Titel:
Schadensersatz, Fahrzeug, Bescheid, Kaufpreis, Sittenwidrigkeit, Streitwert, Auslegung, Haftung, Software, Bank, Beschaffenheit, Darlehen, Gesamtschuldner, Sicherheitsleistung, Kosten des Rechtsstreits, ins Blaue hinein, Co KG
Schlagworte:
Schadensersatz, Fahrzeug, Bescheid, Kaufpreis, Sittenwidrigkeit, Streitwert, Auslegung, Haftung, Software, Bank, Beschaffenheit, Darlehen, Gesamtschuldner, Sicherheitsleistung, Kosten des Rechtsstreits, ins Blaue hinein, Co KG
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 18.07.2022 – 8 U 5100/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 61119
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 27.950,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche nach Kauf eines von der Beklagten zu 1) hergestellten und von der Beklagten zu 2) veräußerten Gebrauchtwagens im Zuge des sog. Dieselskandals geltend.
2
Die Klagepartei erwarb am 28.08.2017 das Gebrauchtfahrzeug Audi A3 Sportback mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) …15 von der Beklagten zu 2) zu einem Kaufpreis in Höhe von 27.950,00 € brutto.
3
Der Kaufpreis wurde durch ein Darlehen bei der Volkswagen Bank GmbH, Braunschweig finanziert.
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Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages wies das Fahrzeug eine Laufleistung vom 22.877 Kilometern auf. Am 29.02.2020 veräußerte die Klägerin das Fahrzeug zu einem Preis in Höhe von 14.750,00 €. Zum diesem Zeitpunkt betrug die Laufleistung 83.600 Kilometer.
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Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 ausgestattet. Bei der Baureihe EA 288 handelt es sich um die Nachfolgebaureihe zu der vom sog.,,Abgasskandal“ betroffenen Baureihe EA 189. Betreffend die Baureihe EA 288 gibt es – anders als betreffend die Baureihe EA 189 – keinen Bescheid des Kraftfahrtbundesamts bzw. einer anderen zuständigen Genehmigungsbehörde (,,KBA“), der das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung feststellt. Das Fahrzeug ist dementsprechend auch von keiner Maßnahme betroffen und unterliegt auch keinem Rückruf.
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Mit Schriftsätzen vom 19.04.2019 erklärte die Klagepartei gegenüber den Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag sowie dessen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.
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Die Klagepartei behauptet im wesentlichen, das Fahrzeug sei vom sog.,,Abgasskandal“ betroffen. Es sei mit einer illegalen Abschalteinrichtung versehen, um im Falle eines Abgastests die zulässigen Abgaswerte zu erreichen.
8
Die sog. "Akustikfunktion“ der EA 189 – Motoren sei auf die EA 288 – Motoren übertragen worden. Die Emissionsbehandlung erfolge dabei unterschiedlich je nachdem, ob sich das Fahrzeug im NEFZ oder im Normalbetrieb befinde. Die Motorsteuerung erkenne den NEFZ-Prüfzyklus und schalte die Abgasrückführung im Normalbetrieb ab. Die Motorsteuerung knüpfe dabei ausschließlich an die Feststellung des NEFZ an, ziele also bewusst auf eine Steuerung der Emissionen für den Ausnahmefall der Genehmigungsprüfung.
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Neben der von den EA 189 – Motoren bekannten Abschalteinrichtung verfügten die Motoren der Baureihe EA 288 auch noch über ein sog. Thermofenster und weitere Abschalteinrichtungen.
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Die Klägerin sei von den Beklagten darüber getäuscht worden, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Vorgaben entspreche.
11
Die Klägerin beantragte zuletzt,
- 1.
-
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klagepartei 7.075,62 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
- 2.
-
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.564,26 € freizustellen.
12
Die Beklagten beantragen,
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Die Beklagte tragen im wesentlichen vor, dass der Motor des Fahrzeugs keine unzulässige Abschalteinrichtung enthalte. Der Vortrag der Klagepartei sei insoweit unsubstantiiert und ins Blaue hinein. Das KBA habe die EA 288 – Motoren untersucht und festgestellt, dass diese nicht die aus den EA 189 – Motoren bekannte Umschaltlogik enthielten. Es werde auf dem Prüfstand auch kein optimierter Modus angewendet. Der Einsatz eines Thermofensters stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Die weiterhin von der Klagepartei aufgeführten Abschalteinrichtungen würden nicht zum Einsatz kommen.
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Die Beklagte zu 2) erhebt zudem die Einrede der Verjährung.
15
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 27.05.2021 wurde mit den Parteien die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert; die Klagepartei wurde informatorisch angehört. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 244/249 d. A.) vollumfänglich Bezug genommen.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt der dazu vorgelegten Unterlagen zur Vermeidung von unnötigen Wiederholungen vollumfänglich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
18
I. Die Klagepartei hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich der Anrechnung einer Nutzungsentschädigung sowie des Verkaufserlöses für das Fahrzeug.
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(1.) Der Klagepartei stehen die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die tatsächlichen Voraussetzungen einer mangels vertraglicher Beziehung zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) allein denkbaren deliktischen Haftung der Beklagten 1) sind von der Klagepartei nicht schlüssig vorgetragen.
20
1. Ein Anspruch nach § 826 BGB besteht nicht.
21
Nach § 826 BGB ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt.
22
Die Klagepartei hat die Voraussetzungen des von ihr geltend gemachten Anspruchs nach § 826 BGB nicht schlüssig vorgetragen.
23
Sowohl der Vortrag der Klagepartei, das Fahrzeug sei mit diversen unzulässigen Abschalteinrichtung wie bei den EA 189 – Motoren ausgestattet, als auch der Vortrag der Klagepartei, das Fahrzeug enthalte ein unzulässiges Thermofenster, begründen keine Ansprüche gegen die Beklagte zu 1), weil er als Vortrag,,ins Blaue hinein“ anzusehen ist bzw. weil die Klagepartei den Vorsatz der Beklagten zu 1) nicht dargelegt hat.
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Der Sachvortrag der Klagepartei zu angeblich im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten unzulässigen Abschalteinrichtungen weist keine Substanz auf und ist willkürlich aus der Luft gegriffen. Er rechtfertigt daher nicht die Veranlassung einer Beweisaufnahme (vgl. dazu auch OLG Koblenz, Urt. v.18.06.2019, Az. 3 U 416/19 m.w.N.).
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Grundsätzlich ist bei der Annahme einer,,ins Blaue hinein“ aufgestellten Behauptung Zurückhaltung geboten. Die Annahme eines willkürlichen Sachvortrags kommt nur im Ausnahmefall in Betracht. Es muss einer Partei möglich sein, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis haben kann, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält.
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Eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung ist aber dann gegeben, wenn eine Partei ohne greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich,,aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ Behauptungen aufstellt und jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte für diese Behauptung fehlen (vgl. etwa BGH NJW-RR 2003, 69, 70).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, da jeglicher tatsächliche Anhaltspunkt für den Einsatz der Manipulationssoftware aus den EA 189 – Motoren in dem EA 288 – Motor im Fahrzeug der Klagepartei fehlt.
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Auch unter Berücksichtigung der neueren Entscheidungen des EuGH, Urteil vom 17. 12.2020, C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693, und des Bundesgerichtshofs, Beschluss vom 19.01 .2021, Az. Vl 2R433119, rechtfertigt das unstreitig im Fahrzeug verbaute sog. Thermofenster keinen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz.
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Das Oberlandesgericht München führte hierzu in einem Hinweisbeschluss vom 22.02.2021 im Verfahren 21 U 84/21 Folgendes aus:
„Zugunsten der Klagepartei kann in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung, deren Vorhandensein die Beklagte einräumt, als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist, vgl. EuGH-Urteil vom 17.12.2020, Az. C-693/18 sowie Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.01.2021, Az. Vl ZR 433119. Ein objektiver Verstoß gegen Art. 5 de Verordnung 715/2007/EG allein reicht aber für eine Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nicht aus. Vielmehr muss hinzukommen, dass die handelnden Personen der Beklagten bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Wie der Bundesgerichtshof in der genannten Entscheidung ausgeführt hat, ist das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt wird. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist erst gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen.“
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Die Klagepartei hat jedoch im vorliegenden Fall keine Umstände vorgetragen, die greifbare Anhaltspunkte für eine objektive Sittenwidrigkeit oder für einen Schädigungsvorsatz darstellen könnten. Wenn im Zeitpunkt des Inverkehrbringens der genannten Technik Gründe des Motorschutzes ernsthaft in Betracht kamen, ist nicht erkennbar, weshalb dann ein bedingter Vorsatz gegeben sein soll. lm Übrigen muss zum Vorsatz auch die Verwerflichkeit hinzukommen, wozu die Klagepartei nicht ausreichend vorgetragen hat. Ferner ist zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit auf die Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden zum maßgeblichen Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung, spätestens des Kaufvertragsabschlusses, abzustellen, vgl. BGH aaO Rn. 21., wozu der Kläger ebenfalls nicht ausreichend vorträgt.
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Allein aus der Programmierung/ Installation des Thermofensters kann nicht auf die Sittenwidrigkeit geschlossen werden, weil die Software sowohl auf dem Prüfstand als auch im normalen Straßenbetrieb in gleicher Weise arbeitet und die Gesetzeslage zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des vorliegenden Thermofensters nicht unzweifelhaft und eindeutig war, was die bekannte kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a der VO (EG) 71 512007 belegt. Hinzu kommt, dass nach der damaligen Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten Untersuchungskommission Volkswagen, der Einsatz von Thermofenstern nicht als Gesetzesverstoß gewertet und die Interpretation der Automobilhersteller zur Zulässigkeit im Hinblick auf den Motorschutz gebilligt worden ist. Die damalige Auslegung, wonach ein Thermofenster keine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, war damit zu jener Zeit jedenfalls nicht unvertretbar. Nach der Entscheidung des europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-693/18 mag dies anders sein. Geklärt ist damit die europarechtliche Auslegung des Art. 5 der VO EG 71512007 aber frühestens ab dem Zeitpunkt der Entscheidung am 17.12.2020 (vgl. hierzu Hinweisbeschluss des OLG München a.a.O.).
b) weitere unzulässigen Abschalteinrichtungen (1.)
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Das streitgegenständliche Fahrzeug ist unstreitig nicht von einem verpflichtenden Rückruf des KBA wegen einer sog. unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Gerichtsbekannt lag für das streitgegenständliche Fahrzeug mit Stand zum 11.08.2020 kein solcher Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vor.
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Zwar ist es nicht erforderlich, dass das Fahrzeug von einem offiziellen verpflichtenden Rückruf des KBA betroffen ist, um von greifbaren Anhaltspunkten einer unzulässigen Manipulation ausgehen zu können. Gibt es aber – wie hier – keinen derartigen Rückruf, so ist die Darlegung anderer konkreter Anhaltspunkte erforderlich, die die Behauptung des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung plausibel (und nicht nur als unbestimmter Verdacht,,ins Blaue“) erscheinen lässt. Konkrete Indizien für eine gezielte Manipulation in Bezug auf das Emissionsverhalten des hier streitgegenständlichen Fahrzeugs hat die Klägerin aber nicht vorgetragen.
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Es ist dem Gericht aus zahlreichen vergleichbaren Fällen bekannt, dass das Kraftfahrtbundesamt bereits im Jahr 2016 umfangreiche Untersuchungen zum Motor EA 288 angestellt hat und sich aufgrund dieser Untersuchungen keinerlei Beanstandungen ergeben haben. Dies wird auch durch das als Anlage vorgelegte Schreiben des KBA vom 11.11.2020 bestätigt, wonach Folgendes mitgeteilt wurde: „In Bezug auf den im streitgegenständlichen Motor EA 288 2.0 l TDI EU5 wurden die Untersuchungen zwischenzeitlich mit dem Ergebnis, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden ist, abgeschlossen.“ Das Gericht übersieht nicht, dass das Schreiben des KBA sich auf eine Anfrage des Landgerichts Bonn bezieht. Aus dem Schreiben ergibt sich jedoch gerade, dass sich die Auskunft pauschal auf alle Fahrzeuge bezieht, bei denen – wie im vorliegenden Fall – der Motor EA 288 verbaut ist.
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(2.) Die Klagepartei beschränkt sich mit Blick auf die Beschaffenheit der behaupteten Steuerungssoftware darauf, zu der aus dem sog.,,Abgasskandal“ bekannten Funktionsweise der Manipulationssoftware des Motors EA 189 vorzutragen und die Übertragbarkeit zu behaupten. Hierin liegt kein hinreichender Sachvortrag. Das Vorbringen bezieht sich unstreitig auf einen Motor einer Baureihe, der unstreitig nicht im Fahrzeug der Klagepartei verbaut ist. Das Vorbringen der Klagepartei zu der auf diese Baureihe bezogenen Abschalteinrichtung und der Anordnung eines Rückrufs durch das KBA geht daher am tatsächlichen Sachverhalt vorbei.
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Es kann auch nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass eine bestimmte Manipulationssoftware vorhanden ist, weil die Vorgängergeneration über eine solche verfügt hat (vgl. dazu auch OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az.3 U 148/18). Es gibt keinen Erfahrungssatz, der einen Generalverdacht gegenüber sämtlichen Dieselmotoren eines Konzerns begründen kann. Dagegen spricht auch, dass das KBA eine Rückrufaktion für den streitgegenständlichen Motor nicht angeordnet hat. Allein der Verdacht gegen die vom Abgas-Skandal betroffenen Unternehmen und die Verwendung von Abschalteinrichtungen in anderen Motortypen ist nicht geeignet, jeden von diesen Unternehmen herstellten Motor unter den Generalverdacht einer Manipulation zu stellen.
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(3.) Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei den EA 288 – Motoren folgen auch nicht aus dem weiteren Vorbringen der Klagepartei.
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Aus einer Überschreitung der Grenzwerte auf der Straße folgt ebenfalls nicht das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
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Es ist gerichtsbekannt, dass Emissionswerte wie auch Kraftstoffverbrauch branchenweit im normalen Fahrbetrieb höher sind als im NEFZ-Prüfzyklus. Der NEFZ-Prüfzyklus soll insofern vor allem ein Vergleichbarkeit verschiedener Fahrzeugmodelle und Motoren gewährleisten. Dies war auch der Grund für die Einführung anderer, normalbetriebsähnlicherer Prüfzyklen wie RDE und WLTP. Es ist allgemein bekannt, dass nicht nur der Kraftstoffverbrauch, sondern auch die Grenzwerte der Emissionen auf dem Prüfstand optimiert sind, weil dort,,ideale mit der Praxis nicht vergleichbare Situationen, simuliert werden, vgl. OLG Celle, Urteil vom13.11.2019, Az. 7 U 367/18, Rn. 28ff. sowie OLG München Urteil vom 05.09.2019, Az.14U 416/19, Rn. 168. Gerade deshalb hat der europäische Gesetzgeber auf Druck der Umweltverbände und Umweltparteien den früher geltenden gesetzlichen Prüfzyklus durch einen neuen Test ersetzt, wonach Überprüfungen auch im Straßenbetrieb stattfinden. Angesichts des Umstands, dass im NEFZ Prüfzyklus gerade keine realistischen Werte für den Straßenbetrieb zu erwarten sind, kann allein der Hinweis darauf, dass die Deutsche Umwelthilfe erhöhte Abgaswerte im Straßenbetrieb gemessen hat, nicht ausreichen, um die Schlussfolgerung der Klagepartei als naheliegend erscheinen zu lassen, das Fahrzeug sei mit einer Prüfstanderkennungssoftware versehen, wie dies beim Motor EA 189 der Fall war.
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(4.) Zusammenfassend ist auszuführen, dass die Klagepartei, die eine deliktische Haftung der Beklagten zu 1) geltend macht, grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen hat. Nur wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen, liegt ein schlüssiger und erheblicher Tatsachenvortrag vor, über den gegebenenfalls Beweis zu erheben ist, vgl. BGH, Beschluss vom 28.01 .2020, Az. Vlll ZR 57119. Unschlüssig ist ein Vortrag dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass nicht beurteilt werden kann, ob die Behauptung erheblich ist, und dann, wenn nicht Tatsachen, sondern nur Rechtsansichten dargetan werden. Zu berücksichtigen ist zudem der Grundsatz, dass sich der Umfang der Darlegungslast nach der Einlassung des Gegners richtet. Der Umfang der jeweiligen Substantiierung bestimmt sich mithin aus einem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der beweisbelasteten Partei zu sein hat. Wird infolge der Einlassung des Gegners der Tatsachenvortrag unklar und lässt nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Rechts zu, bedarf er der Ergänzung. Auf die konkreten Angaben der Beklagten zu 1) zu den vom Kläger gerügten Systemen ist aber vorliegend kein weiterer substantiierter Tatsachenvortrag der Klagepartei gekommen (vgl. Hinweisbeschluss des OLG München vom 22.02.2021, Az.: 21 U 84/21).
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Für eine Beweisaufnahme bestand deshalb keine Veranlassung, weil die Klagepartei die Behauptungen vom Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen erst im Prozess durch die beantragte Beweiserhebung ermittelt haben will, was aber eine unzulässige und mit dem zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz nicht vereinbare rechtsmissbräuchliche Sachverhaltsausforschung wäre.
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Auf die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 28.01 .2020, Az. Vlll ZR 57119, und vom 08.05.2007, Az. Vlll ZR 19/05, kann sich der Kläger nicht mit Erfolg stützen. Diesen Entscheidungen lagen kaufvertragliche Fallgestaltungen zugrunde, was vorliegend unstreitig nicht gegeben ist. Für einen Mangel mag es genügen, dass der Kläger eine Eigenschaft einer Kaufsache vorträgt, die auf einen Mangel schließen lässt und dies dann als Anknüpfungstatsache ausreichend ist, um ein Sachverständigengutachten zu erholen. Vorliegend geht es aber um eine behauptete Schädigung des Klägers durch eine angeblich unerlaubte Handlung der Beklagten, so dass in diesem Fall allein der Vortrag eines (denkbaren) Mangels ohne Unterfütterung mit zu erwartenden Reaktionen von Behörden nicht ausreicht, um eine hinreichende Substantiierung anzunehmen und daran anschließend Beweise zu erheben. Darüber hinaus ergibt sich aus dem zitierten Beschluss vom 28.01.2020, dass auch der Vlll. Senat des BGH,,greifbare Anhaltspunkte“ für die klägerischen Behauptungen verlangt. Maßgeblich war dort, dass es für mehrere Fahrzeugtypen der Beklagten, die mit einem bestimmten Motor ausgestattet waren (dort OM 651), schon einen Rückruf gab und die Staatsanwaltschaft wegen der Verwendung einer unzulässigen Software ermittelte. Hier ist die Sachlage aus den dargelegten Gründen eine völlig andere (vgl. OLG München a.a.O.).
43
Nach alledem liegen die strengen Anforderungen eines rechtsmissbräuchlichen und damit unzureichenden Sachvortrags vor (vgl. dazu auch OLG Koblenz, Urt. v. 18.06.2019, Az.3 U 416/19 m.w.N.).
44
2. Auch aufgrund anderer Grundlage hat die Klagepartei keine Ansprüche gegen die Beklagte zu 1)
45
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB scheitert angesichts der vorstehenden Ausführungen jedenfalls daran, dass nicht ersichtlich ist, inwiefern die Beklagte zu 1) die Klagepartei vorsätzlich getäuscht hat (vgl. OLG Koblenz, Urt. V. 18.06.2019, Az.3 U 416/19).
46
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27 EG-FGV kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich beim der EG-FGV nicht um ein Schutzgesetz handelt; darüber hinaus liegt aber jedenfalls eine ungültige Übereinstimmungsbescheinigung nicht vor, weil – wie vorstehend ausgeführt – nicht festgestellt ist, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt.
47
Es liegt insofern insbesondere kein Bescheid des KBA vor.
48
Ein Anspruch aus § 831 BGB scheitert daran, dass das Vorliegen einer unerlaubten Handlung eines Verrichtungsgehilfen der Beklagten zu 1) nicht dargelegt ist.
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3. Weiterhin fehlt es im vorliegenden Fall auch am Vorliegen einer schlüssigen Darstellung des behaupteten Schadens. Nach den Angaben der Klägerin im Rahmen der informatorischen Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung hat sie aufgrund eines Unfalls mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug Versicherungsleistungen erhalten, deren Höhe sie jedoch nicht konkret benennen konnte. Die Versicherungsleistungen würden einen etwaigen Schaden der Klagepartei jedoch verringern.
50
4. Mangels Anspruchs in der Hauptsache war der Antrag auf vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten abzuweisen.
51
(2.) Der Klagepartei stehen die geltend gemachten Ansprüche auch gegen die Beklagte zu 2) unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die tatsächlichen Voraussetzungen einer deliktischen Haftung der Beklagten 2) sind von der Klagepartei nicht schlüssig vorgetragen.
52
Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagten zu 2) scheiden aus den bereits für die Beklagte zu 1) vorgenannten Gründen aus.
53
Eine vertragliche Haftung scheidet ebenfalls aus. Die Voraussetzungen für einen wirksamen Rücktritt vom Vertrag sowie eine Anfechtung des Vertrages wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung liegen aus denselben Gründen nicht vor. Zudem wären etwaige Ansprüche bereits verjährt.
54
Darüber hinaus wurden etwaige Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) aus Sachmängelhaftung an den Käufer des Fahrzeugs abgetreten.
55
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erging auf der Grundlage von § 709 ZPO.