Titel:
Normenkontrollantrag gegen Bebauungsplan - Abwägungsgebot
Normenketten:
VwGO § 47
BauGB § 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3
UmwRG § 6
Leitsätze:
1. § 6 UmwRG gilt nicht für Normenkontrollanträge nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen Bebauungspläne. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes sowie aus Sinn und Zweck des § 6 UmwRG. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gegen das Gebot gerechter Abwägung wird verstoßen, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet (Abwägungsausfall), in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss (Abwägungsdefizit), wenn die Bedeutung dieser Belange verkannt wird (Abwägungsfehleinschätzung) oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrollverfahren, Bebauungsplan, Abwägungsgebot, Lärmvorbelastung, Gebot der Konfliktbewältigung, Achtungsabstand zu Biogasanlage
Fundstelle:
BeckRS 2021, 6093
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Antragsteller wendet sich gegen den am 28. April 2017 öffentlich bekannt gemachten Bebauungsplan Nr. 24 „Nördlicher Ortsrand von K.“ der Antragsgegnerin.
2
Der Antragsteller begründet seinen am 24. April 2018 bei Gericht eingegangenen Normenkontrollantrag mit Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 30. September 2020 wie folgt: Der Normenkontrollantrag sei zulässig, weil der Antragsteller als Eigentümer eines Grundstücks im Planbereich mit einem dortigen Gewerbebetrieb (Vermietung/Verkauf von Veranstaltungstechnik sowie Konstruktion, Endmontage, Vermietung und Verkauf von Membranstrukturen) von den Festsetzungen des Bebauungsplans, insbesondere hinsichtlich der Art der Nutzung sowie der geplanten Erschließung, nachteilig betroffen sei. Der Bebauungsplan verstoße gegen das Gebot gerechter Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB), weil er die erhebliche Lärmvorbelastung des Plangebiets durch einen nahegelegenen Brauereibetrieb nicht hinreichend beachte und damit gegen das Gebot der Konfliktbewältigung verstoße. Ebenso setze der Bebauungsplan einen zu einer Biogasanlage einzuhaltenden „Achtungsabstand“ von (lediglich) 200 m fest und verlagere einen bestehenden immissionsschutzrechtlichen Konflikt im Hinblick auf die im Plangebiet vorgesehene Bebauung auf die Ebene späterer Einzelgenehmigungsverfahren, obwohl bereits nach der bestandskräftigen Genehmigung der Biogasanlage zwingend ein „Achtungsabstand“ von 300 m einzuhalten sei. Ferner sehe der Bebauungsplan für das Grundstück des Antragstellers eine nicht erforderliche „Zweiterschließung“ vor. Die „wegemäßige Erschließung“ des Plangebiets erscheine „insgesamt deutlich überdimensioniert“. Schließlich sehe der Bebauungsplan die Versickerung von unbelastetem Niederschlagswasser auf den jeweiligen Grundstücken selbst vor, obwohl aufgrund der Bodenbeschaffenheit keine Möglichkeit hierzu bestehe.
3
Der Antragsteller beantragt,
4
den Bebauungsplan Nr. 24 „Nördlicher Ortsrand von K.“ für unwirksam zu erklären.
5
Die Antragsgegnerin beantragt,
7
Der Antragsteller sei mit seinem gesamten Vorbringen gegen den Bebauungsplan nach § 6 UmwRG präkludiert, weil die Begründung zum Normenkontrollantrag erst mit Schriftsatz des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 30. September 2020 und damit außerhalb der in § 6 UmwRG gesetzten Frist bei Gericht eingegangen sei. § 6 UmwRG sei auch auf Normenkontrollklagen gegen Bebauungspläne anzuwenden. Im Übrigen sei der Normenkontrollantrag auch unbegründet. Verstöße gegen das Gebot der gerechten Abwägung lägen nicht vor. Dies gelte sowohl in Bezug auf den Brauereibetrieb, der nach Einschätzung der Antragsgegnerin die für das Plangebiet geltenden Lärmwerte einhalten werde, als auch in Bezug auf die Biogasanlage, deren im Plan eingezeichneter „Achtungsabstand“ deutlich außerhalb des Plangebiets liege und insofern nur als „allgemeiner Hinweis für andere Bauvorhaben“ diene. Die im Plangebiet vorgesehene Erschließung diene auch den Belangen des Antragstellers, zu dessen Gunsten „eine Baugebietsausweisung für sein Grundstück und den angrenzenden Bereich als Dorf- und Gewerbegebiet“ vorgenommen worden sei. Das Grundstück des Antragstellers sei bisher „bauplanungsrechtlich als Außenbereich zu bewerten“. Schließlich sei die Versickerung von unbelastetem Niederschlagswasser auf den jeweiligen Grundstücken nur insoweit festgesetzt worden, als eine solche Versickerung aufgrund der Bodenbeschaffenheit tatsächlich möglich sei.
8
Die Parteien haben sich schriftlich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
9
Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg.
10
1. Zweifel an der Zulässigkeit des Normenkontrollantrags bestehen nicht. Insbesondere ist der Antragsteller antragsbefugt, weil er Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks ist und sich (u.a.) gegen Festsetzungen (insbesondere hinsichtlich der Art der Nutzung sowie der geplanten Erschließung) wendet, die für sein Grundstück gelten sollen.
11
2. Der Normenkontrollantrag ist jedoch unbegründet.
12
a) Der Antragsteller ist allerdings entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin mit seinem Vorbringen gegen den Bebauungsplan nicht nach § 6 UmwRG präkludiert. Das Bundesverwaltungsgericht hat die in Rechtsprechung und Literatur bisher umstrittene Frage der Anwendbarkeit des § 6 UmwRG auf Normenkontrollverfahren gegen Bebauungspläne nunmehr dahingehend entschieden, dass § 6 UmwRG nicht für Normenkontrollanträge nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen Bebauungspläne gilt (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2020 - 4 CN 9.19 - juris). Der Senat schließt sich dieser am Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Norm sowie an der Systematik des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes orientierten höchstrichterlichen Rechtsprechung an.
13
b) Die vom Antragsteller geltend gemachten Abwägungsfehler liegen indes nicht vor. Das Abwägungsgebot verpflichtet die Gemeinde, die für die Planung bedeutsamen öffentlichen und privaten Belange (Abwägungsmaterial) zu ermitteln und zu bewerten (§ 2 Abs. 3 BauGB) sowie sie gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen (§ 1 Abs. 7 BauGB). Die Abwägung selbst unterliegt allerdings nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Gegen das rechtsstaatlich fundierte Gebot gerechter Abwägung wird (nur dann) verstoßen, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet (Abwägungsausfall), in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss (Abwägungsdefizit), wenn die Bedeutung dieser Belange verkannt wird (Abwägungsfehleinschätzung) oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität). Einen derartigen Abwägungsfehler vermag der Senat vorliegend nicht zu erkennen. Die Antragsgegnerin hat die jeweiligen betroffenen abwägungserheblichen Belange vielmehr fehlerfrei ermittelt, bewertet und abgewogen (§ 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3 BauGB).
14
aa) Der Einwand des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe die erhebliche Lärmvorbelastung des Plangebiets durch einen nahegelegenen Brauereibetrieb nicht hinreichend beachtet und damit gegen das Gebot der Konfliktbewältigung verstoßen, ist nicht stichhaltig. Die Antragsgegnerin hat den Entwurf des streitgegenständlichen Bebauungsplans im Planverfahren geändert und eine zunächst einbezogene - zum südlich angrenzenden Brauereibetrieb gehörige - Parkplatzfläche aus dem Planentwurf herausgenommen. Die Parkplatzfläche wurde Bestandteil des Planverfahrens zur „Betriebssicherung und Erweiterung der Brauerei R.“ (vgl. den am 27.4.2018 öffentlich bekannt gemachten Bebauungsplan Nr. 26 der Antragsgegnerin), der Maßnahmen zur Lärmminderung (insbesondere durch die für Teilflächen vorgenommene Festsetzung von Emissionskontingenten) vorsieht. Die Antragsgegnerin hat die - namentlich von der Parkplatzfläche ausgehende - Vorbelastung des vorliegend streitgegenständlichen Plangebiets gutachterlich untersuchen lassen (vgl. Gutachten vom 24.11.2016 bezüglich der schalltechnischen Untersuchung zum planbedingten Verkehrslärm) und diese auch im Rahmen ihrer Abwägung berücksichtigt (vgl. z.B. S. 25 der Abwägungs- und Beschlussvorlage vom 4.5.2016 zur immissionsschutzfachlichen Stellungnahme des Landratsamts anlässlich der Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 sowie des § 4 Abs. 1 BauGB). Eine weitergehende Lärmbeeinträchtigung des Plangebiets durch den südlich nahegelegenen Brauereibetrieb, die schon im Rahmen des streitgegenständlichen Bebauungsplans zu bewältigen gewesen wäre, ist im Zuge des Planverfahrens hingegen nicht geltend gemacht worden. Das weitere von der Antragsgegnerin eingeholte Gutachten (umfassende „Schall- und Geruchsuntersuchung“ zum Bebauungsplan vom 9.5.2016) weist insoweit darauf hin, dass der Brauereibetrieb schon jetzt in Bezug auf die im Plangebiet bereits vorhandenen Wohngebäude die Immissionsrichtwerte der TA Lärm einzuhalten habe und Lärmminderungsmaßnahmen im Planverfahren zur „Betriebssicherung und Erweiterung der Brauerei R.“ vorgesehen sind. Für die Antragsgegnerin bestand nach alledem kein Anlass, im Hinblick auf die weiter nördlich (im festgesetzten Dorfgebiet nach § 5 BauNVO) neu geplanten Wohngebäude oder das im streitgegenständlichen Bebauungsplan neu geplante Gewerbegebiet (mit reduzierten Emissionen) oder das für Zwecke der Landwirtschaft festgesetzte neue Sondergebiet einen im vorliegenden Bebauungsplan zu bewältigenden Lärmkonflikt mit dem Brauereibetrieb zu vermuten.
15
bb) Auch der weitere Vorwurf des Antragstellers, der Bebauungsplan bewältige einen weiteren immissionsschutzrechtlichen Konflikt nicht, weil er den „Achtungsabstand“ einer - außerhalb des Plangebiets liegenden - Biogasanlage zum Plangebiet mit 200 m zu kurz festsetze, greift nicht durch. Tatsächlich hat die Antragsgegnerin bezüglich der von der Biogasanlage ausgehenden Lärmimmissionen auf der Grundlage des (auch) hierzu eingeholten Gutachtens („Schall- und Geruchsuntersuchung“ zum Bebauungsplan vom 9.5.2016) bei der Abwägung hinreichend berücksichtigt, dass die Immissionsrichtwerte der TA Lärm zum Dorfgebiet im Bebauungsplan „deutlich unterschritten werden“ (vgl. S. 27 ff. der Abwägungs- und Beschlussvorlage vom 4.5.2016) und dass auch bezüglich der von der Biogasanlage ausgehenden Geruchsemissionen - in Anbetracht eines Abstands der Biogasanlage zum nächstgelegenen (geplanten) Immissionsort von 280 m sowie unter Berücksichtigung der vorherrschenden Windverhältnisse und bei Annahme einer dem Stand der Technik entsprechenden Biogasanlage - „von keiner Beeinträchtigung auszugehen“ ist (vgl. S. 29 der Abwägungs- und Beschlussvorlage vom 4.5.2016). Im Übrigen handelt es sich bei dem im Bebauungsplan enthaltenen eingezeichneten „Achtungsabstand“ lediglich um einen (unverbindlichen) Hinweis auf Abstandsempfehlungen („KAS 18 i.V.m. KAS 32“) der Kommission für Anlagensicherheit (§ 51a BImSchG). Weshalb die vom Antragsteller in Bezug genommene Biogasanlage, die nach der fachlichen Überprüfung des Landratsamts nicht der Zwölften Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung) unterfällt, einen deutlich größeren Abstand als die im Bebauungsplan eingezeichneten 200 m zu möglichen Immissionsorten einhalten soll - was sich entgegen der Behauptung des Antragstellers der Baugenehmigung der Biogasanlage nicht entnehmen lässt - und inwieweit die ohnehin weiter entfernten möglichen Immissionsorte im Plangebiet von etwaigen Immissionskonflikten mit der Biogasanlage betroffen sein sollen, hat der Antragsteller demgegenüber nicht näher dargelegt.
16
cc) Die Antragsgegnerin hat sich im Rahmen ihrer Abwägung auch mit den Einwänden des Antragstellers in Bezug auf den „Verlauf“ der Erschließungsstraße auseinandergesetzt, die das Grundstück des Antragstellers „durchschneidet“. Da die Erschließungsstraße vorrangig nicht dem Zweck der zusätzlichen (zweiten) Erschließung des Grundstücks des Antragstellers, sondern der Erschließung des sich daran anschließenden - bauplanungsrechtlich bisher im Außenbereich (§ 35 BauGB) liegenden - neuen Baugebiets dient, bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Zweifel an der Erwägung der Antragsgegnerin, dass die geplante Erschließung (auch) der städtebaulichen Ordnung für das neue Dorfgebiet dient. Die Antragsgegnerin hat in ihre Abwägung der betroffenen privaten und öffentlichen Belange zudem einbezogen, dass der Bebauungsplan zusätzliches Baurecht für den Antragsteller sowohl in nördlicher als auch in östlicher Richtung schafft und damit insbesondere auch den betrieblichen Erweiterungsabsichten des Antragstellers (durch Schaffung eines neuen Gewerbegebietes) entgegenkommt. Der Bebauungsplan stellt ferner nach der Intention der Antragsgegnerin „ein städtebauliches Konzept fest, das sich nicht an den Grundstücksgrenzen im derzeitigen Außenbereich orientieren kann“ (vgl. S. 29 der das Verfahren abschließenden Abwägungs- und Beschlussvorlage vom 6.3.2017 bzw. 28.2.2017). Die Antragsgegnerin wird - nach Abschluss des Bebauungsplanverfahrens - daher ein Umlegungsverfahren anschließen, in dem den Interessen der von der Planung betroffenen Grundstückseigentümer nach einem gerechten Ausgleich, etwa durch entsprechende Gestaltung und Zuteilung von Grundstücksflächen, Rechnung getragen wird. Der Antragsteller hat seinen weiteren Einwand in Bezug auf eine „Überdimensionierung“ der Erschließung nicht näher substantiiert. Auch insoweit ergeben sich daher keine stichhaltigen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgangs und des Ergebnisses der von der Antragsgegnerin im Hinblick auf die getroffenen bauplanerischen Festsetzungen vorgenommenen Abwägung.
17
dd) Schließlich geht auch der Vorwurf des Antragstellers fehl, der Bebauungsplan sehe die Versickerung von unbelastetem Niederschlagswasser auf den jeweiligen Grundstücken vor, obwohl aufgrund der Bodenbeschaffenheit keine Möglichkeit hierzu bestehe. Tatsächlich schreibt der Bebauungsplan in Nr. 10.2 seiner textlichen Festsetzungen eine Versickerung von unbelastetem Niederschlagswasser auf den jeweiligen Grundstücken ausdrücklich nur insoweit vor, als eine solche Versickerung aufgrund der Bodenbeschaffenheit möglich ist.
18
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.
19
4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).