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VG München, Beschluss v. 22.11.2021 – M 3 S 21.50635
Titel:

Dublin-Verfahren, Abschiebungsanordnung nach Spanien, Keine systemischen Mängel, Alleinstehender, junger Mann

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 34a
Dublin-III-VO
Schlagworte:
Dublin-Verfahren, Abschiebungsanordnung nach Spanien, Keine systemischen Mängel, Alleinstehender, junger Mann
Fundstelle:
BeckRS 2021, 61013

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. September 2021 angeordnete Abschiebung nach Spanien im Rahmen des sogenannten „Dublin-Verfahrens“.
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Der am ... 1991 geborene Antragsteller ist tansanischer Staatsangehöriger und reiste eigenen Angaben zufolge am 19. Mai 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Von seinem Asylgesuch erlangte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 21. Mai 2021 schriftliche Kenntnis; am 6. Juli 2021 stellte er einen förmlichen Asylantrag.
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Nach Recherche des Bundesamtes und übereinstimmenden Angaben des Antragsstellers reiste dieser mit gültigen Visa für Spanien in die Europäische Union ein.
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Das Bundesamt stellte am 8. Juli 2021 ein Wiederaufnahmegesuch, das ausweislich der Zugangsbestätigung am selben Tag einging, an die spanischen Behörden, auf das diese nicht antworteten.
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Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 13. September 2021 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte das Fehlen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG fest (Nr. 2 des Bescheids), ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Nr. 3 des Bescheids) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 21 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4 des Bescheids). Im Akt befindet sich kein Zustellnachweis des Bescheids.
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Am 22. September 2021 erhob der Antragsteller Klage beim Verwaltungsgericht München Klage (M 3 K 21.50633) und beantragte, den streitgegenständlichen Bescheid vom 13. September 2021 aufzuheben und beantragte am 23. September 2021 zudem
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hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Spanien die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
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Zur Begründung verweist der Antragsteller auf seine Angaben gegenüber dem Bundesamt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier aufgrund des § 75 Abs. 1 AsylG einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Ein gewichtiges Indiz ist dabei die Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, hat das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurückzutreten. Erweist sich dagegen der Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen zu beurteilen, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung, bei der jedoch die gesetzgeberische Entscheidung, die aufschiebende Wirkung einer Klage auszuschließen, zu berücksichtigen ist.
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe geht die Interessenabwägung hier im Ergebnis zu Lasten des Antragstellers aus. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zum gegenwärtigen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) sind die Erfolgsaussichten seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamts als gering anzusehen. Auf den vorgenannten Bescheid wird im Sinne von § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen. Die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung erweist sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig.
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Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt u.a. dann, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind nach summarischer Überprüfung gegeben. Danach ist Spanien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Staat (nachfolgend unter 1.) und es bestehen keine Hindernisse für die Durchführung der Abschiebung (nachfolgend unter 2).
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1. Spanien ist gemäß Art. 12 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 11 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31) (im Folgenden: Dublin III-VO) für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers zuständig. Gem. Art. 12 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO ist der Mitgliedsstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Ausweislich des Vortrags des Antragstellers und der Recherche des Bundesamts hat Spanien ein gültiges Visum für den Zeitraum vom 8. Mai 2021 bis 29. Mai 2021 erteilt, aufgrund dessen die Antragsteller in die Europäische Union einreisen konnte. Im Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland war das Visum gültig (Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO). Das Bundesamt hat innerhalb der dreimonatigen Frist des Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO ein Aufnahmegesuch an Spanien gerichtet. Spanien antwortete nicht auf das Aufnahmegesuch, so dass die Zuständigkeit gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO auf Spanien übergegangen ist. Die 6-monatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO war zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO noch nicht abgelaufen.
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Die spanischen Behörden sind daher gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. a Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller wiederaufzunehmen.
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2. Die Abschiebung nach Spanien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG durchgeführt werden.
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2.1. Gründe i.S.d. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO, die der Überstellung des Antragstellers nach Spanien entgegenstehen, sind nicht ersichtlich. Diese Vorschrift setzt voraus, dass es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechte-Charta – EU-GR-Charta – mit sich bringen.
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Das Gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) finden (EuGH, U.v. 10.12.2013 – C-394/12 – Abdullahi/Bundesasylamt juris Rn. 52; EuGH, U.v. 21.12.2011 − C-411/10, C-493/10 – N.S./Secretary of State for the Home Department u. a. juris Rn. 78). Nach diesem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens bzw. dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938.93 und 2 BvR 2315.93 – juris LS 5b), gilt die nur in Ausnahmefällen widerlegbare Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat im Einklang mit den genannten Rechten steht.
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Die Widerlegung dieser Vermutung ist wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nur wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EU-GR-Charta zur Folge haben, ist eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O. Rn. 86 und 94).
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Ausgehend von diesen Maßstäben ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller als alleinstehender junger Mann aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Spanien tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung des aktuellen Erkenntnismaterials in der ganz überwiegenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an (vgl. z.B. VG Hamburg, B.v. 10.3.2021 – 16 AE 4989/20 – juris OS; VG Würzburg, B.v. 8.3.2021 – W 5 S 21.50086 – juris OS, B.v. 22.12.2020 – W 8 S 20.50327 – juris Rn.17 ff. m.w.N.; VG Osnabrück, B.v. 21.12.2021 – 5 B 288/20 – juris OS; VG München, B.v. 20.11.2020 – M 2 S 18.52972 – n.v. Rn. 26; VG Ansbach, B.v. 18.3.2020 – AN 17 S 20.50116 – juris Rn. 20, B.v. 27.11.2019 – AN 17 S 19.51089 – juris Rn. 24, U.v. 30.8.2019 – AN 17 K 19.50228 – juris Rn. 35). Insoweit nimmt das Gericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auch Bezug auf die entsprechenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheids (S. 5 ff.) des Bundesamts. Erkenntnisse, die diese Einschätzung erschüttern würden, wurden nicht vorgetragen und sind dem Gericht auch sonst nicht bekannt. Insbesondere wird die Behinderung des Antragstellers aufgrund seines amputierten Beins als besonderes medizinisches Bedürfnis gem. Art. 32 Abs. 1 Uabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO durch eine Informationsübermittlung nach Art. 32 Abs. 1 Uabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO berücksichtigt. Spanien hat gem. Art. 32 Abs. 1 Uabs. 1 Satz 3 Dublin-III-VO dann den besonderen Bedürfnissen in geeigneter Weise Rechnung zu tragen.
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Des Weiteren besteht keine durch Tatsachen belegte Gefahr, dass der Antragsteller als Dublin-Rückkehrer nach einer Überstellung nach Spanien einer Verletzung des Zurückschiebungsverbots (Non-Refoulement, Art. 4 i.V.m. Art. 19 Abs. 1 EU-Gr-Charta) ausgesetzt sein könnte. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser nach Tansania abgeschoben werden könnte, ohne dass zuvor in Spanien seine Asylgründe inhaltlich geprüft würden, insbesondere auch nicht aufgrund irgendeiner Beteiligung des Tennisweltverbands (ITF).
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2.2. Schließlich trägt der Antragsteller auch keine Gründe vor, die ein (zielstaatsbezogenes) Abschiebungsverbot oder ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis begründen könnten oder die Antragsgegnerin zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO verpflichten würden.
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Es ist kein Anhaltspunkt dafür gegeben, dass die Überstellung des Antragstellers nach Spanien ein Gesundheitsrisiko – auch nicht aufgrund der Behinderung – mit sich bringen würde. Schließlich kann der Antragsteller auch in Spanien medizinische Betreuung erhalten.
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Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).