Titel:
Arbeitslosengeld, Insolvenzverwalter, Gerichtsbescheid, Bescheid, Arbeitslosigkeit, Widerspruch, Anspruch, Freistellung, Anwartschaftszeit, Klage, Form, Dauer, Arbeit, Anspruchsdauer, Anspruch auf Arbeitslosengeld
Schlagworte:
Arbeitslosengeld, Insolvenzverwalter, Gerichtsbescheid, Bescheid, Arbeitslosigkeit, Widerspruch, Anspruch, Freistellung, Anwartschaftszeit, Klage, Form, Dauer, Arbeit, Anspruchsdauer, Anspruch auf Arbeitslosengeld
Rechtsmittelinstanz:
LSG München, Urteil vom 08.03.2023 – L 10 AL 120/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 61239
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Dauer eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld.
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Die Klägerin erwarb am 01.11.2015 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld für 720 Tage, wobei ihr Arbeitslosengeld vom 01.11.2015 bis 31.07.2017 gewährt wurde.
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Am 01.08.2017 nahm sie eine Beschäftigung bei der Firma S. auf.
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Nachdem am 01.06.2018 das Insolvenzverfahren über das Vermögen dieser Firma eröffnet wurde, teilte der Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 01.06.2018 der Klägerin mit, dass die weitere Beschäftigungsmöglichkeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses in Wegfall gekommen sei und dass die Klägerin ab 01.06.2018 von der Arbeitsverpflichtung freigestellt werde.
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Am 04.06.2018 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten zum 01.06.2018 arbeitslos.
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In der am 12.06.2018 erstellten Arbeitsbescheinigung teilte der Insolvenzverwalter der Beklagten mit, dass die Klägerin vom 01.08.2017 bis 31.05.2018 als kaufmännische Angestellte beschäftigt gewesen sei und dass das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2018 durch unbezahlte unwiderrufliche Freistellung durch den Insolvenzverwalter ab 01.06.2018 geendet habe.
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Mit Schreiben vom 12.06.2018 kündigte der Insolvenzverwalter das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin mit der Firma S. ordentlich betriebsbedingt zum 30.09.2018.
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Mit Bescheid vom 14.06.2018 gewährte die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 01.06.2018 bis 30.08.2018 (= Anspruchsdauer 90 Kalendertage) Arbeitslosengeld in Höhe von 50,63 € täglich.
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Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 19.06.2018 Widerspruch. Zur Begründung führte sie mit Schreiben vom 05.07.2018 aus, dass sie sich seit dem 01.08.2017 noch bis zum 30.09.2018 entsprechend der Kündigung des Insolvenzverwalters vom 12.06.2018 in einem Beschäftigungsverhältnis befinde und dass sie damit bereits ihre versicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten von mindestens 12 Monaten innerhalb der letzten zwei Jahre erfülle. Somit habe sie Anspruch auf Arbeitslosengeld über den verbleibenden Rest der 2015 bewilligten Anspruchsdauer von 90 Kalendertagen hinaus.
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Den Rechtsbehelf wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2018 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Klägerin am 01.11.2015 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld für 720 Tage erworben, aber danach keine neue Anwartschaftszeit erfüllt habe. Innerhalb der Rahmenfrist vom 01.06.2016 bis 31.05.2018 habe die Klägerin nur 304 Tage versicherungspflichtige Zeiten zurückgelegt. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld entstehe zweifelsfrei am 01.06.2018. Danach liegende Zeiten der Freistellung könnten nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit herangezogen werden, da sich die Klägerin nur in einem Arbeits- und nicht in einem Beschäftigungsverhältnis befunden habe. Die Beschäftigung habe am 31.05.2018 geendet und somit den Anspruch auf Arbeitslosengeld begründet. Damit sei kein neuer Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben worden, denn dazu sei ein mindestens 12-monatiges versicherungspflichtiges Verhältnis (= 360 Tage) innerhalb der Rahmenfrist notwendig (§§ 142, 143 SGB III). Da sich der am 01.11.2015 erworbene Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 148 Abs. 1 Nr. 3 SGB III um 630 Tage (01.11.2015 bis 31.07.2017) mindere, verbleibe ein Restanspruch von 90 Tagen, der der Klägerin bewilligt worden sei.
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Mit ihrer am 09.08.2018 beim Sozialgericht Bayreuth eingegangenen Klage vom selben Tag verfolgt die Klägerin ihr Begehr weiter. Zur Begründung führt sie aus, dass sie aufgrund der Tatsachen, dass sie zwar zum 01.06.2018 von der Arbeitsverpflichtung, aber nicht unwiderruflich freigestellt worden sei, dass ihr ab 01.06.2018 zunächst der restliche Jahreserholungsurlaub zugeteilt worden sei und dass sie erst im Anschluss davon unwiderruflich freigestellt worden sei, da sie trotz Freistellung und zeitlich nicht näher definierter unwiderruflicher Freistellung nicht von ihren Tätigkeiten und Aufgaben entbunden gewesen sei, da sie vereinbarungsgemäß im Homeoffice an ihrem Wohnsitz tätig gewesen sei, dass sie Geschäftsunterlagen verwahrt habe, dass sie Posteingänge mit Poststempeln versehen habe, dass sie eingehende Post mit einem Vermerk versehen zurückgesandt habe und dass sie für ihre Arbeitgeberin bzw. den Insolvenzverwalter auch noch im Rahmen telefonischer Anfragen über geschäftliche Belange sowie der Büroräumung im Juli 2018 tätig gewesen sei, sehr wohl bis zum 30.09.2018 auch in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Somit habe sie einen erneuten Anspruch auf Arbeitslosengeld über die gesamte ihr zustehende Bezugsdauer, nicht nur von 90 Tagen.
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Auf Anfrage des Gerichtes teilte der Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 20.12.2019 mit, dass die Klägerin ab 01.06.2018 weder für die Firma S. noch für den Insolvenzverwalter tätig geworden sei, dass die Freistellung wegen vollständiger Betriebseinstellung und fehlender Beschäftigungsmöglichkeiten erfolgt sei, dass die unwiderrufliche Freistellung unter Urlaubsanordnung am 01.06.2018 erfolgt sei, dass der Lohnanspruch für die Zeit vom 01.06.2018 bis 30.09.2018 weder abgerechnet noch bezahlt worden sei und dass die Lohnansprüche von der Klägerin arbeitsgerichtlich nicht geltend gemacht worden seien.
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Auf erneute gerichtliche Anfrage vom 13.01.2020 teilte der Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 14.02.2020 mit, dass weder die Firma S. noch er der Klägerin ab 01.06.2018 Arbeitsaufträge erteilt hätte, dass die Klägerin ab 01.06.2018 unwiderruflich von den Arbeitspflichten freigestellt gewesen sei und dass eine eventuelle überobligationsmäßige Erbringung seitens der Klägerin weder von ihm angewiesen worden noch mit seiner Kenntnis erfolgt sei.
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Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Auflegung des Bescheides vom 14.06.2018 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2018 zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosengeld gemäß § 136 SGB III für die Dauer von sechs Monaten (= 180 Tagen) zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.
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Die Beteiligten wurden mit gerichtlichem Schreiben vom 25.05.2021 mit Setzung einer Äußerungsfrist bis zum 18.06.2021 zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG gehört.
Entscheidungsgründe
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Die gemäß §§ 51, 78, 87, 90, 92 SGG form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
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In der Sache ist sie aber unbegründet, da die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld vom 01.06.2018 an für sechs Monate (=180 Tage) hat.
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Nach § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGB III haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit.
21
Nach § 137 Abs. 1 SGB III hat Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, wer
2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat und
3. die Anwartschaftszeit erfüllt hat.
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Nach § 142 Abs. 1 S.1 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist (§ 143) mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat.
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Nach § 143 Abs. 1 SGB III in der Fassung des 31.12.2019 beträgt die Rahmenfrist zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
24
Nach § 147 Abs. 2 SGB III in der Fassung des 31.12.2019 beträgt die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach Versicherungspflichtverhältnissen mit einer Dauer von insgesamt mindestens 12 Monaten sechs Monate.
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Vorliegend war die Klägerin, die sich am 04.06.2018 zum 01.06.2018 bei der Beklagten arbeitslos gemeldet hatte, nach Auffassung und zur Überzeugung des Gerichtes auch ab 01.06.2018 arbeitslos, da zwar ab 01.06.2018 das Arbeitsverhältnis noch bis zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung zum 30.09.2018 fortbestanden hat, aber die Klägerin unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt worden war, da aus der Formulierung „die weitere Beschäftigungsmöglichkeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses ist in Wegfall gekommen“ zu mindestens ein Fortsetzungswillen von Arbeitgeberseite in keinster Weise gegeben war, da das Arbeitsentgelt nicht weiter gezahlt wurde, da die Klägerin entsprechende Lohnansprüche auch nicht gerichtlich geltend gemacht hat und damit nach der Rechtsprechung (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 03.06.2004 – B 11 AL 70/03 R, Urteil vom 24.09.2008 – B 12 KR 22/07 R, Urteil vom 24.09.2008 – B 12 KR 27/07 R und Urteil vom 04.07.2012 – B 11 AL 16/11 R, Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27.09.2018 – L 1 AL 3/17 = jeweils juris) ab 01.06.2018 kein Versicherungspflichtverhältnis mehr gegeben war und damit trotz des während des Bezuges von Arbeitslosengeld fortbestehenden Arbeitsverhältnisses keine (neue) Anwartschaft entstehen konnte.
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Damit hat die Klägerin in der Rahmenfrist vom 01.06.2016 bis zum 31.05.2018 statt der erforderlichen 360 Tage nur 304 Tage an versicherungspflichtigen Zeiten zurückgelegt und damit keinen neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben.
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Die Beklagte hat daher zur recht den am 01.11.2015 von der Klägerin erworbenen Anspruch auf Arbeitslosengeld von 720 Tagen gemäß § 148 Abs. 1 Nr. 1 SGB III um 630 Tage, für die Arbeitslosengeld gezahlt wurde, gemindert und zurecht der Klägerin für die Restanspruchsdauer von 90 Tagen vom 01.06.2018 bis 30.08.2018 Arbeitslosengeld gewährt.
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Nach alledem ist der Bescheid vom 14.06.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2018 nicht zu beanstanden. Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
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Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.
30
Das Gericht konnte durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten unter Setzung einer Äußerungsfrist gehört wurden.