Titel:
Erkrankung, Nichtigkeitsgrund, Krankheit, Gutachten, Attest, Mangel, Beschlussverfahren, Rechtsbeschwerde, Einstellung, Psychiatrie, Zwangsvollstreckungsverfahren, Psychotherapie, Aufhebung, Gesundheitszustand, Die Fortbildung des Rechts, einstweilige Einstellung, Wiederaufnahme des Verfahrens
Schlagworte:
Erkrankung, Nichtigkeitsgrund, Krankheit, Gutachten, Attest, Mangel, Beschlussverfahren, Rechtsbeschwerde, Einstellung, Psychiatrie, Zwangsvollstreckungsverfahren, Psychotherapie, Aufhebung, Gesundheitszustand, Die Fortbildung des Rechts, einstweilige Einstellung, Wiederaufnahme des Verfahrens
Vorinstanzen:
AG Mühldorf vom -- – K 90/10
LG Traunstein, Beschluss vom 20.12.2018 – 4 T 2702/12
AG Mühldorf, Beschluss vom 15.10.2010 – K 90/10
AG Mühldorf vom -- – K 90/10
Fundstelle:
BeckRS 2021, 61777
Tenor
1. Der Antrag des Schuldners vom 22.08.2017 auf Wiederaufnahme des Zwangsversteigerungsverfahrens analog § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO wird als unzulässig verworfen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Schuldner.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Auf Antrag der Beteiligten zu 1) vom 12.10.2010 ordnete das Amtsgericht Mühldorf a. Inn mit Beschluss vom 15.10.2010 aufgrund der vollstreckbaren Ausfertigung der Urkunde-des Notars …, vom 21.02.1990, URNr. ... wegen eines dinglichen Anspruchs im Betrage von 76.693,78 EUR nebst Zinsen und Kosten die Zwangsversteigerung des oben genannten Grundbesitzes an. Auf Antrag der Beteiligten zu 3) vom 25.01.2011 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf vom 18.02.2011 aufgrund der vollstreckbaren Ausfertigung der Urkunde des Notars …, vom 21.02.1990, URNr. ... wegen eines dinglichen Anspruchs im Betrage von 25.564,60 EUR nebst Zinsen und Kosten der Beitritt zur Zwangsversteigerung des oben genannten Grundstücks zugelassen.
2
Anträge des Schuldners auf einstweilige Einstellung des Verfahrens gemäß § 30 a ZVG vom 26.10.2010 (Bl. 22) und 23.02.2011 (Bl. 50) und gemäß § 765 a ZPO vom 08.04.2011 (Bl. 62) und vom 17.05.2011 (Bl. 70) wies das Amtsgericht Mühldorf zurück. Die gegen den Verkehrswertfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Mühldorf vom 30.09.2011 eingelegten sofortigen Beschwerden des Schuldners vom 30.09.2011 (Bl. 116/117) und 18.10.2011 (Bl. 121/122) wies das Landgericht Traunstein mit Beschluss vom 12.03.2012 zurück. Der Schuldner erteilte seiner Ehefrau … am 11.06.2012 eine Vertretungsvollmacht (Bl. 235). Diese beantragte mit Schreiben vom 14.06.2012 (Bl. 229/235) „wegen der akuten schweren Erkrankung ihres Mannes“ die einstweilige Einstellung gemäß § 765 a ZPO. Sie führte aus, dass der Schuldner von ihr am 11.06.2012 in die Notaufnahme des Krankenhauses gebracht worden sei. Dort seien Herzrhythmusstörungen festgestellt und vermutet worden, dass der Schuldner einen Schlaganfall erlitten hat. Mit Beschluss vom 18.06.2012 wies das Amtsgericht Mühldorf den Antrag zurück. In dem Versteigerungstermin am 20.06.2012 erfolgte das höchste Gebot durch den Ersteher in Höhe von 90.000,00 EUR. Das Amtsgericht Mühldorf erließ am 20.06.2012 den Zuschlagsbeschluss, wonach das Versteigerungsobjekt für den bar zu zahlenden Betrag von 90.000,00 EUR an den Beteiligten zu 4) zugeschlagen wurde.
3
Mit Schreiben seiner bevollmächtigten Ehefrau vom 04.07.2012 (Bl. 296/301), ergänzend begründet mit Schreiben vom 20.07.2012 (Bl. 319/323) legte der Schuldner u.a. sofortige Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss vom 20.06.2012 ein, die das Landgericht Traunstein mit Beschluss vom 22.08.2012 zurückwies. Gegen diesen Beschluss erhob der Schuldner mit Schreiben seiner bevollmächtigten Ehefrau vom 07.09.2012 Gegenvorstellung und Rüge nach § 321 a ZPO, die das Landgericht Traunstein mit Beschluss vom 15.10.2012 zurückwies.
4
Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten zu 1) vom 22.08.2017 beantragt der Schuldner die Wiederaufnahme des Zwangsversteigerungsverfahrens im Beschlussverfahren analog § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses des Amtsgerichts Mühldorf vom 20.06.2012, Der Schuldner sei in „dem ganzen Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten“ gewesen. Er sei, wie erst jetzt durch ein ärztliches Attest vom 02.08.2017 bekannt geworden sei, aufgrund einer schweren chronischen Alkoholkrankheit während des gesamten Zwangsversteigerungsverfahrens geschäftsunfähig gewesen. Zustellungen seien daher nicht wirksam erfolgt, was einer Zuschlägserteilung entgegenstehe. Der Schuldner sei als „trockener Alkoholiker“ jetzt wieder voll geschäftsfähig.
5
Dem Antrag war ein ärztliches Attest der Gemeinschaftspraxis … vom 02.08.2017 beigefügt in der Folgendes ausgeführt wird:
„Aufgrund der vorliegenden Unterlagen aus der Patientenkartei, beginnend im August 2011, kann eine chronische Alkoholabhängigkeit bereits in den Jahren davor, wie auch eine daraus resultierende Geschäftsunfähigkeit nicht ausgeschlossen werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gilt dies auch für den Zeitraum der Zwangsversteigerung seiner Immobilie, beginnend mit der Zustellung der Urkunde“.
6
Zu einem Hinweis der Kammer vom 19.03.2018 nahm der Verfahrensbevollmächtigte zu 1) des Schuldners mit Schriftsätzen vom 02.04.2018 (Bl. 462/464/Anlage) und 27.04.2018 (Bl. 467/469) Stellung. Die Wiederaufnahme sei analog § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO statthaft. Die Kammer verkenne, dass im damaligen Beschwerdeverfahren keine Überprüfung der Geschäftsfähigkeit des Schuldners stattgefunden hat. Das Gericht hätte diese von Amts wegen prüfen müssen, dies aber nicht getan, obwohl Hinweise dafür vorgelegen hätten. Der Schuldner habe damals keine wirksame Beschwerde eingelegt, da er geschäftsunfähig und nicht wirksam vertreten gewesen sei. Gegebenenfalls müsse das Wiederaufnahmeverfahren in eine außerordentliche Beschwerde nach § 569 Abs. 1 Satz 3 ZPO umgedeutet werden, Zum Beweis der Behauptung, dass der Schuldner „während des ganzen Zwangsversteigerungsverfahrens wohl nicht nur krank, sondern sogar geschäftsunfähig“ war, wurden Zeugenaussagen angeboten (Bl. 463/464), Der Ersteher sei nicht schutzwürdig, da er von dem „extrem schlechten Gesundheitszustand des Schuldners“ gewusst habe.
7
Vorgelegt wurde ein psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie … vom 16.04.2018 (Bl. 470), Darin wird u.a. ausgeführt, dass zumindest zweifelsfrei festgestellt werden kann, „dass … spätestens seit Anfang des Jahres 2012 bis zur Behandlung im März 2015 aufgrund einer Ösophagusvarizenblutung bei äthyltoxischer Leberzirrhose an einer Alkoholabhängigkeit im Stadium des aktiven Konsums litt (ICD-10; F 10.2), was den Schluss zulässt, dass … im genannten Zeitraum zumindest zeitweise unter erheblichem Alkoholeinfluss stand oder aber bei Abstinenzversuchen unter einem Alkoholentzugssyndrom litt“.
8
Der Sachverständige … führte weiter aus:
„Das Vorliegen einer einschlägigen bedeutsamen psychischen Beeinträchtigung ist unter diesen Umständen, durchaus wahrscheinlich. Objektiv feststellbar waren psychische Alkoholismusfolgeerkrankungen jedoch weder im Zuge der Behandlung im … Klinikum in … noch gehen entsprechende eindeutig objektivierbare Hinweise aus den sonstigen vorliegenden Arztberichten hervor“.
9
Das Sachverständigengutachten schließt mit der Passage:
„Zusammenfassend ist hinsichtlich der gutachterlichen rragestellung damit festzustellen, dass das Vorliegen schwerwiegender psychischer Beeinträchtigungen des Probanden im Zusammenhang mit seiner Alkoholabhängigkeit ab Anfang des Jahres 2012 bis März 2015 durchaus wahrscheinlich ist, jedoch aufgrund der vorliegenden Anknüpfungstatsachen nicht sicher objektiviert werden kann.“
10
Der Verfahrensbevollmächtigte des Erstehers beantragte mit Schriftsatz vom 17.06.2018 (Bl. 475/479) die Zurückweisung des Wiederaufnahmeantrages und verwies darauf, dass es an der schlüssigen Behauptung eines Wiederaufnahmegrundes und darüber hinaus an dem Vortrag fehle, dass der Nichtigkeitsgrund im früheren Verfahren nicht geltend gemacht werden konnte. Eine Alkoholabhängigkeit hätte bereits damals dem Gericht mitgeteilt werden können. Der Ersteher sei auch schutzwürdig. Er habe den Schuldner bis dato in der Immobilie wohnen lassen und benötige diese nunmehr zum Eigenbedarf. Hierzu nahm der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners mit Schriftsatz vom 17.08.2018 (Bl. 487/504) Stellung und nahm Bezug auf die vorgelegten Atteste, Zeugenaussagen und das Gutachten des …. Danach habe bei dem Schuldner ein chronischer Alkoholismus vorgelegen, der die Geschäftsfähigkeit ausgeschlossen habe.
11
Mit Beschluss vom 20.12.2018 verwarf das Landgericht Traunstein den Antrag des Schuldners auf Wiederaufnahme analog § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO als unzulässig, weil die Kammer der Ansicht war, dass gegen einen rechtskräftigen Zuschlag keine Wiederaufnahme analog den Vorschriften der Nichtigkeitsklage statthaft ist. Mit der Frage der Geschäftsunfähigkeit des Schuldners beschäftigte sich die Kammer folglich nicht. Gleichzeitig ließ die Kammer die Rechtsbeschwerde zu.
12
Mit Beschluss vom 05.03.2020 hob der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs den Beschluss des Landgerichts Traunstein vom 20.12.2018 auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurück. In diesem Zuge entschied der Senat die bis dato strittige Rechtsfrage dahingehend, dass gegen einen rechtskräftigen Zuschlagsbeschluss eine Wiederaufnahme des Verfahrens analog §§ 578 ff. ZPO statthaft ist, wenn es sich bei dem Wiederaufnahmegrund um einen Zuschlagsversagungsgrund im Sinne von § 100 ZVG handelt.
13
Gleichzeitig wies der Senat für das weitere Verfahren auf Folgendes hin:
14
a) Der Wiederaufnahmeantrag des Schuldners ist nur zulässig, wenn er den Nichtigkeitsgrund des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO schlüssig dargelegt hat (zur Zulässigkeit vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 1993 – X ZR 51/92, NJW 1993, 1596; Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 579 Rn. 9; PG/Meller-Hannich, ZPO, 11. Aufl. § 579 Rn. 18, 20). Die Prozessunfähigkeit muss für die gesamte Dauer des Zwangsvollstreckungsverfahren dargetan sein (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – IX ZB 257/05, WM 2007, 229). Ein nach Erteilung der Prozessvollmacht an seine Ehefrau eingetretener Verlust der Prozessfähigkeit kann den Nichtigkeitsgrund nicht begründen, weil eine wirksam erteilte Prozessvollmacht durch den Eintritt der Prozessunfähigkeit nicht endet (§ 86 ZPO; vgl. dazu BGH, Urteil vom 13. Juli 1954 – V ZR 56/50, juris Rn. 36, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 14, 251; Urteil vom 29. Mai 1963 – IV ZR 73/62, FamRZ 1964, 28, 30; MüKoZPO/Braun, 5. Aufl., § 579 Rn. 13; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23. Aufl., § 579 Rn. 6; Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 579 Rn. 8).
15
b) Erweist sich der Nichtigkeitsantrag des Schuldners als zulässig, hat das Beschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen, ob der Nichtigkeitsgrund nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO vorliegt (HK-ZPO/Kemper, 8. Aufl. § 579 Rn. 9; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23. Aufl., § 579 Rn. 14). Die Beweislast trägt der Schuldner als Antragsteller (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 6. Juni 2007 – 3 U 151/06, juris Rn. 23; OLGR Hamburg 1997, 44; MüKoZPO/Braun, 5. Aufl., § 579 Rn. 13; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23. Aufl., § 579 Rn. 14; Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. vor § 578 Rn. 22). An den Nachweis ist ein strenger Maßstab anzulegen. Verbleiben auch nach einer Beweisaufnahme nicht aufklärbare Zweifel an der Prozessunfähigkeit des Schuldners, ist eine Feststellung des Nichtigkeitsgrundes nicht möglich.
16
Mit Verfügung vom 23.10.2020 wies die Beschwerdekammer des Landgerichts Traunstein unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofes darauf hin, dass erhebliche Zweifel an der Schlüssigkeit des Schuldnervortrages bestünden. Dies stützte die Kammer im Besonderen auf das Privatgutachten des Sachverständigen … (Bl. 479), das der Schuldner durch Bezugnahme zum eigenen Sachvortrag machte. In diesem komme der Sachverständige gerade nicht zum Ergebnis der Geschäftsunfähigkeit des Schuldners, weil hierfür nicht ausreichend Anknüpfungstatsachen vorhanden seien. Gleiches gelte für das zur Begründung des Wiederaufnahmeantrags vorgelegte Attest des Arztes … vom 02.08.2017 (Bl. 434), der ebenfalls keine Geschäftsunfähigkeit feststellen habe können, eine solche nur nicht ausschließen wollte.
17
Der Schuldner nahm mit Schriftsatz seiner zwischenzeitlich bestellten Prozessbevollmächtigten zu 2) vom 20.11.2020 Stellung. Demnach lägen ausreichend Anknüpfungstatsachen vor, um eine den vollen Zeitraum des Zwangsversteigerungsverfahrens abdeckende Geschäftsunfähigkeit schlüssig zu behaupten. Der Schuldner habe an Symptomen der Korsakowschen Krankheit gelitten. Der durch Alkoholsucht verursachte Abbau der Persönlichkeit habe den Wert einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit gem. § 104 Nr. 2 BGB erreicht. Der Schuldner habe bereits 1999 mit starkem Alkoholkonsum begonnen, der sich im Laufen der Zeit gesteigert habe. Schon vor dem Jahr 2010 habe der Schuldner seine Post nicht mehr geöffnet und sei täglich stark alkoholisiert gewesen. Die Schreiben des Schuldners im Verfahren habe dieser stets im betrunkenen Zustand und ohne Anstellung von Überlegungen unterzeichnet. Vor dem Beginn des Verfahrens habe der Schuldner zum Beispiel bei einer Feier innerhalb einer Stunde zwei Flaschen Wein getrunken. Das Schlafzimmer habe stets nach Alkohol gerochen. Spätestens seit 2008 habe der Schuldner täglich nicht brauchbare Produkte bei HSE24 und QVC bestellt, die Rechnungen aber nicht bezahlt. Auch außerhalb des Haushaltes sei der Betroffene seit 2008 negativ aufgefallen. So sei er etwa aggressiv und unter Alkoholgeruch bei seinem Hausarzt erschienen. Bei gesellschaftlichen Anlässen und Veranstaltungen sei sein Alkoholkonsum weit über das übliche Maß hinausgegangen. Im Dezember 2011 sei dem Schuldner ein Burnout-Syndrom mit psychovegetativer Erschöpfung, Schlafstörungen, Unruhe, Kopfschmerzen und Magenproblemen diagnostiziert worden, was auf den massiven Alkoholmissbrauch zurückzuführen sei. Zudem habe der Schuldner an einer schweren Depression gelitten. Labormäßig sei ein erhöhter Alkoholkonsum im August 2011 erstmals diagnostiziert worden, Entsprechende Werte hätten gezeigt, dass allerdings schon lange zuvor ein schwerer Alkoholmissbrauch vorgelegen habe, der mit erheblichen neuropsychologlschen Defiziten einhergegangen sei. Im April 2012 sei es zu einem ersten stationären Alkoholentzug gekommen. In der anschließenden Entwöhnungstherapie habe der Schuldner einen Konsum von einem Liter Wein täglich über die letzten drei Jahre angegeben. Die ausgeprägte Entzugssymptomatik lasse erkennen, dass die Alkoholkrankheit bereits seit Jahren bestanden haben muss. Hinzu käme, dass der Schuldner wohl alkoholbedingt an einem Vitamin B1 Mangel gelitten habe, der zu Schäden des Gehirns (Korsakow-Syndrom) geführt habe. Ob dieser Mangel eventuell psychische Folgen verursacht habe, lasse sich nicht sicher diagnostizieren. Jedenfalls aber habe wohl schon weit vor dem Jahr 2011 eine schwere Alkoholabhängigkeit vorgelegen, während der der Schuldner einen gewissen Blutalkoholspiegel aufrechterhalten habe müssen. Im Jahr 2015 habe beim Schuldner zudem eine weit fortgeschrittene Leberzirrhose vorgelegen, die durch Rückrechnung spätestens im Jahr 2011 bestanden haben müsse. Die schwere Alkoholkrankheit habe aber mit Sicherheit bereits im Jahr 2010 vor Verfahrensbeginn vorgelegen, wahrscheinlich seit 2007. Die hierdurch bedingten deutlichen Defizite im kognitiven und handelnden Bereich hätten zu einer Geschäftsunfähigkeit geführt. Auch die persönliche und von Schicksalsschlägen geprägte persönliche Geschichte sei zu berücksichtigten. Der Schweregrad der Alkohoierkrankung sei „im Querschnitt 2010-2012“ nicht nur als Typ IV, sondern auch als Typ I gekennzeichnet. Die Geschäftsfähigkeit des Schuldners sei seit 2007 auf null reduziert gewesen, Jedenfalls habe der durch Alkohol verursachte Abbau der Persönlichkeit den wert einer Geisteskrankheit bzw. krankhaften Störung der Geistestätigkeit gem. § 104 Nr. 2 BGB verursacht.
18
Mit dem Schriftsatz legte der Schuldner zwei weitere Sachverständigengutachten vor.
19
Im Gutachten des … (Honorarprofessor für Innere Medizin, Gastroenterologie und Alkoholforschung an der Universität …) aus dem Monat November 2020, dem sämtliche Atteste, Arztbriefe, ärztliche Bescheinigungen und Vorgutachten vorlagen, führt dieser abschließend aus:
„Die schwere Alkoholkrankheit zusammen mit der schweren Leberzirrhose, eventuellem B1 Mangel, Medikamenten Nebenwirkungen und die dabei aufgetretene Depression hat die mentale Leistungsfähigkeit von … sicherlich beeinträchtigt im Sinne von physischen und psychischen Symptomen, Konzentrationsfähigkeit, Urteilsbildung und generell kognitive Funktionen. Dies bereits vor 2012. Auf Grund der dargelegten Fakten halte Ich die mentale Leistungsfähigkeit (kognitive Funktionen) von … in den Jahren 2010 bis 2012 für stark eingeschränkt.“
20
An anderer Stelle wird auszugsweise ausgeführt:
„Ein Vitamin B1 Mangel wie er häufig bei schweren Alkoholikern vorkommt kann ebenfalls zu schwere Schäden des Gehirns führen (Korsakow Syndrom)“
(…) Dass ein Vitamin B1 Mangel bei … vorlag ist ziemlich wahrscheinlich, wie ausgeprägt allerdings ein Vitamin B1 Mangel mit eventuellen psychischen Folgen vorlag lässt sich nachträglich nicht sicher diagnostizieren.
(…) Ob darüber hinaus noch ein bedeutungswerter Vitamin B1 Mangel bestand lässt sich im Nachhinein nicht feststellen.“
21
Im weiteren Gutachten des … (Facharzt für Psychiatrie und Neurologie) vom 10.11.2020, dem ebenfalls sämtliche Atteste, Arztbriefe, ärztliche Bescheinigungen und Vorgutachten (Inkl. jenes des SV …) vorlagen, führt dieser abschließend aus:
„Aus meiner fachärztlichen Sicht war er (Anm.: der Schuldner) in Bezug auf seine Geschäftsfähigkeit seit 2007 auf Grund seiner Alkoholabhängigkeit mit Merkmalen vom Typ 4 und Typ 1 nach Lesch (siehe auch W. Platz: Forensische Psychiatrie S: 1441-1464 in Strafverteidigung in der Praxis, 4. Auflage Anwaltspraxis HG.: Brüssow, Gatzweiler, Krekeler Mehle 2007) mit der Einschätzung der Verdlenstmöglichkeiten und auch der Reaktionen darauf sicher in der Geschäftsfähigkeit deutlich reduziert – bis fast aufgehoben. Es ist auch möglich, dass dies bereits seit 1999 der Fall war, aber dies ist heute nicht mehr zu objektivieren.“
22
Mit Anwaltsschriftsatz vom 04.12.2020 nahm der Ersteher Stellung. Der Schuldnervortrag reiche nicht aus, um den Anforderungen des BGH gerecht zu werden. Es fehle nach wie vor an schlüssigem Vortrag. Auch die vorgelegten Gutachten würden hieran nichts ändern. Diese würden die bestehende Unsicherheit nur bestätigen.
23
Mit Schreiben vom 11.12.2020 nahm auch der Prozessbevollmächtigte zu 1) des Schuldners Stellung. Er könne sich dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten zu 2) nur anschließen. Die beiden Gutachten der Sachverständigen … und … würden zum Sachvortrag des Schuldners gemacht. Dessen freie Willensbildung sei im fraglichen Zeitraum aufgehoben gewesen.
24
Mit Schreiben vom 15.12.2020 nahm die Beteiligte zu 1) Stellung. Der Vortrag des Schuldners sei nach wie vor in keiner Weise schlüssig. Beide nunmehr vorgelegten Gutachten würden die Voraussetzungen der Geschäftsunfähigkeit nicht darlegen.
25
Mit Anwaltsschriftsatz vom 30.12.2020 nahm der Schuldner erneut Stellung. Bei den Gutachtern handele es sich um international anerkannte Forscher. Aus deren Diagnosen ergäben sich klare Diagnosen der Suchtform. Es sei von der Korsakowschen Krankheit auszugehen, welche zur Geschäftsunfähigkeit führe. Diese sei auch schlüssig und substantiiert vorgetragen. Dem Wiederaufnahmeantrag müsse daher entsprochen und eine Beweisaufnahme durchgeführt werden.
26
Der Wiederaufnahmeantrag des Schuldners analog § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO erweist sich weiterhin als unzulässig.
27
Nachdem der V. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 05.03.2020 die bis dato streitige Rechtsfrage nunmehr dahingehend entschieden hat, dass gegen einen rechtskräftigen Zuschlagsbeschluss eine Wiederaufnahme des Verfahrens analog §§ 578 ff. ZPO statthaft ist, wenn es sich bei dem Wiederaufnahmegrund um einen Zuschlagsversagungsgrund im Sinne von § 100 ZVG handelt, war nach Aufhebung des Beschlusses der Kammer vom 20.12.2018 erneut über die Frage der Zulässigkeit des Wiederaufnahmeverfahrens zu entscheiden.
28
Zur Orientierung wies der V. Zivilsenat darauf hin, dass der Wiederaufnahmeantrag des Schuldners nur dann zulässig ist, wenn dieser den Nichtigkeitsgrund des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO schlüssig dargelegt hat. Die Prozessunfähigkeit müsse für die gesamte Dauer des Zwangsvollstreckungsverfahren dargetan sein.
29
Die Kammer nahm dies zum Anlass, um mit Verfügung vom 23.10.2020 Bedenken im Hinblick auf die Schlüssigkeit des Schuldnervortrags zu äußern und dem Schuldner Gelegenheit zur Ergänzung zu geben.
30
Auch unter Berücksichtigung des umfangreichen neuen Vortrages des Schuldners unter Vorlage zweier weiterer Sachverständigengutachten ist es diesem nicht gelungen, die vom BGH formulierten und von der Kammer zugrunde gelegten Schlüssigkeitsanforderungen zu erfüllen.
31
Soweit der Schuldner einzelne Verhaltensweisen aus dem betreffenden Zeitraum beschreibt, um Anknüpfungstatsachen für eine durchgehend bestehende Geschäftsunfähigkeit zu schaffen, so genügt dies bei Weitem nicht, um den Anforderungen an die Schlüssigkeit gerecht zu werden. So lässt etwa der Vortrag, der Schuldner habe auf einer Feier innerhalb einer Stunde zwei Flaschen Wein getrunken, ebenso wenig Rückschlüsse auf eine dauerhafte Geschäftsunfähigkeit zu wie jener, dass das Schlafzimmer nach Alkohol gerochen habe oder dass der Schuldner spätestens seit 2008 täglich nicht brauchbare Produkte bei HSE24 und QVC bestellt habe. Gleiches gilt etwa für den Vortrag, der Schuldner sei aggressiv und unter Alkoholgeruch bei seinem Hausarzt erschienen. Selbst die vom Schuldner im Jahr 2012 angegebene Trinkmenge von einem Liter Wein täglich über die letzten drei Jahre als wahr unterstellt, lässt einen Rückschluss auf einen Ausschluss der freien Willensbildung nicht zu.
32
Eine schlüssige und substantiierte Darlegung der Voraussetzungen einer durchgängigen alkoholbedingten Geschäftsunfähigkeit über einen Zeitraum von rund zwei Jahren kann mangels Angabe völlig außergewöhnlicher Trinkmengen nurmehr unter Zuhilfenahme ärztlicher Sachverständiger gelingen, die sowohl die Angaben des Schuldners selbst, als auch die in großer Zahl vorhandenen ärztlichen Zeugnisse/Atteste einordnen und auswerten und schließlich zum Ergebnis gelangen, dass der Gesundheitszustand des Schuldners tatsächlich den Rückschluss auf eine durchgängige Geschäftsunfähigkeit zulässt.
33
Um seiner Darlegungs- und Substantiierungslast zu genügen, hat der Schuldner auch genau diesen Weg beschriften, indem er zunächst ein ärztliches Attest der Gemeinschaftspraxis … vom 02.08.2017, später ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie … vom 16.04.2018 und schließlich zwei weitere Gutachten der Sachverständigen … (Honorarprofessor für Innere Medizin, Gastroenterologie und Alkoholforschung an der Universität …) aus dem Monat November 2020 und … (Facharzt für Psychiatrie und Neurologie) vom 10.11.2020 vorlegte und diese ausdrücklich zum Gegenstand des eigenen Sachvortrages machte.
34
Bezeichnenderweise gelangt jedoch nicht ein einziger der vom Schuldner beauftragten Parteigutachter zu dem Ergebnis, dass der Schuldner im gegenständlichen Zeitraum tatsächlich sicher geschäftsunfähig war. Hierauf wies die Kammer hinsichtlich des ärztlichen Zeugnisses und des Gutachtens des Sachverständigen … bereits mit Verfügung vom 23.10.2020 hin. Dieser kommt zum Ergebnis, dass aufgrund fehlender Anknüpfungstatsachen nicht sicher objektiviert werden kann, dass beim Schuldner schwerwiegende psychische Beeinträchtigungen bestanden. Der Privatgutachter bestätigt damit das zur Begründung des Wiederaufnahmeantrags vorgelegte Attest des Arztes … vom 02.08.2017, der ebenfalls keine Geschäftsunfähigkeit feststellt, sondern lediglich ausführt, dass eine solche nicht ausgeschlossen werden könne.
35
Nichts anderes gilt für die neuesten Gutachten der Sachverständigen … und …, deren Expertise die Kammer trotz der teils ungewöhnlichen äußeren Form (Gutachten Seitz trägt weder Briefkopf noch Datum) nicht anzweifelt. Der Sachverständige … diagnostiziert dem Schuldner zwar eine schwere Alkoholkrankheit zusammen mit einer schweren Leberzirrhose, eventuellem Vitamin B1 Mangel und eine dabei aufgetretene Depression, folgert daraus aber nur, dass „die mentale Leistungsfähigkeit (kognitive Funktionen) von … in den Jahren 2010 bis 2012 (…) stark eingeschränkt“ gewesen sei. Von einem Ausschluss der freien Willensbestimmung als Voraussetzung der Geschäftsunfähigkeit ist hingegen keine Rede. Selbst wenn man das Suchtleiden des Schuldners als krankhafte Störung i.S.d. § 104 Abs. 2 BGB einordnet, weil der durch die Sucht verursachte Abbau der Persönlichkeit bereits das Ausmaß einer Geisteskrankheit oder Geistesschwäche erreicht hat (BGH NJW-RR 2015, 770; BayObLG NJW 1990, 774 (775); BeckRS 2010, 29698 = FamRZ 1991, 608 (609); NJW 2003, 216 (219)), so kann dies nicht darüber hinweghelfen, dass eine stark eingeschränkte mentale Leistungsfähigkeit gerade nicht genügt, um hieran die rechtliche Wertung der fehlenden Geschäftsfähigkeit anzuknüpfen. Es bedarf des Ausschlusses der freien Willensbildung, die der Sachverständige … dem Schuldner nicht diagnostiziert.
36
Noch deutlicher geht dies aus dem Gutachten des Sachverständigen … hervor, der abschließend ausführt, der Schuldner sei „in der Geschäftsfähigkeit deutlich reduziert bis fast aufgehoben“ gewesen. Hierbei lässt das verwendete Wort „fast“ klar erkennen, dass die vom Schuldner gelieferten Anknüpfungstatsachen gerade nicht genügen, um einen Ausschluss der Geschäftsfähigkeit sicher festzustellen.
37
Soweit der Schuldner unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des BayOLG (Beschluss vom 30.11.1989, Az.: 3 Z 153/89) vortragen lässt, er habe an einem Korsakow Syndrom gelitten, weswegen automatisch von seiner Geschäftsunfähigkeit ausgegangen werden müsse, so widerlegt er auch dies gleichzeitig durch Vorlage und Bezugnahme auf das Gutachten des Sachverständigen …. Dieser führt aus, dass „ein Vitamin B1 Mangel wie er häufig bei schweren Alkoholikern vorkommt (…) ebenfalls zu schwere[n] Schäden des Gehirns führen [kann] (Korsakow Syndrom)“. Nur wenige Zeilen später stellt der Sachverständige allerdings fest, dass sich im Nachhinein nicht sicher feststellen lässt, „ob (…) ein bedeutungswerter Vitamin B1 Mangel bestand“. Der Sachverständige stellt dies zwar als wahrscheinlich dar; Mutmaßungen und Wahrscheinlichkeiten genügen indes nicht, um Sachvortrag schlüssig zu machen.
38
Zu berücksichtigen ist ferner, dass Privatgutachter – anders als gerichtlich bestellte Sachverständige – ihren Gutachten nicht nur unbestrittene bzw. bewiesene, sondern vielmehr auch rein subjektive Behauptungen des Schuldners zugrunde legen. Gelangt aber selbst dann nicht ein einziger von drei Privatgutachtern zu dem Ergebnis, dass ausreichend Anknüpfungstatsachen für den Ausschluss der freien Willensbestimmung vorliegen, so kann es dem Schuldner nicht gelingen, dies schlüssig zu behaupten, Das Gericht sieht vorliegend auch keinerlei Anhaltspunkte, warum von der Einschätzung der Privatgutachter, deren Expertise der Schuldner selbst wiederholt betont, abzuweichen wäre.
39
Da sich der Schuldner die Ausführungen der Gutachter ausdrücklich zu eigen gemacht hat, ist es diesem nicht gelungen, die tatsächlichen Voraussetzungen seiner den gesamten gegenständlichen Zeitraum Geschäftsunfähigkeit schlüssig darzulegen. Schlüssig Ist ein Antrag dann, wenn das tatsächliche Vorbringen des Antragstellers, als richtig unterstellt, den Antrag rechtfertigt, ihn also begründet erscheinen lässt. Da dies vorliegend bis zuletzt nicht der Fall ist, war der Wiederaufnahmeantrag als unzulässig zu verwerfen.
40
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
41
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vorliegt noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO).