Titel:
Erfolglose Klage gegen Ausweisung aus Anlass einer Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
Normenketten:
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8
AufenthG § 53 Abs. 1
Leitsätze:
1. Delikte im Bereich der Drogenkriminalität stellen schwerwiegende Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar, die mit ganz erheblichen Gefährdungen der Gesundheit der Bevölkerung verbunden sind und deren zukünftige Verhinderung ein überragend wichtiges Interesse der Gesellschaft ist. (Rn. 35 und 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Therapieberichte sind keine objektiven Bewertungen oder gar Begutachtungen; sie sind aufgrund des Näheverhältnisses zwischen Berater und Klient als einseitige Stellungnahmen zu bewerten (Anschluss an VGH München BeckRS 2017, 128927). (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
3. Je gewichtiger das öffentliche Interesse an der Vollziehung einer Ausweisung ist, umso eher dürfen dem Ausländer und seiner Familie schwerwiegende Folgen zugemutet werden (Anschluss an BVerwG BeckRS 1998, 30025823). (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung eines iranischen Staatsangehörigen, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, Wiederholungsgefahr, schützenswerte Vater-Kind-Beziehung, Ausweisung, Iran, Gefahrenprognose, Vater-Kind-Beziehung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 23.02.2023 – 19 ZB 21.1371
Fundstelle:
BeckRS 2021, 61069
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen seine auf fünf Jahre befristete Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.
2
Der am … 1995 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben ungefähr am 1. November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 8. Februar 2016 einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 30. Dezember 2016 abgelehnt und es wurde die Abschiebung in den Iran angedroht. Die Klage gegen diesen Bescheid wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 14. September 2018 (AN 1 K 17.30089) abgewiesen, der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. August 2019 (14 ZB 19.30019) abgelehnt.
3
Ausweislich der Feststellungen des Strafurteils des Landgerichts … vom 1. März 2018 besuchte der Kläger im Iran acht Jahre lang die Schule. Im Anschluss daran arbeitete er bis zu seiner Ausreise in einem von seiner Familie betriebenen Supermarkt. Der Vater und der ältere Bruder des Klägers reisten ebenfalls im November 2015 nach Deutschland ein. Der Vater des Klägers verließ am 4. Dezember 2018 das Bundesgebiet wieder, nachdem er seine Klage gegen seinen negativen Bundesamtsbescheid zurückgenommen hatte. Dem älteren Bruder des Klägers wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 16. Dezember 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
4
Der Kläger konsumierte bereits im Iran gelegentlich Cannabis und täglich etwa 0,5 g Methamphetamin. Seit 2016 konsumierte er täglich bis zu zwei Cannabis-Joints und seit seiner Einreise nach Deutschland bis zu dreimal wöchentlich Methamphetamin. In Deutschland begann der Kläger zusätzlich Heroin zu konsumieren. In den letzten Wochen vor seiner Festnahme am 24. Mai 2017 konsumierte er täglich Heroin in nicht näher bekannten Tagesdosen. Bis zu seiner Festnahme ging der Kläger in Deutschland keiner entgeltlichen Beschäftigung nach. Am 10. Januar 2020 schloss der Kläger die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen und wurde am 2. September 2020 Vater eines deutschen Sohnes.
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Strafrechtlich trat der Kläger wie folgt in Erscheinung:
6
Landgericht …, Urteil vom 1. März 2018, Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet.
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Dem Urteil vom 1. März 2018 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger und drei weitere Täter – u.a. sein Vater … und sein älterer Bruder … – hatten in den nachfolgend aufgeführten Fällen Umgang mit Heroin. Dabei war ihnen jeweils bewusst, dass sie nicht über die hierfür erforderliche Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte verfügten. Sie handelten jeweils mit voll erhaltener Einsichts- und Steuerungsfähigkeit und nahmen die dargestellten und von ihnen für möglich gehaltenen Heroinmengen und deren Wirkstoffgehalte auch billigend in Kauf.
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Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen August 2016 und dem 30. April 2017 bewahrte der Kläger im Stadtgebiet von … einen Heroinstein mit einem Gewicht von 64 g wissentlich und willentlich auf. Zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 11. Februar 2017 und dem 3. März 2017 bewahrte er darüber hinaus im Stadtgebiet von … bei einer männlichen Person namens „…“ mindestens 57 g Heroin, die er zuvor mit dem bereits erwähnten Heroinstein bei einer Gelegenheit von einem nicht näher bekannten Verkäufer erworben und übernommen hatte, wissentlich und willentlich auf. Der Kläger beabsichtigte bereits beim Erwerb dieser Gesamtmenge, die Hälfte hiervon gewinnbringend zu veräußern, die andere Hälfte zum Eigenkonsum zu verwenden. Das Heroin war von durchschnittlicher Qualität mit einem HHCl-Gehalt von wenigsten 10%. Die bei „…“ aufbewahrte Teilmenge von 57 g Heroin teilte der Kläger in kleine Verkaufsportionen auf, verpackte diese entsprechend und veräußerte und übergab sie im März und April 2017 vorwiegend im Bereich des Hauptbahnhofs und des … in … Am 14. Mai 2017 bewahrte der Kläger im Stadtgebiet von … 50,23 g Heroin zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs auf, welches er kurz zuvor zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Stadtgebiet von … von dem hierfür anderweitig rechtskräftig Verurteilten … für 2.000,00 EUR gekauft und übernommen hatte. Zuvor hatte … mit dem Kläger – ohne damit eigene wirtschaftliche Interessen zu verfolgen oder hierfür eine Entlohnung zu erhalten – Bargeld im Wert von 400,00 EUR in dem Wissen übergeben, dass dieser damit den Erwerb einer nicht nur geringen Menge Heroin von zumindest durchschnittlicher Qualität zum gewinnbringenden Weiterverkauf mitfinanzieren würde. Der Kläger verwendete diesen Betrag zum Kauf der vorgenannten Heroinmenge.
9
Am 14. Mai 2017 gegen 21:00 Uhr verkauften und übergaben der Kläger und ein anderer Täter, …, aufgrund eines zuvor gemeinsam gefassten Tatentschlusses mit Gewinnerzielungsabsicht am … in … aus dieser vom Kläger aufbewahrten Menge von 50,23 g Heroin in Gewinnerzielungsabsicht eine Teilmenge von 1,13 g mit einem Wirkstoffgehalte von 24,6% HHCl bzw. 0,27 g HHCl an eine Vertrauensperson der Polizei zu einem Preis von 50,00 EUR und am Folgetag gegen 17:40 Uhr an selber Stelle an dieselbe Vertrauensperson der Polizei die Restmenge von 49,1 g Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 24% HHCl bzw. 11,7 g HHCl für 3.000,00 EUR. Die Übergabe des Rauschgiftes erfolgte an beiden Tagen durch den anderen Täter, der hierfür vom Kläger eine Entlohnung von 250,00 EUR erhielt, während der Kläger absprachegemäß die Übergabe jeweils beobachtete und absicherte. Die Ermittlungsbehörden konnten die Gesamtmenge von 50,23 g Heroin infolge Überwachung der beiden Verkaufsvorgänge vollständig sicherstellen.
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Nach erfolgreicher Abwicklung der geschilderten Verkäufe fassten der Kläger und der andere Täter … in Gewinnerzielungsabsicht gemeinsam den Entschluss, am 24. Mai 2017 1 kg Heroin vom anderweitig hierfür bereits rechtskräftig Verurteilten … anzukaufen und aus dieser Menge noch am selben Tag 600 g gewinnbringend an ihren Abnehmer vom 14. und 15. Mai 2017 zu verkaufen. Bei der Vorbereitung und Planung dieser beabsichtigten Veräußerung hegten der Kläger und der andere Täter … Bedenken bezüglich der Vertrauenswürdigkeit ihres Abnehmers. Zu einer nicht näher bestimmbaren Zeit wenige Tage vor dem 24. Mai 2017 schilderten der Kläger und … gelegentlich einer Zusammenkunft in einer Asylbewerberunterkunft dem Vater und dem älteren Bruder des Klägers ihr Vorhaben und ihre Bedenken bezüglich der Vertrauenswürdigkeit des Abnehmers. Diese bestärkten den Kläger und … in deren Tatentschluss und deren Verkaufsabsicht und waren sich hierbei bewusst, dass sie deren Tathandlung hierdurch psychisch unterstützten. Sie empfahlen, dem Käufer statt des Heroins zunächst einen in Papier und Klebeband gewickelten Stein entsprechenden Gewichts zu übergeben, um eine etwaige Beteiligung der Polizei und deren möglichen Zugriff bei der Übergabe des Rauschgifts ausschließen zu können. Der Vater des Klägers bot in diesem Zusammenhang an, hierfür einen Stein vorzubereiten und im Bereich des … in … – in der Nähe des beabsichtigten Übergabeortes am … – das Heroin für seinen Sohn und den anderen Täter kurzzeitig bis zur tatsächlichen Übergabe des Rauschgifts aufzubewahren. Der Kläger und … erklärten sich mit der Unterstützung der beiden anderen einverstanden, ohne diesen hierfür eine Entlohnung oder gar eine Beteiligung am Veräußerungsgewinn in Aussicht zu stellen. In der Folge nahmen der Kläger und … die Empfehlungen des Vaters und des Bruders des Klägers in ihren Tatplan auf. Entsprechend dieses mit dem Kläger vereinbarten Tatplans übernahm … am 24. Mai 2017 gegen 20:25 Uhr vor seiner, im Anwesen … in … gelegenen Wohnung von dem anderweitig hierfür bereits rechtskräftig Verurteilten … Heroin mit einem Trockengewicht von 997,9 g, einem Wirkstoffgehalt zwischen 21,0% und 21,4% HHCl und einer Wirkstoffmenge von 211 g HHCl zu einem Preis von 20.000,00 EUR. Er verwog sodann in seiner Wohnung auf einer von dem Kläger zur Verfügung gestellten Feinwaage eine Teilmenge von 596,5 g Heroin zum tatplangemäßen Verkauf und verbrachte die Restmenge von 401,4 g mit einer Wirkstoffmenge von 85,8 g HHCl in seinen Keller, wo er diese gemäß dem mit dem Kläger zuvor gefassten Tatplan für spätere gemeinsame Abverkäufe lagerte. Die zum sofortigen Verkauf bestimmten 596,5 g Heroin mit einer Wirkstoffmenge von 125,2 g HHCl übergab er kurz vor 21:00 Uhr im Bereich des … in … – dorthin hatte der Kläger seinen Vater und seinen Bruder beordert – an den Vater des Klägers zur kurzfristigen Aufbewahrung. Er erhielt vom Vater des Klägers, der sich in Begleitung des Bruders des Klägers befand, einen in Papier eingewickelten Stein, der sich in einer zuvor auf dem Weg zum … auch vom Bruder des Klägers getragenen Stofftragetasche befand. Er begab sich sodann gegen 21:00 Uhr – wie zuvor mit dem Kläger vereinbart – zu einem im Bereich des … in … abgestellten Pkw, in welchem der Kläger mit dem Abnehmer auf ihn wartete. Zunächst erhielt der Abnehmer – wie zwischen dem Kläger und … vereinbart – nur den in Papier gewickelten Stein. Nachdem der Abnehmer die Täuschung bemerkte und die Polizei nicht zugegriffen hatte, verließ … das Fahrzeug und begab sich zurück zum Vater des Klägers. Dieser hielt sich – wie ihm vom Kläger aufgetragen – mit dem Bruder des Klägers noch immer im Bereich des … auf. Nur wenige Minuten nach 21:00 Uhr übergab der Vater des Klägers dem … sodann die zum Verkauf bestimmte und ausschließlich von ihm bis dahin aufbewahrte und zum Verkauf durch den Kläger und … bestimmte Heroinmenge. … begab sich daraufhin zurück zum … und stieg wieder in den Pkw des vermeintlichen Abnehmers zu. Dort verkauften und übergaben der Kläger und … tatplangemäß gegen 21:11 Uhr 596,5 g Heroin an den vermeintlichen Abnehmer – eine Vertrauensperson der Polizei – zu dem zuvor mit diesem vereinbarten Preis von 34.800,00 EUR, wovon … tatplangemäß 3.000,00 EUR erhalten sollte. Daraufhin nahm aber die Polizei, welche das Geschäft am … überwacht hatte, den Kläger und … fest, stellte die Verkaufsmenge von 596,5 g Heroin und bei einer anschließenden Durchsuchung der Kellerräume des Wohnanwesens des … die restliche, ebenfalls zum Verkauf bestimmte Heroinmenge von 401,4 g sicher.
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Im Rahmen der Strafzumessungserwägungen wurde zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass der Kläger ein umfassendes Geständnis abgelegt habe. Zugunsten des Klägers wurde zudem berücksichtigt, dass dieser selbst betäubungsmittelabhängig sei und die Taten unter anderem der Befriedigung und Finanzierung seines eigenen Konsums gedient hätten. Zulasten des Klägers wurde berücksichtigt, dass es sich bei Heroin um die gefährlichste Droge handle, die das BtMG kenne und der Kläger Umgang mit einer ganz erheblichen Menge gehabt habe.
12
Dem Urteil vom 1. März 2018 kann schließlich entnommen werden, dass beim Kläger eine Abhängigkeit von Heroin und Methamphetamin vorliege. Es habe auch ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang und der abgeurteilten Straftat bestanden. Es bestehe beim Kläger auch die Gefahr, dass er infolge seines Hanges zukünftig weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde, wenn seine Abhängigkeitserkrankung unbehandelt bleibe. Es sei zu erwarten, dass der Kläger wieder im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität bzw. der Beschaffungskriminalität auffällig werde, sofern seine Sucht nicht therapiert werde. Daher sei die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
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Mit Schreiben der Beklagten vom 27. Juli 2018 wurde der Kläger zu einer beabsichtigten Ausweisung angehört. Mit Schreiben vom 21. August 2018 erklärte der Kläger im Wesentlichen, dass er große Angst habe, in den Iran zurückzugehen. Er sei mit seinem Vater und seinem Bruder 2015 aus dem Iran geflohen und habe dabei seine Mutter und seine jüngeren Brüder zurückgelassen. Weil seine Mutter krank gewesen sei und seine Brüder zu klein für die Flucht gewesen seien und weil sie nicht genug Geld gehabt hätten für die schnelle Flucht, hätten sie sie nicht mitnehmen können. Sie hätten fliehen müssen, weil der ältere Bruder des Klägers homosexuell sei und beim Sex mit einem anderen Mann erwischt worden sei, was im Iran mit der Todesstrafe bestraft werde. Ihre Familie sei deshalb immer wieder bedroht worden, obwohl sein homosexueller Bruder schon in die Türkei geflohen sei. Die Familie sei verfolgt und in ihrem Geschäft überfallen worden. Die andere Familie habe ihren Tod gewollt. Der Kläger habe im Iran bei der Armee angefangen, Drogen zu nehmen. Damit habe er versucht, die Armee zu schaffen. Dann sei er süchtig geworden. Er sei süchtig gewesen, als er nach Deutschland gekommen sei. In der Unterkunft in … sei er schnell mit Drogen in Kontakt gekommen, er habe schnell andere Süchtige und Dealer kennengelernt. Er habe kein Geld für Drogen gehabt. Mit dem Verkauf von Drogen habe er seine Sucht finanzieren können. Das sei der falsche Weg gewesen, er bereue dies sehr. Er sei nicht normal gewesen und habe die Drogen gewollt, ohne zu denken. Seit seiner Verhaftung im Mai 2017 nehme er keine Drogen mehr, er sei clean und normal. Er wolle ein normales Leben führen und er wolle eine Familie und eine Arbeit haben. Er wolle seine Therapie beenden und einen Beruf erlernen. Weil er eine Therapie mache, sei er auf dem Weg, gesund zu werden. Er habe große Angst, in den Iran zurückzumüssen. Im Iran gebe es die Todesstrafe für den Handel mit Drogen. Er habe mit Drogen gehandelt und wegen der hohen Strafe in Deutschland werde er im Iran die Todesstrafe bekommen. Er wolle nicht sterben. Seine Familie sei ohne Schuld und sie würden wegen der Homosexualität seines Bruders bedroht, der Kläger habe Schuld wegen Drogenhandels und werde im Iran dafür mit dem Todesurteil bestraft. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 21. August 2018, welches ausweislich des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 14. September 2018 (AN 1 K 17.30089) auch im Asylklageverfahren des Klägers vorgelegt wurde, Bezug genommen.
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Stellungnahmen des Bezirksklinikums … vom 31. August 2018 und 27. November 2018 kann im Wesentlichen entnommen werden, dass der Kläger insgesamt eine hohe Therapiemotivation zeige und gute Fortschritte mache. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahmen Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 30. Januar 2019 wurde der Kläger in Ziffer I. aus dem Geltungsbereich des Aufenthaltsgesetzes ausgewiesen. In Ziffer II. wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von acht Jahren ab Ausreise/Abschiebung befristet.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt worden sei, weshalb bei ihm ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliege. Ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 AufenthG liege nicht vor. Ein schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 2 AufenthG könne bei dem Kläger nach Aktenlage ebenfalls nicht erkannt werden, da der Kläger die dort genannten Voraussetzungen nicht erfülle. Sonstige Gesichtspunkte, die für ein schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 2 AufenthG sprechen würden, lägen ebenfalls nicht vor und ergäben sich auch nicht aus der im Rahmen des Anhörungsverfahrens abgegebenen Erklärung vom 21. August 2018. Die Ausführungen bezögen sich im Wesentlichen auf Gründe, welche nach der Meinung des Klägers einer Rückführung in den Iran entgegenstünden. Für die hier zu treffende ausländerrechtliche Entscheidung sei dies nicht zu bewerten, sondern wäre im Verwaltungsstreitverfahren gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorzutragen. Gleichwohl sei die Stellungnahme des Klägers dem Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach mit Schreiben vom 27. August 2018 zur Kenntnis übermittelt worden.
17
Der Kläger habe am 8. Februar 2016 einen Asylantrag gestellt, über den nach Aktenlage noch nicht abschließend entschieden worden sei. Gemäß § 53 Abs. 4 Satz 1 AufenthG könne ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt habe, nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen werde. Von dieser Bedingung werde nur abgesehen, wenn ein Sachverhalt vorliege, der nach § 53 Abs. 3 AufenthG eine Ausweisung rechtfertigen würde oder eine nach den Vorschriften des AsylG erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden sei. Der Kläger habe mit seinen Straftaten seine offenbar grundlegende Missachtung der Rechtsordnung an den Tag gelegt und Straftaten begangen, die eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellten und ein Grundinteresse der Gesellschaft berührten. Durch sein bisher gezeigtes Verhalten bestehe eine konkrete Wiederholungsgefahr an Straftaten, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht hingenommen werden könne. Die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmittel ausgingen, seien schwerwiegend und berührten ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die Tatsache, dass sich der Kläger derzeit im Maßregelvollzug befinde, könne an einer begründet angenommenen Wiederholungsgefahr nichts ändern. Diese Maßnahme sei gerichtlich angeordnet worden und sei keine Maßnahme, der sich der Kläger freiwillig unterziehe. Allein der Wille zur erfolgreichen Durchführung einer begonnenen Therapie habe noch keine Aussagekraft für die Rückfallprognose. Die Abwägung des Interesses an der Ausreise des Klägers aufgrund der von ihm ausgehenden Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ergebe unter Berücksichtigung aller Umstände, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiege, weshalb die Ausweisung zu verfügen sei. Hierbei seien alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet und die familiären und sonstigen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet und die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen mit einbezogen. In diesem Zusammenhang sei anzumerken, dass sich der Vater des Klägers – welcher mit Verfügung der Stadt … vom 15. Januar 2019 ebenfalls ausgewiesen worden sei – nicht mehr im Bundesgebiet befinde und der volljährige Bruder des Klägers sicherlich nicht auf die Lebenshilfe des Klägers angewiesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid, der dem Kläger gegen Empfangsbekenntnis am 4. Februar 2019 zugestellt wurde, Bezug genommen.
18
Der Kläger hat am 4. März 2019 Klage erhoben.
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Zur Begründung wird mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 16. März 2021 im Wesentlichen vorgetragen, dass dem Verlaufsbericht des Bezirksklinikums … vom 8. März 2021 zu entnehmen sei, dass der Kläger bereits am 13. Juni 2020 seine Therapie gemäß § 64 StGB erfolgreich absolviert habe und aus dem Maßregelvollzug entlassen worden sei. Der Rest der zugrundeliegenden Freiheitsstrafe sei zur Bewährung ausgesetzt worden. Ferner sei zu berücksichtigten, dass der Kläger mittlerweile mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei und Vater eines deutschen Kindes sei. Laut Vermerk der Ausländerbehörde … vom 15. Dezember 2020 gehe diese von einer schützenswerten Vater-Kind-Beziehung aus. Damit liege ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG vor.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz Bezug genommen.
21
Der Kläger beantragt zuletzt,
den Bescheid vom 30. Januar 2019 in der Fassung vom 17. März 2021 aufzuheben.
22
Die Beklagte beantragt,
23
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung. Ergänzend führt die Beklagte aus, dass das Asylverfahren des Klägers am 22. August 2019 rechtskräftig negativ abgeschlossen worden sei. Die Eheschließung des Klägers lasse die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Entscheidung unberührt. Insbesondere sei die Ehe in Kenntnis der erlassenen Ausweisungsverfügung geschlossen worden. Auch die Schwangerschaft der Ehefrau des Klägers ändere nichts an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung.
24
Die Regierung von Mittelfranken beteiligte sich als Vertretung des öffentlichen Interesses am Verfahren und trat der Auffassung der Beklagten bei. Die Eheschließung und Geburt des Kindes seien erst nach Verurteilung und Inhaftierung des Klägers erfolgt. Ein normales Familien- und Eheleben habe somit nicht stattfinden können.
25
Die Beklagte änderte den Bescheid vom 30. Januar 2019 in der mündlichen Verhandlung dahingehend, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf fünf Jahre befristet wurde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Behördenakte sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid vom 30. Januar 2019 in der Fassung vom 17. März 2021 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
28
I. Die Ausweisungsverfügung ist rechtmäßig.
29
Für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2007 – 1 C 45.06 – BVerwGE 130, 20).
30
1. Die formell rechtmäßige Ausweisung des Klägers findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG.
31
a) Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
32
b) Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist die Ausweisung nicht mehr am erhöhten Prüfungsmaßstab des § 53 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 53 Abs. 3a AufenthG zu messen, da der Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamtes vom 30. Dezember 2016, bestandskräftig seit 22. August 2019, abgelehnt wurde.
33
2. Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 AufenthG sind vorliegend erfüllt. Die Beklagte hat die Ausweisung zu Recht auf spezialpräventive Erwägungen gestützt (a) und unter Berücksichtigung aller Umstände und nach Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG) mit dem privaten Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) des Klägers ist das Gericht der Überzeugung, dass hier das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers sein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und die Ausweisung auch nicht gegen höherrangige Normen verstößt (b).
34
a) Das persönliche Verhalten des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland.
35
Maßgeblicher Ausweisungsanlass ist die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Delikte im Bereich der Drogenkriminalität stellen schwerwiegende Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar, die mit ganz erheblichen Gefährdungen der Gesundheit der Bevölkerung verbunden sind (vgl. HessVGH, B.v. 15.2.2016 – 3 A 1482/14.Z – juris Rn. 14). Bei der Verhinderung weiterer Straftaten im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität handelt es sich zudem um ein überragend wichtiges Interesse der Gesellschaft (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris Rn. 19, 20 m.w.N.; BayVGH, U.v. 27.9.2012 – 10 B 10.1084 – juris Rn. 50).
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Die vom Kläger ausgehende Gefahr dauert bis heute an, sodass eine Tatwiederholung konkret zu befürchten ist.
37
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 17.1386 – juris m.w.N.; U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31). Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der Schutzgüter eintreten wird (BR-Drs. 642/14, S. 55). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34, B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris und U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31).
38
Was die Prognose der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts angeht, ist zu festzuhalten, dass Betäubungsmitteldelikte zu den schweren, Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten gehören. Die Folgen, insbesondere für junge Menschen, können äußerst gravierend sein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein „großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit“ (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 – Rs. C-149/09, „Tsakouridis“ NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach klargestellt, dass er bei der Verurteilung eines Ausländers wegen eines Betäubungsmitteldeliktes – wie hier vorliegend – in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen von Drogen auf die Bevölkerung Verständnis dafür hat, dass die Vertragsstaaten in Bezug auf diejenigen, die zur Verbreitung dieser Plage beitragen, entschlossen durchgreifen (U.v. 30.11.1999 – Nr. 3437 – 97 „Baghli“ NVwZ 2000, 1401, U.v. 17.4.2013 – Nr. 52853/99 „Yilmaz“ – NJW 2004, 2147; vgl. OVG NRW, B.v. 17.3.2005 – 18 B 445.05 – juris). Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, welche in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang einnehmen. Rauschgiftkonsum bedroht diese Schutzgüter der Abnehmer in hohem Maße und trägt dazu bei, dass deren soziale Beziehungen zerbrechen und ihre Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, welche ferner auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (BayVGH, B.v. 14.3.2013 – 19 ZB 12.1877).
39
Vorliegend hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts … mit Beschluss vom 25. Mai 2020 die Aussetzung der Reststrafe und der Entziehungsmaßnahme des Klägers zur Bewährung beschlossen, da davon auszugehen sei, dass der Kläger außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Dieser Einschätzung vermag die Kammer explizit nicht zu folgen.
40
Dabei ist zunächst klarzustellen, dass Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei der Bewertung der Wiederholungsgefahr an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden sind (BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 14 ff.). Die Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 (oder § 67d Abs. 2) StGB sind zwar von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar, von ihnen geht aber keine Bindungswirkung aus. Sie haben auch nicht zur Folge, dass die Wiederholungsgefahr zumindest in der Regel wegfällt (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18).
41
Der Beschluss des Landgerichts … vom 25. Mai 2020 ist maßgeblich auf eine Stellungnahme des Bezirksklinikums … vom 25. November 2019 und ein Sachverständigengutachten vom 18. März 2020 gestützt, denen sich die Vollstreckungskammer in den eigenen Ausführungen im Wesentlichen angeschlossen hatte. Bezüglich des Berichts des Bezirksklinikums … ist jedoch zu berücksichtigen, dass Therapieberichte keine objektiven Bewertungen oder gar Begutachtungen darstellen, vielmehr sind diese aufgrund des Näheverhältnisses zwischen Berater und Klient, als einseitige Stellungnahmen zu bewerten (BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 23).
42
Der Beschluss setzt sich mit wesentlichen, ausländerrechtlich zu beachtenden, Aspekten lediglich knapp auseinander. Insbesondere setzt sich der Beschluss nur kurz – und auch nur bei der Inhaltswiedergabe des Sachverständigengutachtens vom 18. März 2020 – mit dem nach Auffassung der Kammer erheblichen Risikofaktor der drogenabhängigen Ehefrau des Klägers auseinander. Der vom Landgericht … beauftragte Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die Partnerschaft des Klägers einen augenblicklichen Risikofaktor darstelle, da die Ehefrau des Klägers eine frühere Drogenkonsumentin sei, welche trotz Substitution weiterhin Kontakt zur … Drogenszene habe. Bezüglich der eingegangenen Partnerschaft sei festzustellen, dass diese sowohl stützende als auch belastende Anteile habe. Die Ehefrau des Klägers, die in der mündlichen Verhandlung am 17. März 2021 informatorisch angehört wurde, bestätigte, dass sie sich nach wie vor im Substitutionsprogramm befinde. Sie gehe nach Rücksprache mit ihrem Arzt davon aus, dass sie spätestens in einem Jahr keine Substitution mehr benötige. Der Vater ihrer Tochter sei weiterhin drogenabhängig. Der Umgang finde nicht unmittelbar über den Vater des Kindes statt, sondern derzeit erfolge der Umgang noch über die Betreuer, denn sie wohne mit den Kindern noch bis zum 1. April in einer Mutter-Kind-Einrichtung. Die Kammer erachtet es als höchst problematisch, dass der Kläger, der ausweislich des Beschlusses des Landgerichts … vom 25. Mai 2020 über wenige stabile Kontakte verfüge, mit einer ehemaligen Drogenkonsumentin verheiratet ist, die ihre Suchtproblematik noch nicht überwunden hat. Das Vorhaben der Ehefrau des Klägers, zum 1. April 2021 aus der geschützten Umgebung der Mutter-KindEinrichtung auszuziehen, ist mit Unwägbarkeiten, neuen Herausforderungen und der damit einhergehenden Gefahr eines Rückfalles verbunden, was sich wiederum negativ auf den Kläger, der auf einen protektiven sozialen Empfangsraum angewiesen ist, auswirken kann. Eine weitere Kontaktperson des Klägers ist sein Bruder, der ausweislich des Urteils des Landgerichts … vom 1. März 2018 wegen der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt wurde. Die einzigen Personen, die dem Kläger in Deutschland einen sozialen Empfangsraum bieten können, haben bzw. hatten schon Kontakt mit Betäubungsmitteln und zur … Drogenszene. Diese potentielle Nähe zur Drogenszene erhöht nach Auffassung der Kammer signifikant das Risiko eines Rückfalles, da sich der Kläger im Falle einer persönlichen Krise oder eines Schicksalsschlags leicht Drogen beschaffen kann und da die Ehefrau des Klägers aufgrund ihrer noch nicht austherapierten eigenen Suchterkrankung gerade in emotional belastenden Situationen keine stabile Stütze für den Kläger darstellt.
43
Der Beschluss des Landgerichts … setzt sich auch nicht vertieft damit auseinander, dass ausweislich des Sachverständigengutachtens vom 18. März 2020 der Vater des Klägers über Jahrzehnte opiumabhängig gewesen ist, dass daraus beim Kläger Ängste resultieren, die prognostisch als ungünstig zu bezeichnen seien und dass sich bei dem Kläger ab dem 15. Lebensjahr eine dissoziale Entwicklung eingestellt habe. Auch die Tatsache, dass der Kläger bereits im Iran Drogen konsumierte, um die Armee zu schaffen, wurde nicht im ausreichenden Maße berücksichtigt. Der Kläger hat offenbar in der Vergangenheit den Drogenkonsum als Mittel zur Problembewältigung gesehen und es besteht nach Auffassung der Kammer die Gefahr, dass er dies – trotz erfolgreicher Therapie – erneut tun könnte, sofern er wieder mit größeren Problemen, beispielsweise einem Drogenrückfall seiner Ehefrau, konfrontiert wird.
44
Die Kammer verkennt nicht, dass der Kläger ausweislich der im Gerichtsverfahren vorgelegten Stellungnahme der Bewährungshilfe vom 16. Februar 2021 und des Verlaufsberichts des Bezirkskrankenhauses … vom 8. März 2021 während des gesamten Therapieverlaufs und auch seit seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug keinen Suchtmittelrückfall hatte und dass er sich in einer stabilen Beziehung mit seiner Ehefrau befindet. Die derzeitige Drogen- und Straffreiheit des Klägers vermag die Prognose zur Wiederholungsgefahr jedoch nicht zu erschüttern. Denn es entspricht allgemeiner Erfahrung, dass die Möglichkeit, eine zur Bewährung verfügte Strafaussetzung/Strafrestaussetzung zu widerrufen, einen erheblichen Legalbewährungsdruck darstellt, also zu erheblichen Anstrengungen in Richtung Selbstdisziplin und Lebensordnung führen kann. Weiterhin ist der Kläger durch den vorliegend streitgegenständlichen Bescheid ausgewiesen worden. Eine drohende Ausweisung erzeugt häufig einen Legalbewährungsdruck, der über denjenigen einer drohenden Inhaftierung hinausgeht.
45
Von einem wirklichen Therapieerfolg, mit dauerhaften Einstellungswandel und innerlich gefestigter Verhaltensänderung, kann nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs erst gesprochen werden, wenn sich der Ausländer außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat (BayVGH, B.v. 3.4.2019 – 19 ZB 18.1001 – juris Rn. 14; B.v, 14.3.2019 – 19 CS 17.1784 – juris Rn. 15). Eine solche Bewertung kann zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund der erst zum 25. Mai 2020 erfolgten Strafaussetzung zur Bewährung und des aktuellen Legalbewährungsdrucks nicht mit der notwendigen Sicherheit vorgenommen werden. Hierbei muss insbesondere berücksichtigt werden, dass der Kläger aufgrund des Beschlusses des Landgerichts … vom 25. Mai 2020 noch bis zum 12. Juni 2025 unter Führungsaufsicht steht und während dieser Zeit einem engen Korsett an strafbewährten und nicht strafbewehrten Weisungen unterworfen ist, die – neben der verfügten Ausweisung – einen erheblichen Druck auf den Kläger ausüben, ein drogen- und straffreies Leben zu führen. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass die vom Strafvollstreckungsgericht festgesetzte Zeit der Führungsaufsicht von fünf Jahren die Höchstdauer (vgl. § 68c Abs. 1 Satz 1 StGB) darstellt und von diesem Zeitraum noch nicht einmal ein Jahr verstrichen ist. Ob dem Kläger ein straffreies Leben auch ohne den Druck der Führungsaufsicht gelingen kann, ist im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung noch fraglich, sodass eine Tatwiederholung konkret zu befürchten ist.
46
b) Die Ausweisung ist unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 AufenthG gerechtfertigt, weil das öffentliche Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG das Bleibeinteresse des Klägers nach § 53 Abs. 2 i.V.m. § 55 AufenthG überwiegt.
47
Das Ausweisungsinteresse wiegt nach § 53 Abs. 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besonders schwer, da der Kläger mit Urteil des Landgerichts … vom 1. März 2018 wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten und damit zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.
48
Diesem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 53 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG gegenüber, da der Kläger sein Personensorgerecht für ein minderjähriges deutsches Kind ausübt. Die Kammer geht vorliegend von einer grundsätzlich schützenswerten Vater-Kind-Beziehung aus, was sich insbesondere auch aus den Stellungnahmen des Jugendamtes der Stadt … vom 26. November 2020 und 8. Dezember 2020 ergibt.
49
Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, auch unter Berücksichtigung des Art. 6 GG, des Art. 8 EMRK und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegt. Die streitgegenständliche Ausweisung ist weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG – allerdings nicht abschließend – aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig.
50
In der Rechtsprechung des EGMR ist anerkannt, dass selbst schwerwiegende Beeinträchtigungen familiärer Beziehungen nicht stets das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung verdrängen. Vielmehr ist anhand der sogenannten „Boultif-Kriterien“ ein gerechter Ausgleich der gegenläufigen Interessen zu finden (vgl. z.B. U.v. 18.10.2006 – „Üner“ – juris Rn. 57 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zu berücksichtigen, dass der vom Kläger angeführte Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt gewährt und allein aufgrund formal-rechtlicher Bindungen ausländerrechtliche Schutzwirkungen nicht entfaltet (vgl. BVerfG, B.v. 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 – juris). Wie der Gerichtshof betont auch das Bundesverfassungsgericht, dass selbst gewichtige familiäre Belange sich nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durchsetzen (z.B. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 23).
51
Zu Fragen ist insbesondere, ob die Geburt eines Kindes eine „Zäsur“ in der Lebensführung des betroffenen Ausländers darstellt, die in Anbetracht aller Umstände erwarten lässt, dass er bei einem legalisierten Aufenthalt keine Straftaten mehr begehen wird (BVerfG, B.v. 23.1.2006 a. a.O.). Auch ist zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte (vgl. BVerfG, B.v. 1.2.2008 a.a.O., B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – NVwZ 2013, 1207). Je gewichtiger das öffentliche Interesse an der Vollziehung einer Ausweisung ist, umso eher dürfen dem Ausländer und seiner Familie folglich schwerwiegende Folgen zugemutet werden (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.1998, NVwZ 1999, 303; OVG Bautzen, B.v. 7.4.2011 – 3 D 159/10 – juris Rn. 4).
52
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe überwiegt das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers. Der am … 1995 geborene Kläger reiste erst im November 2015 in das Bundesgebiet ein und beging schon nach kurzer Aufenthaltsdauer eine gravierende Betäubungsmittelstraftat, wegen der er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde. Ausweislich des Strafurteils wurde zu lasten des Klägers berücksichtigt, dass es sich bei Heroin um die gefährlichste Droge handelt, die das BtMG kennt und dass der Kläger Umgang mit einer ganz erheblichen Menge davon hatte. Der Kläger befand sich vom 24. Mai 2017 bis zum 13. Juni 2020 in Haft bzw. im Maßregelvollzug, sodass er mehr als die Hälfte seines bisherigen Aufenthalts in Deutschland nicht in Freiheit verbracht hat. Demzufolge hat bisher keinerlei wirtschaftliche Integration des Klägers in Deutschland stattgefunden und nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung besteht auch aktuell keine konkrete Erwerbsmöglichkeit. Eine vertiefte soziale Integration des Klägers fand ebenfalls nicht statt. Ausweislich des Beschlusses des Landgerichts … vom 25. Mai 2020 verfügt er in Deutschland nur über wenige stabile Kontakte.
53
Die Kammer ist sich bewusst, dass mit der Ausweisung des Klägers auch erheblich in die Rechte der deutschen Ehefrau und des deutschen leiblichen Kindes des Klägers aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK eingegriffen wird. Dieser Eingriff erweist sich jedoch als verhältnismäßig. Es ist zu berücksichtigen, dass die Ehe erst am … und damit in Kenntnis der Ausweisung des Klägers geschlossen wurde. Der Kläger und seine Ehefrau waren sich demnach bei Eheschließung bewusst, dass eine längere räumliche Trennung wahrscheinlich ist. Insbesondere mit Blick auf den erst am … 2020 geborenen Sohn des Klägers stellt diese räumliche Trennung zwar einen gravierenden Grundrechtseingriff dar. In Anbetracht der Schwere der Straftat des Klägers überwiegt jedoch das Ausweisungsinteresse. Die Geburt des Kindes stellt nach Auffassung der Kammer auch keine „Zäsur“ in der Lebensführung des Klägers dar, die in Anbetracht aller Umstände erwarten lässt, dass er keine Straftaten mehr begehen wird. Die abgeurteilten Straftaten des Klägers wurden durch die Rauschgiftabhängigkeit des Klägers zumindest mitausgelöst. Die Kammer ist davon überzeugt, dass bei einem Drogenrückfall aufgrund des – gerade bei Heroin erheblichen – Suchtverlangens auch das Kind den Kläger nicht von der Begehung künftiger drogenbedingter Straftaten abhalten können wird. Wie bereits ausgeführt, besteht gerade aufgrund der betäubungsmittelabhängigen Ehefrau die Gefahr, dass es beim Kläger zu einem Drogenückfall kommen kann. Es muss zudem berücksichtigt werden, dass der Kläger bisher noch nie mit seiner Frau und seinem Kind in einer gemeinsamen Wohnung zusammengelebt hat und dass die bevorstehende Trennung ausschließlich die Konsequenz des kriminellen Verhaltens des Klägers ist. Dem Kläger, seiner Ehefrau und seinem Kind muss zugemutet werden, den Kontakt über Fernkommunikationsmittel aufrecht zu erhalten, was mittels moderner Medien wie Videotelefonie auch bei einem noch sehr jungen Kind möglich ist. Die Ehefrau kann den Kläger auch zusammen mit dem gemeinsamen Kind im Iran besuchen. Zudem sind für den Kläger kurzfristige Betretungserlaubnisse gemäß § 11 Abs. 8 AufenthG möglich. Eine dauerhafte Trennung von Ehefrau und Kind muss also nicht eintreten. Schließlich muss berücksichtigt werden, dass die Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot in der mündlichen Verhandlung schon von acht auf fünf Jahre verkürzt hat, dass es sich hierbei um einen absehbaren Zeitraum handelt und dass der Kläger jederzeit eine weitere Fristverkürzung gemäß § 11 Abs. 4 AufenthG beantragen kann.
54
In Anbetracht der Folgen der vom Kläger begangenen Straftaten für die Gesellschaft und der weiterhin (wie dargelegt) bestehenden Wiederholungsgefahr ist es ihm zumutbar, wieder im Iran Fuß zu fassen. Der Kläger ist im Iran geboren und hat dort einen Großteil seines bisherigen Lebens verbracht. Er hat im Iran die Schule besucht und im Anschluss daran bis zu seiner Ausreise in einem von seiner Familie betriebenen Supermarkt gearbeitet. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, dass im Iran noch seine Eltern und zwei seiner Brüder leben. Den Akten kann zudem entnommen werden, dass der Kläger telefonischen Kontakt zu seinem Vater hat und dieser für ihn eine wichtige Stütze darstellt. Dem Kläger steht somit im Iran ein stabiler sozialer Empfangsraum zur Verfügung, sodass die Folgen der Ausweisung für ihn nicht unzumutbar sind. Überdies wird es durch die familiäre Integration des Klägers im Iran für seine Ehefrau einfacher, ihn dort zusammen mit dem gemeinsamen Kind zu besuchen.
55
Nach alledem überwiegen die Belange der Bundesrepublik Deutschland das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte private Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung einer familiären Gemeinschaft. Ebenso lässt unter der Annahme, dass die Ausweisung des Klägers einen Eingriff in sein durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht auf Familienleben bedeutet, Art. 8 Abs. 2 EMRK hier einen solchen Eingriff zu, weil er „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die öffentliche Sicherheit“. Denn die bei der Abwägung einzustellenden Interessen von Vater, Kind und Ehefrau am weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet besitzen erheblich weniger Gewicht als die gegen einen weiteren Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet sprechenden Gründe. Festzuhalten ist abschließend, dass das zwischen dem Ausländer und seinem minderjährigen deutschen Kind bestehende Familienleben bzw. das Kindeswohl nicht generell und ausnahmslos Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse hat (vgl. BVerwG, B.v. 10.2.2011 – 1 B 22.10 – juris Rn. 4; B.v. 21.7.2015 – 1 B 26.15 – juris Rn. 5; BayVGH, U.v. 21.5.2019 – 10 B 19.55 – juris Rn. 44).
56
II. Das in Ziffer II. des streitgegenständlichen Bescheids verfügte bzw. befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot von fünf Jahren ab Abschiebung bzw. Ausreise ist ebenfalls rechtmäßig.
57
Die Befristungsdauer steht nach der Neufassung des § 11 Abs. 3 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris), so dass diese Ermessensentscheidung keiner uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. § 114 Satz 1 VwGO), sondern – soweit wie hier keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt – eine zu lange Frist lediglich aufgehoben und die Ausländerbehörde zu einer neuen Ermessensentscheidung verpflichtet werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2015 – 10 B 13.715 – Rn. 54 ff.).
58
Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277; U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 65 f.). Die Dauer der Frist darf nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 a.a.O.). Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK messen lassen und ist daher ggf. in einem zweiten Schritt zu relativieren (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277; U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und dem Verwaltungsgericht ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie ggf. seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen.
59
Nach diesen Maßstäben ist die mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten festgesetzte Frist nicht zu lang und daher rechtmäßig; nach § 114 Satz 1 VwGO durchgreifende Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, insbesondere hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auf die neue Tatsachenlage – Heirat des Klägers und Geburt des Kindes – reagiert und das Einreise- und Aufenthaltsverbot unter Würdigung dieser Belange von zunächst acht auf fünf Jahre verkürzt.
60
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
61
Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt geht zurück auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m.§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.