Inhalt

FG München, Urteil v. 22.11.2021 – 7 K 1778/20
Titel:

Keine Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist

Normenketten:
AO § 110 Abs. 2, § 355 Abs. 1 S. 1
FGO § 135 Abs. 1
Schlagworte:
Organisationsverschulden, verspätete Einspruchsfrist, Betriebsausgaben, Glaubhaftmachung, Einspruchsfrist
Rechtsmittelinstanz:
BFH München, Beschluss vom 05.04.2023 – I B 98/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 61646

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

I.
1
Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der A GmbH. Die A GmbH wurde mit der B GmbH (Klägerin) verschmolzen. Gegenstand des Unternehmens war Vermögensverwaltung aller Art, insbesondere Erwerb von Unternehmensbeteiligungen, Verwaltung von Beteiligungen an Unternehmen, Verwaltung eigenen Vermögens sowie Beratung der gehaltenen Gesellschaften in Fragen der Unternehmensführung und -finanzierung. Die B GmbH ist Teil des Konzerns der XYT AG.
2
Nach Abschluss einer Außenprüfung bei der A GmbH erließ das Finanzamt am 15. Dezember 2009 unter anderem einen nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheid über Körperschaftsteuer für 2003, mit dem die Körperschaftsteuer 2003 auf 1.609.059 € festgesetzt wurde. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde in diesem Bescheid aufgehoben.
3
Mit Schreiben vom 27. April 2010, das am 28. April 2010 (Frühleerung 29. April 2010) beim Finanzamt einging, legte die Klägerin, vertreten durch die Z Steuerberatungsgesellschaft (Z) Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund unverschuldeter Fristversäumnis. Im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. November 2008 (I R 07/08) und die anhängige Verfassungsbeschwerde (2 BvR 862/09) gegen den im Prüfungsbericht vom 6. November 2009 versagten pauschalen Betriebsausgabenabzug für Drittstaatendividenden sei mit Schreiben vom 13. Januar 2010 Einspruch eingelegt und das Ruhen des Verfahrens bis zum Ergehen der Entscheidungen beantragt worden. Das Schreiben vom 13. Januar 2010 sei jedoch versehentlich nicht versandt worden.
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Ursprünglich seien die Bescheide durch die zuständige Sachbearbeiterin der Z ohne Änderung geprüft worden. Aufgrund des Hinweises auf Seite 22 des Betriebsprüfungs-Berichts sei allerdings der Einspruch vom 13. Januar 2010 verfasst worden. Bei Durchsicht der Gesellschaftsakte im Rahmen der Überarbeitung der Steuererklärungen für die Folgejahre (2006 bis 2008) sei das offensichtlich nicht versandte Schreiben entdeckt worden. Offensichtlich sei das Einspruchsschreiben durch die für die Versendung des Schreibens zuständige, ansonsten zuverlässige Sekretärin, die seit 2007 auch ohne Beanstandung das Fristenkontrollbuch für den Standort München führe, nicht versandt, sondern vor Einholung der Zweitunterschrift in der Gesellschaftsakte abgelegt worden. Die Sekretärin sei bei Übergabe des Einspruchsschreibens insbesondere auf dessen Bedeutung im Hinblick auf die Fristwahrung (18. Januar 2010) und auf die Abweichung vom ursprünglichen Schreiben über die Bescheidprüfung vom 11. Januar 2010 hingewiesen worden.
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Mit Schreiben vom 15. Juni 2010 forderte das Finanzamt die Klägerin auf, den Wiedereinsetzungsantrag weiter zu begründen und insbesondere mitzuteilen, wann die Fristversäumnis festgestellt wurde. Außerdem wurde das Originaleinspruchsschreiben vom 13. Januar 2010 angefordert und um Erläuterung der Organisation der Postausgangskontrolle in der Steuerkanzlei gebeten.
6
Mit Schreiben vom 23. Juli 2010 legte die Z dem Finanzamt eine Kopie des Einspruchsschreibens vom 13. Januar 2010 sowie die Kopie eines Arbeitszeugnisses ihrer Mitarbeiterin E. vom 24. März 2010 vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Arbeitszeugnis Bezug genommen. Auf dem Einspruchsschreiben ist über den am unteren Seitenrand enthaltenen zwei Absendern nur die handschriftliche Unterschrift von X angebracht. Die Z. erläuterte, dass das Einspruchsschreiben bei der Erstellung der Steuererklärungen 2006 bis 2009 und der Durchsicht der Gesellschaftsakte der A GmbH am 16. April 2010 zu Tage gekommen sei.
7
Nachdem die zuständige Sachbearbeiterin der Z den Körperschaftsteuerbescheid 2003 vom 15. Dezember 2009 ursprünglich ohne Änderungen geprüft hatte, habe die Sekretärin sogleich nach Versand und Freigabe durch die zuständige Sachbearbeiterin die Frist im elektronischen Fristenbuch ordnungsgemäß gestrichen. Im Rahmen des Postausgangs würden am Standort München durch die jeweils zuständige Sekretärin die zum Versand vorgesehenen Unterlagen ins elektronische Postausgangsbuch unter Angabe von Datum, Adressat und Inhalt eingetragen und Kopien dieser Unterlagen erstellt. Anschließend würden die Originale bei der Poststelle hinterlegt und dort pro Tag gesammelt. Die in der Poststelle gelagerten Briefe würden täglich zum Versand abgeholt. Abschließend würden die Kopien durch die zuständige Sekretärin in der jeweiligen Gesellschaftsakte abgelegt. Für den Einspruch vom 13. Januar 2010 sei vor Versand die Einholung der Zweitschrift erforderlich gewesen. Jedoch habe die zuständige Sekretärin versehentlich das fristgebundene Schreiben beim Sortieren der noch zu unterschreibenden Unterlagen mit den Unterlagen vermengt, die zum Ablegen in die jeweilige Gesellschaftsakte vorgesehen waren. Grund hierfür sei gewesen, dass die Sekretärin die „Unterschriftsmappe“ mit der „Ablagemappe“ vertauscht habe. Die Sekretärin habe ihre Aufgaben, zu denen auch die Führung des Fristenkontrollbuchs gehöre, zuverlässig und verantwortungsbewusst erledigt, wie sich auch aus dem beiliegenden Zwischenzeugnis entnehmen lasse. Der hier dargelegte Vorfall sei ihr zum ersten Mal unterlaufen.
8
Mit an die Steuerabteilung der XYZ AG gerichteten Schreiben vom 14. Mai 2019 und 31. Juli 2019 teilte das Finanzamt der XYZ AG auf deren entsprechende Anfrage hin mit, dass die Bearbeitung des Einspruchs der Klägerin ebenso wie die Bearbeitung der Einsprüche weiterer Firmen des XYZ Konzerns bis zur Erklärung der Anwendbarkeit des BFH-Urteils vom 24. Juli 2018 (I R 75/16) weiterhin zurückgestellt sei. Das Schreiben vom 14. Mai 2019 enthält eine Auflistung der für die Veranlagungszeiträume 1999 bis 2001 anhängigen Rechtbehelfsverfahren von Unternehmen des XYZ Konzerns, dabei wird auch die Klägerin aufgezählt (Bl. 103 ff Rb-Akte).
9
Nach Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 24. Juli 2018 teilte das Finanzamt der Klägerin mit Schreiben vom 10. Januar 2020 mit, dass die den Wiedereinsetzungsgrund stützenden Tatsachen nicht glaubhaft gemacht worden seien. Insbesondere könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Einspruchsschreiben tatsächlich erst nach Ablauf der Einspruchsfrist angefertigt worden sei. Außerdem sei der Name der zuständigen Sachbearbeiterin nicht mitgeteilt worden. Das Zwischenzeugnis vom 24. März 2010 sei ohne Namensbenennung (Name extra überstrichen) vorgelegt worden. Eine Glaubhaftmachung der Umstände, beispielsweise durch eine eidesstattliche Versicherung, sei nicht erfolgt. Das vorgebliche Einspruchsschreiben vom 13. Januar 2010 sei bisher nicht im Original, sondern erst mit Stellungnahme vom 23. Juli 2010 als Kopie vorgelegt worden. Auch das Fristenbuch sei nicht eingereicht worden. Dem Wiedereinsetzungsantrag könne daher nicht entsprochen werden.
10
Mit Schreiben vom 27. Februar 2020 der Steuerabteilung der Konzerngesellschaft XYZ AG bzw. Schreiben vom 28. Februar 2020 der Z verwies die Klägerin auf die bisher vorgelegten Unterlagen und erklärte, dass sie davon ausgegangen sei, dass dem Antrag auf Wiedereinsetzung stillschweigend entsprochen worden sei. Die Verwaltung habe sich über einen Zeitraum von zehn Jahren nicht zu dem Antrag geäußert. Im Rahmen von Besprechungen seien ausschließlich materiell-rechtliche Fragen mit der Finanzverwaltung erörtert worden. Nach der Rechtsprechung des BFH komme auch die stillschweigende Gewährung einer Wiedereinsetzung in Betracht.
11
Mit Schreiben der Z vom 28. Februar 2020 wurde E als zuständige Mitarbeiterin benannt und das Original-Einspruchsschreiben vom 13. Januar 2010 sowie der Originalbescheid vom 15. Dezember 2009 vorgelegt. Auf dem auf dem Originalbescheid von der Z. angebrachten Stempelfeld ist die Eintragung in das Fristenkontrollbuch am 21. Dezember 2009, das Fristende mit 18. Januar 2010 und das Stempelfeld „geprüft“ mit „4. Januar 2010 AF“ vermerkt. Bei dem Eintrag „Einspruch eingelegt: Ja/nein“ wurde zunächst mit heller Tinte „nein“ eingekreist. Dieser Kreis wurde später mit Kugelschreiber durchgestrichen. Die Vorgabe „ja“ ist eingekreist und mit dem handschriftlichen Vermerk „gen. B (Namensparaphe) 12/1/10“ dokumentiert. Ein Unterschriftenvergleich mit dem Schreiben vom 28. Februar 2020 legt nahe, dass es sich hierbei um das Namenskürzel von Steuerberater X handelt.
12
Das Finanzamt gab dem Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist jedoch nicht statt. Mit Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2020 wurde der Einspruch vom 27. April 2010 gegen den Körperschaftsteuerbescheid 2003 vom 15. Dezember 2009 als unzulässig verworfen.
13
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der insbesondere die Organisation der Fristenüberwachung im Büro der Z im Streitjahr erläutert wird. Posteingänge mit Fristen, insbesondere Steuerbescheide, seien in einem kanzleiinternen elektronischen Fristenbuch erfasst worden, für das E zuständig gewesen sei (vgl. Arbeitsanweisung Posteingang/Fristenkontrollbuch Stand 1. April 2008, als Anlage K2). Die Fristen seien durch die für die Fristenkontrolle zuständigen Mitarbeiter am Standort überwacht worden. Der zuständige Mitarbeiter habe den jeweils zuständigen Sachbearbeiter erstmals zehn Tage vor Fristablauf und dann noch einmal drei Tage vor Fristablauf („Vorfrist“) schriftlich bzw. per E-Mail über den Fristablauf mit der Bitte um Rückmeldung über den Sachstand der befristeten Angelegenheit informiert, sofern die Frist zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgetragen gewesen sei. Soweit auf die zweite Vorfrist keine Reaktion erfolgt sei, sei der mandatsveranwortliche Berufsträger am Folgetag, also zwei Tage vor Fristablauf, informiert worden. Austragungen aus dem Fristenkontrollbuch hätten eine entsprechende schriftliche Veranlassung des befassten Sachbearbeiters vorausgesetzt. Einträge in das Fristenkontrollbuch seien durchgängig durch einen dazu beauftragten Berufsträger (Rechtsanwalt) kontrolliert worden.
14
Die jeweils zuständige Sekretärin habe die zum Versand vorgesehenen Unterlagen in das elektronische Postausgangsbuch unter Angabe von Datum, Adressat und Inhalt eingetragen und Kopien dieser Unterlagen erstellt. Anschließend seien die Originale in den Postausgangskorb gelegt und täglich zum Versand abgeholt worden. Abschließend seien die Kopien durch die zuständige Sekretärin in der jeweiligen Gesellschaftsakte abgelegt worden.
15
Mit eidesstattlicher Versicherung vom 26. Februar 2021 erklärte X. als mandatsbetreuender Partner der Z, dass F als Sachbearbeiterin sowie E. als Mitarbeiterin im Office Management tätig gewesen seien. Ursprünglich sei der Bescheid durch F ohne Änderung geprüft worden. Am 4. Januar 2010 habe sie im Stempelfeld mit ihren Initialen („AF“) die Einspruchseinlegung mit „nein“ vermerkt. Am 12. Januar 2010 sei bei Ablage des Körperschaftsteuerbescheids allerdings der Hinweis im Betriebsprüfungsbericht auf Blatt 24 hinsichtlich des pauschalen Betriebsausgabenabzugs für Drittstaatendividenden aufgefallen. Mit Blick auf die damals anhängige Verfassungsbeschwerde habe er das Einspruchsschreiben entworfen und am 13. Januar 2010 fertig gestellt. Er habe in dem Stempelfeld mit Datum „geä. 12.1.10“ die Einspruchseinlegung in „ja“ geändert. E sei bei Übergabe des Einspruchsschreibens insbesondere auf dessen Bedeutung im Hinblick auf die Fristwahrung zum 18. Januar 2010 und auf die Abweichung vom ursprünglichen Vermerk über die Bescheidprüfung vom 11. Januar 2010 hingewiesen worden. Frau E. führe das Fristenkontrollbuch für den Standort München seit 2007 und habe die Vorgaben für den Postausgang der Z gekannt.
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Für den Einspruch sei vor Versand die Einholung einer Zweitunterschrift erforderlich gewesen. Hierbei habe E. versehentlich das fristgebundene Schreiben beim Sortieren der noch zu unterschreibenden Unterlagen mit denen, die zum Ablegen in die jeweilige Gesellschaftsakte vorgesehen waren, verwechselt und die „Unterschriftsmappe“ mit der Ablagemappe“ vertauscht.
17
E habe die interne Arbeitsanweisung für das Fristenkontrollbuch gekannt, nach der die Frist bei versandten Schriftstücken nur gestrichen werden dürfe, wenn eine entsprechende Veranlassung des befassten Sachbearbeiters und Anlass hierzu bestanden habe. Da Einspruch gegen einen Körperschaftsteuerbescheid eingelegt worden sei, habe Anlass zur Streichung der Frist bestanden, die durch F. veranlasst worden sei.
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Erst bei Überarbeitung und Erstellung der Steuererklärungen 2006 bis 2009 sei bei Durchsicht der Gesellschaftsakte am 16. April 2010 das Einspruchsschreiben vom 13. Januar 2010 zu Tage gekommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die eidesstattliche Versicherung vom 26. Februar 2021 verwiesen.
19
Die Klägerin führt außerdem an, dass das Finanzamt zu Unrecht auf die fehlende Fristenkontrolle in der Kanzlei abstelle. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sei es erforderlich, dass die mangelhafte Fristenkontrolle für die Versäumung der Frist auch ursächlich gewesen sei. Zudem gelte der Grundsatz, dass sich ein Prozessbevollmächtigter darauf verlassen dürfe, dass sein sonst zuverlässiges Personal eine – wenn auch nur mündlich erteilte – besondere Weisung befolgt. Soweit der Rechtsmittelführer im Rahmen der äußersten, den Umständen nach angemessenen und vernünftigerweise zu erwartenden Sorgfalt dafür gesorgt habe, dass ein Schriftsatz rechtzeitig zur Post gegeben wird, müsse er die Anordnung der Versendung weder persönlich überwachen noch sei er gehalten, sich durch eine nachträgliche Rückfrage über die Befolgung seiner Anweisung zu vergewissern.
20
Der Streitfall sei dem vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall vergleichbar, in dem der Mitarbeiter ohne zusätzlichen Hinweis auf das Erfordernis der Fristwahrung beauftragt worden sei, Schriftstücke durch Aufgabe zur Post zu versenden, das betreffende Schreiben jedoch versehentlich in den falschen Briefumschlag eingelegt wurde, so dass es durch die Ausgangskontrolle nicht entdeckt werden konnte (BFH-Urteil vom 7. Dezember 1988 X R 80/87). Im Streitfall sei das Einspruchsschreiben in die falsche Mappe gelegt worden und daher nicht zur Postausgangskontrolle gelangt.
21
Im Übrigen sei das Finanzamt an den Grundsatz von Treu und Glauben gebunden. Der Einspruch sei während eines Zeitraums von 10 Jahren nicht als unzulässig verworfen worden.
22
Wie sich aus den eingesehenen Finanzamtsakten ergebe, habe die Bearbeiterin im Finanzamt am 1. Juni 2010 auf dem Schreiben der Z vom 27. April 2010 vermerkt, das ausreichende Wiedereinsetzungsgründe vorlägen und der Einspruch zulässig sei. Am 26. August 2010 habe sie eine Probeberechnung betreffend die Körperschaftsteuerfestsetzung 2003 vorgenommen. Im Februar 2011 habe das Finanzamt den Wiedereinsetzungsantrag erneut in einem internen Gutachten prüfen lassen. Obwohl darin festgestellt worden sei, dass aufgrund fehlender Glaubhaftmachung keine Wiedereinsetzung zu gewähren sei, habe sie mit Aktenvermerk festgestellt, dass es sich um ein Büroversehen einer ansonsten zuverlässigen Bürokraft gehandelt habe.
23
Im Zeitraum 2010 bis 2020 habe es diversen Schriftverkehr und eine Vielzahl von Besprechungsterminen zwischen den Vertretern der Rechtsbehelfstelle, der Betriebsprüfung sowie der XYZ AG anlässlich der Abarbeitung der vielen im XYZ-konzern anhängigen Rechtsbehelfsverfahren gegeben. Bei den in diesem Zusammenhang ausgetauschten Übersichten über die anhängigen Einsprüche sei auch die Klägerin erfasst gewesen. Dies habe auch die Sachbearbeiterin des Finanzamts in einem Aktenvermerk vom 8. Januar 2020 festgehalten.
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Die Klägerin habe deshalb davon ausgehen dürfen, dass dem Antrag auf Wiedereinsetzung stillschweigend entsprochen worden sei, zumal dies auch aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung sowie der in der Literatur vertretenen Auffassung grundsätzlich zulässig sei, sofern ein verständiger Antragsteller nach den Gesamtumständen auf eine entsprechende Entscheidung in der Wiedereinsetzungsfrage schließen könne und dürfe.
25
Im Streitfall habe das Finanzamt bereits im Jahr 2010 mit einer materiell-rechtlichen Prüfung des Einspruchs begonnen, da andernfalls am 26. August 2010 keine Probeberechnung durchgeführt worden wäre. Auch in einem Schreiben des Finanzamts vom 1. September 2016 werde angeregt, den Einsprüchen der XYZ AG und ihrer Tochterfirmen, zu denen auch die Klägerin gehöre, stattzugeben. Auf die Problematik eines verspäteten Einspruchs sei insoweit nicht eingegangen worden. Das Finanzamt habe somit einen Vertrauenstatbestand gegenüber der Klägerin geschaffen.
26
In materiell-rechtlicher Hinsicht sei die Fiktion nichtabziehbarer Betriebsausgaben in der für das Streitjahr 2002 geltenden Vorschrift des § 8b Abs. 5 Körperschaftsteuergesetz (KStG) europarechtswidrig.
27
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid über Körperschaftsteuer 2003 vom 15. Dezember 2019 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2020 dahingehend zu ändern, dass das zu versteuernde Einkommen um die vom Finanzamt vorgenommenen pauschalen Hinzurechnungen von Betriebsausgaben für Drittstaatendividenden in Höhe von € gemindert wird.
28
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
29
Zur Begründung verweist es im Wesentlichen auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt es unter anderem vor, dass die beantragte Änderung des Körperschaftsteuerbescheids 2003 unter Berücksichtigung des mit Veröffentlichung vom 2. Januar 2020 für die Finanzverwaltung anwendbaren BFH-Urteils vom 9. Dezember 2019 (I R 75/16) nicht streitig sei.
30
Bereits im ersten Schreiben der Rechtsbehelfsstelle vom 15. Juni 2010 habe das Finanzamt die bestehenden Mängel in der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vom 27. April 2010 thematisiert und auf den BFH-Beschluss vom 24. Februar 2000 (VII B 132/99) verwiesen, nach dem solche Mängel nach Ablauf der Monatsfrist des § 110 Abs. 2 AO nicht mehr beseitigt werden könnten. Unklar sei bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2020 insbesondere gewesen, ob, wann und wie der später korrigierte Vermerk auf dem Stempelfeld über die Einspruchseinlegung auch zu einer entsprechenden Eintragung/Korrektur in das Fristenkontrollbuch geführt habe, d.h. ob es nach dieser Änderung, die unstrittig im Rahmen der späteren Fachbearbeitung erfolgt sei, überhaupt möglich gemacht worden sei, die korrigierte Erledigung, d.h. den rechtzeitigen Versand des entsprechenden Einspruchsschreibens, durch ausreichende Büroorganisation zu überwachen.
31
Im Übrigen könne nach Ansicht des Finanzamts ein schädliches Organisationsverschulden nicht ausgeschlossen werden. In der im Klageverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des mandatsverantwortlichen Steuerberaters X. vom 26. Februar 2021 werde ausgeführt, dass die Fristversäumung darauf beruhe, dass es die sonst zuverlässige Mitarbeiterin E. entgegen einer ausdrücklich erteilten Einzelanweisung versäumt habe, das Einspruchsschreiben fristgerecht zu versenden. Durch die Rechtsprechung sei unstreitig anerkannt, dass ein Rechtsanwalt (hier Steuerberater) das Versehen bzw. die Versäumnis einer zuverlässigen Kanzleiangestellten, die er durch eine konkrete Einzelanweisung mit der Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes betraut, nicht als eigenes Verschulden zu vertreten hat, wenn diese über den drohenden Fristablauf und die Notwendigkeit der Fristwahrung unterrichtet worden ist. Ein Versehen von Frau E. stünde demnach einer Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht entgegen.
32
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze nebst der von der Klägerin vorgelegten Anlagen sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.
33
Die Klage ist unbegründet.
34
1. Das Finanzamt hat den Einspruch gegen den Körperschaftsteuerbescheid 2003 zu Recht mit Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2020 als unzulässig verworfen. Im Streitfall ging der Einspruch gegen die streitgegenständlichen Änderungsbescheide vom 15. Dezember 2019 erst am 28. April 2010 beim Finanzamt ein. Der Einspruch wurde daher nach Ablauf der einmonatigen Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO) und damit verspätet eingelegt.
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2. Eine Wiedereinsetzung in diese versäumte Einspruchsfrist nach § 110 AO hat das Finanzamt zu Recht nicht gewährt.
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2.1. War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Verschuldet ist die Fristversäumnis, wenn die gebotene und den Umständen nach zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen wurde. Jedes Verschulden – auch einfache Fahrlässigkeit – schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH-Urteil vom 4. März 1998 XI R 44/97, BFH/NV 1998, 1056; ebenso zum vergleichbaren § 56 Finanzgerichtsordnung – FGO: BFH-Beschluss vom 6. November 2014 VI R 39/14, BFH/NV 2015, 339, Finanzgericht – FG – München Urteil vom 13. März 2019 7 K 484/17, juris).
37
2.2. Das Verschulden eines – vertretungsbefugten – Vertreters ist dem Vertretenen wie eigenes Verschulden zuzurechnen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO), falls es innerhalb der Tätigkeit liegt, die der Vertreter als befugter Stellvertreter ausübt. Für die Sorgfaltspflicht eines Vertreters gelten strengere Anforderungen als für den Beteiligten. Der Vertreter ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, wenn er die „äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt“ hat walten lassen. Er muss durch eine entsprechende Organisation des Büros alle Vorkehrungen getroffen haben, die nach vernünftigen Erwägungen geeignet sind, die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen (Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 261. Lieferung 02.2021, § 110 AO, Rn. 230 m.w.N.).
38
2.3. Wird – wie im Streitfall – ein dem Bevollmächtigten und dem von ihm Vertretenen nicht zuzurechnendes reines Büroversehen geltend gemacht, gehört zum erforderlichen schlüssigen Vortrag des „Kerns“ der Wiedereinsetzungsgründe die Darlegung, warum ein Organisationsverschulden auszuschließen ist. Es müssen also die Organisationsmaßnahmen vorgetragen werden, die den konkreten Fehler als Büroversehen erkennen lassen. Dazu muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass der Bevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind (z.B. BFH-Beschluss vom 14. Dezember 2011 X B 50/11, BFH/NV 2012, 440). Kann aufgrund des Vortrags nicht ausgeschlossen werden, dass an der Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden des Bevollmächtigten mitgewirkt hat, kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (vgl. auch Söhn in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO/FGO, 261. Lieferung 02.2021, § 110 AO, Rn. 264).
39
Dabei muss der Bevollmächtigte insbesondere die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen so organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet (BFH-Beschluss vom 15. Mai 2015 II R 28/14, Rn. 12, juris m.w.N. auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Zur Überwachung der Fristen bedarf es der Einrichtung eines Fristenkontrollbuchs oder einer gleichwertigen Einrichtung. Zudem ist im Rahmen einer abendlichen Erledigungskontrolle sicherzustellen, dass die Fristsachen ordnungsgemäß erledigt worden sind. Insoweit ist eine nochmalige, selbständige Prüfung erforderlich. Dies ergibt sich schon daraus, dass selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt.
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Bei einer elektronischen Fristenkontrolle gelten keine geringeren Anforderungen (BFH-Urteil vom 18. Juni 2015 IV R 18/13, Rn. 26, juris m.w.N.). Wird die elektronische Fristenkontrolle beispielsweise im Zuge einer Neuinstallation des Rechners außer Funktion gesetzt, muss sich der Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe entweder selbst rechtzeitig vergewissern, dass die Fristenkontrolle wieder funktioniert, oder die Einhaltung der laufenden Fristen in anderer Form sicherstellen (BFH-Beschluss vom 27. Juli 2011 IV B 131/10 BFH/NV 2011, 1909).
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2.4. Etwaige Büroversehen können sich jedoch nicht mehr auswirken, sobald der Vorgang an den Bearbeiter der Sache (Rechtsanwalt, Steuerberater) vorgelegt worden ist und die formelle und/oder materielle Bearbeitung der Sache begonnen hat und andauert. In diesem Stadium trifft einen Berufsträger die volle Verantwortung für die vorschriftsmäßige Erledigung einer Steuersache, insbesondere und auch für die Fristenwahrung. Eine Berufung auf ein Büroversehen seines Personals ist nicht mehr möglich. Die bisher an Bürokräfte übertragbare Aufgabe wird wieder zu einer eigenen Obliegenheit des Berufsträgers (Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 263. Lieferung 06.2021, § 110 AO, Rn. 328). Falls im Stadium der Fachbearbeitung ein fristgebundenes Schreiben nicht rechtzeitig fertig gestellt und unterzeichnet wird, hat der Berufsträger eine Fristversäumnis selbst verschuldet. Die Fristversäumnis ist dem Beteiligten (Vertretenen) zuzurechnen (Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 263. Lieferung 06.2021, § 110 AO, Rn. 329).
42
2.5. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 110 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Frist beginnt mit dem Wegfall des Hindernisses, wenn der Beteiligte bei sorgfältiger Prüfung die Fristversäumnis hätte erkennen können und müssen (Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 166. Lieferung 05.2021, § 110 AO Rz. 31 m.w.N.). § 110 Abs. 2 Satz 2 AO sieht vor, dass der Antragsteller „Tatsachen zur Begründung des Antrags“ anführt und diese glaubhaft macht. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Antragsbegründung innerhalb der Antragsfrist abzugeben, nur die Glaubhaftmachung kann im späteren Verfahren nachgeholt werden (Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 166. Lieferung 05.2021, § 110 AO Rz. 32 m.w.N.). Ein Nachschieben von Gründen nach Fristablauf ist nur zulässig, soweit Gründe präzisiert oder ergänzt werden. Insoweit darf es sich jedoch nicht um „neuen Sachverhalt“ bzw. um „Lückenschließung“ handeln (vgl. BFH-Urteil vom 31. Januar 2017 IX R 19/16, BFH/NV 2017, 885). Erforderlich ist daher, dass innerhalb der Antragsfrist „der Kern des geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrundes“ schlüssig vorgetragen wird (vgl. auch BFH-Urteil vom 18. März 2014 VIII R 33/12, BStBl II 2014, 922).
43
3. Die vorgenannten Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung liegen im Streitfall nicht vor.
44
3.1. Der Senat kann nicht erkennen, dass der Antrag vom 27. April 2010 bereits eine in sich geschlossene, nicht ergänzungsbedürftige Sachverhaltsdarstellung enthielt und die Klägerin den „Kern des geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrundes“ innerhalb der Antragsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO schlüssig vorgetragen hat. Grundsätzlich ist das Finanzamt nicht zu weitergehenden Ermittlungen berechtigt und verpflichtet. Vielmehr muss ein sachkundig vertretener Antragsteller auch nicht über den Inhalt eines Wiedereinsetzungsgesuchs informiert oder zur Ergänzung eines unzulänglichen Vortrags aufgefordert werden (Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 263. Lieferung 06.2021, § 110 AO, Rn. 510 m.w.N.).
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Im Streitfall wurden wesentliche Tatsachen zur Begründung des Antrags erstmals auf entsprechende Anfrage des Finanzamts (Schreiben vom 15. Juni 2010) vorgetragen. So hat die Klägerin erst in ihrem Schreiben vom 23. Juli 2010 auf entsprechende Anfrage des Finanzamts den genauen Zeitpunkt mitgeteilt, an dem die Z das versehentlich nicht versandte Einspruchsschreiben in den Gesellschaftsakten entdeckt hatte. Dieser Umstand stellt jedoch den „Wegfall des Hindernisses“ dar, der maßgeblich für die Berechnung der Antragsfrist nach § 110 Abs. 2 Satz 1 AO ist. Dem Antrag der Klägerin vom 27. April 2010 konnte daher nicht entnommen werden, dass der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig nach der Behebung des Hindernisses gestellt worden ist.
46
Außerdem wurde im Schreiben der Z vom 27. April 2010 an das Finanzamt, mit dem Wiedereinsetzung beantragt worden ist, lediglich ausgeführt, dass mit Schreiben vom 13. Januar 2010 Einspruch gegen die Bescheide vom 15. Dezember 2009 eingelegt und das Ruhen des Verfahrens bis zum Ergehen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Streitsache 2 BvR 862/09 beantragt worden sei. Das Einspruchsschreiben selbst wurde dem Finanzamt ebenfalls erst auf entsprechende Anforderung mit Schreiben vom 23. Juli 2010 übermittelt.
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3.2. Soweit die Klägerin ihren Antrag auf Wiedereinsetzung im finanzgerichtlichen Verfahren weiter begründet und durch die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des maßgeblichen Partners der Z glaubhaft gemacht hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass an der Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden der Z. mitgewirkt hat. Die Klägerin hat nicht substantiiert und in sich schlüssig dargelegt, dass die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen in der Kanzlei der Z. so organisiert war, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumnisse bietet.
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Der Vortrag, dass es sich bei Frau E. um eine zuverlässige und verantwortungsbewusste Mitarbeiterin der Z. gehandelt habe, bezieht sich lediglich auf die ordnungsgemäße Auswahl einer Angestellten, nicht aber auf die Büroorganisation und die dortige Handhabung der Kontrolle, dass der Posteingang zutreffend erfasst wird, um Fristen einzuhalten.
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Soweit die Klägerin im Klageverfahren einen Ausdruck vom 24. Februar 2021 des von der Z geführten Fristenbuchs der Firma DATEV als Anlage K 2 zum Schriftsatz vom 26. April 2021 vorgelegt hat, kann diesem zwar entnommen werden, dass im Zusammenhang mit dem Mandat für die Klägerin ein Fristenende am 18. Januar 2010 sowie Vorfristen am 8. Januar 2010 und 13. Januar 2021 sowie die Mitarbeiterinnen A. F. und A1. K. bezeichnet waren. Es ist jedoch nicht einmal ansatzweise ersichtlich, wie und ob eine Austragung der Frist erfolgt ist bzw. ob die erforderliche tägliche Durchsicht des Fristenkontrollbuchs erfolgt ist, die allabendlich durchzuführen ist (Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 263. Lieferung 06.2021, § 110 AO, Rn. 286).
50
Überdies fehlt in dem vorgelegten Ausdruck der Z eine entsprechende Spalte für die Austragung einer Frist. Den Ausführungen der Z im Schreiben an das Finanzamt vom 23. Juli 2010, dass die Sekretärin die Frist im elektronischen Fristenbuch gestrichen habe, nachdem die ursprünglich zuständige Sachbearbeiterin den Körperschaftsteuerbescheid 2003 ohne Änderungen geprüft habe, kann daher nicht gefolgt werden. Ein Erledigungsvermerk bzw. eine Fristenlöschung ist auf dem Ausdruck des elektronischen Fristenbuchs nicht ersichtlich. Das Gericht ist daher auch nicht in die Lage versetzt, die Austragungen im Fristenbuch, die laut vorgelegter Arbeitsanweisung zum Führen des Posteingangs- bzw. Fristenkontrollbuchs der Z schriftlich veranlasst, ausgedruckt und zu den Akten genommen werden sollen (vgl. Tz. II 7 der Arbeitsanweisung), nachzuvollziehen.
51
Soweit die Arbeitsanweisung im Übrigen vorsieht, dass das Fristenbuch in regelmäßigen Abständen durch einen Berufsträger oder seinen Vertreter stichprobenweise überprüft werden muss, genügt eine derartige Anweisung nicht dem Erfordernis, dass die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen so organisiert werden muss, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumnisse bietet. Individuelle Bearbeitungsfehler, wie sie selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen auftreten können, werden bei einer solchen Anweisung, die lediglich eine stichprobenweise Kontrolle vorsieht, allenfalls zufällig entdeckt. Offensichtlich ist im Kanzleibetrieb der Z eine abendliche Erledigungskontrolle nicht durchgeführt worden. Durch die Büroorganisation der Z wurde daher nicht sichergestellt, dass die Fristsachen ordnungsgemäß erledigt worden sind. Eine nochmalige, selbständige Prüfung ist nicht erfolgt. Die fristgerechte Fertigung und die tatsächliche Versendung fristwahrender Schreiben müssen jedoch gewährleistet und kontrolliert werden.
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Im Übrigen wurden auch keine Vorkehrungen für den Fall getroffen, dass eine Frist, die wegen einer zunächst nicht beabsichtigten Einspruchseinlegung gestrichen worden war, wieder in Gang gebracht werden bzw. der Fristablauf überwacht werden konnte. Zu Recht weist das Finanzamt auch darauf hin, dass der auf dem streitgegenständlichen Bescheid angebrachte korrigierte Vermerk keine ausreichende fristwahrende Organisation darstellt. Insoweit ist nicht sichergestellt, wie die Einhaltung der auf dem Stempelabdruck vermerkten Fristen gewährleistet ist. Wie der Streitfall zeigt, stellt gerade die Befassung mehrerer Personen mit der Bearbeitung und Überwachung einer fristgebundenen Rechtssache eine besondere Unsicherheitsquelle dar. Denn ein Stempelfeld, auf dem lediglich handschriftlich verschiedene Angaben gestrichen, korrigiert bzw. ergänzt werden, bietet ohne weitere Kontrollmechanismen keine Gewähr für eine ordnungsgemäße Fristeinhaltung. Die organisatorischen Maßnahmen im Kanzleibetrieb der Z. waren nicht so beschaffen, dass auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs, seien es solche technischer oder personeller Art, die Einhaltung der anstehenden Fristen sichergestellt war (vgl. BFH in BFH/NV 2011, 1909).
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Außerdem hat die Klägerin nicht dargelegt, welche Kontrollmechanismen in der Kanzlei der Z vorhanden sind, um eine – wie im Streitfall vorgetragene – falsch vorgenommene Ablage zu bemerken und zu korrigieren. Soweit sie ausführt, dass die zuständige Sekretärin versehentlich das fristgebundene Schreiben beim Sortieren der noch zu unterschreibenden Unterlagen mit den Unterlagen vermengt habe, die zum Ablegen in die jeweilige Gesellschaftsakte vorgesehen waren, und die Sekretärin die „Unterschriftsmappe“ mit der „Ablagemappe“ vertauscht habe, ist ihr entgegenzuhalten, dass das Verlegen oder Verlieren eines Schriftstücks grundsätzlich nicht entschuldbar i.S. von § 110 Abs. 1 AO ist (BFH-Beschluss vom 30. Januar 1990 VII B 165/89, BFH/NV 1990, 682, Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 263. Lieferung 06.2021, § 110 AO, Rn. 342).
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Der Steuerpflichtige kann sich nur dann auf ein unverschuldetes Büroversehen berufen, wenn aufgrund seiner Organisation gewährleistet ist, dass unter gewöhnlichen Umständen fristgebundene Schriftsätze tatsächlich das Büro verlassen. Dies war hier nicht der Fall. Eine Überwachung der Angelegenheit ist nicht erfolgt. Das Unterlassen einer entsprechenden Kontrolle war fahrlässig, da dadurch die Gefahr geschaffen wurde, dass nicht die richtigen Maßnahmen ergriffen wurden, was dann auch tatsächlich passierte. Es liegt daher ein von der Klägerin zu vertretendes Organisationsverschulden vor, dessen Ursächlichkeit für die Fristversäumnis nicht ausgeschlossen werden kann. Denn es ist nicht erkennbar bzw. dargelegt, dass die Z entsprechende organisatorische Maßnahmen ergriffen hat, um die Gefahr einer Fristversäumnis zu bannen. Dadurch hat die Z die angemessene und vernünftigerweise zu erwartende zumutbare äußerste Sorgfalt nicht beachtet.
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3.3. Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf das BFH-Urteil vom 26. Februar 2004 (XI R 62/03, BStBl II 2004, 564) berufen, nach dem etwaige Organisationsmängel nicht ursächlich für eine Fristversäumnis sind, wenn eine konkrete, die Organisationsmängel ausgleichende Einzelanweisung an Bürobedienstete erteilt wurde, jedoch von diesen nicht befolgt wird. Denn auch soweit sich ein Angehöriger der rechts- und steuerberatenden Berufe grundsätzlich darauf verlassen darf, dass entsprechend ausgebildete und bisher zuverlässig arbeitende Büroangestellte eine konkrete Einzelanweisung (betreffend eine Fristerfassung), auch wenn sie nur mündlich erteilt wurde, befolgen und ordnungsgemäß ausführen und er daher im Allgemeinen auch nicht verpflichtet ist, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (BFHBeschluss vom 27. Juli 2010 IX B 174/09, Rn. 4, juris m.w.N.), obliegt ihm bei Fertigung der Rechtsmittelschrift neben der Kontrolle der Frist zur Einlegung des jeweiligen Rechtsmittels (hier: Einspruch) eigenverantwortlich auch die Prüfung, ob die jeweilige Begründungsfrist notiert ist (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 2008 I R 67/06, BFH/NV 2008, 1621 Rz. 20). Darüber hinaus hat die Z nichts dazu vorgetragen, welche organisatorischen Maßnahmen dagegen getroffen wurden, dass eine nur mündlich erteilte Weisung in Vergessenheit gerät und die angeordnete erneute Eintragung der Frist, die Einholung der ausstehenden Zweitunterschrift sowie die rechtzeitige Versendung unterbleibt (BFH – Beschluss vom 27. Juli 2010 IX B 174/09, Rn. 4, juris m.w.N.).
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3.4. Im Übrigen muss sich die Klägerin auch entgegenhalten lassen, dass sich etwaige Büroversehen der Z. nicht mehr auswirken, da nach dem Vortrag der Z. mit der Fertigstellung des Einspruchsschreibens durch den mandatsbetreuenden Partner der Z., X., am 13. Januar 2010 das Stadium der Fachbearbeitung erreicht und die routinemäßige Büroarbeit beendet war. In diesem Stadium trifft einen Berufsträger die volle Verantwortung für die vorschriftsmäßige Erledigung einer Steuersache, zu der auch die Fristenwahrung zählt. Er kann sich nicht mehr auf ein Büroversehen seines Personals berufen, selbst wenn er vorher nicht mit der Bearbeitung der Sache befasst war. Die bisher an Bürokräfte übertragene Aufgabe wird wieder zu einer eigenen Obliegenheit (Söhn in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO/FGO, 263. Lieferung 06.2021, § 110 AO, Rn. 329 m.w.N.). Falls im Stadium der Fachbearbeitung ein fristgebundenes Schreiben nicht rechtzeitig fertiggestellt und unterzeichnet wird, hat der Berufsträger eine Fristversäumnis selbst verschuldet, die dem Vertretenen – im Streitfall der Klägerin – zuzurechnen ist. Der mandatsbetreuende Partner der Z., B., kann die Fristversäumnis daher nicht damit entschuldigen, dass er E bezüglich eines Neueintrags ins Fristenkontrollbuch angewiesen und ihr das Einspruchsschreiben für die Einholung der zweiten Unterschrift sowie der daran anschließenden Versendung übergeben hat. Vielmehr traf ihn als Berufsträger die volle Verantwortung für die weitere Bearbeitung des Einspruchsschreibens. Im Übrigen gehört zur Fachbearbeitung auch die (eigenverantwortliche) Prüfung des Fristablaufdatums (Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 167. Lieferung 08.2021, § 110 AO, Rn. 27).
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4. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das Finanzamt nicht stillschweigend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
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Für die Entscheidung über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sieht die Vorschrift des § 110 AO zwar keine besondere Form vor. Soweit das Finanzamt trotz Fristversäumung eine Sachentscheidung trifft, kann dies daher als stillschweigende Gewährung von Wiedereinsetzung gewertet werden. Voraussetzung wäre jedoch, dass sich die Behörde über die Gewährung einer Wiedereinsetzung im Klaren war oder dass zumindest ein verständiger Antragsteller nach den Gesamtumständen auf eine entsprechende Entscheidung in der Wiedereinsetzungsfrage schließen kann und darf. Selbst in einer Entscheidung zur Sache liegt keine stillschweigende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, falls die Finanzbehörde nicht in Kenntnis der Fristversäumnis eine Wiedereinsetzung geprüft und sachlich entschieden hat (BFH-Urteil vom 27. Juli 1988 I R 159/84, BFH/NV 1990, 8; Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 263. Lieferung 06.2021, § 110 AO, Rn. 561; Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 164. Lieferung 02.2021, § 110 AO, Rn. 41).
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Außerdem kann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung aus der Aufforderung des Finanzamts, die Einsprüche zu begründen, keine stillschweigende Gewährung von Wiedereinsetzung abgeleitet werden. Im Normalfall handelt es sich dabei lediglich um eine routinemäßige Anfrage des Finanzamts, die keinen Schluss auf eine Willensbildung des Finanzamts zulässt. Bereits im Zusammenhang mit der Nachsichtsgewährung gemäß § 86 Reichsabgabenordnung hat der BFH entschieden, dass keine stillschweigende Nachsichtgewährung vorliegt, wenn das Finanzamt die verspätete Einlegung des Einspruchs nicht sofort rügt, sondern mit dem Steuerpflichtigen zur Sache verhandelt (BFH-Urteil vom 13. März 1964 VI 11/63, DB 1964, 793). Die Finanzbehörde muss sich über die Frage, ob Wiedereinsetzung gewährt werden soll, klar gewesen sein. Sachliche Ermittlungen besagen dazu nichts Definitives (BFH-Urteile vom 13. März 1964 VI 11/63, DB 1964, 793 und vom 19. Februar 1960 VI 82/58 U, BFHE 70, 582).
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Hinzu kommt, dass eine vorweggenommene Verbescheidung eines Wiedereinsetzungsantrages selten ist und über einen Wiedereinsetzungsantrag regelmäßig erst mit der Entscheidung über die nachgeholte Handlung entschieden wird (BFHUrteil vom 27. Juli 1988 I R 159/84, juris). Bei der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO handelt es sich um einen unselbständigen Bestandteil, der Entscheidung zur Hauptsache ist (BFH-Urteile vom 26. Oktober 1989 IV R 82/88, 103, BStBl II 1990, 277 und vom 8. November 1996 VI R 24/96, Rn. 12, juris).
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4.1. Da das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung eine Wiedereinsetzung eindeutig abgelehnt hat, kann ein auf Wiedereinsetzung gerichteter Wille des Finanzamts im Streitfall ausgeschlossen werden.
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4.2. Darüber hinaus kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg einwenden, dass sie aufgrund der Schreiben des Finanzamts vom 14. Mai 2019 und 31. Juli 2019 an die XYZ AG davon ausgehen durfte, dass das Finanzamt stillschweigend Wiedereinsetzung gewährt hat. Denn in der Aufnahme sachlicher Ermittlungen liegt für sich noch keine stillschweigende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Auch soweit das Finanzamt die Bearbeitung des Einspruchs der Klägerin, ebenso wie die Bearbeitung der Einsprüche weiterer Firmen des XYZ Konzerns, bis zur Erklärung der Anwendbarkeit des BFH-Urteils vom 24. Juli 2018 I R 175/16 zurückgestellt hatte und das anhängige Einspruchsverfahren der Klägerin beispielsweise im Schreiben des Finanzamts vom 14. Mai 2019 neben anderen für die Veranlagungszeiträume 1999 bis 2001 anhängigen Rechtbehelfsverfahren von Unternehmen des XYZ Konzerns genannt wurde, konnte dieses Verhalten des Finanzamts nicht als Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung gedeutet werden.
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Außerdem hat das Finanzamt die Klägerin bereits mit Schriftsatz vom 15. Juni 2010 auf die fehlende Glaubhaftmachung hingewiesen. Ein entsprechender nach außen gerichteter Wille des Finanzamts auf Gewährung von Wiedereinsetzung ist nicht ersichtlich. Die Klägerin kann sich daher auch nicht auf die anlässlich der Akteneinsicht erkennbar gewordenen internen Überlegungen des Finanzamts und die unterschiedlichen Auffassungen der während des Einspruchsverfahrens tätigen Sachbearbeiter berufen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.