Titel:
Bestreiten mit Nichtwissen bei arbeitsteiliger Organisation
Normenkette:
ZPO § 138 Abs. 4
Leitsatz:
Eine Partei kann sich nicht durch arbeitsteilige Organisation ihres Betätigungsbereichs ihren prozessualen Erklärungspflichten entziehen, sondern muss, bevor sie gem. § 138 Abs. 4 ZPO einen Vortrag mit Nichtwissen bestreiten kann, Informationen von den Personen einholen, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind, nicht jedoch von Vertragspartnern. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bestreiten mit Nichtwissen, Erkundigungspflichten, prozessuale Erklärungspflichten, arbeitsteilige Organisation
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 21.04.2021 – 18 O 17463/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 01.02.2023 – VII ZR 882/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 60894
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin vom 18.05.2021 gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 21.04.2021, Aktenzeichen 18 O 17463/19, wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das in Ziffer I. genannte Endurteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 28.114,77 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin macht Restwerklohn für Malerarbeiten in einem Bauvorhaben in M., das aus 15 einzelnen Reihenhäusern besteht, für Innen- und Außenarbeiten geltend.
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Hinsichtlich der weiteren Feststellungen wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Landgerichts München I vom 21.04.2021, Az.: 18 O 17463/19, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
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Mit Entscheidung vom genannten Tag wies das Erstgericht die Klage ab. Tragend stellte es dabei darauf ab, dass eine Auftragserteilung über die von der Beklagtenseite ursprünglich unstreitig beauftragten Leistungen hinaus von der Klägerin nicht substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt worden seien.
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Gegen dieses dem anwaltlichen Vertreter der Klägerin unter dem 22.04.2021 zugestellte Endurteil legte derselbe mit Schriftsatz vom 18.05.2021, beim Oberlandesgericht München eingegangen am 19.05.2021, Berufung ein (Bl. 99/100 d.A.), die er mit Schriftsatz vom 21.07.2021, beim Oberlandesgericht München eingegangen am gleichen Tag, begründete (Bl. 107/117 d.A.).
5
Die Klägerin argumentiert, nach Art und Weise der Kontaktaufnahme, der Begleitumstände des Vertragsschlusses und dessen Erweiterung durch Weisung sowie der von der Beklagten zu verantwortenden Änderung der Vergütung in Bezug auf Haus 15 und des Nebenauftrags stehe der Klägerin sehr wohl ein Vergütungsanspruch zu.
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Die Klägerin beantragt,
das am 21.04.2021 verkündete Urteil des Landgerichts München I, Az.: 18 O 17463/19, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 28.114,77 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 21.02.2017 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren von 1.141,90 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 21.02.2017 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 20.10.2021 (Bl. 129/132 d.A.) darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
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Hierauf hat die Klägerin unter dem 09.11.2021 (Bl. 133/137 d.A.) erwidert.
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Im Übrigen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.
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Die Berufung der Klägerin vom 18.05.2021 gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 21.04.2021, Aktenzeichen 18 O 17463/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
13
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 20.10.2021 (Bl. 129/132 d.A.) Bezug genommen.
14
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 09.11.2021 (Bl. 133/137 d.A.) geben zu einer Änderung keinen Anlass.
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Im Hinblick auf die genannte Stellungnahme ist ergänzend auf Folgendes hinzuweisen:
16
Soweit die Klägerin auf § 138 Abs. 4 ZPO hinweist, trifft es zu, dass eigene Handlungen oder Wahrnehmungen, hier des Geschäftsführers der Klägerin, nach § 138 Abs. 4 ZPO nicht mit Nichtwissen bestritten werden können. Hat die Partei keine aktuelle Kenntnis, muss sie sich, etwa durch Einsichtnahme in Aufzeichnungen, kundig machen (Zöller-Greger, ZPO, 33. Auflage 2020, § 138 ZPO Rn. 14; BGHZ 109, 205, 209; Lange NJW 1990, 3234). Die Beklagte kann sich nicht durch arbeitsteilige Organisation ihres Betätigungsbereichs ihren prozessualen Erklärungspflichten entziehen, sondern muss Informationen von den Personen einholen, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind (BGHZ 109, 205, 209; BGH NJW 1995, 130, 131). Allerdings muss sie sich, anders als die Klägerin meint, nicht bei Vertragspartnern erkundigen, sondern nur bei den bei ihr tätigen Personen, hier konkret bei Herrn V. und bei ihrem Bauleiter N. Die Beklagte hat im Übrigen auch (Klageerwiderung Bl. 27/31 d.A.) versucht, sich mit Herrn N. in Verbindung zu setzen – leider erfolglos. Damit hat sie alles in ihrer Macht stehende getan und durfte den Vortrag der Klägerin mit Nichtwissen in zulässiger Weise bestreiten.
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Richtig ist weiter, dass unstreitiger Sachvortrag in zweiter Instanz zu berücksichtigen ist (ZöllerHeßler, ZPO, 33. Auflage 2020, § 531 ZPO Rn. 20). Die Auftragserteilung ist aber gerade streitig, weil in zulässiger Weise bestritten (s. O.).
18
Das Erstgericht hat im Übrigen in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2020 (Bl. 55/58 d. A.) sehr wohl darauf hingewiesen, dass weder die Auftragserteilung selbst noch die Voraussetzungen einer Duldungsvollmacht substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt worden sind, ebenso, dass die Klägerin zu sämtlichen in Rechnung gestellten Stunden substantiiert einzeln vortragen muss. Die Rüge, das Erstgericht habe gegen § 139 ZPO verstoßen, entbehrt daher der Grundlage.
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Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 40, 48 GKG, 3 ff. ZPO.