Inhalt

VGH München, Beschluss v. 18.11.2021 – 20 CS 21.2521
Titel:

Lebensmittelrechtlicher Rückruf, Arzneimittel nach der Funktion

Normenketten:
LFGB § 39 Abs. 2
VO (EU) 2017/625 Art. 138 Abs. 1, 2 Buchst. g
Schlagworte:
Lebensmittelrechtlicher Rückruf, Arzneimittel nach der Funktion
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 14.09.2021 – M 26b S 21.3863
Fundstelle:
BeckRS 2021, 60573

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Antragsgegnerin dringt mit dem Vorbringen ihrer Beschwerde, an das der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Beschwerdeverfahren grundsätzlich gebunden ist, im Ergebnis nicht durch. Nach der im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 1 VwGO nur möglichen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage wird diese voraussichtlich Erfolg haben (§§ 113 Abs. 1 Satz 1, 80 Abs. 5 VwGO), da die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des § 39 Abs. 2 LFGB, Art. 138 Abs. 1, 2 Buchst. g VO (EU) 2017/625 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1, 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 178/2002 (Basis-VO) nicht vorliegen. Bei dem streitgegenständlichen Produkt handelt es sich schon nicht um ein Lebensmittel im Sinne des Art. 2 Basis-VO.
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Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Der Verwaltungsgerichtshof hat – unter Zugrundelegung des Beschwerdevorbringens, auf das sich die Prüfung des Senats grundsätzlich beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) – bei seiner Entscheidung eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren wesentlich zu berücksichtigen, soweit sie bereits überschaubar sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, ist regelmäßig die aufschiebende Wirkung anzuordnen (BayVGH, B.v. 27.3.2019 – 8 CS 18.2398 – ZfB 2019, 202 = juris Rn. 25 m.w.N.).
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Der Bescheid erweist sich voraussichtlich als rechtswidrig. In dieser Fallkonstellation ist für den Eintritt der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit der Anordnung (Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Buchst. a der VO (EG) Nr. 178/2002 in Verbindung mit § 39 Abs. 7 LFGB) kein Raum.
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Wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat, spricht bei summarischer Prüfung Überwiegendes dafür, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt, das eine empfohlene Tagesdosierung von 306 mg Alpha – Liponsäure (ALA) enthält, um ein Arzneimittel im Sinne des Art. 2 Abs. 3 Buchst. d VO (EG) Nr. 178/2002 und damit nicht um ein Lebensmittel nach Art. 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 178/2002 handelt. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Einordnung als Funktionsarzneimittel zieht die Beschwerde weder in Zweifel noch sind solche sonst ersichtlich. Der angefochtene Bescheid kann nicht auf die Rechtsgrundlage des § 39 Abs. 2 LFGB, Art. 138 Abs. 1, 2 Buchst. g VO (EU) 2017/625 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1, 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 178/2002 (Basis-VO) gestützt werden (1.). Auch § 5 Abs. 2 Nr. 2 LFGB kommt hierfür nicht in Betracht, da diese Norm auf Arzneimittel keine Anwendung findet (2.). § 69 Abs. 1 AMG scheidet ebenfalls aus, da nicht die Antragsgegnerin, sondern nach § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten der Arzneimittelüberwachungsbehörden und zum Vollzug des Samenspenderregistergesetzes sowie des Gendiagnostikgesetzes (Arzneimittelüberwachungszuständigkeitsverordnung – ZustVAMÜB, GVBl. 2013, 586) die Regierung von Oberbayern sachlich zuständig wäre (3.).
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1. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich kein Anhaltspunkt entnehmen, der die rechtliche Bewertung des streitgegenständlichen Produkts durch das Verwaltungsgericht erschüttern könnte. Vielmehr geht das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in seiner Stellungnahme, die sich die Antragsgegnerin zu eigen macht, selbst davon aus, dass das Produkt die Eigenschaften eines Funktionsarzneimittels im Sinne des Art. 2 Abs. 3 Buchst. d der Basis-VO in Verbindung mit Art. 1 Nr. 2 Buchst. b RL 2001/83/EG in der Fassung der Verordnung (EU) 2019/1243 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 (ABl L 198 S. 241) hat.
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a. Die gesetzliche Definition des Funktionsarzneimittels ergibt sich gemäß Art. 128 Satz 2 der RL 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes Humanarzneimittel (ABl. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) aus deren Art. 1 Nr. 2 Buchst. b in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004 (ABl Nr. L 136 S. 34) (vgl. EuGH, U.v. 3.10.2013 – C 109/12 – juris; BVerwG; U.v. 7.11.2019 – 3 C 19.18 – LMuR 2020, 170, Rn. 12.; OVG Lüneburg, U.v. 29.9.2021 – 13 LB 31/14 – BeckRS 2021, 30597 Rn. 42). Arzneimittel nach der Funktion sind nach Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der RL 2001/83/EG in der Fassung der RL 2004/27/EG alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet werden oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen. Nach der Rechtsprechung des EuGH hat die zuständige Behörde die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des Arzneimittels nach der Funktion im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der RL 2001/83/EG fällt, von Fall zu Fall zu treffen und dabei alle Merkmale des Erzeugnisses, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften – wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen –, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, zu berücksichtigen (vgl. EuGH, U.v. 3.10.2013 – C-109/12 – MPR 2013, 199 Rn. 42; EuGH, U.v. 15.1.2009 – C 140/7 – PharmR 2009, 122 Rn. 31ff.; BVerwG, U.v. 7.11.2019 – 3 C 19.18 – LMuR 2020, 170 Rn. 17, jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).
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b. Weder die Antragsgegnerin noch die Antragstellerin stellen in Abrede, dass das streitgegenständliche Produkt eine pharmakologische Wirkung im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Buchst. b RL 2001/83/EG hat, die auf wissenschaftlicher Grundlage festgestellt wurde. Die Antragsgegnerin geht nach eigenem Vorbringen unter Bezugnahme auf das vom Verwaltungsgericht zum Gegenstand des Verfahrens gemachte Urteil des VG Köln vom 5. August 2014 (7 K 5469/12) und den daran anschließenden Beschluss des OVG NRW vom 27. Januar 2015 (13 A 1872/14 – jeweils juris) davon aus, dass die in dem dort streitgegenständlichen Produkt enthaltene ALA in einer Dosierung von 300 mg geeignet sei, die bei diabetischer Polyneuropathie auftretenden Missempfindungen nennenswert zu beeinflussen, ihr also pharmakologische Wirkung zukomme. Nach der Aufbereitungsmonografie der Kommission B des damaligen Bundesgesundheitsamtes vom 3. November 1990 könne die orale Gabe von ALA in einer Dosierung von 300 – 600 mg am Tag hierfür wirksam sein. Bei der genannten Aufbereitungsmonographie handele es sich um eine belastbare wissenschaftliche Grundlage.
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c. Die Beschwerdebegründung geht rechtsfehlerhaft davon aus, dem streitgegenständlichen Produkt fehle nur deshalb die Arzneimitteleigenschaft im Sinne des Art. 1 Nr. 2 des Gemeinschaftskodexes in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31. März 2004, weil es ohne Angabe einer krankheitsbezogenen Zweckbestimmung in Verkehr gebracht werde.
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Das Merkmal der krankheitsbezogenen Zweckbestimmung ist jedoch kein geeignetes Abgrenzungskriterium für die Frage, ob es sich bei einem Produkt um ein Lebensmittel in der Form eines Nahrungsergänzungsmittels (§ 1 NemV) oder um ein Arzneimittel handelt. Die Angabe einer krankheitsbezogenen Wirkung hat lediglich Relevanz für die Einordnung eines Erzeugnisses als Präsentationsarzneimittel nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der RL 2001/83/EG (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht/VO (EU) Nr. 178/2002 (Basis-VO) Art. 2 Rn. 78). Präsentationsarzneimittel sind alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind. Ein Produkt erfüllt die Merkmale eines Präsentationsarzneimittels, wenn es entweder ausdrücklich als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten bezeichnet oder empfohlen wird oder wenn sonst bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass das Produkt in Anbetracht seiner Aufmachung die betreffenden Eigenschaften haben müsse (EuGH, U.v. 15.11.2007 – C-319/05 – EuZW 2008, 56 (Knoblauchpräparat); BVerwG, U.v. 19.11.2014 – BVerwG 3 C 27.13, juris Rn. 22 (E-Zigarette)). Da dem streitgegenständlichen Erzeugnis vorliegend keine krankheitsbezogene Zweckbestimmung gegeben wurde, handelt es sich nicht um ein Präsentationsarzneimittel, wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen.
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d. Soweit mit der Beschwerdebegründung am Beispiel der Wirkung von Kamillentee ausgeführt wird, ein und derselbe Stoff könne je nach Anwender als Arznei- oder als Lebensmittel eingeordnet werden, wirft sie die Frage des therapeutischen Nutzens eines Erzeugnisses auf. Dieser ist jedoch für die Frage, ob ein Produkt dem Regime des Lebens- oder Arzneimittelrechts unterworfen werden soll, ohne Belang. Die therapeutische Wirksamkeit kann für ein Produkt nicht abstrakt, sondern nur bezogen auf ein oder mehrere Krankheitsbilder und den insoweit erstrebten Heilungs- oder Linderungserfolg beurteilt werden (OVG Lüneburg, U.v. 29.9.2021 – 13 LB 31/14- BeckRS 2021, 30597 Rn. 54 m.w.N.; BVerwG, U. v. 1.12.2016 – 3 C 14.15 – BVerwGE 156, 354 Rn. 19 sowie 24; BVerwG, U. v. 7.11.2019 – 3 C 19.18 – LMuR 2020, 170). Daher besteht kein über die allgemeine pharmakologische Wirksamkeit hinausgehendes Erfordernis einer therapeutischen Wirksamkeit, um ein Erzeugnis als Funktionsarzneimittel einzuordnen. Zudem stammt der Begriff der therapeutischen Wirksamkeit nicht aus der Definition des Funktionsarzneimittels, sondern aus den Regelungen über die Zulassung eines Arzneimittels (vgl. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Satz 3 AMG und Erwägungsgrund 7, Art. 26 Abs. 1 Buchst. b der RL 2001/83/EG (BVerwG, U. v. 7.11.2019 – 3 C 19.18 – a.a.O.)). Der auf Grund eines Vorlagebeschlusses des BVerwG an den EuGH ergangenen Rechtsprechung lässt sich auch nicht entnehmen, dass der EuGH über das Vorliegen einer pharmakologischen Wirkung hinaus für die Entscheidung, ob es sich bei einem Erzeugnis um eine Arznei- oder um ein Lebensmittel handelt, auf den therapeutischen Nutzen abstellt (vgl. BVerwG, B.v. 14.12.2006 – 3 C 38.06 – juris Rn. 31 (Red Rice); EuGH, U.v. 15.1.2009 – C 140/07 – PharmR 2009, 122; BVerwG, U.v. 26.5.2009 – 3 C 5/09 – LMuR 2009, 126; EuGH, U.v. 10.7.2014 – C 358/13 und C 181/14 – EuZW 2014, 742).
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e. Zwar hat das BVerwG in seinem Urteil vom 7. November 2019 (3 C19.18 – LMuR 2020, 170) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH zum Arzneimittelbegriff entschieden, dass auch die Annahme einer nennenswerten Wirkung auf die physiologischen Funktionen (in der Regel also die pharmakologische Wirkung) nicht zwangsläufig die Arzneimitteleigenschaft eines Stoffes bedingt (EuGH, U.v. 15.1.2009 – C 140/07; vom 30.4.2009 – C 27/08; vom 6.9.2012 – C 308/11). Vielmehr sind zusätzlich etwa auch mögliche Gesundheitsrisiken als eigenständiger Faktor zu berücksichtigen. Den möglichen Gesundheitsrisiken kommt besonderes Gewicht dann zu, wenn die Auswirkungen eines Erzeugnisses auf die physiologischen Funktionen im Grenzbereich zwischen Nahrungsergänzungsmittel- und Arzneimitteleigenschaft liegen (EuGH, U.v. 9.6.2005 – C 211/03). Auf diese Frage kommt es für das vorliegende Beschwerdeverfahren jedoch nicht maßgeblich an. Wegen der Vergleichbarkeit der Produkte in Zusammensetzung und Dosierung des Inhaltsstoffes Alpha – Liponsäure spricht im Eilverfahren viel dafür, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Erzeugnis aufgrund seiner pharmakologischen Wirksamkeit um ein Funktionsarzneimittel handelt, auch wenn die produktbezogene Bindungswirkung der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), mit welcher insgesamt zur Herbeiführung der Rechtsklarheit ein einheitlicher Vollzug des AMG bei den einzelnen Landes-Vollzugsbehörden in diesen Grundsatzfragen gewährleistet und damit sich widersprechende Entscheidungen der Landesbehörden für identische Sachverhalte vermieden werden sollen (vgl. hierzu Winnands in Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Auflage 2016, § 21 Rn. 96 und BT-Drs. 13/9996, S. 21; BT-Drs. 13/88; Rehmann, AMG, 5. Aufl. 2020, § 21 Rn. 16) aufgrund der Produktverschiedenheit nicht eingetreten sein dürfte. Gestützt wird diese Annahme letztlich auch durch die im Verfahren seitens der Antragsgegnerin geltend gemachten gesundheitlichen Risiken von Alpha Liponsäure, die es gerade wegen der potentiell gesundheitsschädlichen Wirkung rechtfertigen können, die Marktfreigabe für diesen Stoff nur dann zu erteilen, wenn im Rahmen der Prüfung der therapeutischen Wirksamkeit im Zulassungsverfahren aufgrund einer Abwägung entschieden wird, unter welchen Voraussetzungen die Gesundheitsrisiken (im Sinne arzneilicher Nebenwirkungen) angesichts eines therapeutischen Nutzens der Substanz für bestimmte Krankheitsbilder hingenommen werden können. In einer Situation, in der vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit eines pharmakologisch wirksamen Erzeugnisses bestehen, ist es deshalb gerechtfertigt, es dem arzneimittelrechtlichen Regelungsregime zu unterwerfen (BVerwG, U.v. 7.11.2019 – 3 C 19.18 – LMuR 2020, 170 – Rn. 33; zum unionsrechtlichen Vorsorgegrundsatz, der Schutzmaßnahmen auch gegen potentielle Gesundheitsgefahren ermöglicht vgl. EuGH, U.v. 3.12.2015 – C-82/15 P – BeckRS 2015, 81898 Rn. 21).
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2. Entgegen der Auffassung im Beschwerdevorbringen trägt auch § 5 Abs. 2 Nr. 1 LFGB nicht die streitgegenständliche Anordnung. Die Norm ist ihrem Wortlaut nach nur anwendbar auf Stoffe, die keine Lebensmittel sind, aber als Lebensmittel in Verkehr gebracht werden. Nach Art. 2 Abs. 1 Basis-VO sind im Sinne dieser Verordnung „Lebensmittel“ alle Stoffe und Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeiteten oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 Basis-VO nach fallen unter den Lebensmittelbegriff auch Arzneimittel, da dies Stoffe sind, die zur Aufnahme durch den Menschen bestimmt sind. Art. 2 Abs. 3 Buchst. d Basis-VO nimmt Arzneimittel aber aus dem Anwendungsbereich des Lebensmittelrechts aus und unterstellt sie dem Regime des Arzneimittelrechts. Daran wird deutlich, dass die Frage, ob es sich bei einem Stoff um ein Lebensmittel oder um ein Arzneimittel handelt, nach dem Willen des Verordnungsgebers nicht offen bleiben kann mit der Folge, dass bei einer festgestellten Gesundheitsschädlichkeit nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. a der Basis-VO jedenfalls eine lebensmittelrechtliche Anordnung aufgrund einer Allzuständigkeit der Lebensmittelbehörde ergehen könnte. Diese Frage muss die Behörde vor Erlass einer lebensmittelrechtlichen Anordnung klären. Sie darf nur für den Fall der positiv festgestellten Lebensmitteleigenschaft eine solche erlassen. Voraussetzung der Anwendbarkeit des § 5 Abs. 2 Nr. 1 LFGB ist also, dass es sich um Stoffe handelt, die schon nicht die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 Basis-VO erfüllen, also um Stoffe, die nicht zum menschlichen Verzehr bestimmt sind. Dies ist bei Arzneimitteln gerade nicht der Fall (vgl. Nomos-BR/Boch, LFGB, 8. Aufl. 2019, § 5 Rn. 18; Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand März 2021, § 5 LFGB Rn. 13).
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3. § 69 Abs. 1 Satz 2 AMG als Rechtsgrundlage kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Antragsgegnerin für den Erlass einer arzneimittelrechtlichen Anordnung sachlich nicht zuständig wäre. Nach § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten der Arzneimittelüberwachungsbehörden und zum Vollzug des Samenspenderregistergesetzes sowie des Gendiagnostikgesetzes (Arzneimittelüberwachungszuständigkeitsverordnung – ZustVAMÜB, GVBl. 2013, 586) ist für Anordnungen auf dem Gebiet des Arzneimittelrechts die Regierung von Oberbayern sachlich zuständig.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Für die Festsetzung eines vom Auffangstreitwert abweichenden Streitwertes ergeben sich aus den Akten keine Anhaltspunkte. Der Streitwert der Hauptsache war nach § 52 Abs. 2 GKG für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.