Titel:
Berufung, Frist, Wiedereinsetzung, Versicherung, Verschulden, Zustellung, Wiedereinsetzungsantrag, Anlage, Sachbearbeiter, Form, Weisung, Verfahren, Endurteil, verwaltung, eidesstattliche Versicherung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, eidesstattlichen Versicherung
Schlagworte:
Berufung, Frist, Wiedereinsetzung, Versicherung, Verschulden, Zustellung, Wiedereinsetzungsantrag, Anlage, Sachbearbeiter, Form, Weisung, Verfahren, Endurteil, verwaltung, eidesstattliche Versicherung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, eidesstattlichen Versicherung
Vorinstanz:
LG Regensburg, Endurteil vom 12.03.2021 – 43 O 778/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 01.03.2023 – XII ZB 483/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 61333
Tenor
1. Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird z u r ü c k g e w i e s e n.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 12.03.2021 wird als unzulässig v e r w o r f e n.
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 198.906,87 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Parteien streiten über wechselseitige Forderungen im Zusammenhang mit einem Mietverhältnis. Das Landgericht Regensburg hat die Klage abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage verurteilt, an den Beklagten 56.877,68 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31.08.2019 zu zahlen.
2
Eingehend beim Oberlandesgericht Nürnberg am 16.04.2021 hat die Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 12.03.2021, der Klägerin zugestellt am 16.03.2021, Berufung eingelegt.
3
Dieses Rechtsmittel haben die Prozessbevollmächtigten am 31.05.2021 begründet und gleichzeitig Antrag auf Wiedereinsetzung in die am Montag, den 17.05.2021 abgelaufene Berufungsbegründungsfrist gestellt und hierzu vorgetragen:
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Die Berufungsakte werde kanzleiintern unter dem Aktenzeichen 44/21 geführt und sei ursprünglich von der Sachbearbeiterin Rechtsanwältin P geführt worden. Die rein elektronisch geführte Akte sei daher auch in den Datenbanken der in der Kanzlei verwendeten Rechtsanwaltssoftware RA-Micro der Sachbearbeiterin P zugeordnet. Alle Termine und Fristen zur Akte, insbesondere die Frist zur Einlegung der Berufung und zur Berufungsbegründung seien auf Frau Rechtsanwältin P geschlüsselt.
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Da Frau Rechtsanwältin P zum 30.04.2021 aus der Kanzlei ausgeschieden sei, seien die ihr zugeordneten Akten auf die übrigen Berufsträger zu verteilen gewesen. Dabei habe der nunmehr zuständige Rechtsanwalt der stets zuverlässigen und seit dem Jahre 2015 für ihn tätigen Rechtsanwaltsfachangestellten Frau S die Anweisung gegeben, die Berufungsakte unter dem Aktenzeichen 44/21 einschließlich aller Fristen und Termine auf ihn umzutragen.
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Die Aktenführung und Aktenverwaltung in der Kanzlei finde rein elektronisch statt. Für die gesamte Aktenführung und -verwaltung, die Temin- und Fristenverwaltung, das Kanzleimanagement und die Dokumentenführung werde das Programm RA-Micro verwendet, das fortlaufend aktualisiert und auf dem neuesten Stand gehalten werde.
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Bei diesem Programm sei es offensichtlich so, dass bei einem Wechsel des Sachbearbeiters die Fristen und Termine nicht automatisch umgetragen werden, sondern jeweils einzeln auf den neuen Sachbearbeiter umgeschlüsselt werden müssen.
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Der nunmehr zuständige Rechtsanwalt sei davon ausgegangen, dass die Berufungsbegründungsfrist entsprechend seiner Weisung umgetragen worden sei. Er habe sich hierauf auch verlassen dürfen, nachdem die Anweisung klar und verständlich gewesen sei und in allen anderen Akten, die umgetragen worden seien, richtig und vollständig umgesetzt worden sei.
9
Bei Frau S handele es sich um eine stets zuverlässige und erprobte Rechtsanwaltsfachangestellte. Sie habe eine Zusatzqualifikation als externe betriebliche Datenschutzbeauftragte und sei ebenfalls seit dem Jahre 2016 QM-Beauftragte der Kanzlei. In der Kanzlei sei seit Jahren ein Qualitätsmanagementsystem nach DIN ISO 9001-2015 eingerichtet, das zuletzt im Dezember 2020 auditiert und zertifiziert worden sei und bis 21.12.2023 Gültigkeit habe. Nach Maßgabe des QM-Systems seien die Abläufe zur Behandlung von gerichtlichen Terminen und Fristen eindeutig strukturiert. Es sei eindeutig geregelt, dass Eintragungen durch eine entsprechend qualifizierte Fachkraft vorzunehmen seien. Zur Kontrolle seien Fristenlisten in Papierform zu erstellen und dem Sachbearbeiter vorzulegen, was regelmäßig ohne Beanstandungen erfolge. Es fänden regelmäßige unterjährige Stichproben zur Prüfung der Einhaltung der Prozesse statt, wobei die Stichproben durch den zuständigen Rechtsanwalt angeordnet, von Frau S vorgenommen und anschließend gemeinsam die Abweichungen in den Prozessen ausgewertet werden. Abweichungen in der Behandlung der gerichtlichen Termine und Fristen seien bisher nicht festgestellt worden.
10
Entsprechend der Weisung des zuständigen Sachbearbeiters sei die Akte zwar vom Sachbearbeiter P („IP“) auf den Sachbearbeiter R („KR“) geändert worden. Aus Unachtsamkeit der Rechtsanwaltsfachangestellten S sei jedoch die Berufungsbegründungsfrist nicht umgetragen worden und folglich beim Sachbearbeiter „IP“ verblieben.
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Die Fristenkontrolle in der Kanzlei erfolge dermaßen, dass jeweils am ersten Arbeitstag einer Woche für jeden Sachbearbeiter eine Fristenliste für die kommenden 2 Wochen mit dem Programm RA-Micro erstellt, ausgedruckt und dem jeweiligen Anwalt vorgelegt werde. Zusätzlich werde ein Fristenbuch in Papierform geführt. Die Fristenlisten werden regelmäßig mit einer Rechtsanwaltsfachangestellten besprochen und entsprechende Verfügungen erstellt.
12
Da die Berufungsbegründungsfrist und die dazugehörige Vorfrist im System nicht dem neuen Sachbearbeiter Herrn Rechtsanwalt R zugeordnet gewesen sei, sei diese in keiner ihm vorzulegenden Fristenliste erschienen. Nachdem Frau P aus der Kanzlei ausgeschieden sei und alle Akten auf neue Sachbearbeiter umgeschlüsselt gewesen seien – wie der zuständige Sachbearbeiter angenommen habe, einschließlich aller Fristen und Termine – sei für diese keine Fristenliste mehr erstellt worden.
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Gemäß Ziffer 14 der Verfahrensanweisung Fristenbearbeitung sei das Fristenbuch von der Rechtsanwaltsfachangestellten am Abend eines jeden Arbeitstages nochmals gesondert zu überprüfen. Die Berufungsbegründungsfrist habe sich zwar im schriftlich geführten Fristenbuch befunden, jedoch habe Frau S diese Frist übersehen und habe sich stattdessen auf die digitale Fristenliste verlassen. Erst am 18.05.2021 sei ihr bei einer Routinekontrolle aufgefallen, dass im schriftlich geführten Fristenkalender eine Frist noch nicht gestrichen sei und habe den Sachbearbeiter über ihr Versäumnis informiert.
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Dem Wiedereinsetzungsantrag war die eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten S vom 31.05.2021 (Anlage RR 1), die Verfahrensanweisung Fristenbearbeitung (Anlage RR 2) und ein Auszug aus dem der RA-Micro Akteninformation (Anlage RR 3) beigefügt.
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Der Beklagte tritt dem Wiedereinsetzungsantrag entgegen, beantragt dessen Zurückweisung sowie die Verwerfung der Berufung als unzulässig. Er geht davon aus, dass ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorliegt. Hinsichtlich der näheren Begründung wird auf die Stellungnahme vom 19.08.2021 verwiesen.
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Die Berufung ist wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) bereits unzulässig; auch eine Wiedereinsetzung war nicht zu gewähren.
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1. Gemäß § 520 Abs. 2 ZPO beträgt die Berufungsbegründungsfrist zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 12.03.2021 ist dem Klägervertreter ausweislich des bei den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses am 16.03.2021 zugestellt worden. Innerhalb dieser Frist, die aufgrund des vorangegangenen Sonntags tatsächlich erst am Montag, den 17.05.2021 ablief, ist eine Berufungsbegründung nicht eingegangen. Das wird von der Klägerin auch nicht in Abrede gestellt. Vielmehr begehrt sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, weil sie ohne Verschulden daran gehindert gewesen sei, die Frist einzuhalten. Hiermit dringt sie nicht durch.
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2. Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig aber unbegründet, denn die Klägerin hat auch auf der Grundlage des Vorbringens ihres Prozessbevollmächtigten zum Wiedereinsetzungsantrag die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt. Ihren Prozessbevollmächtigten trifft an den Abläufen, die dazu geführt haben, dass die Berufungsbegründungsschrift erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist beim Oberlandesgericht Nürnberg eingegangen ist, ein Verschulden (§ 233 S. 1 ZPO), welches nach § 85 Abs. 2 ZPO der Klägerin zuzurechnen ist, denn er hat seine Organisationspflichten verletzt.
19
a) In der „Verfahrensanweisung Fristenbearbeitung“ (Anlage RR 2) findet sich keine Regelung für den Fall des Ausscheidens eines Rechtsanwalts aus der Kanzlei und wie in diesem Fall die Umtragung von Fristen und Terminen zu erfolgen hat, so dass diese Verfahrensanweisung für das Verfahren keine Bedeutung hat.
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b) Es bestand sowohl nach dem Vortrag des Klägervertreters als auch nach der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten S lediglich die mündliche Anweisung, die Akten, die Frau Rechtsanwältin P zugeordnet waren, nach einer Liste auf den nunmehr zuständigen Sachbearbeiter „umzuschlüsseln“. Bei dem in der Kanzlei genutzten Programm RA-Micro erfolgte bei einem Wechsel des Sachbearbeiters die Umtragung von Fristen und Terminen nicht automatisch. Vielmehr war es erforderlich die Fristen und Termine jeweils zusätzlich einzeln umzutragen.
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Vorkehrungen, die sichergestellt hätten, dass die Fristen und Termine ebenfalls „umgeschlüsselt“ wurden, hat der Prozessbevollmächtigte nicht getroffen. Er trägt schon nicht vor, dass er seiner Kanzleikraft in Bezug auf die Umtragung von Fristen und Terminen konkrete Anweisungen gegeben hätte. Aus der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten S ergibt sich überhaupt keine Anweisung des Prozessbevollmächtigten zum Umtragen der Fristen und Termine. Vielmehr führt diese aus, dass ihr „bekannt“ gewesen sei, dass bei dem verwendeten Programm die Fristen und Termine nicht automatisch umgetragen werden und diese jeweils einzeln umgetragen werden müssen. Diese Aussage impliziert schon, dass sie keine konkreten Anweisungen zum Prozedere erhalten hat, sondern ihr selbst aufgrund ihrer Kenntnis des verwendeten Computerprogramms klar war, dass sie die Fristen und Termine jeweils einzeln umtragen muss.
22
c) Hierin liegt ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, da er bei einem derart wichtigen Vorgang genauere Anweisungen hätte erteilen müssen, denn die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Für den Fall, dass die Notierung von Fristen – wie vorliegend – einer Bürokraft überlassen wird, muss durch geeignete organisatorische Maßnahmen sichergestellt sein, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden (BGH, Beschluss vom 06.02.2018 – II ZB 7/15, Rn 14, juris). Der Grundsatz, dass ein Rechtsanwalt darauf vertrauen darf, dass ein zuverlässiger Mitarbeiter eine konkrete Einzelanweisung befolgt und er deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet ist, sich anschließend zu vergewissern, ob eine erteilte Weisung auch ausgeführt worden ist, gilt nicht ausnahmslos. Vielmehr muss der Rechtsanwalt, wenn er nicht die sofortige Ausführung seiner Anweisung anordnet, durch allgemeine Weisung oder besonderen Auftrag Vorkehrungen gegen das Vergessen treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 15.11.2007 – IX ZB 219/06, aaO; Beschluss vom 04.04.2007 – III ZB 85/06, NJW-RR 2007, 1430 Rn 9; BGH, Beschluss vom 10.02.2016 – VII ZB 36/15 –, Rn 12, juris). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Prozessbevollmächtigte hat weder eine konkrete Weisung erteilt noch die sofortige Ausführung der Anweisung angeordnet, denn die Rechtsanwaltsfachangestellte S sollte die „Umschlüsselung“ der Akten anhand einer Liste vornehmen. Daraus ergibt sich schon, dass es sich um eine Mehrzahl von Akten gehandelt haben muss, deren „Umschlüsselung“ zu erfolgen hatte. Dementsprechend hat die Rechtsanwaltsfachangestellte S in ihrer eidesstattlichen Versicherung angegeben, dass ihr bekannt gewesen sei, dass die Fristen und Termine nicht automatisch umgetragen werden und jeweils einzeln umgetragen werden müssen, was sie grundsätzlich auch getan habe. Jedoch habe sie es „bei dieser Akte aus Versehen vergessen“. Gegen dieses „Vergessen“ hat der Prozessbevollmächtigte keine organisatorischen Vorkehrungen getroffen. Dies wäre aber erforderlich gewesen, weil die Veränderung der Aktenzuweisung inklusive der Fristen nach dem Ausscheiden eines Rechtsanwalts auf einen neuen Sachbearbeiter ein derart wichtiger und fehlerträchtiger Vorgang ist, dass die einfache Anweisung, die „Akten umzuschlüsseln“ nicht genügt, zumal dies kein alltäglicher Vorgang im Umgang mit Fristen ist, was sich bereits daraus ergibt, dass hierzu in den Verfahrensanweisungen (Anlage RR 2) kein Verfahren festgelegt ist.
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Da die Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO versäumt wurde, ist die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
24
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.