Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 21.12.2021 – RN 4 S 21.1842
Titel:

tierheimähnliche Einrichtung, Zuverlässigkeit im Tierschutzrecht, Bestimmtheit einer tierschutzrechtlichen Anordnung („Kurzzeitpflegling“)

Normenketten:
TierSchG § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
TierSchG § 11 Abs. 5 S. 6
Schlagworte:
tierheimähnliche Einrichtung, Zuverlässigkeit im Tierschutzrecht, Bestimmtheit einer tierschutzrechtlichen Anordnung („Kurzzeitpflegling“)
Fundstelle:
BeckRS 2021, 61344

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 19.08.2021 wird hinsichtlich der Nummern I.2 und I.3.b) wiederhergestellt, hinsichtlich der Nummern II.1, II.2, II.3.a), II.3.b) und IV., soweit damit Auslagen über einen Betrag in Höhe von 149,79 EUR hinaus geltend gemacht wurden, angeordnet.
II. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
III. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin 1/3, die Antragsgegnerin 2/3.
IV. Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen tierschutzrechtliche Anordnungen.
2
Die Antragstellerin hat bereits früher in der Stadt P. immer wieder Wildtiere aufgenommen. Aufgrund vorgefundener Mängel in der Unterbringung der Tiere wurde ihr im Dezember 2006 untersagt, mehr als 20 Vögel bzw. 10 Kleinsäuger zu pflegen. Daneben wurde ihr zur Auflage gemacht, dass sie für ihre Tätigkeit einen geeigneten, separaten Raum einrichten muss. Die Antragstellerin zog in den darauffolgenden Jahren mehrfach innerhalb des Landkreises P. um und führte ihre Tätigkeit an verschiedenen Standorten weiter, ohne das Veterinäramt P. darüber zu informieren.
3
Im Jahr 2017 wurde die Behörde im Landkreis F.-G. auf die Antragstellerin aufmerksam und beanstandete – neben anderen Mängeln – vor allem, dass die Antragstellerin für ihre Tätigkeit keine geeigneten Räumlichkeiten vorweisen konnte.
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Bei der am 16.07.2019 durch das Veterinäramt des Landratsamts F.-G. in Anwesenheit der Antragstellerin durchgeführten Kontrolle ihrer Tierhaltung wurden zahlreiche Mängel festgestellt, die als Verstoß gegen § 2 Nr. 1 und 2 TierSchG gewertet wurden. Unter anderem wurden 40 Vögel vorgefunden und der hygienische Zustand des „Vogelzimmers“, in dem sich ca. 25 Vögel befangen, war nicht tragbar. Daneben konnte bei der Kontrolle kein Bestandsbuch vorgelegt werden.
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Hierauf erging am 25.07.2019 folgender Bescheid:
6
I. Frau …1 hat in ihrer Tierhaltung in der … folgende Maßnahmen durchzuführen:
1. Die Haltung von Ästlingen und erwachsenen Vögeln in diversen Käfigen und Kleinstvolieren in dem kleinen bisher genutzten Raum wird ab sofort untersagt.
2. Es dürfen ab sofort und so lange keine weiteren Wildvögel aufgenommen werden, bis für die Tiere Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen wurden, welche den Ansprüchen der einzelnen Arten genügen, dem Entwicklungs-/Gesundheitszustand der Wildvögel angepasst sind und welche den hygienischen Anforderungen an eine Versorgung kranker/verletzter Wildvögel genügen.
3. Verletzte Wildvögel sind ab sofort einem Tierarzt vorzustellen und dürfen nur nach dessen positiver Prognose gepflegt werden. Einem tierärztlichen Rat zur Euthanasie von verletzten Tieren ist Folge zu leisten.
4. Die derzeitig gehaltenen Wildvögel sind jeweils sobald wie möglich auszuwildern.
5. Für den derzeitig vorhandenen Bestand ist ab sofort ein Bestandsbuch zu führen, in welchem Datum der Aufnahme, tierärztliche Behandlungen, Datum der Abgabe/Auswilderung sowie Verbleib der Tiere (Euthanasie, Verenden, Auswilderung, Abgabe an andere Einrichtungen) dokumentiert wird.
6. Dauerhaft gehaltenen flugfähigen Vögeln muss ab sofort täglich die Möglichkeit zum Freiflug gewährt werden (z.B. Kanarienvögel mind. 1 Stunde täglich).
7. In der Vitrine dürfen ab sofort aufgrund der mangelnden Belüftungsmöglichkeiten keine Vögel untergebracht werden.
8. Der Kanarienvogel ist innerhalb von vier Wochen nach Zustellung dieses Bescheides zu vergesellschaften oder abzugeben. In der Brutzeit können meist nur miteinander verpaarte Vögel in einer Haltungseinrichtung gehalten werden. Außerhalb der Brutzeit ist eine Gruppenhaltung von Kanarienvögel unabdingbar.
9. Die Haltungseinrichtung für Kanarienvögel hat innerhalb von vier Wochen nach Zustellung dieses Bescheides eine Grundfläche von mindestens 150 cm x 60 cm und eine Höhe von mindestens 100 cm aufzuweisen. In einer Voliere dieser Größe können ein bis drei Paare gehalten werden.
10. Für die dauerhafte Haltung der Waldohreule ist innerhalb von vier Wochen nach Zustellung dieses Bescheides – das Einvernehmen des Artenschutzes vorausgesetzt – gem. BMELF-Gutachten über die Mindestanforderungen an die Haltung von Greifvögeln und Eulen – für eine Außenvoliere eine Fläche von 7,5 m2, Breite 2 m, Höhe 2,5 m erforderlich. Sollten diese Maße aufgrund des gesundheitlichen Zustandes der Waldohreule unterschritten werden (müssen), ist ein tierärztliches Gutachten vorzulegen.
11. Für die dauerhafte Haltung der Stare ist innerhalb von vier Wochen nach Zustellung dieses Bescheides – das Einvernehmen des Artenschutzes vorausgesetzt – pro Paar ein Käfig mit den Maßen 2x1x2 Meter (LxBxH) erforderlich.
II. – VI. …
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Der hiergegen gerichtete Antrag im vorläufigen Rechtsschutz wurde vom Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 04.10.2019 (RN 4 S 19.1517) abgelehnt.
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Im Mai 2020 wurde dem Veterinäramt P. mitgeteilt, dass die Antragstellerin ab 01.06.2020 wieder nach P. ziehen möchte und im Internet für ihre „Wildvogelhilfe“ werbe.
9
Am 22.06.2020 wurde die Antragstellerin von der Stadt P. darüber belehrt, dass sie nicht über eine Erlaubnis zur Aufnahme von Tieren verfüge und die Stadt P. über die Auflagen des Landratsamts F.-G. informiert sei.
10
Im Rahmen einer am 12.08.2020 vom Veterinäramt des Landratsamts P. durchgeführten Kontrolle durch Frau Dr. … und Frau Dr. … wurde festgestellt, dass die Auflagen von der Antragstellerin nicht erfüllt worden seien. Sie beherbergte zu dem Zeitpunkt ca. 44 Vögel, überwiegend in ihrem Wohnzimmer. Ein geeigneter Raum war, trotz wiederholter Forderung durch Auflagen der Veterinärämter, immer noch nicht vorhanden. Die Kontrolle war nicht vollumfänglich durchführbar, da die Antragstellerin die Kontrolle abbrach, als sie näher zu einem Turmfalken befragt wurde.
11
Am 14.08.2020 teilte die Antragstellerin in einer E-Mail mit, dass sie keine neuen Vögel mehr aufnehmen werde und die Vogelpflegestation endgültig beende. Diese Aussage wiederholte sie mehrmals schriftlich, u.a. am 22.08.2020, 23.12.2020 und immer wieder mündlich bei Telefonaten.
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In einem Aktenvermerk vom 17.12.2020 wurde festgehalten, dass ausweislich eines Telefonats mit dem Umweltamt das Engagement der Antragstellerin von diesem sehr geschätzt werde, dieses sehe keine Notwendigkeit für eine Erlaubnis. Die Antragstellerin komme der Pflicht, geschützte Tiere anzuzeigen, stets nach. Außerdem habe die Antragstellerin in einem Telefonat mitgeteilt, dass sie die Tierhaltung nicht gewerblich ausführe, sondern lediglich ab und zu Spenden annehme. Zur Hochsaison halte sie 15 Vögel. Sie beabsichtige, ab 2021 nur noch Mauersegler und Schwalben aufzunehmen.
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Am 04.02.2021 wurde die Antragstellerin schriftlich aufgefordert, eine Erlaubnis nach § 11 Tierschutzgesetz zu beantragen, falls sie die erlaubnispflichtige Tätigkeit wieder aufnehmen möchte. Das entsprechende Antragsformular wurde mitgesendet.
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In einer E-Mail vom 24.02.2021 hielt die Antragsgegnerin fest, dass diese vom Landesbund für Vogelschutz e.V. (LBV) kontaktiert worden sei und der LBV die Antragstellerin unterstütze, da diese „super gut“ und „besser als jeder Tierarzt“ sei, was die Pflege von verletzten Wildvögeln angehe. Der LBV halte die Einrichtung der Antragstellerin für erforderlich und alternativlos.
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Am 25.02.2021 teilte die Antragstellerin in einem Telefonat Frau Dr. … mit, dass sie keine Genehmigung beantragen wolle, weil sie nur im kleinen Bereich tätig sein wolle. Auf den Hinweis, dass allmählich ihre Zuverlässigkeit in Frage gestellt werde, wenn sie erneut gegen die Auflagen verstoße, gelobte sie Besserung und versprach, jederzeit eine vollumfängliche Kontrolle zuzulassen.
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Am selben Tag wurde sie von der Antragsgegnerin telefonisch erneut zur Einreichung der im Schreiben vom 04.02.2021 geforderten Unterlagen aufgefordert. Die Antragstellerin weigerte sich jedoch, die Unterlagen einzureichen.
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Am 27.02.2021 teilte die Antragstellerin dem Ordnungsamt erneut schriftlich mit, dass sie „ab sofort keine ehrenamtliche Pflegestelle für Wildtiere“ sei. Sie würde nur noch vereinzelt – unter 20 – Tiere im Jahr aufnehmen und wieder auswildern. Die Antragstellerin erkundigte sich auch bei der Regierung von Niederbayern über die Anforderungen einer Wildtierauffangstation. Ihr wurden die rechtlichen Vorgaben erläutert.
18
Am 28.02.2021 schrieb die Antragstellerin an das Ordnungsamt P. u.a, dass die Räumlichkeiten eigentlich nur ihr dienten und vorübergehend für wenige Vögel genutzt worden seien.
19
Mit Schreiben vom 01.03.2021 teilte die Antragstellerin erneut mit, Tiere in nur geringer Anzahl aufnehmen zu wollen.
20
Am 14.07.2021 wurde die Tierhaltung der Antragstellerin erneut vom Veterinäramt durch Frau Dr. … und Frau Dr. … und vom Ordnungsamt P. durch Hr. …2 kontrolliert. Hierbei wurde u.a. festgestellt, dass der Tierbestand 52 sog. Pfleglinge umfasste. Im Wohnzimmer befanden sich im Freiflug eine Rauchschwalbe, ein Kuckuck und eine Elster, die jederzeit Zugang zu den Nestlingen hatten, die auf der Couch ungeschützt in verschiedenen, nicht abgedeckten Kisten untergebracht waren. Die freifliegenden Vögel konnten jederzeit durch das gekippte Fenster entkommen bzw. sich verletzen. In weiteren Käfigen und Boxen befanden sich weitere Vögel und Fledermäuse. Das Veterinäramt wies darauf hin, dass von Fledermäusen ein Tollwutrisiko ausgehen könne. Viele der Käfige befanden sich direkt auf dem Boden oder auf der Sitzfläche der Couch. Die „Nester“ waren nicht abgedeckt. Durch die freifliegenden Vögel konnten die anderen Tiere verletzt oder durch diverse Krankheiten angesteckt werden. In einem 120 x 60 x 105 cm großen Käfig befand sich eine Waldohreule. Als der im Bestandsbuch angegebene Wildtier-Bestand und der vorgefundene Bestand abgeglichen wurden, fehlten noch Tiere. Die Antragstellerin brach die Kontrolle erneut ab, als sie aufgefordert wurde, alle Tiere vorzuzeigen. Es wurde festgehalten, dass der hygienische Zustand des „Vogelzimmers“ (Wohnzimmer) nicht tragbar war. Bei kranken, verletzten oder tot aufgefundenen Wildtieren bestünde immer die Gefahr einer Zoonose oder ansteckender Infektionskrankheiten für andere Tiere und den Menschen. Bei unzureichender Reinigung und Desinfektion würde keinerlei Schutz vor Ansteckung und Übertragung von Krankheiten gewährleistet. Daneben wurde festgestellt, dass die Greifvögel kein Wasser hatten und die Anzahl an Tieren laut Bestandsbuch nicht mit der tatsächlichen Anzahl an Pfleglingen übereinstimmte. Zudem fehlten fast bei jedem Eintrag der Finder mit Name und Adresse und der genaue Fundort inklusive Fundumstände. Außerdem wurde festgehalten, dass weder die Unterbringung vieler Vögel auf dem Boden, noch die Unterbringung von Beutetieren und Beutegreifern nebeneinander tierschutzgerecht sei. Außerdem könne man bei 52 Pfleglingen gleichzeitig keinesfalls von der Unterbringung von „vereinzelten Tieren“ sprechen. Zusammenfassend wurde festgestellt, dass die Zuverlässigkeit der Antragstellerin nicht gegeben sei, weil sie seit Jahren gegen bekannte Auflagen verstoße. Zum einen ignoriere sie die frühere Tierzahlbeschränkung von 2006 durch das Ordnungsamt P. vehement, zum anderen halte sie die Pfleglinge weiterhin tierschutzwidrig und ignoriere jegliche Hygieneauflage für eine ordnungsgemäße Wildtierhaltung. Daneben beantragte sie bis heute keine Erlaubnis, obwohl sie durch das Ordnungsamt P. seit 2020 mehrfach auf eine Erlaubnispflicht hingewiesen wurde. Außerdem verhinderte die Antragstellerin eine vollumfängliche Kontrolle und beeinflusste das Ergebnis der Kontrolle zu ihren Gunsten, indem sie alle Kontrollen abbrach, sobald Mängel offensichtlich wurden. Dadurch habe sie eindeutig gegen ihre Mitwirkungspflichten als Tierhalter verstoßen. Schon allein deshalb wäre eine erlaubnispflichtige Tätigkeit in ihren privaten Räumen nicht möglich. Durch die ungeeignete Unterbringung mehrerer Tiere würde zudem gegen § 2 TierSchG verstoßen, insbesondere weil sich einige Tiere in ungeeigneten, offenen Haltungseinheiten befänden und damit gesundheitlichen Gefahren durch die im Raum frei herumfliegenden Vögel ausgesetzt wären. Außerdem wären herumfliegende Vögel verschiedenen Verletzungsgefahren ausgesetzt, Vögel würden in Kleinstkäfigen direkt auf dem Boden gehalten und die Greifvögel hätten durchgehend kein Wasser.
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Mit E-Mail vom 16.07.2021 teilte die Antragstellerin der Antragsgegnerin mit, dass eine Antragstellung bzgl. einer tierschutzrechtlichen Genehmigung im Bereich des Wildvogelpäppelns und der Fledermauspflege nicht möglich sei, da es keinen Sachkundenachweis für diese Bereiche gebe. Sie habe ein Empfehlungsschreiben über die Fledermauspflege von Frau Dipl. Biologin … und eine Bestätigung der Auffangstation LBV Regenstauf über den besten Gesundheits- und Allgemeinzustand der vielen dorthin übergebenen Vögel.
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Unter dem 19.08.2021 erließ das Ordnungsamt der Stadt P. gegenüber der Antragstellerin folgenden Bescheid, der ihr am 26.08.2021 zugestellt wurde:
I. Frau …1 hat in ihrer Tierhaltung in der … Straße …, … …, folgende Maßnahmen durchzuführen:
1. Frau …1 ist es ab sofort untersagt, Wildtiere (Säugetiere und Vögel) zum Pflegen aufzunehmen.
2. Die derzeitigen „Kurzzeit-Pfleglinge“ sind bis 24.09.2021 auszuwildern bzw. an andere Wildtierauffangstationen abzugeben.
3. a) Weitere Dauerpfleglinge dürfen nicht in den Bestand aufgenommen werden.
b) Die Haltung der Waldohreule wird untersagt. Die Waldohreule ist gegen Nachweis umgehend an eine geeignete Wildtierstation abzugeben.
II. Falls Frau …1
1. die in Ziffer I Nr. 1 aufgeführte Maßnahme nicht sofort erfüllt, wird pro Tier ein Zwangsgeld i.H.v. 30,- € fällig.
2. die in Ziffer I Nr. 2 aufgeführte Maßnahme nicht bis zum 24.09.2021 erfüllt, wird pro Tier ein Zwangsgeld i.H.v. 30,- € fällig.
3. a) die in Ziffer I Nr. 3a) aufgeführte Maßnahme nicht sofort erfüllt, wird pro Tier ein Zwangsgeld i.H.v. 30,- € fällig,
b) die in Ziffer I Nr. 3b) aufgeführte Maßnahme nicht bis zum 24.09.2021 erfüllt, wird ein Zwangsgeld i.H.v. 30,- € fällig.
III. Die sofortige Vollziehung der Anordnungen unter Ziffer I wird angeordnet.
IV. Frau …1 hat die Kosten des Bescheids zu tragen. Es wird eine Gebühr von 100,- € festgelegt. Die Auslagen für die Postzustellung betragen 3,50 €. Beim Staatlichen Veterinäramt sind für die Kontrolle und Dokumentation Auslagen in Höhe von 183,64 € angefallen.
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Zur Begründung der Anordnung unter I. Nr. 1 des Bescheids wurde ausgeführt, diese beruhe auf § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG. Die Antragstellerin verfüge über keine Erlaubnis nach § 11 TierSchG, Wildtiere zu pflegen. Einer tierschutzrechtlichen Erlaubnis bedürfe derjenige nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 TierSchG, der Tiere in einem Tierheim oder einer ähnlichen Einrichtung halten möchte. Als ähnliche Einrichtungen gälten auch Auffang- und Pflegestationen, in denen Wildtiere aufgenommen, gepflegt und wieder in die freie Wildbahn entlassen würden. Eine Erlaubnispflicht nach § 11 TierSchG bestehe bei Wildtierauffangstationen, wenn wesentliche Merkmale eines Tierheims vorlägen. Dagegen bestehe keine Erlaubnispflicht im Sinne einer „tierheimähnlichen Einrichtung“, wenn nur vereinzelt verletzte oder kranke Wildtiere aufgenommen würden. Die Antragstellerin erfülle mit ihrer Tierhaltung die Kriterien einer tierheimähnlichen Einrichtung, da nicht nur vereinzelt verletzte oder kranke Wildtiere aufgenommen würden. Aufgrund mangelnder Zuverlässigkeit wegen diverser tierschutzrechtlicher Verstöße erscheine auch die Erteilung einer Erlaubnis nach § 11 TierSchG in absehbarer Zeit ausgeschlossen. Eine Untersagung der Tätigkeit sei auch deshalb angezeigt, weil die Antragstellerin auch den Vorschriften des § 2 TierSchG grob zuwidergehandelt habe und die Annahme bestehe, dass weiterhin derartige Zuwiderhandlungen aufgrund einer gleichbleibenden tierschutzrelevanten Situation erfolgten, § 16a Abs. 1 Nr. 3 TierSchG. Zur Begründung von I. Nr. 2 wurde ausgeführt, dass nur eine klare ja/nein-Regelung zielführend sei, da die Antragstellerin immer wieder behaupte, mit der Tätigkeit aufzuhören bzw. die Tätigkeit nur in kleinem Umfang weiterzuführen, obwohl bei Kontrollen weit mehr als 40-50 Tiere festgestellt worden seien. Da bei der Antragstellerin eine geeignete Unterbringung für die Tiere fehle, sei die Frist aus Tierschutzgründen dringend einzuhalten und die vorhandenen Kurzzeit-Pfleglinge auszuwildern bzw. an eine geeignete Wildtierauffangstation abzugeben, auch um aus dem erlaubnispflichtigen Bereich des § 11 TierSchG herauszutreten. Hinsichtlich I. Nr. 3a) wurde vorgetragen, die Dauerhaltung von Wirbeltieren, die [wohl gemeint: nicht] wieder in die Natur entlassen werden könnten, müsse grundsätzlich unterbleiben. Über die Weiterhaltung der aktuellen sog. Dauerpfleglinge, die Herr … im Schreiben vom 31.08.2020 begutachtet habe, sei in Absprache mit der Artenschutzbehörde zu entscheiden. Dabei handle es sich um folgende Tiere: Waldohreule, Haussperling, Grünfink, (Kanarien-Grünfinkhybrid), Kernbeißer, zwei Stare. Weitere Tiere seien von der Antragstellerin an das Veterinäramt P. bisher nicht gemeldet worden und es sei auch kein weiteres Gutachten von einem Tierarzt erfolgt. Aufgrund der festgestellten Zustände sei die weitere Aufnahme von Dauerpfleglingen aus Tierschutzgründen nicht zu befürworten und habe zu unterbleiben. Im Hinblick auf I. Nr. 3b) wurde vorgetragen, da die Antragstellerin über keinen Falknerschein und somit keine Sachkunde über die Haltung von Eulen als „Dauerpflegling“ verfüge, sei diese nach § 16a Abs. 1 TierSchG gegen Nachweis umgehend, d.h. bis 24.09.2021, an eine geeignete Wildtierstation abzugeben. Die angeordneten Maßnahmen seien im Interesser der Tiere zwingend notwendig und geeignet, die mit der Erlaubnispflicht nach § 11 TierSchG verfolgten Ziele des Tierschutzes zu erreichen und die tierschutzwidrigen Zustände in der Wildvogelhaltung der Antragstellerin zu beseitigen. Mildere Mittel seien nicht ersichtlich, sodass die Anordnungen erforderlich seien. Die Anordnungen, die im pflichtgemäßen Ermessen erlassen worden seien, seien daher auch verhältnismäßig. Zur Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde ausgeführt, dass diese gerechtfertigt sei, da andernfalls zu erwarten sei, dass die Tiere noch längere Zeit unter den mangelhaften Haltungsbedingungen leiden müssten. Im Interesse des Tierschutzes könne nicht abgewartet werden, bis in einem längeren Rechtsstreit über die Sache entschieden werde. Aufgrund der fehlenden Erlaubnis nach § 11 TierSchG und der mangelhaften Haltungsbedingungen liege ein besonderes öffentliches Interesse an der Anordnung des sofortigen Vollzugs vor.
24
Hiergegen erhob die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 13.09.2021, bei Gericht eingegangen am 14.09.2021, Klage (RN 4 K 21.1843) und suchte um einstweiligen Rechtsschutz nach. Sie trägt vor, die von der Antragsgegnerin geäußerten Vorwürfe seien unbewiesene Vermutungen und Unterstellungen. Die von der Stadt P. behauptete Untersagung aus dem Jahr 2006, nicht mehr als 20 Vögel und 10 Kleinsäuger aufnehmen zu dürfen und hierfür einen geeigneten Raum einrichten zu müssen, sei der Antragstellerin nicht bekannt. Vielmehr sei sie in den Jahren 2004-2006 zuerst ehrenamtlich und später als angestellte Tierpflegerin für den Verein „… e.V.“ in der …-straße in …3 tätig gewesen. Die Antragstellerin habe dort mit ihrer Familie eine Wohnung gehabt. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Tierschutzverein seien alle Tiere anderweitig verteilt worden. Die Antragstellerin habe eine Wohnung in der …4 Straße in …3 bezogen, wo sie 11 Jahre gelebt habe. Wildvögel seien in dieser Zeit nicht aufgenommen worden. Sie pflege hilfsbedürftige Vögel für den LBV, die Stadt P., den Landkreis P. und für die LBV-Auffangstation R. Die Fledermauspfleglinge übernehme sie seit dem 04.03.2021 für die Koordinationsstelle Fledermausschutz Südbayern des Landesamtes für Umwelt und der Stadt sowie für den Landkreis P. Im Rahmen der Kontrolle am 12.08.2020 sei für die Dauerpfleglinge kein Gesundheitszeugnis vorhanden gewesen, was die Antragstellerin nach einer Woche nachgereicht habe, ansonsten habe es keine Beanstandungen gegeben. Private Unterkünfte entsprächen nicht den Anforderungen an eine tierheimähnliche Einrichtung. Es liege keine tierheimähnliche Einrichtung vor. Eine fachliche Bewertung durch die Untere Naturschutzbehörde habe nicht stattgefunden. Am 26.07.2021 habe eine separate Begehung durch die Untere Naturschutzbehörde des Landratsamts P. stattgefunden. In einem Telefonat am 27.07.2021 habe Frau …r von der Unteren Naturschutzbehörde gesagt, sie habe nichts gegen ihre Tierhaltung und sie könne so weitermachen. Sie würde sich für den Erhalt ihrer Pflegestelle zusammen mit der Stadt P. einsetzen. Die Antragstellerin habe die Kontrollen des Veterinäramts nicht abgebrochen, sobald sich Mängel gezeigt hätten, vielmehr seien die Kontrollen vollständig durchgeführt worden, was sich schon daran zeige, dass alle Tiere aufgeführt worden seien. Auch seien alle aufgefundenen Tiere im Bestandsbuch aufgeführt. Das Veterinäramt habe zu den Pflegeräumen der Tiere und zu den Volieren im Außenbereich jederzeit Zugang gehabt. Die Mindestanforderungen zur Haltung von Kleinvögeln könnten bei den von der Antragstellerin gepflegten Wildvögeln nicht herangezogen werden, da es sich um Volierengrößen handle. Die Vögel in ihrer Obhut während der Kontrolle seien ausnahmslos Ästlinge, Nestlinge oder verletzte Vögel gewesen. Nichtselbständige Jungvögel blieben von der vorgegebenen Volierengröße unberührt. Kranke und verletzte Vögel dürften vorübergehend in Krankenboxen gehalten werden. Bei Mauerseglern und Schwalben handle es sich um Vögel, die niemals in Drahtgitterbehausungen untergebracht werden dürften; sie seien in Plastikboxen untergebracht gewesen. Die Antragstellerin führe ein Bestandsbuch mit allen wichtigen Kriterien. Alle verletzten und kranken Tiere würden einem vogelkundigen Tierarzt vorgestellt. Tiere, die keine Aussicht auf Erreichung der Wildbahntauglichkeit hätten, würden von einem fachkundigen Tierarzt eingeschläfert. Die Arbeit der Antragstellerin sei sehr erfolgreich: Im Jahr 2021 habe sie 153 Vogel-Pfleglinge gehabt, wovon 133 ausgewildert oder zum Auswildern weitergegeben worden seien. Nur 20 Tiere seien so schwer verletzt oder erkrankt gewesen, dass sie verstorben oder eingeschläfert worden seien. Alle Kurzzeitpfleglinge seien fachgerecht ausgewildert worden. Die Mauersegler und Schwalben seien an die Mauerseglerstarthilfe Berchtesgaden zur weiteren Pflege abgegeben worden. Die Greifvögel seien in die Auffangstation R. gebracht worden. Die Fledermauspfleglinge seien Dipl. Biologin … von der Koordinationsstelle Fledermausschutz Südbayern LfU übergeben worden. Es seien nur noch Dauerpfleglinge vor Ort. Weitere Wildtiere zur Pflege seien seit dem Erhalt des Bescheides nicht mehr aufgenommen worden. Die Antragstellerin sei gelernte Zootierpflegerin und Fachtierpflegerin für Greifvögel und Eulen, außerdem Tierheilpraktikerin mit sechsmonatigem Fachpraktikum an der Vogelklinik München. Sie habe drei Falknerkurse absolviert. Für die Fledermauspflege sei sie von Frau … geschult worden.
25
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 13.09.2021 gegen die Nummer I. des Bescheids der Antragsgegnerin vom 19.08.2021 wiederherzustellen, gegen die Nummern II. und IV. anzuordnen.
26
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
27
Zur Begründung wurde ausgeführt, die von der Antragstellerin bestrittene Anordnung sei Bestandteil der Behördenakte. Hinsichtlich der Tätigkeit der Antragstellerin bei dem Verein „… e.V.“ wurde vorgetragen, der Vertrag der Antragstellerin sei dort bereits nach zwei Jahren aufgelöst worden, weil es durch den Verein u.a. zu erheblichen Beanstandungen und Vorfällen in der Tierpflege der Antragstellerin gekommen sei. Der Verein sei bereits vor ca. 14 Jahren aufgelöst worden. Mehrmals hätten sich nach Wiederzuzug in die Stadt P. im Jahr 2020 Hinweise auf einen erlaubnispflichtigen Umfang der Wildvogelpflege ergeben. Bei der Kontrolle im August 2020 seien 44 gehaltene Vögel und viele Mängel, die auch bei der letzten Kontrolle am 14.07.2021 unverändert gewesen seien, festgestellt worden. Bereits hier sei auf die Erlaubnispflicht einer tierheimähnlichen Einrichtung hingewiesen worden. Es seien keine weiteren Auflagen gemacht worden, da die Antragstellerin mitgeteilt habe, dass sie die Tätigkeit beende. Spätestens mit Schreiben vom 04.02.2021 sei die Antragstellerin detailliert schriftlich auf die Erlaubnispflicht ihrer Einrichtung hingewiesen worden. Eine Erlaubnisfähigkeit hätte nach Vorlage aller erforderlichen Antragsunterlagen geprüft werden können. Eine Antragstellung hätte diese aber wiederholt abgelehnt, da sie die Voraussetzungen einer tierheimähnlichen Einrichtung aus ihrer Sicht nicht erfülle. Die Voraussetzungen einer tierheimähnlichen Einrichtungen seien schon allein aufgrund der Anzahl der gehaltenen Tiere erfüllt. Außerdem sei aufgrund der festgestellten tierschutzwidrigen Haltungsbedingungen und mangelnder Zuverlässigkeit die Tierhaltung nach § 16a TierSchG und die weitere Aufnahme von Wildvögeln untersagt worden. Die in der Anlage zur Antragsschrift aufgeführten Qualifikationen der Antragstellerin seien der Behörde bis heute nicht vorgelegt worden.
28
In einer Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde des Landratsamts P. vom 16.09.2021 hielt diese klarstellend fest, dass Ziel des Besuchs bei der Antragstellerin nicht eine umfassende Begutachtung deren Tierbestands gewesen sei, weshalb hierzu auch keine Äußerung erfolgt sei. Betrachtet sei lediglich die Unterbringung der Fledermäuse und der Jungschwalbe worden. Diese seien artenschutzrechtlich in Ordnung gewesen. Die Antragstellerin habe der Unteren Naturschutzbehörde des Öfteren Wildtiere gemeldet, die im Bereich des Landkreises P. aufgefunden worden seien. Nach deren Kenntnisstand seien auch bei der Unteren Naturschutzbehörde der Antragsgegnerin entsprechende Meldungen erfolgt. Die Untere Naturschutzbehörde habe sich nicht in den Kompetenzbereich der Antragsgegnerin einmischen wollen.
29
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte mit den eingereichten Schriftsätzen sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen. Die Akte des Verfahrens RN 4 K 21.1843 wurde beigezogen.
II.
30
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist zulässig (dazu 1.) und teilweise begründet (dazu 2).
31
1. Der Antrag ist zulässig.
32
Er ist vor dem Hintergrund, dass das Gericht an gestellte Anträge nicht gebunden ist, die Antragstellerin nicht anwaltlich vertreten ist und das Antragsbegehren – das wirkliche Rechtsschutzziel – von Amts wegen zu ermitteln ist, wobei der gesamte Vortrag des Antragstellers heranzuziehen ist (vgl. Eyermann/Rennert, 15. Aufl. 2019, VwGO § 88 Rn. 8), gem. §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO unter Rückgriff auf die Interessenlage dahingehend auszulegen, dass die nicht durch einen Bevollmächtigten vertretene Antragstellerin begehrt, die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid der Antragsgegnerin erhobenen Klage vom 13.09.2021 hinsichtlich Nr. I des Bescheids wiederherzustellen und hinsichtlich der Nrn. II und IV des Bescheids anzuordnen.
33
2. Der Antrag ist teilweise begründet.
34
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt allerdings nach § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO dann, wenn die Anordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist oder die Behörde die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten besonders anordnet. In diesen Fällen kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Klage und Widerspruch anordnen (wenn diese aufgrund Gesetzes ausgeschlossen ist) oder wiederherstellen (wenn eine Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO vorliegt). Das Gericht trifft insoweit eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat dabei zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind vorrangig die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass Rechtsbehelfe gegen den angefochtenen Bescheid keinen Erfolg versprechen, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung regelmäßig hinter das Vollziehungsinteresse zurück und der Antrag ist unbegründet. Erweist sich die erhobene Klage hingegen bei summarischer Prüfung als zulässig und begründet, dann besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids und dem Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist stattzugeben. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht ausreichend absehbar, muss das Gericht die widerstreitenden Interessen im Einzelnen abwägen. Die Begründetheit eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann sich daneben auch daraus ergeben, dass die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtswidrig ist, weil sie den formellen Anforderungen nicht genügt.
35
Vor dem Hintergrund dieser Maßstäbe hat der Antrag teilweise Erfolg. Zwar genügt die Begründung des angeordneten Sofortvollzugs den formellen Anforderungen (dazu a)). Allerdings ergibt eine summarische Prüfung der erhobenen Klage, dass diese in der Hauptsache voraussichtlich im Hinblick auf die Nummern I.2, I.3.b), II und teilweise Nummer IV. Erfolg hat, sodass diesbezüglich kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht. Im Übrigen wird die erhobene Klage aber erfolglos bleiben, sodass diesbezüglich das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung hinter das Vollziehungsinteresse zurücktritt (dazu b)).
36
a) Die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit genügt den formellen Anforderungen. Insbesondere ist dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO Genüge getan. Diese Begründungspflicht verlangt von der zuständigen Behörde, das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit eines Bescheids unter Bezugnahme auf die Umstände des konkreten Einzelfalls darzustellen (BayVGH, B. v. 14.2.2002 – 19 ZS 01.2356, NVwZ-RR 2002, 646). § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hat unter anderem eine Warnfunktion für die handelnde Behörde. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die Behörde des Ausnahmecharakters ihrer Anordnung bewusst wird und die konkret betroffenen Interessen sorgsam prüft und abwägt (BayVGH, B. v. 3.5.2018 – 20 CS 17.1797, juris Rn. 2). Sie soll sich bei ihrer Entscheidung hinreichend mit den Besonderheiten des konkreten Einzelfalls auseinander setzen. Nichtssagende, formelhafte Wendungen reichen deshalb nicht aus. Allerdings genügt dann, wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, dass die Behörde diese Interessenlage aufzeigt und deutlich macht, dass sie auch im vorliegenden Fall gegeben ist. Dies kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts, zu dem auch der streitgegenständliche Bescheid gehört, in Betracht (BayVGH, B. v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453, juris Rn. 16).
37
Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich die Begründung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid als ausreichend. Die Antragsgegnerin hat dargelegt, dass im Interesse des Tierschutzes nicht abgewartet werden könne, bis in einem längeren Rechtsstreit über die Sache entschieden werde, da ansonsten zu erwarten sei, dass die Tiere noch längere Zeit unter den mangelhaften Haltungsbedingungen leiden müssten. Außerdem wurde darauf verwiesen, dass aufgrund der fehlenden Erlaubnis nach § 11 Tierschutzgesetz (TierSchG) ein besonderes öffentliches Interesse an der Anordnung des sofortigen Vollzugs vorliege.
38
b) Bei summarischer Prüfung stellt sich die erhobene Klage als zulässig und teilweise begründet dar. Eine etwaige fehlende Anhörung vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids führt nicht bereits zur Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (dazu aa)). Daneben ist der Bescheid vom 19.08.2021 rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit damit in den Nrn. I.1 und I.3.a) die Untersagung der Aufnahme weiterer Dauerpfleglinge und von Wildtieren zur Pflege ausgesprochen wurde (dazu bb)). Soweit unter Nr. I.2 angeordnet wurde, die derzeitigen „Kurzzeit-Pfleglinge“ auszuwildern bzw. an andere Wildtierauffangstationen abzugeben, sind die Erfolgsaussichten der Klage offen, ebenso hinsichtlich der darauf bezogenen Zwangsgeldandrohung in Nr. II.2 des Bescheids; die danach vorzunehmende Interessenabwägung geht jedoch zu Lasten der Antragsgegnerin (dazu cc)). Gleichsam verhält es sich mit der Untersagung der Haltung der Waldohreule und der Anordnung, diese gegen Nachweis umgehend an eine geeignete Wildtierstation abzugeben (Nr. I.3.b)) und hinsichtlich der hierauf bezogenen Zwangsgeldandrohung in Nr. II.3.b) des Bescheids (dazu dd)). Die Zwangsgeldandrohungen in den Nrn. II.1 und II.3.a) des Bescheids erweisen sich hingegen nach summarischer Prüfung als rechtswidrig und für die Antragstellerin rechtsverletzend (dazu ee)). Auch die behördliche Kostenentscheidung in Nr. IV des Bescheids begegnet insoweit rechtlichen Bedenken, als darin Auslagen des Staatlichen Veterinäramts über die Fahrtkosten in Höhe von 8,96 EUR hinaus geltend gemacht wurden (dazu ff)).
39
aa) Nach summarischer Prüfung ist nicht ersichtlich, ob die Antragstellerin vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids seitens der Behörde angehört wurde, insbesondere ob eine (insoweit ausreichende) mündliche Anhörung im Rahmen der Kontrolle durch das Veterinäramt am 14.07.2021 erfolgte, Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Ein hieraus folgender Verfahrensmangel könnte aber jedenfalls noch bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geheilt werden (Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG) (so auch Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Auflage 2016, § 80 Rn. 163 und OVG Bremen, B. v. 31.08.1984 – 1 B 53/84), sodass nicht allein deshalb die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen ist.
40
bb) Die mit den Nrn. I.1 und I.3a) des streitgegenständlichen Bescheids angeordneten tierschutzrechtlichen Maßnahmen sind nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Sie stützen sich auf § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG, wonach die zuständige Behörde demjenigen die Ausübung der Tätigkeit untersagen soll, der die Erlaubnis nicht hat.
41
(1) Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 TierSchG bedarf der Erlaubnis der zuständigen Behörde, wer Tiere in einem Tierheim oder einer ähnlichen Einrichtung hält. Der Begriff des Tierheims und damit auch der einer ihm ähnlichen Einrichtung werden im Tierschutzgesetz nicht näher bestimmt. Zur Konkretisierung des Begriffs kann auf Art. 1 Nr. 4 des Europäischen Übereinkommens zum Schutz von Heimtieren (EÜH) zurückgegriffen werden. Danach bezeichnet der Ausdruck Tierheim eine nicht auf Gewinnerzielung gerichtete Einrichtung, in der Heimtiere in größerer Anzahl gehalten werden können, wobei der Begriff der Heimtiers in Art. 1 Nr. 1 EÜH ein Tier bezeichnet, „das der Mensch insbesondere in seinem Haushalt zu seiner eigenen Freude und als Gefährten hält oder das für diesen Zweck bestimmt ist“.
42
Da Tierheime nicht dazu bestimmt sind, Wildtiere aufzunehmen und zu pflegen, handelt es sich bei der Wildtierpflegestation der Antragstellerin nicht um ein Tierheim. Vielmehr handelt es sich dabei um eine tierheimähnliche Einrichtung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 3 TierSchG.
43
Zwar kann nicht jedwede Ähnlichkeit einer Einrichtung mit einem Tierheim genügen, um eine Erlaubnispflicht zu begründen. Nur wenn die wesentlichen Merkmale eines Tierheims vorliegen, kann eine diesem ähnliche Einrichtung angenommen werden. Dies ist der Fall, wenn die Gründe, die für die Erlaubnispflicht der Tierhaltung in einem Tierheim sprechen, bei der Einrichtung in gleicher Weise bestehen, wenn also Sinn und Zweck der durch § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TierSchG begründeten Erlaubnispflicht auch für die Erlaubnisbedürftigkeit der Einrichtung sprechen (vgl. BVerwG, U. v. 23. 10. 2008 – 7 C 9/08, NVwZ-RR 2009, 102, 102). Abzustellen ist vor allem darauf, ob die Einrichtung Funktionen erfüllt, die bei Tierheimen geläufig sind, unabhängig davon, ob daneben andere Aufgaben wahrgenommen werden. Sinn und Zweck des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TierSchG ist es, im Wege der behördlichen Vorabkontrolle die materiellen Anforderungen (insbesondere nach § 2 TierSchG) unter den besonderen Bedingungen eines Tierheims sicherzustellen. Die nicht gewerbsmäßige Tierhaltung ist grundsätzlich nicht erlaubnispflichtig, weil der Gesetzgeber insoweit regelmäßig von einer ordnungsgemäßen Haltung ausgeht. Gerade unter den spezifischen Haltungsbedingungen in einem Tierheim, in dem viele Tiere an einem Ort konzentriert gehalten werden, sind jedoch Verstöße gegen die materiellen Anforderungen an das Halten von Tieren zu besorgen, denen durch die Erlaubnispflicht begegnet werden soll (vgl. BVerwG, U. v. 23. 10. 2008 – 7 C 9/08, NVwZ-RR 2009, 102, 102).
44
Insoweit liegen jedoch im Gegensatz zu dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrundeliegenden Fall vorliegend die Gründe, die für die Erlaubnispflicht eines Tierheims sprechen, bei der von der Antragstellerin betriebenen Wildtierpflegestation in gleicher Weise vor, sodass von einer tierheimähnlichen Einrichtung auszugehen ist. Die besonderen Haltungsbedingungen bestehen in einem Tierheim typischerweise in der Unterbringung einer größeren Anzahl von Tieren mit dem Ziel, diese nach Möglichkeit in kürzeren Zeiträumen an neue Halter zu vermitteln und sind bei der von der Antragstellerin betriebenen Wildtierpflegestation gleichfalls gegeben. Denn die Antragstellerin versorgt eine große Anzahl von Wildtieren mit dem Ziel, die Tiere wieder freizulassen, sobald diese sich selbstständig erhalten können. Dass sie daneben auch sog. Dauerpfleglinge beherbergt, die aufgrund von Schwäche oder Krankheit nicht mehr in die Wildnis entlassen werden können, kann vorliegend zu keinem anderen Ergebnis führen. Dass die Antragstellerin nur vereinzelt verletzte oder kranke Tiere aufnimmt, kann schon nach dem Vortrag der Antragstellerin, wonach sie im Jahr 2021 153 Vogel-Pfleglinge hatte, nicht angenommen werden. Zwar werden die Tiere – genauso wie bei einer privaten Tierhaltung – in der Wohnung bzw. im Privatanwesen der Antragstellerin gehalten. Jedoch werden – wie auch in einem Tierheim – viele Tiere an einem Ort zur gleichen Zeit gehalten. Daraus ergeben sich in Anlehnung an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einerseits besondere Anforderungen an eine dem Tierschutzrecht entsprechende artgerechte Unterbringung der Tiere und andererseits an die Fachkenntnisse der Antragstellerin. Denn es liegt auf der Hand, dass ein Leiter eines Tierheims – und damit auch die Antragstellerin als Betreiberin einer tierheimähnlichen Einrichtung – für die Tätigkeit über umfassende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen muss, um sicherzustellen, dass die einzelnen Tiere ihren Bedürfnissen entsprechend angemessen ernährt, gepflegt und verhaltensgerecht untergebracht werden. Diese Besonderheiten rechtfertigen auch das Erfordernis einer vorherigen behördlichen Prüfung und Erlaubnis.
45
(2) Weder im Hinblick auf die Erforderlichkeit, noch im Hinblick auf die Angemessenheit sind nach summarischer Überprüfung Ermessensfehler hinsichtlich der tierschutzrechtlichen Anordnungen ersichtlich.
46
Die Untersagung der Aufnahme von (weiteren) Wildtieren zur Pflege war erforderlich.
47
Inhalt der Untersagungsverfügung ist sowohl das Gebot, eine ohne Erlaubnis begonnene Tätigkeit aufzugeben, als auch auf Dauer das Verbot, diese oder eine vergleichbare Tätigkeit wieder aufzunehmen, solange keine Erlaubnis erteilt ist (Dauerverwaltungsakt). Der Erlass einer entsprechenden Anordnung ist daher nur dann nicht erforderlich und damit ermessensfehlerhaft, wenn die Behörde bereits im Zeitpunkt des Bescheidserlasses mit Sicherheit annehmen musste, dass die unerlaubt ausgeübte Tätigkeit nicht nur aktuell aufgegeben wurde, sondern auch künftig nicht mehr aufgenommen wird (vgl. BayVGH, B. v. 08.09.2008 – 9 ZB 05.2191, BeckRS 2008, 28346; Lorz/Metzger/Metzger, 7. Aufl. 2019, TierSchG, § 11 Rn. 57). Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Vorliegend sprechen bereits die bei der Kontrolle durch das Veterinäramt der Antragsgegnerin am 14.07.2021 vorgefundenen 52 Pfleglinge dafür, dass die Antragstellerin die Wildtierpflegestation im Zeitpunkt des Bescheidserlasses betrieben hat. Somit gab es schon keine Anhaltspunkte dafür, dass die unerlaubt ausgeübte Tätigkeit aktuell aufgegeben wurde und erst recht nicht dafür, dass sie künftig nicht mehr aufgenommen wird. Zudem gab die Antragstellerin in der Vergangenheit mehrmals gegenüber der Behörde an, künftig keine Wildtiere mehr zu pflegen, nahm dann aber dennoch weiterhin Pfleglinge auf.
48
Auch ist die Untersagung der Aufnahme von Wildtieren zur Pflege angemessen. Die Verwaltungsbehörde soll demjenigen die Ausübung der Tätigkeit untersagen, der die erforderliche Erlaubnis nicht besitzt. Dies bedeutet hinsichtlich der Ermessensbetätigung der Behörde eine strikte Bindung für den Regelfall (BVerwG, U. v. 09.12.2004, NVwZ-RR 2005, 399; Lorz/Metzger/Metzger, 7. Aufl. 2019, TierSchG, § 11 Rn. 56). Nur in Sonderfällen darf von der Untersagung abgesehen werden, vor allem, wenn die Erlaubnis ohne Zweifel hätte erteilt werden müssen, weil alle Voraussetzungen vorlagen und sämtliche Nachweise erbracht wurden (VG München, B. v. 20.8.2008 – M 18 K 07.3768, BeckRS 2008, 45953). Insbesondere wird ein solcher Ausnahmefall in der Rechtsprechung angenommen, wenn alle Erlaubnisvoraussetzungen offensichtlich erfüllt sind und der entsprechende Antrag auch bereits mit allen notwendigen Angaben und Unterlagen eingereicht ist (vgl. VG Düsseldorf, B. v. 26.01.2012 – 23 L 1939/11, BeckRS 2012, 46309; VG Mainz, B. v. 23.06.2010 – 1 L 712/10, NVwZ-RR 2010, 840; OVG Münster, B. v. 23.03.2007 – 20 B 376/07, juris Rn. 9 f.).
49
Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Erlaubnis hätte der Antragstellerin gerade nicht ohne Zweifel erteilt werden können. Zum einen ergibt sich dies schon daraus, dass die Antragstellerin bislang keinen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis für eine Wildtierpflegestation als tierheimähnliche Einrichtung gestellt hat. Zum anderen sind seitens der Antragstellerin nach summarischer Prüfung die erforderlichen Erlaubnisvoraussetzungen nicht erfüllt, sodass ein entsprechender Antrag abzulehnen wäre.
50
Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 TierSchG i.V.m. § 21 Abs. 5 Satz 1 TierSchG i.V.m. § 11 Abs. 1 S. 2 und 3, Abs. 2, 2a, 5 und 6 TierSchG (a.F.) darf die Erlaubnis nur erteilt werden, wenn die für die Tätigkeit verantwortliche Person u.a. aufgrund ihrer Ausbildung oder ihres bisherigen beruflichen oder sonstigen Umgangs mit Tieren die für die Tätigkeit erforderlichen fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten und erforderliche Zuverlässigkeit besitzt.
51
Nach summarischer Prüfung fehlt der Antragstellerin die erforderliche Zuverlässigkeit.
52
Der Begriff der Zuverlässigkeit ist im Tierschutzgesetz nicht definiert. Nach Nr. 12.2.3.1 AVV zum TierSchG ist von der Zuverlässigkeit der für die Tätigkeit verantwortlichen Person auszugehen, wenn sie der Behörde bekannt ist und keine Tatsachen vorliegen, die zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit dieser Person im Hinblick auf den Tierschutz Anlass geben. Unzuverlässig ist, wer nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens keine Gewähr dafür bietet, dass Rechtsvorschriften eingehalten werden und Gefahren für das Wohlergehen der aufgenommenen Tiere nicht bestehen, insbesondere bei groben oder wiederholten Verstößen gegen das Tierschutzgesetz. Maßgeblich ist, ob aufgrund der begangenen Rechtsverstöße nach objektiven Maßstäben und unter Würdigung der Persönlichkeit des Betroffenen und der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, dieser werde künftig seine Pflichten in dem beantragten Bereich nicht erfüllen (VG Würzburg, U. v. 25.10.2012 – W 5 K 11.590). Auch sonstige Rechtsverstöße, insbesondere Verstöße gegen formelles Tierschutzrecht können einen Mangel an Zuverlässigkeit begründen (vgl. Lorz/ Metzger/ Metzger, 7. Aufl. 2019, TierSchG § 11 Rn. 45).
53
Gemessen an diesen Maßstäben geht das Gericht nach der gebotenen summarischen Prüfung von der fehlenden Zuverlässigkeit der Antragstellerin hinsichtlich der beantragten tierschutzrechtlichen Erlaubnis aus. Die Antragstellerin hat nachweislich bereits seit mehreren Jahren vielfach Wildtiere zur Pflege aufgenommen, ohne eine erforderliche Erlaubnis zu besitzen, obwohl sie wiederholt von der Behörde darauf hingewiesen wurde, dass hierfür eine entsprechende tierschutzrechtliche Erlaubnis erforderlich ist.
54
Darüber hinaus fehlt der Antragstellerin nach summarischer Prüfung die Zuverlässigkeit auch aufgrund der in ihrer Wildtierhaltung bestehenden Missstände, da wiederholte Verstöße gegen das Tierschutzgesetz zu verzeichnen sind. Nach § 2 Nr. 1 TierSchG muss derjenige, der ein Tier hält, dieses seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen. Hiergegen hat die Antragstellerin wiederholt verstoßen. Im Rahmen mehrerer tierschutzrechtlicher Kontrollen wurde durch die zuständigen Amtstierärzte festgestellt, dass sich die Tiere in ungeeigneten Haltungseinheiten befanden und dadurch gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt waren. Auch die herumfliegenden Vögel waren verschiedenen Verletzungsgefahren im Wohnzimmer ausgesetzt. Nicht zuletzt entsprach auch die Haltung der Vögel in Kleinstkäfigen auf dem Boden nicht den Mindestanforderungen an die Haltung von Kleinvögeln vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und die Greifvögel hatten durchgehend kein Wasser. Trotz Beanstandungen seitens des Veterinäramts wurden die Verstöße nicht abgestellt.
55
Das Gericht sieht nach einer summarischen Überprüfung keinen Anlass, an der Richtigkeit der fachlichen Feststellungen der amtlichen Tierärzte zu zweifeln. Das Tierschutzgesetz erachtet in § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 die Einschätzung des beamteten Tierarztes im Regelfall als maßgeblich; auch sind beamtete Tierärzte als gesetzlich vorgesehene Sachverständige im Bereich des Tierschutzes eigens bestellt (vgl. § 15 Abs. 2 TierSchG). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof räumt beamteten Tierärzten deshalb im Hinblick auf die Anforderungen des § 2 TierSchG und ihre Erfüllung eine vorrangige Beurteilungskompetenz ein (U. v. 30.01.2018 – 9 B 05.3146, juris Rn. 29). Das Vorbringen der Antragstellerin tritt der amtstierärztlichen Feststellung nicht substantiiert entgegen, weil es nicht darzulegen vermag, dass diese auf unzutreffenden Tatsachen beruhte, ohne nachvollziehbare wissenschaftliche Grundlage getroffen wurde oder widersprüchlich bzw. nicht nachvollziehbar war (vgl. BayVGH, B. v. 20.05.2021 – 23 CS 21.542, BeckRS 2021, 12531 Rn. 14).
56
Ins Auge fällt zusätzlich, dass die Antragstellerin nach Angaben der Amtstierärzte wiederholt tierschutzrechtliche Kontrollen abbrach, wenn Mängel offensichtlich wurden und auch uneinheitliche Angaben hinsichtlich der Aufgabe ihrer Wildtierpflegestation machte. Insofern ist im Rahmen einer Gesamtschau des Verhaltens der Antragstellerin keine offensichtliche Erlaubnisfähigkeit ersichtlich. Vielmehr lässt sich daraus ihre verfehlte Einstellung zur Beachtung der Rechtsordnung erkennen und auf ihre Unzuverlässigkeit schließen. Aufgrund der wiederholten Verstöße gegen tierschutzrechtliche Vorgaben besteht aus Sicht des Gerichts die Gefahr, dass sie künftig ihre im Rahmen der erlaubnispflichtigen Tätigkeit anfallenden Pflichten nicht erfüllen wird. Es ist zu erwarten, dass sie auch in Zukunft keine Gewähr dafür bietet, dass Rechtsvorschriften eingehalten werden. Auch Verstöße gegen formelles Tierschutzrecht können zur Unzuverlässigkeit führen. Da die formellen Verstöße des Betreibens einer tierheimähnlichen Einrichtung ohne erforderliche Erlaubnis nicht lediglich geringfügig oder gar einmalig waren, sondern vielmehr in einer hartnäckigen und uneinsichtigen Art und Weise erfolgten, fallen diese vorliegend derart stark ins Gewicht, dass von einer Zuverlässigkeit der Antragstellerin bereits wegen dieser formellen Verstöße nicht mehr die Rede sein kann.
57
cc) Hinsichtlich der Anordnung in Nr. I.2 des Bescheids, die derzeitigen „Kurzzeit-Pfleglinge“ auszuwildern bzw. an andere Wildtierauffangstationen abzugeben, und der darauf bezogenen Zwangsgeldandrohung in Nr. II.2 sind die Erfolgsaussichten nach summarischer Prüfung offen.
58
Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein, insbesondere erkennbar sein, was der Adressat zu tun bzw. zu unterlassen hat. Die Erkennbarkeit des geforderten Verhaltens setzt voraus, dass der Inhalt des Verwaltungsakts aus sich heraus verständlich ist und keine mehrdeutige Auslegung mehr zulässt (Schoch/Schneider/Schröder, VwVfG § 37 Rn. 35). Entscheidend ist, ob der Adressat und die mit dem Vollzug befassten Behörden den Entscheidungsinhalt aufgrund der Gesamtumstände des Einzelfalls zutreffend erfassen und ihr Verhalten danach ausrichten können (OVG Münster, B. v. 20.01.2017 – 4 B 57/17, BeckRS 2017, 101002 Rn. 7).
59
Nach Aktenlage ist nicht ersichtlich, ob zwischen den Beteiligten die Kriterien, nach welchen Kurzzeitpfleglinge zu Dauerpfleglingen abgegrenzt werden, hinreichend klar vereinbart wurden, insbesondere, da gerade zu Beginn der Aufnahme eines Pfleglings oft nicht absehbar sein wird, ob dieser gepflegt und in wieder in die Wildnis entlassen werden kann oder nicht. Auch ist der Begriff Kurzzeitpflegling und dessen Definition der Interpretation durch die Beteiligten zugänglich, da es gerade in Grenzfällen zu unterschiedlichen Auffassungen kommen kann, ob ein Pflegling wieder in die Natur entlassen werden kann oder nicht. Es ist nicht ersichtlich, ob zwischen den Beteiligten hinsichtlich der Einordnung als Kurzzeitpflegling Kriterien bzw. Eigenschaften vereinbart wurden. Zur Gewährleistung der Bestimmtheit wäre aus Sicht der Kammer beispielsweise eine Liste, in der die als Kurzzeitpfleglinge einzuordnenden und daher auszuwildernden Tiere nach Art, Rasse, Aussehen, Größe und ggf. genauem Haltungsort beschrieben werden, sachdienlich. Dies erscheint angesichts der Tatsache, dass im Kontrollzeitpunkt 52 Pfleglinge vorgefunden wurden, auch möglich und umsetzbar. Ob der Antragstellerin seitens der Behörde eine solche insbesondere im Rahmen der Kontrolle vom 14.07.2021 mündlich oder schriftlich bekannt gegeben wurde, ist nach derzeitigem Stand ebenfalls nicht erkennbar. Insbesondere kann nach summarischer Überprüfung nicht davon ausgegangen werden, dass nur die in dem in der Begründung des Bescheids genannten Schreiben aufgezählten Dauerpfleglinge von Nr. I.2 nicht umfasst sind und im Umkehrschluss alle anderen Pfleglinge als Kurzzeitpfleglinge einzuordnen sind. Zum einen ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass dies so zwischen den Beteiligten vereinbart wurde, zum anderen würde diese Auslegung davon abhängen, welche Tiere die Antragstellerin an das Veterinäramt P. als Dauerpflegling meldet. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die Antragstellerin offenbar davon ausging, alle Kurzzeitpfleglinge ausgewildert zu haben, die Behörde aber im Rahmen einer Nachkontrolle am 15.12.2021 feststellte, dass noch fünf Kurzzeitpfleglinge im Bestand vorzufinden waren und auch nicht geschildert wurde, dass es sich hierbei um neue Kurzzeitpfleglinge handle, entsteht für das Gericht aber der Eindruck, dass zwischen den Beteiligten bislang keine Kongruenz hinsichtlich des Begriffs „Kurzzeitpflegling“ herrscht. Problematisch ist dies vor allem vor dem Hintergrund, dass für die nicht fristgemäße Befolgung der Anordnung in Nr. I.2 ein Zwangsgeld in Nr. II.2 angedroht wurde. Gerade bei vollstreckungsfähigen und bußgeldbewehrten Verwaltungsakten muss zumindest das Ziel der geforderten Handlung so bestimmt sein, dass eine unterschiedliche Bewertung ausgeschlossen ist (HK-VerwR/Kyrill-Alexander Schwarz, 5. Aufl. 2021, VwVfG § 37 Rn. 19).
60
Die aufgrund der offenen Erfolgsaussichten der Klage vorzunehmende Interessenabwägung geht vorliegend zu Lasten der Antragsgegnerin. Ohne konkrete Angabe, welche Tiere auszuwildern bzw. abzugeben sind, kann die Antragstellerin die Anordnung in Nr. I.2 nicht – auch nicht einstweilen bis zur Entscheidung in der Hauptsache – erfüllen. Auch ist nicht ersichtlich, dass öffentliche Interessen – insbesondere tierschutzrechtliche Aspekte – dem Erhalten des status quo entgegenstehen würden. Die Antragstellerin hat offenkundig über viele Jahre hinweg Wildtiere aufgenommen und gepflegt, was seitens der Behörde auch zeitweise geduldet wurde. Es ist somit nicht ersichtlich, dass die sofortige Abgabe der (nicht konkret benannten) Kurzzeitpfleglinge aus Gründen des Tierschutzes notwendig wäre.
61
Daher war die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich Nr. I.2 wiederherzustellen.
62
Aufgrund der im Hinblick auf den Grundverwaltungsakt offenen Erfolgsaussichten der Klage und der zulasten der Antragsgegnerin gehenden Interessenabwägung ist auch hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. II.2 des Bescheids die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
63
dd) Ebenso offen sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hinblick auf die in Nr. I.3.b) ausgesprochene Untersagung der Haltung der Waldohreule nebst Aufforderung, diese gegen Nachweis an eine geeignete Wildtierstation abzugeben und der darauf bezogenen Zwangsgeldandrohung in Nr. II.3.b) des Bescheids.
64
Zwar erfordert die Haltung von Greifvögeln und Eulen Sachkunde („Sachverständigengruppe, Gutachten über die tierschutzgerechte Haltung von Vögeln“: „Mindestanforderungen an die Haltung von Greifvögeln und Eulen“ vom 10. Januar 1995, S. 1). Ob die Antragstellerin sachkundig in diesem Sinne ist, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Sie verfügt zwar nicht über einen Falknerschein; dass nur ein solcher zum Nachweis der Sachkunde über die Haltung von Eulen als Dauerpflegling geeignet ist, wurde seitens der Behörde nicht vorgetragem, zumal die Antragstellerin (insoweit jedoch unbelegt) angegeben hat, drei Falknerkurse absolviert zu haben. Insbesondere aber wird die Waldohreule seit Jahren von der Antragstellerin gepflegt, was ausweislich von Nr. I.10 des Bescheids vom 25.07.2019 von behördlicher Seite auch ausdrücklich geduldet wurde, da darin lediglich Anordnungen zur Haltung der Eule gemacht wurden. Eine fehlende Sachkunde der Antragstellerin stand damals gerade nicht im Raum. Die Behörde hat im Bescheid vom 19.08.2021 auch nicht dargelegt, weshalb sie nun – im Gegensatz zum Jahr 2019 – die Sachkunde der Antragstellerin in Zweifel zieht. Insofern besteht hierüber im Hauptsacheverfahren Aufklärungsbedarf.
65
Ob die Untersagung der Haltung der Waldohreule auf § 45 Abs. 5 Satz 2 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) gestützt werden kann, erscheint angesichts der unklaren Aussagen der Naturschutzbehörde ebenfalls als offen. Insbesondere ist nicht erkennbar, ob diesbezüglich Absprachen mit der Antragstellerin getroffen wurden.
66
Auch hinsichtlich der Nr. I.3.b) überwiegen die Interessen der Antragstellerin am vorläufigen Verbleib der Waldohreule in ihrem Besitz gegenüber dem behördlichen Interesse, diese bis zur Entscheidung in der Hauptsache gegen Nachweis an eine geeignete Wildtierstation abzugeben. Die Waldohreule ist nach insoweit unwidersprochenen Angaben der Antragstellerin seit 15 Jahren in ihrem Besitz. Dies wurde seitens der Behörde auch über Jahre hinweg geduldet. Insofern ist für das Gericht nicht ersichtlich, weshalb die Waldohreule bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens nicht bei der Antragstellerin verbleiben könnte, da insbesondere nicht vorgetragen wurde, dass die gegenständliche Haltung der Eule gegen § 2 TierSchG verstößt.
67
Daher war die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich Nr. I.3.b) und der darauf bezogenen Zwangsgeldandrohung in Nr. II.3.b) ebenfalls wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
68
ee) Soweit der Antragstellerin in den Nrn. II.1 und II.3.a) Zwangsgelder angedroht wurden, sind diese nach summarischer Überprüfung rechtswidrig und für die Antragstellerin rechtsverletzend. Insoweit ist die aufschiebende Wirkung der Klage daher anzuordnen.
69
Die Anordnungen in den Nrn. I.1 und I.3.a) haben hinsichtlich der Dauerpfleglinge den gleichen Regelungsgegenstand, insoweit konkretisiert Nr. I.3.a) das allgemeine Verbot in Nr. I.1, weitere Pfleglinge aufzunehmen und ist hiervon mithin umfasst. Da jedoch für beide Anordnungen in den Nrn. II.1 und II.3.a) Zwangsgelder für den Fall der Zuwiderhandlung angedroht wurden, würden im Fall der Aufnahme weiterer Dauerpfleglinge sowohl das in Nr. II.1, als auch das in Nr. II.3.a) angedrohte Zwangsgeld fällig. Dies stellt aber einen Verstoß gegen das Kumulationsverbot des Art. 36 Abs. 3 Satz 2 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (BayVwZVG) dar, wonach nicht angedroht werden darf, dass mehrere Zwangsmittel gleichzeitig angewendet werden.
70
Es kann insbesondere mit Blick auf den unterschiedlich weit greifenden Regelungsbereich auch nicht im Wege einer geltungserhaltenden Reduktion eine der beiden Zwangsgeldandrohungen aufrecht erhalten werden.
71
ff) Darüber hinaus begegnet auch die behördliche Kostenentscheidung insoweit rechtlichen Bedenken, als darin Auslagen des Staatlichen Veterinäramts über einen Betrag in Höhe von 149,79 EUR hinaus geltend gemacht wurden.
72
Zwar stellen die Kosten des Staatlichen Veterinäramts für die Antragsgegnerin Auslagen im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Nr. 5 Bayerisches Kostengesetz (KG) dar, da es sich hierbei um einen einer anderen Behörde für ihre Tätigkeit zustehenden Betrag handelt. Das Staatliche Veterinäramt am Landratsamt P. stellt eine gegenüber der Stadt P. als Antragsgegnerin andere Behörde dar.
73
Allerdings wurde in der Abrechnung des Staatlichen Veterinäramts ein Stundensatz von 80,62 EUR für einen Beamten des höheren Dienstes zugrunde gelegt. Nr. 1.2.1.1 der Anlage zur Gesundheitsgebührenverordnung (GGebV) gibt jedoch vor, dass der Stundensatz für Beamte des höheren Dienstes 65,00 EUR beträgt, wenn Termine außerhalb der Dienststellen wahrgenommen werden. Insofern ist der abgerechnete Stundensatz von 80,62 EUR zu hoch bemessen. Unter Zugrundelegung des von Nr. 1.2.1.1 der Anlage zur GGebV vorgegebenen Stundensatzes von 65,00 EUR ergeben sich für den Zeit- und Fahrtenaufwand insgesamt Auslagen des Staatlichen Veterinäramts in Höhe von 149,79 EUR. Der darüber hinausgehend geltend gemachte Betrag ist nach summarischer Überprüfung rechtswidrig, sodass dahingehend die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird.
74
3. Die gerichtliche Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO und entspricht dem Verhältnis des Obsiegens bzw. Unterliegens der Beteiligten.
75
4. Rechtsgrundlage der Streitwertfestsetzung sind §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 35.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Hiernach war der Auffangstreitwert von 5.000 Euro anzusetzen und dieser dann gemäß der Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.