Inhalt

OLG München, Beschluss v. 23.02.2021 – 3 U 5553/20
Titel:

Schadensersatzanspruch aus Beteiligungen am grauen Kapitalmarkt 

Normenketten:
ZPO § 522 Abs. 2
BGB § 425
Leitsatz:
Ein Zinsausfallschaden ist nur dann zu gewähren, wenn der Anleger darlegt, für welche Anlage er sich bei Nichtabschluss der streitbefangenen Anlage entschieden hätte. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
grauer Kapitalmarkt, Zurückweisung, keine Aussicht auf Erfolg, Darlegungs- und Beweislast, entgangener Gewinn
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 25.11.2020 – 3 U 5553/20
LG Landshut, Endurteil vom 14.08.2020 – 22 O 249/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 01.12.2022 – III ZR 229/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 60361

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 14.08.2020, Aktenzeichen 22 O 249/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Die Gegenvorstellung vom 28.12.2020 gegen die Zurückweisung des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Beschluss vom 25.11.2020 wird zurückgewiesen.
4. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Landshut ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 95.070,91 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Landshut vom 14.08.2020 Bezug genommen.
2
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz um Schadenersatz aus Beteiligungen des Klägers am grauen Kapitalmarkt.
3
Das Landgericht Landshut gab der Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Endurteil vom 14.08.2020 im Wesentlichen statt und verurteilte die Beklagten zur Zahlung von Schadenersatz aufgrund Beratungsfehlers. Dieses Endurteil wurde dem Klägervertreter am 31.08.2020 und dem Beklagtenvertreter am 19.08.2020 zugestellt. Mit Beschluss vom 23.09.2020 nahm das Landgericht Landshut auf Antrag der Beklagten eine Berichtigung des Tatbestandes auf Seite 3 des Urteils vor und wies den Antrag auf Tatbestandsberichtigung im Übrigen zurück. Mit Schriftsatz vom 18.09.2020, eingegangen bei Gericht am selben Tage, legten die Kläger gegen das Endurteil des Landgerichts Landshut Berufung ein. Diese Berufung wurde nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 19.11.2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, begründet. Zugleich wurde beantragt, den Beklagten Prozesskostenhilfe zu gewähren. Mit Schriftsatz vom 18.11.2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, legte die Klagepartei Anschlussberufung ein.
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Die Beklagtenpartei beantragt im Berufungsverfahren:
1. Das Urteil des Landgerichts Landshut vom 14.08.2020 – Az.: 22 O 249/20 – wird abgeändert und die Klage gegen die Beklagten zu 1) und 2) insgesamt abgewiesen.
2. Für den Fall, dass die Klage begründet sein sollte, wird für den Beklagten zu 1 gegen den Kläger Hilfswiderklage mit folgendem Antrag erhoben:
Es wird festgestellt, dass der Kläger an den Beklagten zu 1) Gewinne aus der Vermittlung von Aktien in Höhe von 450.000 zu je USD 1,00 pro Aktie der E.R. S. S. Holding Limited gemäß des Zertifikates vom 24.10.2016 mit der Nummer …74 zu erstatten hat.
3. Hilfsweise wird beantragt,
das Urteil des LG Landshut vom 14.08.2020 – Az.: 22 O 249/20 – nebst dem zu Grunde liegenden Verfahren aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen.
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Der Kläger beantragt,
Die Berufung zurückzuweisen.
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Mit Beschluss vom 25.11.2020 wies der Senat gemäß § 522 Abs. 2 ZPO darauf hin, dass er beabsichtige, die Berufung der Beklagten im Beschlusswege zurückzuweisen. Zugleich wurden in diesem Beschluss die Anträge der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Dieser Beschluss wurde dem Beklagtenvertreter am 14.12.2020 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 28.12.2020 legten die Beklagten gegen die Zurückweisung des Antrages auf Prozesskostenhilfe Gegenvorstellung ein. Mit weiterem Schriftsatz vom 01.02.2021, eingegangen bei Gericht am selben Tag, nahmen die Beklagten zu dem Hinweisbeschluss des Senats nach Verlängerung der Stellungnahmefrist Stellung.
II.
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Die Voraussetzungen für die Zurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO sind gegeben, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordern, eine mündliche Verhandlung auch unter Berücksichtigung der Gegenerklärung vom 01.02.2021 nicht geboten ist.
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Das Urteil des Landgerichts Landshut vom 14.08.2020 begegnet aus Sicht des Senats keinen rechtlichen Bedenken. Der Prüfungsumfang des Berufungsgerichts bemisst sich dabei nach § 529 ZPO, demnach sind die vom Gericht der I. Instanz festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen. Im Hinblick auf die Klageabweisung werden keine neuen berücksichtigungsfähigen Tatsachen im Sinne des § 529 ZPO vorgetragen. Zur Überzeugung des Senats hat das Erstgericht zu Recht der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Zu den Ausführungen der Gegenerklärung im Einzelnen:
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1. Es verbleibt bei der bereits im Hinweisbeschluss des Senats geäußerten Ansicht, dass die Beklagten im Sinne einer arbeitsteiligen Beratung zusammen gewirkt haben und daher beide Beklagte Vertragsparteien eines entsprechenden Vertrages geworden sind. Allein der Umstand, dass der Beklagte zu 2 lediglich allgemein über die wirtschaftliche Lage mit dem Kläger sprach, ändert an dieser Bewertung nichts. Die arbeitsteilige Beratung lässt eine solche Aufteilung der Gesprächsanteile zwischen den Beklagten zu. Auch hat der Senat durchaus berücksichtigt, dass eine Änderung des Parteivorbringens während eines Prozesses möglich ist. Jedoch sind derartige Änderungen des Parteivorbringens bei der Überzeugungsbildung des Gerichtes zu würdigen, was der Senat hinsichtlich des zunächst erfolgten Vortrages, durch beide Beklagten sei eine Vermittlung erfolgt, getan hat. Soweit die Verwendung der Bezeichnung „wir“ auf den pluralis majestetis zurückgeführt wird, lässt sich dies den Schriftsätzen nicht entnehmen, vielmehr ist im Hinblick darauf, dass der Beklagtenvertreter durchaus zwischen dem Beklagten zu 1 und dem Beklagten zu 2 differenziert, bei der Verwendung der Bezeichnung „wir“ anzunehmen, dass damit beide Beklagte erfasst sind.
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2. Auch liegt eine gemeinsame vertragliche Verpflichtung beider Beklagten vor wie durch den Senat auf Seite 4 f. des Hinweisbeschlusses begründet wurde. Der Senat hat mitnichten verkannt, dass die Vorschrift des § 425 BGB eine solche vorausgehende vertragliche Verpflichtung voraussetzt. Auch ist, dies wurde bereits oben geschildert, nicht erforderlich, dass der Beklagte zu 2 konkrete Angaben zu der Anlage machen muss, im Zuge der arbeitsteiligen Beratung ist es z.B. durchaus vorstellbar, dass der Beklagte zu 1 hier eine einleitende Rolle übernommen hat.
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3. Der Senat hat hinsichtlich des Verschuldens bereits darauf hingewiesen, dass eine Exkulpation durch den Beklagten zu 2 nicht erfolgte. Eine Abrede, dass der Beklagte zu 2 für das Verschulden des Beklagten zu 1 einzustehen hat, hat das Gericht nicht angenommen.
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4. Ebenfalls war dem Gericht bewusst, dass die Darlegungs- und Beweislast für den Beratungsfehler und damit die Pflichtverletzung bei dem Kläger liegt. Dies hat der Senat in seinen Hinweisbeschluss auch entsprechend berücksichtigt. Der Senat hat weiterhin hinsichtlich der Übergabe des Prospektes verdeutlicht, dass die Frage, wie lange einer Partei Zeit zur Lektüre einzuräumen ist, damit eine rechtzeitige Übergabe vorliegt, stets eine Entscheidung im Einzelfall ist. Eine Verallgemeinerung, so wie durch die Berufung vorgenommen, verbietet sich gerade.
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5. Auch der nochmalige Hinweis auf eine eingetretene Verjährung ändert an der Überzeugungsbildung des Senates nichts. Eine Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von den die fehlerhafte Beratungbegründenden Tatsachen lag nicht vor. Auch dabei handelt es sich um eine Entscheidung im Einzelfall, die Entscheidung anderer Oberlandesgerichte in anderen Fällen ist daher aufgrund der dortigen Tatsachenlage zu sehen. Lediglich ergänzend ist anzumerken, dass die von der Beklagtenpartei zitierte Entscheidung des OLG Koblenz als Anlage B 2.16 nicht vorliegt, bei dieser Anlage handelt es sich um eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes.
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6. An der Verurteilung der Beklagten zum Ersatz entgangenen Gewinns ergeben sich auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Gegenerklärung keine Bedenken. Die zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs NJW-RR 2019, 1332, führt insoweit aus, dass ein Zinsausfallschaden nur dann zu gewähren ist, wenn der Kläger darlegt, für welche Anlage er sich bei Nichtabschluss der streitbefangenen Anlage entschieden hätte (BGH aaO. Rn. 40). Diese Rechtsprechung war dem Senat auch vor der Gegenerklärung bereits bekannt. Aufgrund dieser Rechtsprechung hat der Senat sodann ausgeführt, dass sich das Erstgericht eine Überzeugung davon verschafft hat, was hinsichtlich des Betrages, welcher zuvor in eine Lebensversicherung investiert worden war, erfolgt wäre (UA S. 16 f.). Damit hat sich das Erstgericht die geforderte Überzeugung im Sinne des Bundesgerichtshofes gerade verschafft.
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7. Bezüglich der Zulässigkeit der Feststellungsanträge vermengt die Gegenerklärung Feststellungsanträge und Freistellungsanträge. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes, welche die Gegenerklärung zitiert, beziehen sich auf Freistellungsanträge. Bei diesen handelt es sich jedoch um Leistungsanträge, welche ausreichend bestimmt sein müssen, um eine Vollstreckung zu ermöglichen. Dies ist jedoch bei Feststellungsanträgen gerade nicht der Fall. Allein der Umstand, dass in dem Feststellungsantrag das Wort „Freistellung“ verwendet wird, führt nicht dazu, dass es sich nunmehr um einen Freistellungsantrag handelt. Es bleibt insoweit dabei, dass der Kläger nur eine Verurteilung dahingehend beantragt hat, dass festgestellt wird, dass die Beklagten zur Freistellung verpflichtet sind. An der Zulässigkeit einer solchen Feststellungsklage bestehen jedoch keine Bedenken. Es handelt sich dabei nicht um eine Verurteilung zur Leistung, sondern, wie bereits wiederholt ausgeführt, um eine Feststellungsklage. Die Anforderungen an diese unterscheiden sich jedoch von den Anforderungen an eine Freistellungsklage und wurden durch die Klagepartei hier vorgetragen, da der Eintritt eines weiteren Schadens möglich erscheint .
III.
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Soweit die Klagepartei mit Schriftsatz vom 18.11.2020 Anschlussberufung eingelegt hat, handelt es sich dabei um eine unselbstständige Anschlussberufung, welche im Fall der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ihre Wirkung verliert, § 524 Abs. 4 ZPO (MüKoZPO/Rimmelspacher, ZPO, § 522 Rn. 38).
IV.
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Da es somit auch unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Gegenerklärung Erfolgsaussichten der Berufung nicht bestehen, war auch die Gegenvorstellung auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Berufungsverfahren zurückzuweisen. V.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
19
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
20
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt. Der Anschlussberufung kommt keine eigenständige Bedeutung bei der Festlegung des Streitwertes zu, da es sich dabei um eine Nebenforderung handelt. Im Übrigen erfolgt auch keine Entscheidung in der Sache zur Anschlussberufung (s. o. III).