Titel:
Widerspruchsbescheid, Grundsicherung, Leistungen, Bescheid, Anfechtungsklage, Arbeitsuchende, Frist, Zugang, Klage, Klagefrist, Post, Form, Bekanntgabe, Darlegung, Leistungen der Grundsicherung, substantiierte Darlegung, der Grundsicherung
Schlagworte:
Widerspruchsbescheid, Grundsicherung, Leistungen, Bescheid, Anfechtungsklage, Arbeitsuchende, Frist, Zugang, Klage, Klagefrist, Post, Form, Bekanntgabe, Darlegung, Leistungen der Grundsicherung, substantiierte Darlegung, der Grundsicherung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 60598
Tenor
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 10.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.08.2019 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich im Hauptsacheverfahren gegen einen Bescheid, mit dem der Beklagte vorläufig bewilligte Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) abschließend festsetzte.
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Mit Bescheid vom 10.07.2019 stellte der Beklagte abschließend fest, dass für den Bewilligungszeitraum von März bis August 2018 ein Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht bestanden habe. Es sei eine Überzahlung in Höhe von 3.224,40 € entstanden. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.08.2019 zurückgewiesen. Der Widerspruch wurde ausweislich des darauf angebrachten Vermerks am 13.08.2019 abgesandt.
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Mit Schreiben vom 30.09.2019, beim Sozialgericht Würzburg eingegangen am 04.10.2019, hat der Kläger Klage gegen diesen Widerspruchsbescheid erhoben. Er wende sich etwas verspätet an das Gericht, da er längere Zeit verreist gewesen sei; hier bitte er um Verständnis und Kulanz. Er habe Nachweise in Form von Kontoauszügen nicht erbringen können, da er Probleme mit seinem Online-Konto gehabt habe. Auch habe er sich einige Zeit in Urlaub befunden. Das erhaltene Geld sei nicht zu Unrecht ausgezahlt worden. Der Beklagte könne den genauen Zugang des Widerspruchsbescheides nicht beweisen. Die Dreitagesfiktion greife vorliegend nicht.
den Bescheid vom 10.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.08.2019 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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Die Klage sei verfristet.
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In der nichtöffentlichen Sitzung vom 29.06.2020 ist die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert worden. Dort gab die Vertreterin des Beklagten auf Nachfrage unter anderem an, dass der Widerspruchsbescheid am 13.08.2019 der Post übergeben worden bzw. bei der Post aufgegeben worden sei.
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Mit Beschluss der erkennenden Kammer vom 07.07.2020 ist das Prozesskostenhilfegesuch des Klägers abgelehnt worden. Mit Schreiben vom 08.07.2020 hat der Kläger einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden der erkennenden Kammer gestellt, der mit Beschluss vom 22.07.2020 unter dem Aktenzeichen zurückgewiesen worden ist. Mit Schriftsatz vom 16.11.2021 hat der Kläger einen weiteren Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden der erkennenden Kammer gestellt, der mit Beschluss vom 01.12.2021 unter dem Aktenzeichen S 6 SF 81/21 AB erneut zurückgewiesen worden ist.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verfahrensakte des Beklagten im vorliegenden Verfahren verwiesen. Diese waren alle Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unzulässig, da sie verfristet ist.
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1. Streitgegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 10.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.08.2019, mit dem der Beklagte abschließend feststellte, dass für den Bewilligungszeitraum von März bis August 2018 kein Leistungsanspruch des Klägers bestanden hat.
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2. Die so verstandene (§ 123 SGG) – gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 SGG als Anfechtungsklage grundsätzlich statthafte – Klage ist unzulässig, weil die einmonatige Klagefrist des § 87 SGG nicht eingehalten wurde. Nach § 87 Abs. 1 S. 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben, wobei diese Frist gemäß § 87 Abs. 2 SGG mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids beginnt, wenn – wie vorliegend – ein Vorverfahren stattgefunden hat.
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a) Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrungversehene Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger hier durch einfachen Brief bekanntgegeben. Der Widerspruchsbescheid Bescheid gilt dann nach § 37 Abs. 2 SGB X am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er gar nicht oder später zugegangen ist, was vom Kläger selbst jedoch gar nicht bzw. nur unsubstantiiert bestritten wird.
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Macht der Empfänger eines einfachen Briefes nur dessen verspäteten Zugang geltend, erfordert das die substantiierte Darlegung von Tatsachen, aus denen schlüssig die nicht entfernt liegende Möglichkeit hervorgeht, dass ein Zugang des Verwaltungsakts erst nach dem von § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X vermuteten Zeitpunkt erfolgte. Dadurch, dass der Empfänger nur vage, unsubstantiierte Angaben macht bzw. ohne weitere Angaben bestreitet, ist die Vermutung des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X noch nicht widerlegt (Engelmann in: von Wulffen/Schütze, SGB X [9. Aufl. 2020], § 37 Rn. 33; Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X [2. Aufl. 2017], § 37 Rn. 106 jeweils m.w.N.). So liegt der Fall hier.
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Der Zugang als solcher wird vom Kläger nicht bestritten. Der Vortrag des Klägers, „er habe den Widerspruchsbescheid erst in der zweiten Monatshälfte September 19 erhalten“ (Schriftsatz vom 28.06.2020), kann die Vermutung des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X nicht widerlegen. Diese vagen und unsubstantiierten Angaben können nicht zu Zweifeln an der gesetzlichen Vermutungsregelung führen. Aus dem Vortrag geht noch nicht einmal hervor, an welchem Tag genau der Widerspruchsbescheid tatsächlich zugegangen ist.
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Demgegenüber hat die erkennende Kammer keine Zweifel daran, dass der streitgegenständliche Widerspruchsbescheid auch tatsächlich am 13.08.2019 bei der Post aufgegeben wurde. Die Vertreterin des Beklagten, die auch die Verfasserin dieses Widerspruchsbescheids ist, hat in der nichtöffentlichen Sitzung vom 29.06.2020 angegeben, dass der sich auf dem Widerspruchsbescheid befindliche Absendevermerk von ihr selbst sei und der Widerspruchsbescheid an diesem Tag der Post übergeben worden bzw. bei der Post aufgegeben worden sei. Die Post werde in einer Plastikwanne gesammelt, die Wanne sodann versiegelt und der Post übergeben. Sie könne sich daran erinnern, dass sie den streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid am 13.08.2019 vor 11.00 Uhr in die Wanne gelegt habe, da die Wanne immer um 11.00 Uhr zur Post gegeben werde und alle danach in die Wanne eingelegten Bescheide bereits das Datum des Folgetages tragen würden. Sie könne sich deswegen noch an den streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid erinnern, weil sie zuvor mit dem für die Selbständigen zuständigen Sachbearbeiter Rücksprache dahingehend gehalten habe, ob noch weitere Unterlagen vorlägen.
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Für die erkennende Kammer besteht kein Anlass, an diesen glaubhaften Ausführungen der Vertreterin des Beklagten zu zweifeln. Sie sind konkret, nachvollziehbar, in sich widerspruchsfrei und daher überzeugend. Für die erkennende Kammer steht damit zu ihrer vollen Überzeugung fest, dass der Widerspruchsbescheid vom 13.08.2019 am 13.08.2019 bei der Post aufgegeben wurde.
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Damit ist der Anwendungsbereich der Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X eröffnet (Engelmann in: von Wulffen/Schütze, SGB X [9. Aufl. 2020], § 37 Rn. 29; Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X [2. Aufl. 2017], § 37 Rn. 97; BayLSG, Urteil vom 11.06.2015 – L 10 AL 159/14 – Rn. 15). Der Widerspruchsbescheid vom 13.08.2019 galt daher am 16.08.2019 als bekannt gegeben. Somit endete die Klagefrist nach § 64 Abs. 2 SGG mit Ablauf des 16.09.2019. Die am 04.10.2019 erhobene Klage ist somit verfristet.
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b) Wiedereinsetzungsgründe nach § 67 SGG wurden weder geltend gemacht, noch sind solche für die erkennende Kammer ersichtlich. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Dies setzt voraus, dass der Beteiligte diejenige Sorgfalt gewahrt hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist. Die Versäumnis der Frist muss bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein. Das Vergessen einer fristwahrenden Handlung begründet in der Regel ein Verschulden. Auch eine juristisch nicht geschulte Privatperson hat eine Sorgfaltspflicht, muss die Rechtsbehelfsbelehrungbeachten und sich notfalls sachkundig beraten lassen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [13. Aufl. 2020], § 67 Rn. 3 ff. m.w.N.).
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Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die vom Kläger vorgetragene längere Urlaubszeit nicht geeignet, sein Verschulden beim Versäumen der Klagefrist auszuräumen. Vielmehr hätte er bei längerer Abwesenheit Vorsorge für den Erhalt fristauslösender Schriftstücke wie den streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid treffen müssen, zumal er aufgrund des laufenden Widerspruchsverfahrens mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides rechnen musste.
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Der streitgegenständliche Bescheid vom 10.07.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.08.2019 ist daher nach § 77 SGG in der Sache für die Beteiligten und das Gericht bindend, d.h. bestandskräftig, geworden. Damit besteht eine bestandskräftige Hauptsacheentscheidung.
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Die Klage war daher nach alledem in vollem Umfang abzuweisen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.