Inhalt

LG München I, Beschluss v. 02.03.2021 – 12 O 24279/15
Titel:

Bestellung eines Prozesspflegers für eine nicht prozessfähige juristische Person als Klagepartei

Schlagwort:
Bestellung eines Prozesspflegers für eine nicht prozessfähige juristische Person als Klagepartei
Fundstelle:
BeckRS 2021, 60687

Tenor

Der Klägerin, die seit dem Tod ihres letzten Geschäftsführers am 25.02.2020 führerlos ist, wird in entsprechender Anwendung des § 57 Abs. 1 ZPO Rechtsanwalt L als Prozesspfleger bestellt.

Gründe

I.
1. Sachverhalt:
1
Mit Klage vom 31.12.2015, zugestellt am 30.03.2016, erhob die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die L GmbH Klage gegen den Beklagten wegen Schadensersatz und Feststellung aus abgetretenem Recht.
2
Geltend gemacht werden Ansprüche des Rechtsanwalts D (zugleich Drittwiderbeklagter zu 2) und seiner Ehefrau aufgrund eines Grundstücksgeschäfts.
3
Die Zedenten wollten in eine Hotelanlage kaufen und diese erweitern. Die Verkäufer unterzeichneten am 29.04.2004 ein unwiderrufliches Verkaufsangebot, das aus steuerlichen Gründen erst im Januar 2005 angenommen werden konnte (Anlage K1). Die Annahme des Kaufvertrags verzögerte sich wegen Differenzen über die Trinkwasserversorgung. Die Annahmefrist wurde wegen der laufenden Verhandlungen verlängert. Am 16.10.2006 erklärte der anwaltliche Vertreter der Verkäufer die Vergleichsgespräche für gescheitert. Daraufhin erhoben die Zedenten am 06.12.2006 Klage auf Übereignung des Anwesens Zug um Zug gegen Bezahlung des Kaufpreises von 1,2 Millionen. Am 29.01.2007 veräußerten die Verkäufer das Anwesen gegen einen Preis von 1,5 Millionen an den Beklagten mit der auflösenden Bedingung, dass die Zedenten vor Gericht scheiterten (Anlage K 15). Die Zedenten unterlagen im Prozess gegen den Verkäufer in mehreren Instanzen. Der Beklagte unterstützte den Verkäufer während der Prozesse u.a. durch Beauftragung eines Rechtsanwalts für den Prozess (Anlage K 20).
4
Am 30.12.2015 unterzeichneten D (Drittwiderbeklagter zu 2) und seine Ehefrau eine Abtretungsvereinbarung (Anlage K0), über „sämtliche Ansprüche, insbesondere Schadensersatzansprüche“ im Zusammenhang „mit der Verleitung zum Vertragsbruch … und Erschleichung der Urteile“ gegen den Beklagten an die L GmbH. Die Erklärung ist auf Seiten der L GmbH durch Frau S (mit Zusatz i.V.) unterzeichnet. Der Drittwiderbeklagte zu 1) (ehemaliger Geschäftsführer der L GmbH und Schwiegersohn des Dritwiderbeklagten zu 2) führte aus, dass es sich bei Frau S um eine Sekretärin des Drittwiderbeklagten zu 2) handelte.
2. Prozessuale Entwicklung:
5
Die Klägerin wurde im hiesigen Prozess zunächst durch D als Rechtsanwalt vertreten. Der Beklagte beantragte von Anfang an und immer wieder im Verfahren die Vorlage einer Prozessvollmacht und rügte einen Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO und §§ 2, 3 RDG wegen des Interessenkonflikts des Zedenten mit der Funktion als anwaltlicher Vertreter der Klagepartei und wegen verbotener Inkassotätigkeit und angeblicher Vermögenslosigkeit der Klägerin.
6
Vorgelegt wurde bisher mit Schriftsatz vom 12.09.2019 im Original eine Vollmacht des G (Vater des Drittwiderbeklagten zu 2, Anlage zu Bl. 358a der Akte) vom 19.09.2016, der ausweislich der weiter vorgelegten Unterlagen (Bl. 414 ff. d. A.) mit Wirkung zum 26.07.2016 zum neuen Geschäftsführer der L GmbH bestellt wurde, sowie mit Schriftsatz vom 11.11.2019 eine weitere Vollmacht des G vom 24.09.2019 für die jetzige Klägerin (nach Bl. 381 der Akte).
7
Mit Schriftsatz vom 04.07.2016 legte Rechtsanwalt D das Mandat nieder (Bl. 55 d. A.). Mit Schriftsatz vom 01.08.2016 (Bl. 58 d. A.) bestellte sich Rechtsanwalt – der Rechtsanwaltskanzlei – für die Klägerin. Die Klägerin und die Rechtsnachfolgerin werden seitdem von Rechtsanwalt … vertreten.
8
Im ersten angesetzten Verhandlungstermin vom 24.01.2017 erging gegen die Klägerin ein Versäumnisurteil. Im Einspruchstermin vom 04.07.2017 wurden umfangreiche Hinweise zur Rechtslage erteilt, nach denen die Klage teilweise unzulässig, im Übrigen aber unbegründet sei (Bl. 111/113 d. A.). Der Klagepartei wurde Schriftsatzfrist gewährt und Verkündungstermin zum 22.08.2017 anberaumt.
9
Seitdem kam kein Termin mehr zustande.
10
Der Verkündungstermin vom 22.08.2017 wurde wegen zweimaliger Verlängerung der Schriftsatzfrist für die Klagepartei und eines sodann gestellten Antrags auf Aussetzung des Verfahrens durch die Klagepartei nach § 149 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf ein Ermittlungsverfahren in – (K 38) dreimal verlegt und schließlich ein weiteres Mal um 3 Tage aus dienstlichen Gründen auf den 08.12.2017. Dieser Verkündungstermin wurde wegen eines am 07.12.2017 eingegangenen Befangenheitsantrag der Klägerin abgesetzt. Nach Ablehnung des Befangenheitsantrag wurde die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde durch das OLG München mit Beschluss vom 21.02.2018 (Bl. 187) zurückgewiesen.
11
Mit Hinweis vom 20.06.2018 (Bl. 204/206) äußerte das Gericht Bedenken im Hinblick auf die Abtretung der Forderung an die Klägerin. Ihr wurde eine Frist von 8 Wochen eingeräumt, um durch geeignete Unterlagen zu belegen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Abtretung über die notwendige Kapitalisierung bzw. Liquidität verfügte, um etwaige Kostenforderungen (angegebene Höhe von insgesamt 747.126,94 € durch 3 Instanzen) aufbringen zu können.
12
Diesen Hinweis nahm der Beklagte zum Anlass, um mit Schriftsatz vom 28.06.2018 (Bl. 207/221 d. A.) Drittwiderklagen gegen L (Drittwiderbeklagter zu 1) und D (Drittwiderbeklagter zu 2) zu erheben. Die Klagen werden unter anderem damit begründet, dass die L GmbH aufgrund ihrer finanziellen Ausstattung den vorliegenden Rechtsstreit gar nicht hätte aufnehmen dürfen. Die Klägerin sei zahlungsunfähig, was sich daraus ergebe, dass die Forderungen der Beklagtenseite aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen vom 12.07.2017 und 24.01.2017 (wegen des Versäumnisurteils) und 21.02.2018 (wegen Zurückweisung der Beschwerde gegen die Ablehnung des Befangenheitsantrags), insgesamt 35.794,02 € zuzüglich Zinsen (Forderungskonto B 16) nicht beigetrieben werden konnten. Er beantragte die Drittwiderbeklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Beklagten und Widerkläger 37.741,93 € zu bezahlen und festzustellen, dass die Drittwiderbeklagten verpflichtet sind, dem Beklagten als Gesamtschuldner auch die weiteren von der Klägerin zu erstattenden Kosten in diesem Rechtsstreit zu ersetzen (wegen des genauen Wortlauts wird auf den Antrag Bl. 207 f. d. A. verwiesen). Bisherige Zwangsvollstreckungsversuche gegen die Klägerin seien fehlgeschlagen (Bl. 211. Akte; Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 17.11.2017, Anlage B 13). Der Geschäftsführer der Klägerin, der Drittwiderbeklagte zu 1), habe im Rahmen der Zwangsvollstreckung geltend gemacht (Anlage B 14), dass er die GmbH nur treuhänderisch für den Drittwiderbeklagten zu 2) D halte, was sich aus dem Treuhandvertrag (Anlage B 15) ergebe. (Auf den Treuhandvertrag wird Bezug genommen). Daher hafte der Drittwiderbeklagte zu 2) gesamtschuldnerisch für die Kosten mit.
13
Der Drittwiderbeklagte zu 1) verteidigte sich damit, dass Frau S von ihm nicht bevollmächtigt worden sei, die Abtretung zu unterzeichnen. Er habe von dem ganzen Verfahren keine Kenntnis und er habe auch keinen Prozessauftrag erteilt. (Schriftsatz 03.08.2018, Bl. 239 ff.). Der Drittwiderbeklagte zu 2) gab an, dass die Klageerhebung durch einen Gesellschafterbeschluss durch ihn gedeckt sei, ebenso wie die Erteilung der Vollmacht, die höchst vorsorglich nachträglich genehmigt würde. Zum Beweis wurde die Aussage des Drittwiderbeklagten zu 2) angeboten (Bl. 269 d. A.).
14
Mit Schriftsatz vom 21.08.2018 beantragte der Klägervertreter die Aussetzung des Verfahrens, nachdem die Klägerin erloschen sei. Sie sei in zwei Schritten in die jetzige Klägerin (E LDA) übergeführt worden. Zum Nachweis der Umwandlung wurden der Formwechselbeschluss und Handelsregisteranmeldungen bzw. Handelsregisterauszug vorgelegt (Anlagen K 40, K 41, K 42, K 43). Daraufhin beantragte der Beklagtenvertreter, die beiden Drittwiderklagen abzutrennen (Schriftsatz vom 30.08.2018, Bl. 232/233 d. A.). Der bereits anberaumte Verhandlungstermin vom 09.10.2018 wurde wegen Aussetzung des Verfahrens abgesetzt (Beschluss vom 27.09.2018, Bl. 263/266 d. A.). Die dagegen gerichtete Beschwerde des Beklagten wurde durch Beschluss des OLG München vom 08.03.2019 zurückgewiesen (Bl. 321/328 d. A.). Daraufhin erhob der Beklagtenvertreter Gegenvorstellung und Gehörsrüge unter anderem mit dem Argument, dass sein Recht auf ein zügiges Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt sei (Schriftsatz vom 21.03.2019, 329/337 d. A.). Auch diese Rüge wurde vom OLG München mit Beschluss vom 28.03.2019 zurückgewiesen (Bl. 338/342 d. A.).
15
Aufgrund des Aufnahmeantrags des Beklagten vom 15.07.2019 wurde Termin zur mündlichen Verhandlung am 03.12.2019 anberaumt. Der Termin vom 03.12.2019 musste auf 07.04.2020 verlegt werden, weil zum 01.12.2019 ein Richterwechsel stattfand. Seitdem wird das Verfahren in der Kammer geführt. Der anberaumte Termin wurde am 25.03.2020 wegen der CoronaPandemie auf den 07.05.2020 verlegt. Mit Schriftsatz vom 21.11.2019 erhob der Beklagtenvertreter Verzögerungsrüge gemäß § 198 GVG (Bl. 387 d. A.).
16
Mit Schriftsatz vom 03.03.2020 teilte der Beklagtenvertreter mit, dass der Geschäftsführer der Klägerin am 25.02.2020 verstorben sei. Mit Schriftsatz vom 14.04.2020 bestätigte der Klägervertreter den Tod des bisherigen Geschäftsführers und beantragte erneut die Aussetzung des Verfahrens nach §§ 241, 246 Abs. 1 Satz 2 ZPO im Hinblick darauf, dass derzeit die Bestellung eines neuen Geschäftsführers vorbereitet werde. Daraufhin wurde das Verfahren mit Beschluss vom 21.04.2020 nach §§ 241, 246 Abs. 1 ZPO erneut ausgesetzt.
17
Mit Schriftsatz vom 30.04.2020 beantragte der Klägervertreter die Aufnahme des Verfahrens nach § 239 ZPO und wiederholte seinen bereits mehrfach gestellten Antrag, die Verfahren über die Drittwiderklagen abzutrennen. Außerdem erhob er erneut Verzögerungsrüge nach § 198 GVG (Bl. 464/467 d. A.).
18
Mit Verfügung vom 11.05.2020 wurden die Parteien darauf hingewiesen, dass das Gericht die Auffassung vertritt, dass eine getrennte Verhandlung über die Drittwiderklagen wegen der Gefahr widersprechender Entscheidungen nach seiner Auffassung nicht möglich ist. Dabei wurde Bezug genommen auf dem Beschluss des OLG München vom 08.03.2019 (Bl. 468/469 d. A.). Mit Schriftsatz vom 09.07.2020 wurde erneute Verzögerungsrüge gemäß § 198 GVG erhoben (488 d. A.).
19
Mit Schriftsatz vom 03.08.2020 wurde vom Klägervertreter mitgeteilt, dass davon ausgegangen werde, dass in den nächsten 4 bis 6 Wochen ein neuer Geschäftsführer bestellt werde (Bl. 492 d. A.). Daraufhin wurde mit Beschluss vom 06.08.2020 das Verfahren wieder aufgenommen und Termin zur mündlichen Verhandlung über die Frage der Wiederaufnahme anberaumt auf den 01.10.2020. Die Klagepartei wurde mit der Verfügung aufgefordert innerhalb einer Frist von 3 Wochen darzulegen und glaubhaft zu machen, welche Schritte sie unternommen hat, um einen neuen Geschäftsführer zu bestellen. Sie wurde außerdem aufgefordert, einen Erbschein und einen aktuellen Handelsregisterauszug der Klägerin vorzulegen. Der Beklagte teilte daraufhin mit, dass nach Mitteilung des Nachlassgerichts vom 05.08.2020 (Anlage B 32) Fraum M, Ehefrau des verstorbenen G dessen Alleinerbin geworden sei. Gegen den Beschluss zur Wiederaufnahme legte der Drittwiderbeklagten zu 2) in eigenem Namen und im Namen der Klägerin sofortige Beschwerde ein. Es wurde ein weiterer Termin auf den 29.10.2020 anberaumt. Zu beiden Terminen wurde das persönliche Erscheinen der Erbin des G angeordnet.
20
Mit Schriftsatz vom 15.09.2020 wurde durch den Klägervertreter mitgeteilt, dass der Erbin am 14.07.2020 der Erbschein erteilt worden sei. Sie habe sich zu diesem Zeitpunkt in … befunden und dort erfahren, dass sie ein europäisches Nachlasszeugnis benötige, um die Gesellschaftsanteile umschreiben lassen zu können. Diese Aussagen wurden glaubhaft gemacht durch eine eidesstattliche Versicherung des Drittwiderbeklagten zu 2) (Bl. 518 d. A.).
21
Mit Beschluss vom 22.09.2020 wurde der Wiederaufnahmebeschluss vom 06.08.2020 von Amts wegen aufgehoben, nachdem die Frage der verzögerten Aufnahme erst in einer mündlichen Verhandlung zu klären ist. Der sofortigen Beschwerde wurde nicht abgeholfen, nachdem der Drittwiderbeklagten zu 2) nicht postulationsfähig für die Klägerin war und seine Beschwerde nicht begründet wurde.
22
Mit Schriftsatz vom 30.09.2020, eingegangen und per Fax am 30.09.2020 um 15:45 Uhr, wurden die an dem Beschluss vom 22.09.2020 beteiligten Richter wegen Befangenheit abgelehnt. Deshalb wurde der am nächsten Tag, dem 01.10.2020 anberaumte Hauptverhandlungstermin unmittelbar vor dem Termin abgesetzt. Der Befangenheitsantrag wurde mit Beschluss vom 19.10.2020 zurückgewiesen. Der Termin vom 29.10.2020 wurde abgesetzt, weil am Terminstag die Rechtsmittelfrist gegen den Beschluss noch nicht abgelaufen war. Mit Schriftsatz vom 26.10.2020 teilte der Beklagtenvertreter mit, dass die ursprüngliche Klägerin, die L GmbH, zuletzt am ….2011 eine Bilanz veröffentlicht habe, aus der sich ergebe, dass keine Liquidität mehr vorhanden ist. Danach sei kein Jahresabschluss mehr veröffentlicht worden.
23
Am 10.12.2020 wurde Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 25.03.2021 anberaumt zur Verhandlung über die Wiederaufnahme des Verfahrens mit gegebenenfalls anschließendem Termin zur Verhandlung über die Hauptsache. In der Terminsverfügung wurden umfangreiche Hinweise zu den unterschiedlichen Möglichkeiten einer Wiederaufnahme bzw. Fortsetzung des Prozesses insgesamt sowie im Hinblick auf die erhobenen Drittwiderklagen erteilt (Bl. 622/625 d. A.). Die Klagepartei wurde noch einmal aufgefordert, unter Vorlage entsprechender Dokumente zur Glaubhaftmachung vorzutragen, wann genau die Erbin in Deutschland das Erbe angenommen hat und wann der Erbschein beantragt wurde und unter Bezugnahme auf den entsprechenden Schriftsatz des Drittwiderbeklagten zu 1) um Nachweise hinsichtlich der vorgenommenen Flugbuchungen durch die Erbin gebeten. Mit Verfügung vom 10.02.2021 wurden schließlich die Parteien darüber in Kenntnis gesetzt, dass das Gericht erwägt, der Klägerin in analoger Anwendung des § 57 ZPO einen Prozesspfleger zu bestellen (Bl. 666/668 d. A.).
II.
24
Der Klägerin war in analoger Anwendung des § 57 ZPO ein Prozesspfleger zu bestellen.
25
1. Die Möglichkeit, einen Prozesspfleger auch während eines laufenden Verfahrens zu bestellen, ist inzwischen allgemein anerkannt (Zöller/Vollkommer ZPO 26. Aufl. § 57 Rn. 3; Stein/Jonas/Bork ZPO 21. Aufl. § 57 Rn. 2; MünchKommZPO/Lindacher 1. Aufl. § 57 Rn. 8; LAG Niedersachsen 25.9.2006 – 4 Ta 328/06 – AE 2007, 96; OLG Stuttgart 12.7.1995 – 9 W 69/94 – MDR 1996, 198; OLG Köln 27.7.2005 – 19 W 32/05 – OLGR Köln 2005, 684; OLG Dresden 10.8.2005 – 2 U 290/05 – ZIP 2005, 1845).
26
2. Hier soll der Prozesspfleger zwar nicht für die Beklagtenseite, sondern für die Klagepartei bestellt werden.
27
a) Es gibt jedoch bereits Entscheidungen, in denen § 57 ZPO für einen prozessunfähigen Kläger angewandt wird. Dies wird damit begründet, dass Rechtsschutz nicht daran scheitern darf, dass auf andere Weise die Führung eines Prozesses nicht möglich ist (BAG, Urteil vom 28.05.2009, Az: 6 AZN 17/09, Rn. 12) .
28
b) Dies gilt auch hier. Die Interessenlage ist mit dem ausdrücklich in § 57 ZPO geregelten Fall vergleichbar. Mit dem Antrag, die Klage abzuweisen, ist der Antrag verbunden, der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Insoweit ist in jedem Verfahren die Beklagtenseite auch Anspruchsteller.
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Entgegen der Ausführungen des Klägervertreters existieren hier zudem auch bereits Kostenerstattungsansprüche des Beklagten aus diesem Verfahren gegen die Rechtsvorgängerin der Klägerin selbst, die bisher trotz Vollstreckungsmaßnahmen nicht realisiert werden konnten. Es handelt sich dabei um die Kostenerstattungsansprüche des Beklagten aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen vom 24.01.2017, 21.02.2018 und dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11.11.2019. Daraus kann nach Titelumschreibung auch gegen die jetzige Klägerin vollstreckt werden. Insgesamt belaufen sich diese Beschlüsse auf einen Betrag von rund 38.000,00 €. Außerdem hat weder die L GmbH noch ihre Rechtsnachfolgerin jemals den Auslagenvorschuss für die Klage einbezahlt. In der Akte befinden sich Vermerke der Landesjustizkasse Bamberg vom 18.09.2020 und vom 01.10.2020 (laufende Nummer IX, X, XI), dass Kosten in Höhe von 84.042,00 €, 3.384,08 € und 60,00 € gegenüber der Kostenschuldnerin E LDA nicht beigetrieben werden konnten, weil die Vollstreckung erfolglos bzw. aussichtslos sei.
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c) Außerdem können wegen der Aussetzung die Drittwiderklagen nicht fortgesetzt werden. Eine isolierte Entscheidung über die erhobenen Drittwiderklagen ist, wie bereits vom Landgericht und vom Oberlandesgericht (Beschluss vom 08.03.2019, Bl. 322 d. A.) entschieden, wegen des Sachzusammenhangs nicht möglich. Die Drittwiderbeklagten können denknotwendig nur verpflichtet werden, die dem Beklagten in diesem Prozess entstandenen Kosten zu erstatten, wenn die Klägerin den Prozess verliert. Die Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit der Klage ist mithin für die Entscheidung über die Drittwiderklagen vorgreiflich. Damit kann gemäß § 145 Abs. 2 ZPO eine Abtrennung der Drittwiderklage nicht erfolgen.
31
d) Zwar wird eingewandt, dass der Gesetzgeber die Prozessführung einer führungslosen GmbH bewusst nicht geregelt habe, weil sich im Aktivprozess dafür keine Notwendigkeit ergebe (Stephan/Tiefes in MüKo, GmbH-Gesetz, 3. Aufl. 2019, § 35 GmbHG, Rn. 247). Die oben unter b) und c) geschilderten Umstände wurden dabei jedoch nicht bedacht. In der Regel hat eine klagende juristische Person ein virulentes Interesse daran, den Zustand der Führerlosigkeit so schnell wie möglich zu beenden. Hier sind von Seiten des Beklagten und des Drittwiderbeklagten zu 1) jedoch stichhaltige Indizien dafür vorgetragen worden, dass dies vorliegend gerade nicht der Fall ist. Auch der Prozessverlauf spricht dafür. Seitdem der damals zuständige Richter im Termin vom 04.07.2017 Hinweise dazu erteilte, dass die Klage seiner Ansicht nach teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet sei, kam es zu keinem Termin mehr, was zu einem gewichtigen Teil auf zahlreiche Fristverlängerungs-, Aussetzungs- und kurzfristig gestellte Befangenheitsanträge von Seiten der Klagepartei zurückzuführen ist. Ein Bemühen der Klägerin, das Verfahren nach der Aussetzung zügig wieder aufzunehmen, ist nicht erkennbar, nachdem trotz mehrfacher Aufforderung und entsprechender Fristsetzung vom Klägervertreter bis heute nicht konkret vorgetragen wurde, wann die Erbin des letzten Gesellschafters und Geschäftsführers der Klägerin das Erbe angenommen und den Erbschein beantragt hat. Die eidesstattliche Versicherung des Drittwiderbeklagten zu 2) vom 15.09.2020 (Bl. 518 d. A.) soll nur den Sachvortrag im Schriftsatz des Klägervertreters vom 15.09.2020 (Bl. 514/515 d. A.) bekräftigen. Das ändert jedoch nichts daran, dass in dem Schriftsatz nicht angegeben wird, wann genau die Erbin den Erbschein beantragt hat und der fehlender Vorlage der weiter geforderten Unterlagen.
32
3. Es ist Gefahr im Verzug, nachdem von der Beklagtenseite und auch vom Drittwiderbeklagten zu 1) ein Vermögensverfall der Klägerin geltend gemacht wird. Die Klägerin ist diesem Vortrag jedenfalls nach den letzten Schriftsätzen der übrigen Prozessbeteiligten und auch nach dem entsprechenden Hinweis in der Verfügung vom 10.02.2021 nicht mehr entgegengetreten. Zudem ist von der Beklagtenseite vorgetragen, dass in diesem Verfahren eine vermögenslose Klagepartei von dem Drittwiderbeklagten zu 2) benutzt werde, um das Prozesskostenrisiko auf eine wirtschaftlich nicht leistungsfähige Partei zu verschieben. Dies wird von der Beklagtenpartei durch den unbestrittenen Vortrag belegt, dass seit dem Jahr 2012 keine Jahresabschlüsse der (ursprünglichen) Klägerin mehr im Bundesanzeiger veröffentlicht wurden. Die Klägerin hat in keinem einzigen Schriftsatz dazu Stellung genommen, warum die bisherigen Forderungen der Beklagtenseite nicht beglichen wurden. Es wurde auch keine hinreichenden Ausführungen dazu gemacht, wie die finanzielle Ausstattung der jetzigen Klägerin war oder ist. Die Tatsache, dass die jetzige Klägerin seit dem Tod des Geschäftsführers am 25.02.2019, also seit über einem Jahr, führerlos ist, begründet die Vermutung, dass eine Teilnahme am Geschäftsleben nur noch sehr eingeschränkt, wenn überhaupt möglich ist.
33
Demnach droht der Verlust der Prozessführungsbefugnis der Klägerin im Fall der Vermögenslosigkeit, was erneut die Aussetzung des Verfahrens zur Folge hätte. Mithin besteht eine ernste Gefahr für den Beklagten, seine behaupteten Ansprüche gegen die Drittwiderbeklagten durch die aufgrund der Aussetzung verursachte prozessuale „PattSituation“ nicht verfolgen zu können. Der Begriff „Gefahr in Verzug“ hat weder etwas mit dem Verzugsbegriff in § 286 BGB etwas zu tun, noch ist dafür ein Verschulden erforderlich. Es geht allein darum, dass die Gefahr besteht, dass der Beklagte seine bereits jetzt bestehenden finanziellen Ansprüche gegen die Klägerin und die behaupteten Ansprüche gegen die Drittwiderbeklagten nicht zeitnah verfolgen und gegebenenfalls durchsetzen kann.
34
Die Fortsetzung des Verfahrens ist dringlich, weil sonst der Justizgewährungsanspruch des Beklagten, der sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergibt, verletzt wäre. In diesem Verfahren hat seit dem Hauptverhandlungstermin vom 04.07.2017 kein einziger Termin mehr stattgefunden. Der Beklagte ist nunmehr bereits seit 5 Jahren einem Verfahren ausgesetzt, dessen Streitwert zunächst mit Beschluss vom 15.01.2016 (Bl. 17 d. A.) vorläufig auf 1.420.000 € und mit Beschluss vom 06.03.2018 (Bl. 191 d. A.) auf vorläufig 9.333.333,33 € festgesetzt wurde, wobei er seine Ansprüche aus den Drittwiderklagen nicht verfolgen kann.
35
4. Eine andere Möglichkeit, den Prozess zeitnah fortzusetzen, ist nicht ersichtlich.
36
a) Ursprünglich wurde mit Schriftsatz vom 03.08.2020 durch den Prozessbevollmächtigten der Klagepartei vorgetragen, dass innerhalb der nächsten vier bis sechs Wochen ein neuer Geschäftsführer bestellt werde. Nunmehr wird in Aussicht gestellt, dass die Erbin bis Anfang April 2021 geimpft und Ende April 2021 nach … fliegen werde, um die Geschäftsführerbestellung vorzunehmen. Eine Rückkehr der Erbin sei für Anfang Juli 2021 geplant, weshalb ein Termin nicht zuvor bestimmt werden solle. Damit wird eine weitere Verzögerung des Rechtsstreits um mehrere Monate in Aussicht gestellt.
37
b) § 239 ZPO ist nur für die Rechtsnachfolge nach dem Tod natürlicher Personen konzipiert. Vorliegend ist die Klagepartei nicht „verstorben“, sie ist nach dem Tod des Geschäftsführers handlungsunfähig und damit nicht prozessfähig. Die Erbin, Frau M, ist zwar Inhaberin der Klägerin geworden, aber nicht Geschäftsführerin. Nachdem es keine handlungsbefugte Person gibt, könnte ihr auch keine Ladung nach § 239 Abs. 2 ZPO zugestellt werden.
38
c) Auch eine Wiederaufnahme nach § 241 ZPO kommt nicht in Betracht. Dies setzt voraus, dass die Gegenseite die Absicht, das Verfahren fortzusetzen, dem Gericht anzeigt, was hier erfolgt ist, und die Anzeige dem neuen Vertreter der vormals prozessunfähigen Partei zugestellt wird. Letzteres setzt voraus, dass die Zustellung an den wahren gesetzlichen Vertreter bewirkt wird, weil nur er zur Vertretung legitimiert ist (BGH, Urteil vom 24 9. 1982, Az.: V ZR 188/79, vgl. auch Stackmann in MüKo, ZPO, 6. Aufl., § 241 Rn. 16). Die Erbin der Gesellschaft ist dies nicht.
39
d) Die Bestellung eines Notvertreters gemäß § 29 BGB kommt nach allgemeiner Meinung zwar nicht nur im Vereinsrecht, sondern auch für andere juristische Personen in Betracht (Palandt, 80. Aufl., § 29, Rn. 1). Jedoch ist der Antrag bei dem Familiengericht zu stellen, bei dem die Betroffene juristische Person ihren Sitz hat. Derzeit ist der Sitz der Klägerin in Portugal. Damit kann die Bestellung eines Notvertreters ebenfalls nicht zeitnah erfolgen. Im Übrigen nimmt der Notvertreter alle Rechtsgeschäfte für die juristische Person war, für die er bestellt ist. Damit wäre der Eingriff deutlich weitergehend, als bei der Bestellung eines Prozessvertreters, der nur zur Wahrnehmung der Interessen der Klagepartei im Prozess bestellt und dessen Tätigkeit beendet wird, wenn ein neuer Geschäftsführer bestellt wird.
40
e) Die Bestellung eines Prozess- und Verfahrenspfleger als kurzzeitigen Vertreter der Klagepartei bis zur Bestellung eines neuen Geschäftsführers erscheint in der vorliegenden Situation daher einerseits notwendig und andererseits aber auch als das mildeste Mittel. Die Entscheidung darüber kann selbstredend während der Unterbrechung erfolgen, weil sie nicht „in Ansehung der Hauptsache“ erfolgt, sondern den rechtlichen Stillstand beendet. Dem zur Vertretung bereiten Prozesspfleger kann dann der vom Beklagtenvertreter gestellte Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 241 ZPO zugestellt werden.
41
f) Der erforderliche Antrag auf Wiederaufnahme wurde vom Beklagtenvertreter im Schriftsatz vom 21.12.2020 (Bl. 627 d. A.) gestellt. Die Beklagtenpartei hat ihr rechtliches Ziel in Form der von ihm schon vielfach beantragten Fortsetzung des Verfahrens abermals bekräftigt.
III.
42
1. Als Prozesspfleger wurde Rechtsanwalt … ausgewählt, nachdem weder von Rechtsanwalt …, noch von der Erbin der klägerischen Gesellschaft innerhalb der gesetzten Frist die Bereitschaft erklärt wurde, dieses Amt zu übernehmen. Rechtsanwalt L berät Geschäftsführer und Vorstände und ist auch als Nachlasspfleger tätig. Es wird daher davon ausgegangen, dass er über genügend Erfahrung verfügt, sich relativ schnell mithilfe der Erbin und des Klägervertreters in die Materie einzuarbeiten.
43
2. Der bestellte Prozesspfleger wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von 2 Wochen zu erklären, ob er zur Übernahme der Pflegschaft bereit ist.
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Die Vergütung erfolgt nach dem RVG (Zöller, 33. Aufl., § 57 Rn. 8).
45
Der Prozesspfleger wird darauf hingewiesen, dass die Alleinerbin der klägerischen Gesellschaft für Ende April einen Flug nach … gebucht hat und beabsichtigt frühestens am 03.07.2021 aus … zurückzukehren. Für weitere Auskünfte steht auch der Klägervertreter zur Verfügung, der die Klagepartei seit August 2016 vertritt. Zudem kann Akteneinsicht beantragt werden.
IV.
46
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (vgl. BGH, Beschluss vom 22.6.2016 – XII ZB 142/15).