin eine Schulterhöhe von 50 cm nicht überschreiten würden (mit einer Ausnahme, die aber an diesem Tag nicht mit ihr unterwegs gewesen sei).
9
Am 9. Dezember 2020 ging beim Sachbearbeiter der Antragsgegnerin ein Vorgang von Seiten der PI … – Stadt ein, in dem Lichtbilder vom 17. November 2020 enthalten waren, welche der Jagdpächter der Polizei übergeben hat, der diese wiederum von einer dritten Person erhalten hat. Auf den Lichtbildern ist ein Pkw mit dem Kennzeichen …, umgeben von Bäumen sowie ein freies Feld mit mehreren freilaufenden Hunden und ein gerissener Hase zu sehen.
10
Unter dem 11. Februar 2021, zugestellt am 12. Februar 2021, erließ die Antragsgegnerin einen Bescheid, mit dem gegenüber der Antragstellerin angeordnet wurde, dass sie maximal vier Hunde außerhalb der Wohnung in der Öffentlichkeit an einer maximal 2 m langen reißfesten Leine (keine Flexi-Leine) mit schlupfsicherem Halsband ausführen dürfe. Hierunter seien sämtliche öffentlichen Grundstücke, Gebäude, sowie Straßen/ Wege und Plätze zu verstehen. Dabei sei den Hunden die Leine und das Halsband bereits vor Verlassen ihrer Wohnung, anderer Wohnungen oder umfriedeter (Privat-)Grundstücke anzulegen und dürften den Hunden erst nach Rückkehr in ihre Wohnung oder anderen Wohnungen wieder abgelegt werden. Bei Verwendung eines Kraftfahrzeuges oder anderer Transportmittel müsse das Anleinen im jeweiligen Transportmittel vor dessen Verlassen erfolgen. Als Ausnahme zum ersten Absatz dürfe jeweils maximal einem Hund Freiauslauf von der Leine gewährt werden (Ziffer 1).
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Soweit von der Antragstellerin gehaltene oder betreute Hunde durch eine andere Person ausgeführt oder vorübergehend betreut würden, habe sie diese Person über die getroffenen Anordnungen zu informieren und auf geeignete Weise sicherzustellen, dass die getroffenen Anordnungen eingehalten würden (Ziffer 2). Für den Fall eines Verstoßes gegen mindestens eine Anordnung aus den Ziffern 1. und 2. werde ab Zustellung des Bescheids ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 250,00 EUR fällig. Gelte die Anordnung für mehrere Hunde, werde das angedrohte Zwangsgeld je Hund fällig (Ziffer 3). Unter Ziffer 4 wurde die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 angeordnet. Ziffer 5 und 6 enthalten die Kostenentscheidung zulasten der Antragstellerin, mit der ihr eine Gebühr von 100,00 EUR sowie Auslagen in Höhe von 4,11 EUR auferlegt wurden.
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Zur Begründung wird auf den Vorfall vom 14. Februar 2020 verwiesen. Rechtsgrundlage sei Art. 18 Abs. 2 LStVG. Es komme nicht darauf an, ob von den Hunden eine gesteigerte Aggressivität gegenüber Menschen oder Artgenossen ausgehe und dadurch Gefahren verursacht würden oder ob es sich um ein hundetypisches, artgerechtes Verhalten handele, aus denen die Vorfälle entstanden seien. Die vorgenommene Auswertung des Vorgangs ergebe, dass für alle Hunde der Antragstellerin eine Anordnung erforderlich sei. Sei es bereits zu Beißvorfällen oder sonstigen Vorfällen durch Anbellen, Anspringen, Nachlaufen etc. gekommen, seien sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Gefahrenabwehr nicht nur zulässig, sondern vielmehr geboten. Da einer der Hunde der Antragstellerin beißen habe können, da sie unangeleint gewesen seien, sei ein Leinenzwang nach Abwägung der Interessen die mildeste geeignete Maßnahme. Es werde die Bindung erhöht und erlaube eine erhöhte Einwirkung. Hinsichtlich der größeren Hunde sei die Anordnung bereits deshalb gerechtfertigt, weil es sich bei diesen um große, kräftige Hunde handele, von welchen grundsätzlich eine konkrete Gefahr ausgehe. Für die kleineren Hunde sei es ebenfalls notwendig, da diese maßgeblich am Umringen des Geschädigten beteiligt gewesen seien. Es werde auf das erhöhte Gefahrenrisiko einer „Meutehund-Haltung“ hingewiesen. Von einer Erhöhung der Gefahr müsse allein durch die triebstimulierende Rudelhaltung ausgegangen werden. Neben der gegenseitigen Meuteunterstützung sei mit dem Rudel auch eine Reizschwellensenkung verbunden. Das heiße, dass die Tiere zeitlich früher bereit seien, ein Opfer zum Zweck des Beuteerwerbs oder zur Revierverteidigung auszusuchen und anzuvisieren. In den allermeisten Fällen der tödlichen Unfälle durch Hunde seien zwei oder mehr Hunde unmittelbar oder mittelbar an der „Tatausführung“ beteiligt gewesen. Die Gefahr der Rudelhaltung habe sich bereits konkretisiert. So hätten die Hunde gemeinschaftlich den Geschädigten umstellt. Es stelle eine erhebliche Gefahrensituation dar, wenn mehr als vier – zum Teil große – Hunde im Rudel geführt oder gehalten würden, da bei einer solchen Anzahl nicht mehr gewährleistet sei, dass die Halterin im Ernstfall noch Zugriff auf jeden einzelnen Hund habe. Im Falle einer Fehlreaktion von Passant*innen, die angesichts der Hundeschar eher zu erwarten sei als bei einem Hund, könne deshalb eine Gefahr für die Gesundheit nicht mehr mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden (BayVGH 24 ZB 04.664). Deshalb werde die gemeinsame Ausführung auf maximal vier Hunde beschränkt. Um dem Bewegungsdrang gerecht zu werden, dürfe Freilauf für maximal jeweils einen Hund gewährt werden, während die anderen drei Hunde jeweils an einer Leine angeleint bleiben müssten.
13
Als weiterer Vorfall werde der 9. Dezember 2020 genannt, an dem sich die Antragstellerin mit ca. acht freilaufenden Hunden in einem Jagdrevier auf einer Wiese aufgehalten habe, was ihre Uneinsichtigkeit und Verantwortungslosigkeit bezüglich der Hundehaltung auch nach dem Beißvorfall zeige.
14
Es werde sich zum Schutz der Sicherheit der Bürger*innen für die Anordnung entschieden. Nach Abwägung und Würdigung aller bekannten Tatsachen komme nur die in der Ziffer 1 getroffene Anordnung in Betracht. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass die Unversehrtheit des Eigentums von Menschen verletzt werde. Die Anordnung sei verhältnismäßig, da es um den Schutz der Gesundheit von Menschen gehe, der gegenüber der Eigentumsfreiheit mehr Gewicht beizumessen sei.
15
Die Zwangsgeldandrohung sei zur Durchsetzung der Anordnung aus Ziffer 1 erforderlich und geeignet. Es werde fällig, sobald die Antragstellerin oder eine sonst für ihren Hund verantwortliche Person gegen die Anordnung aus der Ziffer 1 verstoße.
16
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung liege im öffentlichen Interesse. Ein Zuwarten bis zur Unanfechtbarkeit sei angesichts der von der bisherigen Hundehaltung der Betroffenen ausgehenden latenten Gefährdung unverantwortlich. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass in der Zeit zwischen dem Erlass des Bescheids und seiner Bestandskraft weiter Tiere/ Menschen von den Hunden gebissen würden.
17
Mit am 11. März 2021 eingegangenem Schriftsatz ließ die Antragstellerin Klage erheben und beantragte, den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 2021, Az.: …, aufzuheben.
18
Nachdem die Antragstellerin zunächst mit Schriftsatz vom 12. April 2021, eingegangen bei Gericht am 12. Mai 2021, in Ziffer 1 beantragte, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 10. März 2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Februar 2021, Az.: …, wiederherzustellen, „konkretisierte“ ihr Bevollmächtigter dies mit Schriftsatz vom 27. Mai 2021 und beantragte,
1.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 10. März 2021 gegen die Ziffer 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 11. Februar 2021, Az.: … wird wiederhergestellt und hinsichtlich der Androhung von Zwangsmitteln in der Ziffer 3. bezüglich der Ziffern 1. und 2. angeordnet.
2.
Der Antragsgegnerin werden die Verfahrenskosten auferlegt.
3.
Es wird festgestellt, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig gewesen ist.
19
Zur Begründung lässt die Antragstellerin vortragen, dass die Antragsgegnerin die tatsächlichen Umstände nur unzureichend aufgeklärt zu haben scheine. Am 14. Februar 2020 sei es nicht offensichtlich zu einem Biss durch einen Hund der Antragstellerin gekommen. Die Antragstellerin habe keine Bissspuren am Oberschenkel des Herrn E. feststellen können. Auch das hausärztliche Attest weise keine Bissspuren aus, sondern lediglich oberflächliche Riss- und Quetschungsspuren. Diese könnten ebenso von einer Krallenspur herrühren. Auch die lediglich oberflächige lokale Desinfektion und die rein prophylaktische Antibiotikumgabe spreche gegen eine Bissverletzung. Ob ein Hochspringen als gefährliches Verhalten zu bewerten sei, dürfte wesentlich von der Größe des Hundes abhängen. Ein Hund, der an einem Menschen hochspringe und dabei mit den Vorderpfoten lediglich knapp oberhalb des Knies ankomme, dürfte einem Hund von ungefähr 30 cm Körperhöhe entsprechen, was z.B. das Format eines Mopses sei. Welcher Hund der Antragstellerin angeblich zugebissen haben soll, sei von der Antragsgegnerin nicht ermittelt worden und selbst der Geschädigte habe keine Angaben machen können (nicht einmal zu Größe oder Aussehen). Die Antragsgegnerin habe lediglich die Darstellung des Geschädigten übernommen. Eine genauere Darstellung der Wunde und die Plausibilität der Darstellung seien nicht überprüft worden. Die Antragsgegnerin habe dies für obsolet gehalten, weil sie in ihrer Verfügung pauschal auf ein dem angeblichen Rudelverhalten geschuldetes erhöhtes Gefährdungspotenzial abgestellt habe. Woher die Antragsgegnerin dabei ihre kynologische Sachkenntnis beziehe, bleibe unklar. Zudem gebe es keinen allgemeingültigen Lehrsatz, wonach die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die Haltung mehrerer Hunde erhöht würde. Es wäre unabdingbar gewesen, den tatsächlich angeblich gefährlichen Hund zu ermitteln, z.B. durch die Abnahme eines Bissabdrucks von der Wunde des Geschädigten. Eine Sippenhaftung sei unzulässig.
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht. Sie sei formelhaft und ohne Einzelfallbezug. Lapidare Darstellungen irgendwelcher möglicher Gefahren, welche von Hunden stets ausgehen würden, genügten nicht den Anforderungen. Es sei keine Abwägung des Suspensivinteresses mit dem Vollzugsinteresse erfolgt. Es sei lediglich festgestellt worden, dass das öffentliche Interesse „eindeutig“ überwiege, was einen eklatanten Ermessensausfall darstelle. Insbesondere, da die Anordnungen den gesamten Hundebestand der Antragstellerin betreffen, obwohl – wenn überhaupt – lediglich ein Hund von acht ein Verhalten gezeigt habe, wodurch andere gefährdet worden sein könnten. Die Antragsgegnerin stelle Mutmaßungen an, dass das angebliche gefährliche Verhalten auf eine Rudelhaltung zurückzuführen sei. Der Bescheid sei zu unbestimmt hinsichtlich der Frage, wann die Antragstellerin ihren Hunden Freilauf gewähren dürfe, da die Hunde nach dem Bescheid „in der Öffentlichkeit“ an der kurzen Leine zu führen seien, worunter sämtliche öffentlichen Grundstücke, Gebäude, Wege/Straßen und Plätze zu verstehen seien. Nach der derzeitigen Lesart erstrecke sich der Bescheid auf das gesamte Bundesgebiet. Der Antragstellerin sei es unmöglich, die Reichweite der Verfügung zu erkennen. Auch hinsichtlich des An- und Ableinens der Hunde bei Transport mit einem Fahrzeug gebreche es dem Bescheid an der gebotenen Klarheit, da zwar das An-, nicht aber das Ableinen reglementiert werde. Soweit eine Ausnahme normiert worden sei, sei wiederum nicht hinreichend deutlich zu erkennen, ob diese ganz generell gelten solle. Es sei fraglich, ob die Verfügung zu Ziffer 1 überhaupt vollstreckungstauglich sei. Da diese aber zwangsgeldbewehrt sei, bedürfe es einer hinreichend konkreten Darstellung.
21
Die unbeschränkte Leinenpflicht sei unverhältnismäßig. Zwar habe die Antragsgegnerin ihr Ermessen erkannt und ausgeübt, aber es bestünden Zweifel daran, dass die Maßnahmen erforderlich und angemessen seien. Im Rahmen des Entschließungsermessens sei fraglich, ob der festgestellte Sachverhalt es hergebe, ein Einschreiten als erforderlich zu bejahen. Jedenfalls aber habe die Antragsgegnerin im Rahmen der Anordnung geeigneter Maßnahmen zur Eindämmung der Gefährlichkeit eines Hundes den Einzelfall zu betrachten, was vorliegend nicht feststellbar sei. Eine Anordnung zu einem absoluten Leinenzwang von weiteren sieben Hunden sei nicht erforderlich oder angemessen. Unverhältnismäßig sei auch die unbegrenzte Leinenpflicht ohne Ausnahme. Den Hunden müsse auch die Möglichkeit zu ungehinderter Interaktion im Freilauf gewährt werden. Insofern hätten Freilaufflächen von der Antragsgegnerin definiert werden müssen, auf denen gleichzeitig alle Hunde vom Leinenzwang ausgenommen werden. Dem werde keinerlei Beachtung geschenkt. Es werde auf ein Urteil des VG Würzburg vom 13. Oktober 2016 – W 5 K 15.1135 verwiesen.
22
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
23
Zur Begründung wird vorgetragen, dass der Revierleiter Herr E. am 14. Februar 2020 gegen 12:45 Uhr eine Anzahl von 12 bis 15 Hunden gesehen habe, welche durch die Antragstellerin ausgeführt worden seien. Keiner der Hunde sei angeleint gewesen. Nachdem die Hunde Herrn E. registriert hätten, seien sie im Rudel auf diesen zugelaufen und hätten ihn umringt, woraufhin dieser stehen geblieben sei. Ohne vorherige Ankündigung habe einer der Hunde aus dem Rudel nach ihm geschnappt und ihn sodann in seinen rechten Oberschenkel gebissen.
24
Herr E. habe den Hund aber nicht genau erkennen können, da eine Vielzahl bzw. die gesamte Hundeschar ihn umringt habe. Herr M. habe dies mitverfolgt.
25
Das Gebiet, in dem sich der Vorfall ereignet habe, sei ein Wildschutzgebiet, das mit Verordnung, veröffentlicht im Amtsblatt vom 17. September 2018, festgesetzt worden sei. Gemäß § 4 Abs. 2 sei das unangeleinte Mitführen von Hunden ganzjährig verboten. Die Ausnahme für Jagdhunde sei bei den Hunden der Antragstellerin nicht gegeben. Im Jahr 2015 und 2018 seien der Antragsgegnerin bereits Vorfälle mitgeteilt worden, bei denen sich die Antragstellerin mit mehreren, mindestens acht, unangeleinten Hunden in ausgewiesenen Jagdrevieren befunden habe.
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Die sofortige Vollziehung sei ausschließlich für Ziffer 1 angeordnet worden. Der Antrag sei hinsichtlich den Ziffern 2, 3, 4, 5 und 6 unzulässig. Gegen Ziffer 2, 5 und 6 habe die Klage aufschiebende Wirkung. Ziffer 4 sei kein Verwaltungsakt. Soweit die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 beantragt werde, sei dies unzulässig, weil die Zwangsgeldandrohung bereits gemäß Art. 21a BayVwZVG sofort vollziehbar sei.
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Die sofortige Vollziehung sei hinreichend begründet worden. Die Antragsgegnerin habe sich ausreichend mit den Umständen des Einzelfalls auseinandergesetzt, insbesondere mit der von der bisherigen Hundehaltung ausgehenden Gefährdung und dem dadurch besonderen öffentlichen Interesse am Wirksamwerden der Maßnahme vor Abschluss eines Klageverfahrens.
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Es bestehe eine konkrete Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut, insbesondere Leib und Leben Dritter. Hierbei habe die Antragsgegnerin den Sachverhalt ausreichend ermittelt, insbesondere Erkenntnisse aus anderen Ermittlungsverfahren heranziehen dürfen, die der Antragsgegnerin gemäß § 481 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. Art. 40 Abs. 3 und 4 Nr. 1 PAG zum Zweck der Gefahrenabwehr übermittelt worden seien. Der Beißvorfall sei anders als in der Antragsbegründung im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens nicht bestritten worden. Ein Beißvorfall sei keine Voraussetzung für die Annahme einer konkreten Gefahr; sei es aber zu einem solchen oder einem sonstigen Vorfall gekommen, habe sich die abstrakte Gefahr in eine konkrete realisiert. Neben dem Beißvorfall sei für die Prognose das Halten oder Ausführen mehrerer Hunde ein ebenso relevanter Sachverhalt, da dies die Gefahrenlage verstärke. Die Rudelhaltung wirke triebstimulierend, die Tiere würden sich in ihrem Jagdverhalten gegenseitig verstärken und seien schwerer zu kontrollieren, auch bei unterschiedlicher Größe. Ihr gemeinsames Ausführen könne daher ausreichend für die Annahme einer konkreten Gefahr für die von Art. 18 LStVG geschützten Rechtsgüter sein, da bei einer großen Anzahl von Hunden nicht mehr gewährleistet sei, dass ein Halter im Ernstfall noch Zugriff auf jeden einzelnen Hund habe. Bei einem größeren Rudel komme es zu einer nicht zu unterschätzenden Aktionsdynamik, die eine Einflussnahme des Hundeführers ausschließe. Allein das gemeinsame Halten oder Ausführen erhöhe die Gefahrenlage, selbst wenn ein Sachverständiger die Ungefährlichkeit jedes einzelnen Hundes feststellen würde (BayVGH vom 13. Januar 2005 – 24 ZB 04.664). Dies sei bei der Antragstellerin erfüllt.
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Die Anordnung sei auch hinreichend bestimmt. Es genüge, wenn die Antragstellerin auch ggf. erst mit den Gründen und den zugrundeliegenden Umständen der getroffenen Regelung so vollständig, klar und unzweideutig erkennen könne, dass sie ihr Verhalten danach ausrichten könne. Dem genüge der Begriff „in der Öffentlichkeit“ unter Verweis auf den Beschluss des BayVGH vom 28. September 2012 – 10 CS 12.1791. Es solle die Anmerkung gestattet werden, dass anders als es von Seiten der Antragstellerin behauptet werde, Art. 18 Abs. 2 LStVG selbstverständlich nur in Bayern zur Anwendung kommen könne.
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Die Anordnung sei verhältnismäßig. Sie sei geboten gewesen, da es bereits zu einem Beißvorfall gekommen sei. Hieraus ergebe sich ein intendiertes Entschließungsermessen. Da sich die konkrete Gefahr aus dem gemeinsamen Halten und Ausführen mehrerer Hunde im Rudel, welche frei umhergelaufen seien, ergeben habe, sei die Anordnung bezüglich der Anzahl der gleichzeitig auszuführenden Hunde in Verbindung mit dem Leinenzwang erforderlich und geeignet. In Fällen, in denen feststehe, dass bei einem Vorfall mehrere bzw. alle gemeinsam ausgeführten Hunde beteiligt gewesen seien, müsse eine Behörde nicht nachweisen, welchen Tatbeitrag jeder einzelne Hund zum Vorfall geleistet habe. Vielmehr ergebe sich aus der Tatsache, dass sich unter gemeinsam gehaltenen und ausgeführten Hunden eine Rangfolge herausbilde, dass typischerweise nicht alle Hunde eines Rudels gleich dominant oder aggressiv seien. Die konkrete Gefahrenlage ergebe sich vielmehr bereits aus der festgestellten Beteiligung der Hunde an der sich aus der Rudelhaltung ergebenden Erhöhung der Gefahrenlage. Es könne nur durch die ergriffene Maßnahme gewährleistet werden, dass im Einzelfall schnell und effektiv auf einen einzelnen Hund eingewirkt werden könne. Die Anordnung sei auch nicht unverhältnismäßig, da stets ein Hund unangeleint ausgeführt werden dürfe. Damit werde dem Bewegungsdrang der Hunde ausreichend Rechnung getragen.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte verwiesen.
II.
32
Der Antrag hat teilweise Erfolg.
33
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
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Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
35
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der vorliegende Antrag teilweise erfolgreich, da die Klage der Antragstellerin nach summarischer Überprüfung aller Voraussicht nach teilweise Erfolg haben wird. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids wiegt insoweit nicht schwerer als das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
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1. Die Anordnungen in Ziffer 1 des Bescheids sowie die dazugehörige Zwangsmittelandrohung in Ziffer 3 erweisen sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig.
37
Die Anordnungen zur Hundehaltung beruhen auf Art. 18 Abs. 2 Bayerisches Landesstraf- und Verordnungsgesetz – LStVG. Hiernach darf die Gemeinde zum Schutz des Lebens, der Gesundheit, des Eigentums oder der öffentlichen Reinlichkeit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Notwendig hierfür ist, wie aus dem systematischen Zusammenhang mit Art. 18 Abs. 1 Satz 1 LStVG erkennbar wird, das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die aufgezählten Rechtsgüter. Eine konkrete Gefahr liegt dann vor, wenn bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt im Hinblick auf Leben, Gesundheit oder Eigentum mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden muss. Hierbei müssen hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den drohenden Eintritt eines Schadensfalls rechtfertigen. Der Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, der für die Annahme einer Gefahr erforderlich ist, hängt dabei von der Größe und dem Gewicht des drohenden Schadens ab (vgl. BayVGH, U.v. 12.5.2014 – 10 B 12.2084 – juris Rn. 35; B.v. 18.10.2010 – 10 CS 10.1589 – juris Rn. 9; Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, Bayerisches Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG), Stand: 38. EL Oktober 2019, Art. 18 Rn. 33 m. w. N.).
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a. Die Anordnung, wonach der Antragstellerin gegenüber angeordnet wurde, dass sie maximal vier Hunde außerhalb der Wohnung in der Öffentlichkeit ausführen dürfe und auch dies nur an einer jeweils maximal 2 m langen reißfesten Leine mit schlupfsicherem Halsband, wobei jeweils maximal einem Hund Freiauslauf von der Leine gewährt werden dürfe, kann im vorliegenden Fall auf Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 LStVG gestützt werden.
39
Zu Zwischenfällen mit körperlichen Schäden muss es vor dem Erlass einer entsprechenden Anordnung noch nicht gekommen sein. Eine konkrete Gefahr kann deshalb nicht nur dann angenommen werden, wenn ein Hund bereits öfter und gegenüber verschiedenen Personen oder Hunden „auffällig“ geworden ist. Es reicht vielmehr, wenn angesichts der Umstände des Einzelfalls, damit gerechnet werden muss, dass es zu einer Beeinträchtigung der in Art. 18 Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter kommt. Im vorliegenden Fall ergibt sich eine besondere konkrete Gefährlichkeit sowohl innerhalb als auch außerhalb bebauter Ortsteile aufgrund der sogenannten „Rudelhaltung“ der sieben Hunde der Antragstellerin und dem Vorfall vom 14. Februar 2020 (vgl. BayVGH, B.v. 11.11.2003 – 24 CS 03.2796 – juris Rn. 9, B.v. 13.1.2005 – 24 ZB 04.664 – BeckRS 2005, 15790 Rn. 17 f.).
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Auf die Frage, ob es sich bei den Hunden der Antragstellerin um große, kräftige Hunde im Sinne der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes handelt, kommt es daher nicht an (wobei dies jedenfalls auf einen der Hunde der Antragstellerin nach eigenen Angaben ihrer früheren Bevollmächtigten im Schriftsatz vom 18. August 2020 zutrifft).
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Die Antragsgegnerin hat zwar nicht explizit zwischen Maßnahmen innerhalb und außerhalb geschlossener Ortsteile differenziert. Sie stellt darauf ab, dass ein Leinenzwang bei den großen, kräftigen Hunden schon allein aufgrund dieser Eigenschaften gerechtfertigt sei. Aus den Akten ergibt sich aber nicht, ob aufgeklärt wurde, ob die Hunde der Antragstellerin überhaupt die Anforderungen an einen „großen“ Hund im Sinne der Rechtsprechung erfüllen. Insbesondere trifft diese Annahme nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes so nicht ohne Weiteres für den Bereich außerhalb geschlossener Ortsteile zu. Darin allerdings ist kein Fehler zu erkennen, da die von der Antragsgegnerin getroffene Einschätzung hinsichtlich der Gefahrenprognose ungeachtet der insoweit womöglich unrichtigen Begründung im streitgegenständlichen Bescheid nicht nur in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegt, sondern es ist im gerichtlichen Verfahren auch von Amts wegen zu prüfen, ob eine konkrete Gefahr i.S.v. Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG vorliegt. Lagen demnach im Zeitpunkt der Entscheidung der Antragsgegnerin Tatsachen vor, die eine Gefahrenprognose hinreichend stützen, sind die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG gegeben, auch wenn die anordnende Behörde die Gefahrenprognose missverständlich oder fehlerhaft begründet hat (vgl. BayVGH, U.v. 26.11.2014 – 10 B 14.1235 – juris Rn. 22 ff.). Die Begründung der Antragsgegnerin im Übrigen trägt jedenfalls die Anordnung gegenüber sämtlichen Hunden im Innen- und Außenbereich. Aus den Erwägungen im Bescheid geht hervor, dass die Antragsgegnerin den Leinenzwang aufgrund des Vorfalls im Außenbereich für erforderlich hält, bei dem die Hunde unangeleint und damit außerhalb des Einwirkungsbereichs waren und deshalb der Vorfall nicht verhindert werden konnte.
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Die Antragstellerin ist Halterin von jedenfalls sieben Hunden, die sie gemeinsam ausführt. Es liegt eine konkrete Gefahr für die Gesundheit von Menschen deshalb vor, weil eine große Anzahl an Hunden gehalten wird und im Rudel von der Antragstellerin geführt wird, wobei bereits ein Angriff auf einen Menschen stattgefunden hat, sodass nicht mehr gewährleistet ist, dass sie im Ernstfall noch Zugriff auf jeden einzelnen Hund hat. Im Fall einer Fehlreaktion von Passanten, die gerade angesichts einer größeren Hundeschar eher zu erwarten ist als im Falle eines einzelnen Hundes, kann deshalb eine Gefahr für die Gesundheit einer Person nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Je größer die Meute ist, desto eher besteht die Gefahr, dass schädigende Ereignisse eintreten. Schon aus diesem Grund muss es möglich sein, die Anzahl der Hunde in einem Rudel zu beschränken (vgl. BayVGH, B.v. 11.11.2003 – 24 CS 03.2796 – BeckRS 2003, 27384; B.v. 13.1.2005 – 24 ZB 04.664 – BeckRS 2005, 15790 Rn. 17 f.; U.v. 6.4.2016 – 10 B 14.1054 – juris Rn. 24 f.). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat danach bereits bei einem Sachverhalt ohne Verletzung eines Menschen eine konkrete Gefährdungslage sowohl im Innen- als auch im Außenbereich angenommen (B.v. 11.11.2003, a.a.O. Rn. 9, B.v. 13.1.2005, a.a.O.). Das kynologische Wissen beruht zwar nicht auf einem Sachverständigengutachten wie in diesen jeweils denselben Kläger und dieselben Hunde betreffenden Fällen, aber die Erkenntnisse hält die Kammer für übertragbar (so auch VG München, B.v. 19.1.2001 – M 17 S 00.5801 – BeckRS 2001, 26472 Rn. 26 f.), insbesondere, da ein gefahrauslösender Gesichtspunkt die unzureichende Zugriffsmöglichkeit ist. Die Hunde haben auch ein Rudelverhalten gezeigt, indem sie den Geschädigten umringt haben, was die Antragstellerin nicht bestritten hat.
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Außerdem hat vorliegend ein Hund aus der von der Antragstellerin ausgeführten Menge Herrn E. angegriffen, sodass dieser eine Verletzung davongetragen hat. Dies ist unter den Beteiligten unstreitig. Die ärztliche Bescheinigung vom 16. März 2020 gibt an, dass Herr E. in die Praxis kam, nachdem ihn nach eigenen Angaben ein in einer Hundemeute freilaufender Hund in den rechten Oberschenkel schnappend gebissen habe. Der Arzt führt dann aus: „Es zeigte sich am rechten ventralen kniegelenksnahen Oberschenkel eine typische Verletzung(…)“. Unter Berücksichtigung der Angaben seines Patienten war die Verletzung des Herrn E. typisch für einen Hundebiss, nicht einen Hundesprung. Bei der Aufklärung des Sachverhalts darf die Sicherheitsbehörde grundsätzlich von der Richtigkeit von Zeugenaussagen ausgehen, insbesondere dann, wenn die Aussage den Vorfall detailliert und nachvollziehbar schildert und wenn mehrere Aussagen verschiedener Zeugen übereinstimmen (VG Würzburg, U.v. 13.10.2016 – W 5 K 15.1135 – BeckRS 2016, 119318 Rn. 26). Angesichts der weitgehenden Übereinstimmung der Darstellung der Antragstellerin, des Herrn E. und des Herrn M. sowie der Feststellungen des Arztes bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass ein Hund zugebissen hat. Das Gericht ist unabhängig davon nicht der Auffassung, dass es darauf ankommt, ob die Verletzung von einem Biss oder einer Krallenspur herrührt. Selbst wenn es sich nur um ein Hochspringen gehandelt haben sollte, hängt die Einschätzung der Gefährlichkeit nicht wesentlich von der Größe des Hundes ab. Es ist eine Gefahrenprognose zu treffen, welche bei einem hochspringenden Hund selbst bei ungefähr 30 cm Körperhöhe insbesondere für Kinder negativ ausfällt. Da sich bereits ein Vorfall ereignet hat, bei dem ein Hund einen Menschen angegriffen hat, besteht die konkrete Gefahr, dass der Hund, wenn er ohne Leine im Rudel ausgeführt wird und nicht zurückgehalten werden kann, bei der Begegnung mit anderen Menschen (oder Tieren) diese beißt bzw. an ihnen hochspringt (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2018 – 10 CS 18.1717 – BeckRS 2018, 28749 Rn. 13 f.). Auch wenn nicht von jedem einzelnen Hund ein Angriff ausgegangen ist, muss die Antragsgegnerin keine vollständige Aufklärung des tatsächlichen Ablaufs eines Vorfalls als Voraussetzung für ein sicherheitsbehördliches Einschreiten betreiben. Es muss auch nicht näher aufgeklärt werden, welcher der Hunde angegriffen hat. Jedenfalls waren mehrere Hunde (noch) nicht angeleint und die Antragstellerin hat nicht bestritten, dass die Hunde Herrn E. umringt haben, sodass einer von ihnen beißen konnte. Von welchem Hund Herr E. angegriffen worden ist, kann insofern letztlich offenbleiben (vgl. VG Würzburg, U.v. 13.10.2016 – W 5 K 15.1135 – BeckRS 2016, 119318 Rn. 24 ff.).
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Es begegnet daher keinen Bedenken, dass die Anordnung generell in der Öffentlichkeit gilt (zur Bestimmtheit des Begriffs b.). Es wird dadurch bei einem Ausführen der Hunde innerhalb und außerhalb geschlossener Ortschaft sichergestellt, dass die Antragstellerin in der Lage ist jederzeit bei Auftreten einer Gefahrensituation entsprechend reagieren zu können.
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b. Die Anordnung ist auch bestimmt genug. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des VG Augsburg in seinem Beschluss vom 26. April 2012 – Au 5 S 12.316 (BeckRS 2012, 51328 Rn. 52) und der Bestätigung durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 28. September 2012 – 10 CS 12.1791 (BeckRS 2012, 58260 Rn. 27) im Ausgangspunkt an: Danach bedeutet das Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, dass der Adressat in die Lage versetzt werden muss, zu erkennen, was von ihm gefordert wird. Es genügt, wenn der Adressat auch gegebenenfalls erst im Zusammenhang mit den Gründen des Bescheids und den zugrundeliegenden Umständen die Regelung, die den Inhalt des Verwaltungsakts ausmacht, so vollständig, klar und unzweideutig erkennen kann, dass er sein Verhalten danach ausrichten kann. Auch für einen rechtsunkundigen Adressaten der Anordnung ergibt sich der objektive Erklärungsinhalt der Formulierung „in der Öffentlichkeit“ und damit der räumliche Umfang des angeordneten Leinenzwangs hinreichend deutlich. Es entspricht dem allgemeinen Verständnis des Begriffes „in der Öffentlichkeit“, dass damit die öffentlichen Straßen, Wege, Plätze und öffentliche Gebäude gemeint sind. Dies hat die Antragsgegnerin im zweiten Satz der Ziffer 1 auch dahingehend definiert.
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Anders als möglicherweise – der hiesigen Lesart nach anzunehmen – die genannten Gerichte, geht die Kammer davon aus, dass sich die räumliche Festlegung „in der Öffentlichkeit“ auf alle Bereiche sowohl innerhalb als auch außerhalb geschlossener Ortsteile bezieht. Eine Einschränkung auf die geschlossenen Ortsteile lässt sich dem Bescheid nicht entnehmen, vielmehr scheint es angesichts des Vorfalls vom 14. Februar 2020 gerade Intention der Antragsgegnerin zu sein auch außerhalb eine Vielzahl freilaufender Hunde zu unterbinden. Den vorgenannten Entscheidungen dagegen lag ein (insoweit anderer) Sachverhalt zugrunde, der zunächst einen Leinenzwang für die Bereiche „innerhalb geschlossener Ortschaften“ vorsah und im Rahmen eines mehrere Anordnungen umfassenden Neubescheids nunmehr die Formulierung „in der Öffentlichkeit“ verwendete. Dem mag zugrunde gelegen haben, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sodann feststellte, dass der dortige Antragsteller hinreichend klar erkennen könne, „dass er seine Hunde außerhalb seines Grundstücks oder anderer Privatgrundstücke (…) innerhalb geschlossener Ortschaften an der Leine und mit Maulkorb ausführen“ müsse (BayVGH, B.v. 28.9.2012, a.a.O.). Im vorliegenden Fall spricht dagegen der Sachverhalt für eine räumlich umfängliche Regelung.
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Soweit zwar das An-, nicht aber das Ableinen geregelt werde, bestehen keine Bedenken gegen die Bestimmtheit. Nachdem in Ziffer 1 der Leinenzwang in der Öffentlichkeit geregelt wird, kommt ein Ableinen nur hinsichtlich eines Hundes infrage; dieser muss aber (vorbehaltlich dem Anwendungsbereich einer Verordnung) gar nicht erst angeleint werden.
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Diese Ausnahme für einen Hund gilt mangels Einschränkung sowohl im Innen- als auch im Außenbereich. Hätte die Antragsgegnerin dem eine andere Bedeutung beimessen wollen, als dem objektiven Erklärungsinhalt der Formulierung nach allgemeinem Verständnis zukommt, müsste sie die getroffene Anordnung gegebenenfalls ergänzen (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2012 a.a.O. Rn. 27).
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c. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
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Die Anordnung maximal vier Hunde gleichzeitig zu führen (und davon höchstens einen frei laufen zu lassen) erscheint angesichts der Problematik bei Hunderudeln als geeignete Maßnahme, wenn die Anzahl der Hunde, die beim Spazierengehen mitgeführt werden, beschränkt wird. Nur so ist gewährleistet, dass im Einzelfall ein schneller und effektiver Zugriff auf den einzelnen Hund noch möglich ist. Eine Differenzierung nach den einzelnen Hunden war nach Auffassung der Kammer nicht erforderlich. Selbst wenn nur die kleineren Hunde ausgeführt werden, besteht durchaus die angenommene Gefahr (BayVGH, B.v. 13.1.2005 – 24 ZB 04.664 – BeckRS 2005, 15790 Rn. 17 f.). Die hier gewählte Anzahl von vier Hunden erscheint vertretbar und wird den Bedürfnissen der Antragstellerin auch durchaus gerecht.
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Die Antragsgegnerin hat auch den Bewegungsdrang der Hunde berücksichtigt, indem ein Hund freilaufen darf, insbesondere mangels Einschränkung auch im Innenbereich und im Außenbereich sogar, wenn sich andere Personen oder Tiere nähern. Soweit gefordert wird, dass den Hunden die Möglichkeit eingeräumt werden müsse auf definierten Freilaufflächen sich gleichzeitig unangeleint zu bewegen, ist die Antragstellerin auf nicht öffentliche Flächen zu verweisen, insbesondere ein Privatgrundstück. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 13. Oktober 2016 – W 5 K 15.1135 (BeckRS 2016, 119318) hatte sich mit einem anderen Sachverhalt zu beschäftigen; insbesondere lag eine Anordnung zugrunde, bei der eine (lediglich hinsichtlich der Länge der Leine differenzierende) Kombination von Leinen- und Maulkorbzwang vorgesehen war, während im vorliegenden Fall ein Hund vollständig freilaufen darf.
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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat es in seinem Urteil vom 6. April 2016 – 10 B 14.1054 – (juris Rn. 27) als ermessensfehlerhaft bezeichnet, wenn die Sicherheitsbehörde die Anordnung mit den aus einer „Rudelhaltung“ resultierenden Gefahren begründet hat, ohne im Bescheid auszuführen, ob und weshalb die Gefahren, die von lediglich gemeinsam ausgeführten Hunden ausgehen, mit den Gefahren von im Rudel gehaltenen Hunden (meutetriebliche Stimulation), die zusammen ausgeführt werden, tatsächlich vergleichbar sind. Im zitierten Fall war der Betroffene aber nicht Halter mehrerer Hunde und führte seinen Hund nicht gemeinsam mit anderen Hunden aus, die er nicht hielt und es kam auch noch zu keinem Vorfall, während die Antragstellerin selbst jedenfalls sieben Hunde hält, die sie gemeinsam ausführt und es einen Vorfall gab. In der Akte finden sich auch Vermerke aus dem Jahr 2015, in denen die Antragstellerin angegeben haben soll, dass sie einige Hunde nur zur Pflege aufgrund Urlaubs der Halter betreue bzw. als Freundschaftsdienst vorübergehend aufnehme, was sie bei ihrer Hundesteueranmeldung auch angegeben habe. Ob sie das heute nicht mehr so handhabt, ist den Akten nicht zu entnehmen. Dafür spricht, dass die Antragstellerin am 14. Februar 2020 nach Angaben ihrer früheren Bevollmächtigten mit acht Hunden unterwegs war, nach Angaben des Geschädigten und des Herrn M. mit 12 bis 15. Die Antragstellerin hat nicht vorgetragen, dass es auch Situationen gibt, in denen sie maximal einen ihrer selbst gehaltenen Hunde zusammen mit jeweils nur vorübergehend betreuten Hunden ausführt oder diese sogar komplett separat von ihren selbst gehaltenen Hunden ausführt, sodass die von der Rudelhaltung ausgehenden Gefahren sich möglicherweise nicht realisieren würden. Selbst wenn sie beim streitgegenständlichen Vorfall auch lediglich betreute Hunde dabei hatte, kam es zu einem Biss.
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d. Die zugehörige Zwangsgeldandrohung begegnet keinen Bedenken. Die Zwangsgeldandrohung ist hinreichend bestimmt, Art. 36 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 BayVwZVG. Die Bestimmtheit dient dem Zweck, dem Betroffenen zu erkennen zu geben, für welchen Fall der Nichterfüllung einer Anordnung aus dem streitgegenständlichen Bescheid ihm ein Zwangsgeld in welcher Höhe droht. Eine Androhung zur Durchsetzung mehrerer Verpflichtungen muss erkennen lassen, ob sie sich auf Verstöße gegen jede einzelne Verpflichtung bezieht oder nur auf Verstöße gegen alle Verpflichtungen zugleich (vgl. BVerwG, Gb.v. 26.6.1997 – 1 A 10/95 – NVwZ 1998, 393). Hier ist eindeutig, dass das Zwangsgeld sich auf jeden Verstoß gegen eine Verpflichtung aus Ziffer 1 des Bescheids bezieht und dass für jeden weiteren angeleint ausgeführten oder freigelassenen Hund ein Zwangsgeld von 250 Euro droht bzw. bei einer Kombination von beidem sogar 500 Euro.
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2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich Ziffer 1 ist rechtmäßig erfolgt. Bei wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen, in denen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann die Behörde die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzeigen und deutlich machen, dass diese Interessenlage auch nach ihrer Auffassung im konkreten Fall vorliegt. Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts in Betracht. Denn es liegt auf der Hand, dass ein Hund bzw. Hunde, der bzw. die schon in einen Beißvorfall verwickelt war/en, wieder zubeißen wird/werden, wenn nicht besondere Umstände eintreten, die diese Gefahr ausschließen (BayVGH, B.v. 28.9.2012 – 10 CS 12.1791 – BeckRS 2012, 58260 Rn. 24).
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Gemessen hieran erweist sich die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs als ausreichend.
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3. Die Klage gegen Ziffer 3 hat aller Voraussicht nach Erfolg, soweit ein Zwangsgeld für den Fall angedroht wurde, dass die Antragstellerin gegen Ziffer 2 verstößt. Eine Zwangsgeldandrohung setzt gemäß Art. 19 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (BayVwZVG) voraus, dass der zu vollstreckende Verwaltungsakt nicht mehr mit einem förmlichen Rechtsbehelf angefochten werden kann oder, dass der förmliche Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat oder, dass die sofortige Vollziehung angeordnet ist. Hinsichtlich Ziffer 2 ist keine dieser allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen erfüllt.
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4. Soweit nach Ziffer 3 des Antrags festgestellt werden soll, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig gewesen ist, hat der Antrag keinen Erfolg. Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO sind – soweit ein Vorverfahren geschwebt hat – Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Ein Vorverfahren i.S.d. §§ 68 ff. VwGO ist weder statthaft (Art. 15 Abs. 2, 1 BayAGVwGO) noch wurde eines tatsächlich durchgeführt.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Antragsgegnerin unterliegt nur zu einem geringen Teil, da lediglich die Zwangsgeldandrohung hinsichtlich Ziffer 2 rechtswidrig ist.
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6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 35.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).