Titel:
Kosten der Abschiebung, mehrere erfolglose Asylanträge, psychische Erkrankung
Normenketten:
AufenthG § 66
AufenthG § 67
AufenthG § 58
Schlagworte:
Kosten der Abschiebung, mehrere erfolglose Asylanträge, psychische Erkrankung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 17.04.2023 – 19 ZB 22.127
Fundstelle:
BeckRS 2021, 61707
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen einen Kostenbescheid, mit welchem ihm Kosten für seine am 23. März 2021 vollzogene Abschiebung nach Äthiopien in Rechnung gestellt wurden.
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Der Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger, der sich seit dem Jahr 2016 im Bundesgebiet aufhielt. Zuvor hatte er in Schweden erfolglos ein Asylverfahren betrieben. Sein als Zweitantrag behandelter Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) als unzulässig abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth und vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erfolglos. Einen anschließend gestellten Asylfolgeantrag lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 5. Dezember 2019 ebenfalls als unzulässig ab. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 17. Dezember 2020 (B 7 K 19.31784) ab. Den hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. März 2021 (23 ZB 21.30250) ab.
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Am 23. März 2021 wurde der Kläger nach Äthiopien abgeschoben.
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Mit Bescheid vom 10. Mai 2021 stellte die Regierung von … – Zentrale Ausländerbehörde dem Kläger Kosten der Abschiebung in Höhe von 4813,02 EUR in Rechnung. Diese setzten sich zusammen aus den Kosten des Polizeieinsatzes (vier Polizeibeamte), dem Honorar des begleitenden Arztes (21 Arbeitsstunden) sowie der Kosten für die Beschaffung eines Medikamentenvorrats. Die Forderung weiterer entstandener Kosten bleibe vorbehalten.
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Hiergegen ließ der Kläger am 11. Juni 2021 Klage erheben mit dem Antrag,
den Bescheid des Beklagten vom 10. Mai 2021; Az.: … aufzuheben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Kostenbescheid sei wegen der Rechtswidrigkeit der Abschiebung seinerseits rechtswidrig. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Ausländerbehörde die Rechtskraft der asylgerichtlichen Entscheidung nicht abgewartet habe, weil der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. März 2021 dem Kläger vor der Abschiebung nicht zugegangen sei. Dem Kläger hätte nach Erlass der vorgenannten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die Möglichkeit zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde oder Anhörungsrüge sowie zur freiwilligen Ausreise gegeben werden müssen. Dies gelte in besonderem Maße mit Blick auf die psychischen Erkrankungen des Klägers. Es sei ermessensfehlerhaft seitens der Ausländerbehörde, dass der Kläger aus dem Kreis der ausreisepflichtige Personen ausgewählt und seine Abschiebung vorrangig vollzogen worden sei, offenbar deswegen, weil sich der Kläger mit rechtlichen Mitteln gegen die „Abschiebungsanordnung“ zur Wehr gesetzt habe. Der Beklagte werde daher zur Auskunft aufgefordert, wie viele ausreisepflichtigen Personen es in seinem Zuständigkeitsbereich gebe und wie viele davon bereits vor dem Kläger ausreisepflichtig gewesen seien. Die in Rechnung gestellten Abschiebekosten seien auch der Höhe nach nicht nachvollziehbar. Der Einsatz von vier Polizeibeamten sei nicht nötig gewesen, weil der Kläger zu keinem Zeitpunkt gewaltbereit gewesen sei. Hinsichtlich der Abrechnung des begleitenden Arztes sei nicht nachvollziehbar, woraus sich die Stundenvergütung von 65 EUR und die Dienstzeit von 21 Stunden ergeben solle. Ebenso hätte dieser Arzt wegen Besorgnis der Befangenheit nicht eingesetzt werden dürfen, da er den Kläger in seiner Kostennote als „recht anstrengenden Klienten“ bezeichnet habe. Darüber hinaus verletze die Abschiebung Europarecht. § 71 Abs. 5 AsylG verstoße gegen Art. 9 Abs. 2 der Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU). Zudem sei der Erwägungsgrund 29 der vorgenannten Richtlinie verletzt, welcher besondere Verfahrensgarantien unter anderem für Menschen mit psychischen Störungen enthalte. Es werde insofern beantragt, dem Gerichtshof der Europäischen Union im Vorabentscheidungsverfahren folgende Fragen zur Klärung vorzulegen:
1. „Ist ein Mitgliedstaat nach der RL 2013/32/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung) verpflichtet, nach der Ablehnung eines Folgeantrags oder der Durchführung eines solchen Verfahrens wegen einer besonderen Verfahrensgarantie durch eine psychische Störung erneut zur freiwilligen Ausreise aufzufordern.
2. Kann ein Mitgliedstaat in Kenntnis einer psychischen Störung des Antragstellers einen Antragsteller abschieben, ohne dabei seine Stellung als Personengruppe mit besonderen Verfahrensgarantien zu beachten.
3. Verstößt eine nationale Vorschrift, die einen Mitgliedsstaat ermächtigt, bei einem Zweitantrag wo der Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung bedarf gegen Unionsrecht, wenn die abzuschiebende Person besondere Verfahrensgarantien nach der RL 2013/32/EU besitzt.“
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Der Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die Abschiebung des Klägers sei rechtmäßig gewesen. Voraussetzung hierfür sei gemäß § 71 Abs. 5 AsylG, gegen den keine verfassungs- und europarechtlichen Bedenken bestünden, nicht der bestandskräftige Abschluss des Asylfolgeverfahrens, sondern nur die Mitteilung des Bundesamts, dass kein weiteres Asylverfahren durchgeführt werde. Auf seine Ausreisepflicht sei der Kläger bereits beim Ausreisegespräch am 27. Januar 2020 hingewiesen worden. Er habe dabei erklärt, keinesfalls freiwillig ausreisen zu wollen, was im Anschluss auch sein Betreuer wiederholt bestätigt habe. Die Abschiebung sei unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers vollzogen worden. Beteiligt sei auf äthiopischer Seite insbesondere die Organisation „ARRA“ (Agency für Refugee & Returnee Affairs) gewesen, die sich um Empfangnahme der Betreffenden nach der Abschiebung, die Kontaktaufnahme mit Angehörigen im Heimatland sowie erforderlichenfalls die Unterbringung in organisationseigenen medizinischen Einrichtungen kümmere. Der Einsatz von vier Polizeibeamten sowie die ärztliche Begleitung seien im Hinblick auf die in der Vergangenheit wiederholt geltend gemachte Suizidgefahr des Klägers geboten gewesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage kann gem. § 84 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden mit gerichtlichem Schreiben vom 20. Juli 2021 gem. § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO gehört.
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, weil der Bescheid vom 10. Mai 2021 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Nach § 66 Abs. 1 AufenthG hat der Ausländer die Kosten zu tragen, die durch seine Abschiebung entstanden sind. Voraussetzung für die Kostentragungspflicht ist, dass die Abschiebung rechtmäßig war. § 67 Abs. 1 und 2 AufenthG legen den Umfang der forderbaren Kosten fest. Hierzu gehören neben den Reisekosten die Verwaltungs- und Begleitungskosten. Relevanter Beurteilungszeitpunkt für den Leistungsbescheid ist dabei der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Für die inzident zu prüfende Rechtmäßigkeit der Abschiebung ist die im Zeitpunkt der Maßnahme geltende Rechtslage entscheidend.
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Die Abschiebung des Klägers nach Äthiopien war rechtmäßig. Auch gegen den Umfang der erhobenen Kosten bestehen keine rechtlichen Bedenken. Die Einwendungen des Klägerbevollmächtigten greifen nicht durch.
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1. Voraussetzung für den Vollzug der Abschiebung im Falle eines Asylfolgeverfahrens ist gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 nicht dessen bestandskräftiger Abschluss, sondern nur die Mitteilung des Bundesamts, dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. Im vorliegenden Fall wurde die Entscheidung des Bundesamts über den Asylfolgeantrag des Klägers darüber hinaus aber vor dem Tag der Abschiebung tatsächlich im verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren in zwei Instanzen überprüft und für rechtmäßig befunden. Dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes wurde angesichts der jahrelangen Gerichtsverfahren daher offensichtlich genügt. Zuletzt hatte sich das Verwaltungsgericht Bayreuth im Urteil vom 17. Dezember 2020 ausführlich mit der gesundheitlichen Situation des Klägers auseinandergesetzt, die verschiedenen ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten eingehend gewürdigt und insbesondere ein zielstaatsbezogenes, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot verneint.
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Der Einwand des Klägerbevollmächtigten, dem Kläger hätte nach dem asylgerichtlichen Verfahren über den Folgeantrag nochmals explizit die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise eingeräumt werden müssen, greift nicht durch. Gemäß § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG bedarf es im Falle eines Asylfolgeantrags, der nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt, keiner erneuten Abschiebungsandrohung oder Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise. Bereits beim Ausreisegespräch am 27. Januar 2020 erklärte der Kläger im Übrigen zur Niederschrift der Ausländerbehörde ausdrücklich, dass er nicht bereit sei, freiwillig in sein Heimatland zurückzukehren; ihm sei bewusst, dass er vollziehbar ausreisepflichtig sei und somit zeitnah mit einer Abschiebung rechnen müsse (Bd. 4 der Behördenakte, Bl. 334). Auch der Betreuer des Klägers hatte gegenüber der Ausländerbehörde am 17. Januar 2020 erklärt, dass der Kläger „keinesfalls das Bundesgebiet freiwillig verlassen wird“ (Bd. 4 der Behördenakte, Bl. 289). Damit bestand für die Zentrale Ausländerbehörde keinerlei Anlass, von einer Bereitschaft des Klägers zur freiwilligen Ausreise auszugehen. Es lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich dies nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens über den Asylfolgeantrag ändern würde. Die freiwillige Ausreise war daher nicht gesichert i.S.d. § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Darüber hinaus lag hier auch die Tatbestandsalternative des § 58 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. AufenthG vor, weil die Ausreise gem. § 58 Abs. 3 Nr. 2, 4, 5 und 7 AufenthG überwachungsbedürftig war.
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2. Der Vorwurf des Klägerbevollmächtigten, dass die Zentrale Ausländerbehörde den Kläger rechtsfehlerhaft aus dem Kreis der ausreisepflichtigen Personen ausgewählt und seine Abschiebung priorisiert habe, weil sich der Kläger gerichtlich zur Wehr gesetzt habe, entbehrt jeder Grundlage. Gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG „ist“ (keine Ermessensentscheidung) ein Ausländer unter den dort genannten Voraussetzungen abzuschieben. Zweifelsohne besitzt die Ausländerbehörde einen Spielraum betreffend den Zeitpunkt und die Modalitäten der Abschiebung (vgl. Hailbronner/Fritzsch in Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Oktober 2021, § 58 AufenthG Rn. 11). Wie der Kammer aus einer Vielzahl von ausländerrechtlichen Streitverfahren bekannt ist, ist es keineswegs eine Seltenheit, dass Ausländer erst nach einer größeren Zahl – gegebenenfalls auch langwieriger – Gerichtsverfahren abgeschoben werden. Das Gericht hat dabei weder in diesem noch in anderen Verfahren irgendeinen Anhaltspunkt dafür gesehen, dass sich die Einlegung von Rechtsbehelfen für den rechtsschutzsuchenden Ausländer nachteilig auswirkt, was den Zeitpunkt oder die Modalitäten der Abschiebung betrifft.
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3. Die von dem Klägerbevollmächtigten geltend gemachten verfassungs- und europarechtlichen Einwände, welche dieser maßgeblich auf die gesundheitliche Situation des Klägers stützt, greifen ebenfalls nicht durch.
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Zunächst ist festzustellen, dass die Ausländerbehörde beim Vollzug der Abschiebung die organisatorischen Rahmenbedingungen geschaffen hat, um der gesundheitlichen Situation des Klägers Rechnung zu tragen. Die gesamte Maßnahme wurde ärztlich begleitet. Darüber hinaus hat die Ausländerbehörde einen Vorrat verschiedener Medikamente für den Kläger beschafft (Apothekenrechnung gemäß Bl. 65 d.A.). Schließlich ist gerade beim Zielland Äthiopien durch Beteiligung der Organisation „ARRA“ sichergestellt, dass die Ankunftssituation im Zielstaat, auch für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, geordnet ist. Darüberhinausgehende Fragen der Wiedereingliederung und gesundheitlichen Versorgung im Herkunftsland sind zielstaatsbezogenen. Sie sind nicht von der Ausländerbehörde zu prüfen, sondern waren Gegenstand der vom Kläger betriebenen Asylverfahren. An die asylrechtlichen Entscheidungen ist die Ausländerbehörde gem. §§ 6 Satz 1, 42 Satz 1 AsylG gebunden.
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Der von dem Klägerbevollmächtigten beantragten Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bedurfte es nicht. Es besteht keine Vorlagepflicht i.S.d. Art. 267 Abs. 3 AEUV, da das erkennende Gericht nicht in letzter, sondern in erster Instanz entscheidet. Auch Umstände, die ausnahmsweise eine Vorlagepflicht des erstinstanzlichen Gerichts begründen könnten, liegen nicht vor. Solche Umstände liegen insbesondere dann vor, wenn das Erstgericht eine Vorschrift des Unionsrechts als ungültig außer Acht lassen will (EuGH, U.v. 22.10.1987 – Rs 314/85 – NJW 1988, 1451; Rennert in Eyermann, 15. Aufl. 2019, § 94 Rn. 20; Dörr in Sodann/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, Art. 267 AEUV Rn. 124). Dies ist hier nicht der Fall.
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Auch eine im gerichtlichen Ermessen stehende Vorlage nach Art. 267 Abs. 2 AEUV kommt nicht in Betracht. Die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit und Erforderlichkeit einer solchen Vorlage ist grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts. Die Parteien des Ausgangsverfahrens können ein Vorabentscheidungsverfahren regelmäßig lediglich anregen, nicht aber erzwingen (vgl. Wegener in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Auflage 2022, Art. 267 AEUV Rn. 22; Dörr in Sodann/Ziekow, VwGO, Art. 267 AEV Rn. 115). Erforderlich ist eine Vorlage nur dann, wenn das nationale Gericht Auslegungs- oder Gültigkeitszweifel hegt (Rennert in Eyermann, VwGO, § 94 Rn. 18). Derartige Auslegungs- und Gültigkeitszweifel hat das erkennende Gericht nicht. Im Einzelnen:
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Sofern der Klägerbevollmächtigte in der Klageschrift den Vollzug der Abschiebung vor dem Abschluss des Asylfolgeverfahren angreift und in diesem Zusammenhang auf den „Zugang“ des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. März 2021 abstellt, ist ein Vorabentscheidungsersuchen schon nicht entscheidungserheblich. Denn im Zeitpunkt der Abschiebung war das Asylfolgeverfahren bereits bestandskräftig abgeschlossen. Nach Mitteilung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs lief der vorgenannte Beschluss bereits am 19. März aus. Damit war der Beschluss jedenfalls am Tag der Abschiebung bereits „erlassen“ und das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 7. Dezember 2020 gem. § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 96).
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Auch unabhängig davon ist die Vorlage aber jedenfalls nicht erforderlich, weil das erkennende Gericht keine Zweifel daran hat, dass der Vollzug der Abschiebung in Anwendung des § 71 Abs. 5 AsylG, der keine erneute Abschiebungsandrohung und Fristsetzung voraussetzt und die Abschiebung bereits nach der Entscheidung des Bundesamts, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, zulässt, im vorliegenden Fall unionsrechtskonform ist. Der Klägerbevollmächtigte bezieht sich in seiner Replik vom 19. Juli 2021 (S. 4) auf Art. 9 Abs. 2 RL 2013/32/EU (sog. Asylverfahrensrichtlinie), der wiederum auf Art. 41 RL 2013/32/EU Bezug nimmt. Der Bevollmächtigte führt insofern aus, dass hier keine Ausnahme i.S. dieses Art. 41 („Ausnahmen vom Recht auf Verbleib bei Folgeanträgen“) vorliegt. Das trifft nicht zu: Der mit Bescheid des Bundesamts vom 5. Dezember 2019 als unzulässig abgelehnte Folgeantrag stellte nach der europarechtlichen Terminologie einen weiteren Folgeantrag im selben Mitgliedstaat (Deutschland) dar, der dem Kläger gem. Art. 41 RL 2013/32/EU, genauer Abs. 1 UA 1 Buchst. b, kein Bleiberecht bis zur bestandskräftigen Ablehnung dieses Folgeantrags gewährte. Dies ergibt sich daraus, dass unionsrechtlich ein Zweitantrag i.S.d. § 71a AsylG – als solcher wurde der erste Asylantrag des Klägers im Bundesgebiet nach dem vorangegangenen Asylverfahren in Schweden eingestuft – einen „Folgeantrag“ i.S.d. Legaldefinition des Art. 2 Buchst. q RL 2013/32/EU darstellt. Der unionsrechtliche Begriff des „Folgeantrags“ ist mit anderen Worten nicht auf im selben Mitgliedstaat gestellte Asylanträge beschränkt und umfasst daher auch den Zweitantrag i.S.d. § 71a AsylG (OVG Bremen, U.v. 3.11.2020 – 1 LB 28/20 – juris Rn. 45 f.; SächsOVG, B.v. 27.7.2020 – 5 A 638/19.A – juris Rn. 12; OVG Berlin-Bbg, B.v. 13.10.2020 – OVG 6 N 89/20 – juris Rn. 19; Hailbronner in Hailbronner, Ausländerrecht, § 71a AsylG Rn. 6).
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Auch sofern sich der Klägerbevollmächtigte weitergehend mit dem Erwägungsgrund Nr. 29 RL 2013/32/EU befasst, bestehen keine Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts im vorliegenden Fall. Dieser Erwägungsgrund hält fest, dass bestimmte Antragsteller, u.a. Personen mit „psychischen Störungen“, „unter Umständen bestimmte Verfahrensgarantien“ benötigen. Die Mitgliedstaaten sollten bestrebt sein, solche Antragsteller „als solche zu erkennen, bevor eine erstinstanzliche Entscheidung ergeht“. Die Antragsteller sollen eine angemessene Unterstützung erhalten, um „das Verfahren effektiv in Anspruch zu nehmen und die zur Begründung ihres Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Angaben zu machen“. Daraus ergibt sich nichts für die von dem Klägerbevollmächtigten vertretene Auffassung, dass Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen nach erfolglosem Asylfolgeverfahren nochmals zur freiwilligen Ausreise aufgefordert werden müssen. Zielrichtung des Erwägungsgrundes ist ersichtlich, dass Menschen mit „psychischer Störung“ ihr Schutzbegehren effektiv vorbringen und durchsetzen können. Daran, dass der Kläger hier trotz seiner psychischen Beeinträchtigung sein Schutzbegehren effektiv verfolgen konnte, können keine ernsthaften Zweifel bestehen. Der Kläger hat – nachdem er bereits in Schweden erfolglos um Asyl nachgesucht und dort in zwei Instanzen geklagt hatte – in Deutschland jahrelang Gerichtsverfahren wegen der beiden von ihm in der Bundesrepublik gestellten Asylanträge betrieben und blieb jeweils in zwei Instanzen erfolglos. In den Gerichtsverfahren wurde auch die gesundheitliche Situation des Klägers unter Auswertung verschiedener ärztlicher Stellungnahmen und Gutachten eingehend gewürdigt, zuletzt ausführlich im Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 17. Dezember 2020. Ihm standen zudem ein Betreuer und verschiedene Rechtsanwälte zur Seite.
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Zu der von dem Klägerbevollmächtigten als maßgeblich erachteten Frage der (nochmaligen) Ermöglichung der freiwilligen Rückkehr verhält sich der Erwägungsgrund Nr. 29 RL 2013/32/EU hingegen ersichtlich nicht. Dies wird erhellt dadurch, dass die RL 2013/32/EU das Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes regelt und nicht die Rückführung. Letztere ist vielmehr Regelungsgegenstand der Rückführungsrichtlinie RL 2008/115/EG. Die Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise ist dort in Art. 7 geregelt und national in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG umgesetzt (vgl. Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht 7. Auflage 2020, § 2 Rn. 241). Eine dementsprechende Abschiebungsandrohung enthielt bereits der Bescheid des Bundesamts vom 15. September 2017 betreffend den Zweitantrag (§ 71a AsylG) des Klägers; die dort gesetzte Frist zur freiwilligen Ausreise war im Zeitpunkt der Abschiebung abgelaufen. Eine erneute Abschiebungsandrohung und Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise fordert die RL 2008/115/EG nicht (VG Minden, B.v. 28.4.2021 – 1 L 741/20.A – BeckRS 2021, 12040 Rn. 45 ff.). Vielmehr verlangt die praktische Wirksamkeit der RL 2008/115/EG, dass ein nach dieser Richtlinie eingeleitetes Verfahren, in dessen Rahmen eine Rückkehrentscheidung ergangen ist, in dem Stadium, in dem es wegen der Stellung eines (weiteren) Antrags auf internationalen Schutz unterbrochen wurde, wieder aufgenommen werden kann, sobald dieser Antrag „erstinstanzlich“ (d.h. durch die zuständige Behörde) abgelehnt wurde (EuGH, U.v. 15.2.2016 – C-601/15 – NVwZ 2016, 1789 Rn. 75) . Dem gem. Art. 5 RL 2008/115/EG u.a. zu berücksichtigenden „Gesundheitszustand“ der rückzuführenden Person hat der Beklagte durch die o.g. Vorkehrungen bei der Durchführung der Abschiebung Rechnung getragen.
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4. Schließlich greifen auch die Rügen des Klägerbevollmächtigten gegen den Umfang der Kostenerstattungspflicht nicht durch. Der Einsatz von vier Polizeibeamten war angesichts der im Raum stehenden Suizidalität ohne Weiteres gerechtfertigt. Die angesetzten Kosten der ärztlichen Begleitung sind hinsichtlich Umfang und Höhe ebenfalls nicht zu beanstanden. Ein Stundensatz von 65 EUR, der noch dazu teilweise die Nachtzeit betrifft, ist für einen approbierten Arzt offensichtlich nicht überhöht. Eine Pauschalvergütung war zulässig, weil die Gebührenordnung für Ärzte im Verhältnis zwischen dem Beklagten und dem beigezogenen Arzt nicht gilt (vgl. BGH, U.v. 12.11.2009 – III ZR 110/09 – NJW 2010, 1148/1149 Rn. 9). Der Geltendmachung der Kosten der ärztlichen Begleitung steht auch nicht die Besorgnis der Befangenheit (Art. 22 BayVwVfG) hinsichtlich des beigezogenen Arztes entgegen. Allein die Bezeichnung des Klägers als „recht anstrengenden Klienten“ in der ärztlichen Kostenforderung rechtfertigt diesen Vorwurf gegen den hier als Verwaltungshelfer beigezogenen Arzt nicht. Die ärztliche Kostennote wurde formuliert, nachdem die Abschiebung bereits vollzogen war. Dass die ärztliche Begleitung selbst nicht fachgerecht wahrgenommen oder der Kläger von seitens des Arztes unangemessen behandelt wurde, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dass die Begleitung der Abschiebung aus Sicht des beigezogenen Arztes besonders herausfordernd war, ist im Übrigen angesichts der verschiedenen von dem Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen – von denen nicht alle im Asylverfahren für glaubhaft befunden wurden – nicht von der Hand zu weisen.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.